In seiner allmonatlichen Kolumne stellt Autor Heiner Kruse in kurzer, knapper Form bekannte und nicht so bekannte Soft- und Hardware vor, bei denen ein genauerer Blick in jedem Fall lohnenswert ist. Alle Hot Tools →
Softube Atlantis Dual Chambers
In den Atlantis Studio im Herzen von Stockholm können Musiker ihre Produktionen mit Hilfe der dort befindlichen Echo-/Hallkammern auf ganz besondere Weise veredeln. So entstand auch der berühmte Vokalklang der schwedischen Pop-Band ABBA, der noch heute bewundert wird, obwohl seitdem neuere Technik und Hallgeräte verfügbar sind. Die Softwareentwickler von Softube haben sich diesem Thema gewidmet und das „Atlantis Dual Chamber“ Plug-in entwickelt. Und ich kann Grammy-Produzent Mark Rankin (Adele) nur recht geben, wenn er es so formuliert: „Wow, ohne etwas anzufassen, klingt es schon so gut…“
Ich bin selbst Fan des 70s-Sound und nahm gern ein Remixangebot für die Band Groenalund an. Bandleader Martin Gerke verehrt ABBA aus tiefstem Herzen und will den Vibe mit seiner Band und vor allem neuen Songs wieder aufblühen lassen. Er begab sich auch auf Forschungsreise nach Schweden, wo er nicht nur den legendären Yamaha GX-1 spielen durfte, sondern auch ABBA-Gitarrist Janne Schaffer für sein Projekt gewann. Für meinen Remix möchte ich die Stimmen so richtig in Abba-Hallsahne eintauchen und stieß bei Versuchen auf die mir bislang unbekannten Atlantis Dual Chambers. Das Plug-In wurde im Mai 2022 veröffentlicht, Softube hat aber mittlerweile keinen deutschen Vertrieb mehr, so dass hier etwas weniger Newsmeldungen eintrudeln.
Ich hatte zuvor bereits gute Erfahrungen mit derlei Studio-Raumemulationen gemacht, etwa mit Eventides T-verb, in dem die Aufnahmekonfiguration aus David Bowie’s „Heroes“ nachgebaut wurde, oder UAD’s Capitol Chambers. Der Spruch: „Eins klingt wie alle“ gilt für diese Art von Reverbs nicht, der Sound war für meine Ohren jedes Mal sehr anders. So auch hier: Ich legte den Effekt auf die Vocals und war sofort begeistert. Der Hall klingt irgendwie gut, weder nach Kathedrale noch nach billigem Algorithmus. Die Hallräume in Stockholm sind relativ groß und die Wände relativ glatt und reflektierend. Lang ausklingende Reverbs mit dem charakteristischen Sound sind sicher die Spezialität des Plug-ins. Softube schreibt, dass der Sound aber auch nicht nur durch dichte Hallfahnen, sondern insbesondere durch spezielle Raumresonanzen und eine bestimmte Luftigkeit geprägt ist.
Das Plug-in ist so konzipiert, dass ihr für den linken und rechten Kanal separate Settings und jeweils eine eigene Hall-Chamber wählen könnt. Ihr könnt zudem verschiedene Mikrofone und Mikrofon-Abstände für die Abnahme des Chamber-Sounds, aber auch Predelays separat pro Kanal einstellen. Mit einem Resonance-Control Regler liefert Softube ein Werkzeug zum Dämpfen besonders prägnanter Resonanzfrequenzen und die langen Decay-Zeiten der Originale könnt ihr mit einem Decay-Regler verkürzen. Das Plug-in präsentiert sich also auch als flexibles Werkzeug abseits vom Anspruch der Reproduktion des Vorbilds. Alternativ lässt sich der Nachhall mit dem Mechanical Damping Parameter dämpfen. Dabei kommen weitere Aufnahmen aus den Atlantis-Studios zum Einsatz, bei denen die Softube-Toningenieure mehr und mehr Absorber bei der Aufnahme in den Chambers angebracht haben. Hilfreich ist, dass eine satt gelbe Beschriftung an den Reglern für euch die Settings des Original-Sounds markiert.
Nach ABBA klang es in meinem Test natürlich vor allem wegen der Groenalund-Sängerinnen und bestimmten Settings, doch den Atlantis Dual Chambers Hall könnt ihr bei verschiedensten Gelegenheiten im Studio gebrauchen. Künstler und Produzenten wie Quincy Jones, Lenny Kravitz, Primal Scream, Elvis Costello, Green Day, Robyn, Roxette oder die Cardigans haben in dem schwedischen Kult-Studio produziert. In der Preset-Collection findet ihr Einstellungen für alle Arten von Instrumenten, inklusive kurzer Hallräume für Drums.
Eine optional einblendbare Ansicht unten zeigt weitere EQ-, Dynamics- und I/O-Parameter. Letztere erlauben eine Regelung der Stereobreite bis hin zum Mono Output, was bei Vintage-Sounds oft gut passt. Mit einer Drive-Option könnt ihr den Sound der emulierten Studio-Verstärker und deren angenehme Verzerrungen einbinden.
Durch die vielen Soundjustage-Möglichkeiten sind die Softube Atlantis Dual Chambers ein durchweg gut klingender Hall, mit dem von intimen Vocals und kurzen Slapbacks bis hin zu epischen Reverbs vieles möglich ist. Sie sind für jeden Toningenieur mit Anspruch eine reizvolle Erweiterung der Mixing-Werkzeugkiste.
Bewertung: Wunderschöner Hall für 70s-Sounds und mehr.
Wo: softube.com
Wieviel: 144,- €
Erica Synths – Zen Delay Virtual
Als Matt Black, Betreiber des Ninja Tune Labels und eine Hälfte von Coldcut, 2017 zum ersten Mal zur Superbooth kam, war er überwältigt von der gewachsenen Szene, die er dort vorfand und deren Entwicklung er zuvor nicht mitbekommen hatte. Faszinierend fand er dabei vor allem die Kreativität, die in den vielen Produkten steckte, unabhängig davon, ob sie nun für das Eurorack gemacht waren oder nicht. Angeleitet und vermittelt vom mittlerweile in Portugal lebenden Ingmar Koch, bekannt als Dr. Walker von Liquid Sky und Air Liquide, haben Matt und das Team von Erica Synths aus Lettland kurz danach die Zen Delay-Hardware entwickelt. Das ist ein kultiges Standalone-Delay, das verschiedene Modi beherrscht und sich mit einem kräftigen Filter als typisches Dub-Delay versteht.
Die meisten Delays mit Röhrenverzerrung sind mono ausgelegt, die röhrenbasierte Zen-Delay-Hardware arbeitet hingegen in Stereo, was nicht nur für DJ’s wichtig ist. Die resonanzfähigen Multimode-Filter besitzen eine 24dB/Okt. Flankensteilheit. Damit lassen sich typische und gut klingende Dub-Delays mit Cutoff-Modulationen realisieren.
Im Rahmen meines Projektes Echoes, beschäftige ich mich intensiv mit Delays im Studioproduktions- und Livekontext und war neugierig auf das frisch veröffentlichte Zen Delay Virtual, eine weitere Koproduktion der oben genannten Beteiligten. Es kann bereits etwas mehr als das Hardware-Original und soll laut Ingmar Koch weiter mit neuen Funktionen angereichert werden. Erhältlich ist es über den Erica Synths Store. Mitgewirkt haben auch der belgische Entwickler Hora Music und Raphael Hoffmann, die für VCV Rack Emulationen der beliebten Erica-Synth Eurorack-Module verantwortlich sind. Eine Portierung zu VCV Rack ist allerdings nicht geplant. Aktuell ist Zen Delay Virtual in den Formaten VST2, VST3 und AU erhältlich, und arbeitet auch Standalone.
Wie bei der für circa 600 Euro angebotenen Hardware gibt es in Zen-Delay Virtual fünf einfach umschaltbare Delay-Algorithmen mit analogem, digitalem und Ping Pong Charakter. Dadurch ist es klanglich flexibel. Auch ohne langes Studium könnt ihr diesem Delay sehr unterschiedliche Ästhetiken entlocken. Zusätzlich zu einem Drive-Regler, für eine Simulation der Röhrensättigung, der recht früh stark verzerrt, bietet das Plug-in eine Soft-Clipping Option.
Neu in der Software ist eine separate Modulationsansicht. Hier könnt ihr mit zwei voneinander unabhängigen LFO’s rhythmische Modulationen des Filter-Cutoffs und der Delay-Zeit generieren. In beiden Fällen können die LFO‘s jeweils zusätzlich die eigene Frequenz und/oder Modulationsintensität beeinflussen. Das kann extrem krass klingen, zudem entwickeln die Filter bei hohen Resonanzeinstellungen recht früh Eigenresonanz. Ferner gibt es einen Digital-Bereich, wo sich Bitrate, Samplerate und Noise-Anteil einstellen lassen. Ein weiteres Extra des Plug-ins ist, dass ihr das Filter wahlweise hinter einem Feedback-Loop oder mittendrin im Signalfluss platzieren könnt. Ersteres entspricht dem Classic-Modus der Hardware, hier werden alle Echos nur einmal gefiltert. Letzteres entspricht dem, was ich von Logic’s Tape-Delay kenne: Hier wird jedes einzelne Echo erst nach der Filterung wieder neu in den Effekt eingespeist, was besonders durch zusätzliche Verzerrungen sehr authentisch und vibey klingen kann.
Im Preset-Manager findet ihr viele interessante Settings von Künstlern wie Nerk, Dr. Walker, Naj, Hora Music oder Mijk van Dijk. Diese sind nach Kategorien sortiert, neben Dub Delays findet ihr auch Drone-Settings oder Simulationen von Bandmaschineneffekten. Fazit: Erica Synth‘s Zen Delay Virtual ist ein gut klingendes, einfach bedienbares und klanglich vielseitiges Delay-Plug-in.
Bewertung: Dub rockt!
Wo: ericasynths.lv
Wieviel: 149,- € (oder 149,- US$, ggf. plus Mwst.), Intro Preis 99,- €
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