Alles begann mit der MC-303
Wir haben letzthin häufiger gedacht, dass wir gerne unsere Leserinnen und Leser in Professional audio sichtbar werden lassen möchten. Uns interessiert brennend wie sich die Menschen für die wir das Magazin produzieren dem Aufnehmen, Abmischen und Produzieren widmen. Welche Geräte sie benutzen, wie sie sich eingerichtet haben und wie der Weg zur Musik im Allgemeinen und zur Tontechnik im Speziellen verlaufen ist. Zur Premiere stellen wir Yacine Herrlich-Tafticht und sein Heimstudio vor.
Yacine steht wahrscheinlich stellvertretend für einen nicht geringen Teil unserer Leserschaft. Insofern er sich zunächst viele Jahre Wissen und Erfahrung im Selbststudium angeeignete und, obwohl er sich mittlerweile sogar zum Audio Engineer weitergebildet hat, seiner tontechnischen Leidenschaft dennoch nicht im Hauptberuf nachgeht. Dass es sich also um sein Hobby, manchmal einen Nebenerwerb handelt, mindert nicht seine Professionalität oder immerhin den professionellen Anspruch an sein Equipment, die Arbeitsweise und -umgebung sowie letztlich an das klangliche Ergebnis.
Weiterhin dürfte er mit vielen gemein haben, dass der Weg zum „echten“, durchdacht und dauerhaft eingerichteten Heimstudio oftmals ein langer ist. Während in den letzten zwanzig Jahren die Preise für professionelle Audiogeräte fielen, deren Qualität gleichzeitig stieg und die Digitalisierung ihr Übriges tat, um immer „schlanker“ und günstiger arbeiten zu können, sind im gleichen Zeitraum die Mieten allerorten extrem gestiegen. So bleiben die finanziellen Möglichkeiten ein entscheidender Faktor. Sie geben vor, was machbar ist. Denn ausreichend Platz für das Heimstudio, idealerweise ein eigener Raum, muss natürlich bezahlt werden.
DJing und MC-303
Am Anfang steht bei Yacine, Jahrgang 1979, die Freude am Musikhören. Mit Beginn seiner Teenager-Jahre Anfang der 1990er ist beziehungsweise wird Techno in Deutschland richtig groß. Veranstaltungen wie die Mayday und die Loveparade wachsen stetig, harte elektronische Sounds tummeln sich in den Charts. Yacine faszinieren diese Klänge und Künstler wie Westbam und Sven Väth. Rasch beginnt er sich für die DJ-Kultur zu begeistern. Mit Nachbauten von Technics-Plattenspielern beginnt er das Auflegen und schafft sich das klassische Handwerk drauf: Platten nach Gehör pitchen, Takte zählen, nahtlose Übergänge kreieren, Spannungsbögen aufbauen. Er wird schnell besser und im Freundeskreis werden bald eigene Parties organisiert, auf denen er nun als DJ fungiert. Während des Auflegens fragt er sich zunehmend, wie die Tracks eigentlich entstehen, die er da zusammenmixt.
Das markiert den Beginn seines Interesses für Musikproduktion und die entsprechenden Gerätschaften, Drum-Machines, Step-Sequencer und Synthesizer. Sein erstes eigenes Gerät ist eine Roland MC-303 Groovebox. Der Vater zahlt die eine Hälfte, die andere verdient er sich durch kleine Schülerjobs. Für den im Haushalt befindlichen PC besorgt er sich Samplitude, Wavelab und den Magix Music Maker, um die mit der MC-303 erstellten Samples oder auch schon Track-Skizzen zu loopen, zu arrangieren und weiterzubearbeiten. Yacine spielt damals noch kein Instrument, hat keine Ahnung von Harmonielehre und Musiktheorie, nähert sich der Materie autodidaktisch per Gehör. Dieser Ansatz, das „Nachbauen“ von Tracks wie „Get ready to bounce“ oder „Progressive Attack“ von Brooklyn Bounce, schult sein Gehör und das musikalische Verständnis von Arrangements, wovon er bis heute profitiert. Auf den mit oder von Freunden organisierten Rave-Parties legt er fortan nicht mehr nur auf, sondern hat auch eigene Produktionen im Set. Die Leute beginnen sogar seinen Stil wiederzuerkennen. Dennoch ist es ein reines Hobby, er hat nicht die Absicht, sich in irgendeiner Weise zu professionalisieren. Sein Musikgeschmack weitet sich aus. Rock und Metal haben es ihm nun zusätzlich angetan und er nimmt Schlagzeug-Unterricht.
Ausbildung & Studium
Durch den Beginn seiner Ausbildung zum Mediengestalter Print treten das Musizieren und Produzieren aber erst einmal in den Hintergrund. Im Laufe der Ausbildung stellt er fest, dass es ihn doch eher in Richtung Bewegtbild-Bearbeitung zieht und sich das wiederum hervorragend mit Musik verbinden lässt. Er schreibt sich für das Studium „Audiovisuelle Medien“ an der SAE ein und kommt so erstmals mit professionellem Studio-Equipment und einem Pro-Tools-System in Berührung. Das Studium an der SAE muss finanziert werden, Geld für den Erwerb eigenen Produktions-Equipments kann er zu dieser Zeit nicht aufbringen. Nach dem Studium bessert sich durch den ersten Vollzeit-Job die finanzielle Situation. Zudem werden Computer günstiger, Breitband-Internet-Verbindungen ebenfalls erschwinglicher und Plattformen wie last.fm und soundcloud betreten die Bildfläche. Yacine produziert mittlerweile mit Propellerheads Reason. Er nutzt das Internet, um sich tontechnisch weiterzubilden, seine Skills zu verbessern. Zu seinen Genre-Favoriten Techno, Rock und Metal gesellen sich nun Trip-Hop und Ambient, generell Ruhigeres. Seine Produktionen veröffentlicht er im Netz.
Ein Jobwechsel 2010 führt ihn zu einer Produktionsfirma, die Image-Filme, Produktpräsentationen und Schulungsvideos herstellt, meist mit irgendwelcher GEMA-freien Musik. Yacine sieht die Chance sein Können einzubringen und die benötigte Musik selbst zu produzieren. War das Produzieren zuvor lange Zeit reines Hobby, ist es nun plötzlich Teil seines beruflichen Alltags. Von seinem heutigen Heimstudio ist Yacine aber immer noch weit entfernt.

Für die Nachbarn ein Segen, dass er mit einem digitalen Drum-Set arbeitet. Das Abmischen von Drums zählt zu Yacines Stärken.
Band-Gründung & Equipment-Beschaffung
2014 wechselt er erneut den Arbeitgeber. Für seine Dienste als Musik-Produzent gibt es kaum Verwendung, dafür hat er nun äußerst musikbegeisterte Kolleg*innen mit denen er sich sehr gut versteht. In einem Alter, schon über 30, da sich für andere das Thema Band meist langsam erledigt (hat), beschließen er und die Kolleg*innen eine zu gründen. Das etwas fortgeschrittene Alter samt der Vollerwerbstätigkeit der Beteiligten hat den Vorteil, dass ausreichend Geld für die Ausstattung des Proberaums vorhanden ist. Eine PA, ein Mischpult und Mikros werden angeschafft, Geld für Band-Coaching investiert. Yacine selbst ist angefixt. Da sich die Band beziehungsweise er die Band selbst produzieren will, kauft er auch noch gebrauchte Kompressoren, Vorverstärker und das Digital-Schlagzeug, welches heute in seinem Heimstudio steht, diverse Synthies und Controller. Über Equipment verfügt er also immer mehr, stationär damit einrichten kann er sich aus Platzmangel noch nicht. Er baut es auf, wo eben Platz ist. Eine kleine, unvollständige Produktionsecke befindet sich im Schlafzimmer, das Digital-Schlagzeug im Wohnzimmer, eine zufriedenstellende Aufnahmesituation lässt sich so nicht herstellen.
Endlich ein Heimstudio
Ende 2018 wird Yacine arbeitslos, was leider auch zur Folge hat, dass der Kontakt zu den (Band-)Kollegen weniger wird und die Band letztlich zerbricht. Doch der Wunsch professionell zu produzieren bleibt und es entsteht eine Art „Mut der Verzweiflung“. Da es auf dem Arbeitsmarkt für ihn als Grafik- und Motion-Designer zu dieser Zeit nicht gut aussieht, beschließt er, sich mittels Fernkursen am HOFA College zum Audio Engineer ausbilden lassen und im Anschluss die Selbständigkeit zu wagen. Im grafischen Bereich hat er die Ausbildungsnachweise und die Berufserfahrung, im Audio-Bereich fehlt im etwas Nachweisbares. Die Agentur für Arbeit erkennt die Sinnhaftigkeit seines Vorhabens und fördert es. Schon im August 2019 macht er seinen Abschluss. Bald darauf ist eine größere Wohnung zu haben, in die er mit seiner heutigen Frau und seinem Sohn einziehen kann, groß genug, um einen Raum als Heimstudio zu nutzen. Die Chance wird ergriffen und im Januar 2020 ist sein Studio in der heutigen Form eingerichtet, was nicht bedeutet, dass es „fertig“ ist. Die Akustik möchte er dringend noch mit Bassfallen, Absorbern, Diffusoren und einem Deckensegel verbessern. Gewiss, idealerweise macht man das als Erstes, aber es läuft nun mal selten ideal. Und er träumt schon wieder von den nächsten Anschaffungen, zum Beispiel dem Wing-Pult von Behringer.

Softubes Console 1 schätzt er aufgrund der Haptik und der Klangqualität der emulierten Konsole. Ebenfalls zentral angeordnet Focusrite Scarlett Interface und Preamp.
Obwohl er die Selbständigkeit rasch aufgeben muss – Corona macht ihm einen Strich durch die Rechung – ist er heute glücklich, wie es alles gelaufen ist. Er findet eine neue Festanstellung und ist in diesem Job sehr zufrieden. Unter anderem erbringt er Dienstleistungen für die „ZDF heute show“, kann seine grafischen und musikalischen Fähigkeiten einbringen und sein Arbeitgeber schätzt beides gleichermaßen. Es steht sogar im Raum, dass die Firma ein Studio einrichtet und ihr Angebot um Musikproduktion erweitert. Das könnte der nächste Schritt in Richtung eines Traumes sein, der über die vergangenen Jahre entstand: An einer größeren Filmmusik-Produktion in irgendeiner Weise mitzuwirken.
Sein Heimstudio möchte Yacine nicht missen, auch wenn er es heute anders nutzt als geplant, eben wieder nebenher. Derzeit arbeitet er, wenn es die Zeit zulässt, an der neuen Abmischung des Albums einer Metalband, die mit der vorhandenen nicht zufrieden ist. Der Kontakt kam zufällig über einen Kollegen zustande. Da die Band mit seinen bisherigen Arbeitsergebnissen hingegen sehr zufrieden ist, wird er im Anschluss wohl deren nächstes Album komplett produzieren.
Die Roland MC-303 hat Yacine irgendwann im Laufe der Jahre verkauft, was er heute bedauert. Während wir uns über sein Studio und seinen Werdegang unterhalten, wird ihm bewusst, dass alles mit dem Auflegen und diesem Gerät begonnen hat. Nicht nur aus Nostalgie, sondern auch, weil alle Sounds irgendwann ein Revival erleben, hat er sich vorgenommen eine MC-303 im Netz zu suchen und ihr einen Ehrenplatz im Studio einzuräumen.
Hörproben:
https://soundcloud.com/manefaces/tracks
https://abandonstudio.bandcamp.com/releases
Wenn ihr euch und euer Heimstudio vorstellen möchtet, schreibt uns eine Mail an info@professional-audio.de.