In seiner allmonatlichen Kolumne stellt Autor Heiner Kruse in kurzer, knapper Form bekannte und nicht so bekannte Soft- und Hardware vor, bei denen ein genauerer Blick in jedem Fall lohnenswert ist. Alle Hot Tools →
Dieses Mal geht es um zwei innovative Klangerzeuger: Make Noise Spectraphon (ein Eurorack Modul, dessen Premiere eins der heißesten Themen auf der letzten Superbooth war) und Klevgrand’s Tomofon (eine Software für Computer und iOS). Beide können Audiomaterial synthetisieren, so dass die Tonhöhe kontrollierbar wird und das Ergebnis in einem Synthesizer-Instrument weiterverarbeitet werden kann – freilich mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Make Noise Spectraphon
Spectraphon als Kooperation der Firmen Make Noise und Soundhack aus den USA ist sowohl Klangerzeuger als auch Effekt. Ihr könnt damit zwei Oszillatoren entweder wie ein Instrument spielen (im SAO Mode/ Spectral Array Oscillation) oder zweimal eingehendes Audiomaterial in Echtzeit ohne Latenz resynthetisieren (im SAM Mode/ Spectral Amplitude Modulation).
Was die Oszillatoren im SAO Modus von sich geben, basiert auf bis zu 1.024 Spektren mit verschiedenen Obertonlautstärken aus einem sogenannten Array, zwischen denen ihr mit den Slide- und Focus-Reglern überblendet. Arrays könnt ihr im SAM Modus erstellen oder vorinstallierte Spektren nutzen. Ihr könnt pro Oszillator 16 Arrays verwalten, das geschieht über eine rückseitig eingelegte microSD Card. Zudem könnt ihr die geraden Obertöne separat per Finetuning verstimmen oder via Audio- oder CV-In modulieren. Mit zwei Partials-Reglern, die auch modulierbarer Amp-Ersatz im Stil von Low Pass Gates sein können, stellt ihr ein, wieviele Obertöne hörbar werden. FM- und Sync-Optionen gibt es ebenfalls.
Im SAM Mode wird ein eingehendes Signal in Echtzeit resynthetisiert, Hüllkurvenverfolger modulieren Obertöne in Echtzeit. Dabei wird die Tonhöhe des Audioeingangsmaterials glattgebügelt und ist anschließend kontrollierbar. Slide und Focus steuern jetzt Analyseparameter, um Ergebnisse perkussiver oder verschwommener ausfallen zu lassen, ein wenig Schärfe geht jedoch stets verloren. Es kann ähnlich wie ein Vocoder klingen, wenn ihr Vocals in die Audioeingänge schickt.
Im SAM Modus könnt ihr Arrays für den SAO Betrieb aus eingehenden Audiosignalen generieren. Die Ergebnisse sind keine Audioaufnahmen, sondern auf einen gemeinsamen Grundton formatierte Spektren. Je mehr sich der Originalsound während der etwas über eine Sekunde langen Aufnahmeprozedur ändert, desto verschiedener fallen die Spektren aus, die entstehen. Alternativ erzeugt ihr Spektren wie kurze Snapshots mit Hilfe einer Clock zu verschiedenen Zeitpunkten, dann kann die Erstellung von 1.024 Spektren deutlich länger dauern.
Das Ergründen des Spectraphon Konzepts macht Spaß und gestaltet sich wie ein spannendes Rätsel. Ob euch der Sound gefällt, ist eine andere Frage. Im Netz sind Demos von Vloggern aus aller Welt zu hören, auch bei sound.report habe ich etwas eingestellt. Spectraphon hat trotz unterschiedlicher Anwendungen in beiden Modi auch einen eigenen, typischen Sound. Akustikanmutungen verschwinden meist zugunsten eines elektronischeren Sounds, der zwar oft komplex, aber meist nicht schneidend scharf, sondern eher etwas weicher ausfällt. Wenn ich Originalsounds extern separat hinzugemischt, Spectraphon dazu passend gestimmt und alles durch Effekte geschickt habe, gefielen mir die klanglichen Ergebnisse am besten. Das Modul glänzt besonders, wenn Obertöne musikalisch in Szene gesetzt werden, was mit den detaillierten und präzisen Einstelloptionen für (Fine-)Tunings, Slide und Focus möglich ist. Für Drone-Sounds ist das sicher besonders gut geeignet. Ihr könnt euch zumindest ansatzweise auf die Spuren von spektralen Kompositionen begeben. Beide Oszillatoren könnt ihr mit der Follow-Funktion auch versetzt gemeinsam stimmen und transponieren. Ein grün oder rot leuchtendes Feld zeigt sinnvolle Tuningeinstellungen für den zweiten Oszillator im Sinne der Obertonreihe an.
Jeder Oszillator hat vier separate DC-coupled Outs, die sich für externe Mixes nutzen lassen, zum Beispiel für gerade und ungerade Obertöne. Ferner könnt ihr für jeden Oszillator den Grundton aus einem Sub-Out separat abgreifen. Ein weiterer Ausgang pro Seite liefert eine Modulationsquelle. Hier könnt ihr einen LFO mit verschiedenen Wellenformen nutzen und via Clock-In oder mit manuellen Taps das Tempo bestimmen. Oder ihr nutzt alternativ Hüllkurvenfolgerimpulse, die aus dem eingehenden Signal im SAM Mode generiert werden. Für alle Parameter gibt es skalierbare CV-Ins.
Neben Noise sind also auch musikalische Ergebnisse Ziel des Konzepts. Was ihr mit dem Gerät machen könnt, kann aufgrund der Vielzahl der Funktionen des Geräts sicher nicht so schnell vollständig erfasst werden. Spectraphon glänzt zudem im Zusammenspiel mit anderen Modulen sicher noch mehr als Stand-alone.
Bewertung: Spektraler Wahnsinn als Klangerzeuger und Effekt.
Wo: https://makenoisemusic.com, https://schneidersladen.de, https://thomann.de
Wieviel: 680 Euro
Klevgrand Tomofon
Tomofon von Klevgrand aus Schweden ist ein virtuelles Instrument für Mac & Windows (AU/VST/AAX) und iOS (AUv3 Plug-in und Stand-alone). Tomofon erzeugt Sounds mit sogenannten Audio Models aus Wavetables, die wiederum aus Samples entstanden sind. Laut Klevgrand werden einzelne Abschnitte des Audiomaterials als Wellenformen geloopt und zu Wavetables zusammengefasst. 124 Audio Models werden mitgeliefert. Klevgrand bietet zudem einige aufpreispflichtige interessante Audio Model Packs, ihr könnt aber auch eigene Samples importieren und analysieren – auch aus mehreren Samples oder einem langen Sample, das mehrere Töne enthält. In Beispielvideos erstellen die Schweden Tomofon-Instrumente insbesondere aus gesungenen Stimmen.
In der Tomofon Library überzeugten mich Klarinetten-, Harfen- und Sitar-Sounds durchaus, doch auch die mehrdimensionalen Pads und Percussion-Instrumente aus den Audio Model Packs überzeugten.
Der klangliche Reiz der Tomofon-Instrumente besteht nicht zuletzt darin, dass verschiedene Tasten jeweils andere Wavetables mit eigenem Soundverlauf auslösen, wodurch der Klang bei Akkorden besonders mehrdimensional und bei Solosounds oder Percussions abwechslungsreich wird. Durch Morphing, Hüllkurven und gemeinsame Tonhöhenkontrolle kann Tomofon die Instrumente als Ganzes stimmig machen, komplexe Hüllkurvenmodulationen bieten interessante Sounddesignoptionen. Beim Spielen von Noten werden die Wavetables durchfahren, der Depth Parameter steuert die Abspielposition. Das ermöglicht endlose Sustain-Loops, zudem können Abspielrichtung und Geschwindigkeit problemlos mit einer Depth-Hüllkurve und die Tonhöhe mit einer Pitchhüllkurve gesteuert werden.
Ihr könnt euch die Arbeit an Audio Models ein wenig wie die Instrumentenerstellung in einem Sampler vorstellen. Neben Automatikmodi findet ihr manuelle Import-, Merge- und noch verbesserungsfähige Mapping- und Editoptionen, etwa um korrekte Tonhöhen zuzuweisen und Wavetables zu bearbeiten. Wie gut die automatische Tonhöhenerkennung bei einem Import funktioniert, hängt vom Audiomaterial ab. Tipp: Optimalerweise ist beim Ausgangsmaterial nicht mehr als eine Tonhöhe gleichzeitig zu hören, diese muss aber nicht gleich bleiben. Ihr könnt Wavetables editieren und klanglich optimieren, indem ihr sie von unschönen Stellen befreit und glättet. Die visuelle Darstellung erinnert an die additive und spektrale Resynthese in Logic’s Alchemy. Optionen zum Verbiegen von Wavetables wie in Serum & Co. bietet Tomofon aber (noch) nicht.
Die Hüllkurven sind einerseits vierstufig und einfach bedienbar, andererseits auch mehrstufig editierbar. Besonders ist, dass ihr für die Sustainphase, in der ihr eine Keyboard-Taste haltet, nicht nur einen Pegel, sondern einen Loopbereich und dessen zeitliche Länge definieren könnt. Neben Hüllkurven für Gain, Filter und Depth gibt es auch eine für Pitch-Modulation, in der ihr dann für eine Loop-Phase etwa ein Vibrato programmieren könnt. Programmiert ihr Loops kurz, kann es wie FM-Synthese klingen.
Zusätzlich gibt es noch Reverb, Delay, einen Body-Effekt (neu seit Version 1.2) für realistischeren akustischen Klang und vier EQ-Bänder zur Klangformung. Mit Voice-Settings könnt ihr beim Spielen einer Note zudem gleichzeitig vier Voices leicht unterschiedlich erklingen lassen, leicht gegeneinander verstimmen und Panorama, Gain und mehr einstellen, damit die Sounds fett werden.
Parameter rund um Gain, Depth, Pitch und Filter lassen sich auch in einer Modulationsmatrix mit zwei definierbaren Controllern, Velocity und der Tonhöhe der gespielten Taste beeinflussen. Seit Klevgrand Ende Juni Version 1.2 veröffentlicht hat, in der nun auch polyphone Controllerinformationen verarbeitet werden, könnt ihr auch MPE-fähige Controller einsetzen, um Tomofon ausdrucksstark zu spielen. Das Update brachte weiterhin mehr Filtertypen sowie die Unterstützung von .tun-Files für microtonale Stimmungen. Bemerkenswert ist, dass die iOS Version deutlich billiger zu haben, aber weitgehend gleich ausgestattet ist.
Bewertung: So noch nicht gehörte Synth-Instrumente aus Audiomaterial
Wo: https://klevgrand.com
Wieviel: 120 Euro, 15 Dollar iOS Version, Tomofon Audio Model Pack Bundle 38 Dollar
Hinterlasse einen Kommentar