In seiner allmonatlichen Kolumne stellt Autor Heiner Kruse in kurzer, knapper Form bekannte und nicht so bekannte Soft- und Hardware vor, bei denen ein genauerer Blick in jedem Fall lohnenswert ist. Alle Hot Tools →
Vocals mit Synthesizer V
Den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Musikproduktion finde ich interessant, in vielen Fällen bleibt genug Platz für menschliche Kreativität übrig. Vorteil: Oft verfügt ihr dadurch über bessere, realistischere oder noch nicht dagewesene Instrumente beim Komponieren. Das gilt auch für die menschliche Stimme, die vielleicht das wichtigste Instrument überhaupt ist, aber nur begrenzt nachgeahmt werden kann – oder konnte. Denn das ändert sich gerade in rasantem Tempo auf mehreren Ebenen.
Synthesizer V vom japanischen Hersteller Dreamtonics ist in diesem Zusammenhang ein Hot Tool, das gut klingende Vocals erzeugt, die ihr grundsätzlich ohne Copyrightprobleme für Songs verwenden könnt. Das Programm kann eure Texte mit wählbaren Stimmen singen und rappen. Noten und Melodien gebt ihr selbst ein. Synthesizer V bringt Text, Noten und Voices dann auf intelligente Art und Weise zusammen und lernt ständig hinzu. Unter der Haube nutzt das Programm die sogenannte „Concatenative Synthesis“ und „Artificial Neural Networks“. Dabei geht es vor allem um detaillierte Analysen des Quellsounds, die für die Klangerzeugung genutzt wird. Auch Yamaha’s Vocaloid Software benutzt diese Technik, deren Entwicklung etwa im Jahr 2000 begann. Durch KI Nutzung und Analysen von Gesang verbessern die Hersteller ihre Programme immer weiter.
Via AI Retake-Funktion könnt ihr in Synthesizer V alternative Varianten generieren, findet aber auch Optionen, um Finetuning vorzunehmen. Die Silbentrennung ist bei der Zuordnung des Texts zu Noten wichtig, Silben lassen sich auf einzelnen Noten platzieren oder auf mehreren Noten verteilen. Verlängert und verbindet Noten, um einen natürlicheren Sound zu erzeugen. Synthesizer V hilft, indem das Programm Lücken aufzeigt und automatisch entfernt.
Ihr könnt mit der Silbe „br“ Atempausen einbauen, die Stimme energischer klingen lassen und Parameter wie Gender, Vibrato oder Rap Charakter justieren. Pitch-Verläufe lassen sich ähnlich wie in Melodyne visualisieren und editieren. Es ist auch möglich, Buchstabenbetonungen (etwa für ein d ) zu ändern. Das Ergebnis klingt ziemlich gut. Stimmen wie Kevin, Mai, Natalie oder der eher rappende Richy können in mehreren Sprachen singen. Wenn ich daran denke, wie oft echte Stimmen mit Autotune verbogen werden, ist ein wenig Künstlichkeit, je nach Genre, heutzutage nicht mehr ungewöhnlich. Synthesizer V kann für meine Ohren manchmal sogar natürlicher klingen als manches, was im Radio zu hören ist.
Wenn wir den größeren, aktuellen KI Kontext betrachten, gibt es noch weit mehr Möglichkeiten als Synth V. Ihr könnt Texte von einer KI erstellen lassen, etwa in Uberduck, via Chat GPT oder Google Bard. Ihr könnt auf Musicfy.com oder Lalals.com eigenen Gesang hochladen und von mitunter berühmt klingenden KI Stimmen singen lassen. In Musicfy könnt ihr zudem sogar eigene Instrumentalaufnahmen von anders klingenden KI Instrumenten performen oder gleich Instrumentals komponieren lassen.
Ihr wollt die eigene Stimme als KI-Instrument verewigen? Das geht zum Beispiel bei lalals. Auch Voicify.ai bietet Voice Cloning auf der Basis von Acapellas und ermöglicht im zweiten Schritt, für eine zuvor hochgeladene Gesangsaufnahme die Stimme auszutauschen. So könntet ihr beispielsweise gut intonierten Gesang in Synthesizer V programmieren und das Ergebnis anderswo in die eigene Stimme umwandeln.
Die Entwicklung der KI Möglichkeiten für Musikproduktion hat gerade erst begonnen. Synthesizer V für Vocals ist ein interessanter Einstieg in diese Welt und liegt zudem als kostenlose Version vor, die immerhin schon mit drei Spuren arbeiten kann.
Bewertung: Endlich selber Vocals produzieren!
Wo: http://dreamtonics.com
Wieviel: Basic Version (Standalone mit drei Tracks) kostenlos, Synthesizer V Studio Pro: 90 US$, Bundle + Any Voice Database: 150 US$, diverse Voices circa 80 US$
Masterlab DynaQ
Andreas Balaskas vom Unternehmen Masterlab ist in der Mastering-Szene ein bekannter Name. Die Idee hinter seinem DynaQ Plug-in ist die Auftrennung des Audiomaterials in zwei Teilsignale, um diese anschließend unterschiedlich zu bearbeiten. Denn wenn eine Bearbeitung für die lauten Parts gut ist, ist sie es für die leisen Teile nicht unbedingt.
Der Unterschied zu dynamischen EQ’s, mit denen DynaQ verwechselt werden könnte, ist, dass hier die Signale, die oberhalb und unterhalb des Thresholds liegen, zunächst gesplittet werden. Die beiden entstehenden Signalanteile Above und Below könnt ihr solo anhören und bearbeiten. Danach könnt ihr sie wieder zusammenmischen und das Lautstärkeverhältnis ausbalancieren. Das klingt im Endergebnis oft überraschend interessant.
Above- und Below-Signale haben also eigene Bearbeitungsoptionen wie einen EQ mit fünf Bändern. Auch könnt ihr mit Stereoverbreiterung und Sättigung arbeiten und findet zudem noch einen Tilt-EQ in Form des Color-Reglers. Seit Version 2.5 gibt es drei Saturation-Modi, neu sind die Optionen Tube und Tape. Bearbeitungen könnt ihr abgestuft zumischen.
Der integrierte Kompressor splittet nicht nur das Signal, sondern bearbeitet es auch noch und erfüllt somit eine Doppelfunktion. Der Dyna-Regler zwischen den Meter-Ketten wird im Manual auch Threshold genannt. Er bestimmt nicht nur, wo die Grenze für die Trennung der Signale liegt, sondern auch, ab wann der Kompressor arbeitet. Attack und Release bestimmen ebenfalls einerseits, wann das Signal zu welchem Signalanteil gehört, andererseits beeinflussen sie auch Kompressorregelzeiten.
Im Praxistest war im Bereich Above nur dann etwas zu hören, wenn der Threshold überschritten wurde und die Ratio höher als 1 war. Kompression, wie ich sie anhand der Einstellungen erwarten würde, war bei solo geschaltetem Below-Signal wahrzunehmen. Lange Attackzeiten führten dazu, dass Transienten im Below-Bereich im Solo-Modus wieder besser zu hören waren, während sie dann analog dazu im Above-Bereich zunehmend abgeschnitten wurden.
Im Vergleich zu einem gewöhnlichen Kompressor ergeben sich in DynaQ insbesondere bessere Bearbeitungsmöglichkeiten für Transienten und für das Verhältnis der Transienten zum Rest des Signales. Das Manual schreibt, dass ich die Dynamik vergrößere, wenn ich das Above-Signal im Mixverhältnis stärker betone. Das deckt sich inhaltlich mit meinem Eindruck, dass Reduktionen des Dynamikumfangs durch den Kompressor nur im Below-Signal stattfinden, nicht jedoch im Above-Bereich. Davon spricht das Manual allerdings nicht. In Foren und älteren Testberichten tut man sich ungewohnt schwer, die Funktion des Plug-ins zu beschreiben oder zu verstehen. Vielleicht soll, wie im Mastering oft üblich, ein wenig Mysterium übrig bleiben.
Die Wirkung einer DynaQ Bearbeitung kann Parallelkompression ähneln, wo ein unbearbeitetes Signal zugemischt wird. Doch bietet DynaQ durch separate Bearbeitungsoptionen eben weitere klangliche Varianten. Und das Above Signal kann ja auch nur aus Teilen des Originals bestehen, etwa ein wenig so, als ob ein Gate regeln würde, wieviel durchkommt.
Ein gänzlich unbearbeitetes Signal könnt ihr mit einem Mix-Regler im Stil von Parallelkompression übrigens ebenfalls noch hinzumischen. Als wäre all das nicht genug, kann auch noch ein externes (oder intern gefiltertes) Sidechain-Signal (via Sidechain-Balance skaliert) als Trigger dienen.
Look Ahead Processing ist ein neues Feature der 2.5 Version, das ich bei Kompressoren oft vermisse. Schließlich könnt ihr damit bei Bedarf und kurzen Attack-Zeiten auch dem letzten bisschen Knacksen von Transienten meist den Garaus machen. In DynaQ wurde hiermit im Test die Trennung und Zuweisung der Transienten zum Above-Bereich noch einmal präziser möglich – sehr schön.
Wie einzigartig ist das Plug-in? Es gibt Ähnlichkeiten und Unterschiede zu Bitwig’s Loudness Split und Tools der Spectral Suite, über die ihr in dieser Ausgabe mehr lesen könnt. Auch dort wird das Signal nach Kriterien gesplittet, etwa in drei verschiedene Lautheitskategorien, um es danach zu bearbeiten. Allerdings erfolgt die Trennung dort aufgrund einer spektralen und nicht ausschließlich auf einer amplitudenbasierten Analyse. In Bitwig lassen sich beliebige interne und externe Plug-ins für jede Kategorie einsetzen. Das geht mit DynaQ auch, wenn ihr die Plug-in-Ausgänge auf verschiedene Spuren routet, was in Pro Tools möglich ist, mir aber in Logic und Live nicht gelang. In Bitwig habt ihr mehr Modulationsoptionen, DynaQ könnt ihr dafür in jeder DAW einsetzen.
Auch wenn Mastering-Gedankengut hinter dem Plug-in stecken mag, ist es doch auf vielfältige Weise und kreativ einsetzbar, etwa wie eine Art Transient-Designer, der laute Schläge stärker betonen oder generell anders bearbeiten kann. Durch die Trennung des Signals sind Ergebnisse möglich, die sauberer klingen als anderswo. Durch den Einsatz der Sättigungstools kann aber auch gezielt Wärme oder Schmutz hinzugefügt werden.
Bewertung: Feine Klinge im Studio
Wo: https://masterlab.audio
Wieviel: 199,- (99,- Upgrade)
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