Mit „leichtem Gepäck“ nach Nashville

Silbermond gilt als gemeinsamer Nenner für deutschsprachigen Radio-Pop: Die Gruppe veröffentlicht seit über einem Jahrzehnt erfolgreiche Alben – gerade erschien das fünfte: „Leichtes Gepäck“. Dabei ging die Band neue Wege, wie Koproduzent und Tontechniker Moritz Enders erzählt: Zweiwöchige Aufnahmen in den Blackbird Studios in Nashville dienten als Grundlage, weitere Songs wurden im Toolhouse-Studio bei Fulda eingespielt. Das Ziel: Einzelne, akustisch gespielten Instrumente deutlich herausstellen, statt opulenter Layer-Produktion.

Von Nicolay Ketterer; Fotos: Harald Hoffmann, Silbermond

Produzent und Tontechniker Moritz Enders gilt als Spezialist für deutsche Produktionen im Bereich Pop und Rock (siehe auch Professional audio-Ausgabe 5/2013), hat unter anderem mit Kraftklub, Tim Bendzko oder Heisskalt gearbeitet. Mit seinem Produzentenkollegen Alex Freund (u.a. Radio Doria) und Silbermond-Gitarrist Thomas Stolle hat er das aktuelle Silbermond-Album „Leichtes Gepäck“ produziert. Den Grundstein legten Aufnahmen in Nashville, im Blackbird Studio D. Der Studiokomplex hat neben Country-Größen wie Johnny Cash oder Dolly Parton reichlich Rock- und Pop-Bands beherbergt, darunter Kings Of Leon, Pearl Jam, R.E.M. oder Green Day. Weitere Aufnahmen fanden im Toolhouse-Studio in Rotenburg an der Fulda statt. Gesang entstand größtenteils im bandeigenen Studio in Berlin, mit einem gemieteten Neumann U-47. Enders war neben Produktion für die Sounds zuständig – wir haben mit ihm über die Klangfindung und den Ablauf der Produktion gesprochen.

Abb2_web

? Was hat die Band verändern wollen, im Vergleich zu vorherigen Produktionen?

! Die Gruppe hat zuvor vier Alben in sehr kleinem, familiärem Kreis aufgenommen und wollte eine Veränderung des gewohnten Entstehungsprozesses einer Platte. Als Alex Freund und ich als Produzenten feststanden, gab es viele Song-Ideen und Skizzen, aber die Band war stilistisch noch nicht festgelegt. In der ersten Session hat sich für mich herausgestellt, dass die Musiker erstaunlich gut zusammen funktionieren: Jeder bedient sein Instrument sehr gefühlvoll und musikalisch, was mir auf bisherigen Silbermond-Alben so noch nicht aufgefallen war.
Das ist auch dem Produktionsansatz der Zeit geschuldet: Die Layer-Produktionen waren damals ausufernd, mit breitem Sound. Unser Konzept für die Platte: Die Arrangements auf das Wesentliche reduzieren. Jeder Song basiert auf einem akustischen Schlagzeug-Beat und einem Instrument, das Harmonie und Grundgefühl trägt – je nach Song Akustikgitarre, E-Gitarre oder Piano. Der Hörer sollte spüren, dass die Band als Team spielt. Thomas hat gelegentlich Piano gespielt – dann aber anstatt der Gitarre. Es finden immer noch reichlich Produktionsmittel und Effekte statt, um Songs interessanter zu gestalten, aber der Grundgedanke war Minimalismus: Wir wollten, dass man beim Schlagzeug den Stick aufs Fell fallen hört, wahrnimmt, wie jemand eine Saite am Bass anzupft oder mit den Fingern Akustikgitarre spielt – vermitteln, dass ein Mensch das Instrument bedient.

„Der Hörer sollte spüren, dass die Band als Team spielt, mit Drummer, Bassist und Gitarrist.“

? Wie habt Ihr die Arbeit als Produzenten aufgeteilt?

! Thomas ist der Haupt-Songwriter und hat schon bei früheren Platten praktisch eine Produzentenrolle mit übernommen. Wir drei haben unsere Aufgabenbereiche abgesteckt, wobei ich vor allem für den Bereich Sound zuständig war. Nach der Nashville- und der Toolhouse-Session haben wir uns aufgeteilt: Ich war in meinem Regieraum im Berliner Tritonus-Studio und konnte schon Mixe machen, während Thomas mit Alex im Berliner Band-Studio war. Sie haben an Gesangsaufnahmen und weiteren Sounds gearbeitet, und ich habe die Files in die Produktion eingebunden.

Abb3_web

? Wie entstand der Gedanke, nach Nashville zu gehen?

! Die Idee kam von Alex – er war kurz zuvor in Nashville und hat das Studio gesehen. Wir haben darüber gesprochen, eine gemeinsame Produktion gerne als Erlebnis in einem der großen amerikanischen Studios gestalten zu wollen, wenn der Kontext passt. Für das Silbermond-Album hat es gut gepasst. Das Blackbird hat sich mit seiner umfangreichen Backline angeboten: Du kannst mit Gitarre und Bass im Handgepäck und ein paar Effektpedalen im Koffer anreisen. Dort ist mehr als genug vorhanden, um eine Platte zu machen. Silbermond war nicht auf seine Instrumente fixiert. Für die Band war ein Arsenal an neuen Sounds bei der Platte absolut förderlich. Eines muss man klar sagen: Die Gruppe hat vielen anderen echte Kreativität voraus. Bei vielen Bands, mit denen ich gearbeitet habe, ist klar, welche Parts jeder spielt. Die werden genau geprobt, um sie bei der Aufnahme so gut wie möglich wiederzugeben. Bei Silbermond weiß niemand vorher, was er spielt, und das meine ich im positivsten Sinne. Bei Schlagzeuger Andreas „Nowi“ Nowak ist beispielsweise jedes Fill anders. Bei Johannes Stolle am Bass und Thomas an der Gitarre ist das auch so – man kann ihnen einen Sound einstellen, und sie sind damit kreativ. Das habe ich bei meiner Arbeit mit vielen Bands in Deutschland bisher vermisst.

„Für mich zählt auch die erlebte Zeit. Das sage ich oft zu Leuten, die in einem Kabuff sitzen und monatelang an einer Platte rumschrauben.“

? Wie habt Ihr Euch auf das Recording im Ausland vorbereitet?

! Ich bin mit Alex einen Tag vor der Band hingeflogen, um das Setup mit dem Studio-Assistenten festzulegen. Den Tag braucht man, um sich zu akklimatisieren, in die Regie einzuhören und eine Vorauswahl für die Backline zu treffen. Am ersten Abend und auch am nächsten Tag waren Alex und ich wahnsinnig motiviert, aber körperlich komplett fertig. Das Adrenalin einer Session im Studio hilft Dir, richtig Gas zu geben. Jeder weiß, dass wir wegen dem Ergebnis gekommen sind. Trotzdem zählt für mich auch die erlebte Zeit. Das sage ich oft zu Leuten, die in einem Kabuff sitzen und monatelang an einer Platte rumschrauben, nur auf das Endergebnis hin.

? Das klingt nach der Unterscheidung zwischen Prozess- und Ergebnisqualität, die etwa der Psychologe Urban Elsässer (siehe Professional Audio Ausgabe 4/2013) benannt hat …

! Ja, für mich muss beides gehen. Ich will keinen lustigen Lifestyle mit schlechtem Output. Umgekehrt will ich Erinnerungen an die Produktion, etwas gesehen und erlebt haben, an das ich mich gerne zurückerinnere. Nashville hatte nichts mit Luxus zu tun – wir waren in einem Motel untergebracht. Aber alleine die Möglichkeiten, wie sich das Arbeiten im Studio gestaltete… In Pausen konnte ich auf dem Basketballplatz im Innenhof Körbe werfen oder später oben auf der Veranda zu Abend essen. So lässt sich sehr angenehm eine Platte machen.

Abb4_web

„Grundsätzlich basiert das Album auf dem Zusammenspiel.“

? Habt ihr die Basic-Tracks gemeinsam live oder als Overdubs eingespielt?

! Ob gleichzeitig eingespielt wurde oder nicht, hing vom Song und der Instrumentierung ab. Die Songs haben immer „live“ angefangen. Manchmal war klar, dass es besser funktioniert, wenn jemand an seinen Parts weiterarbeitet und die anderen nicht immer mitspielen müssen. Aber grundsätzlich basiert das Album auf dem Zusammenspiel.

„Die stimmige Ästhetik des Demos nochmal in besserer Qualität nachahmen zu müssen – das ist eigentlich nur Frust“

? Zu den Demos: Welche Probleme können denn bei der Vorproduktion entstehen?

! Wenn man Songs schreibt oder noch im Stadium vor der tatsächlichen Produktion an Arrangements arbeitet, trifft man Entscheidungen anhand der Werkzeuge, die man zur Verfügung hat. Die Entscheidungen zeichnen den Song bereits aus: Dadurch entsteht das Phänomen, dass ein Demo geil ist, aber die Möglichkeiten nicht dem Qualitätsanspruch entsprechen. Das führt dazu, das nochmal in besserer Qualität nachahmen zu wollen – was immer frustrierend ist. Ich habe lange damit gehadert und wollte das bei dem Album auf jeden Fall vermeiden. Alex hat die Demos mit der Band gemacht, und ich habe mit ihm vereinbart, keine große Mühe auf „fertig“ hingebogene Sounds zu verwenden, um nicht in die „Demo-Falle“ zu tappen. Trotzdem haben wir im Band-Studio ein hochwertiges Setup aufgebaut, sodass die Signalquellen qualitativ gut genug waren, um sie bei Bedarf verwenden zu können.

? Lass uns mal über das minimalistische Arrangement sprechen: Wie kann ich sicherstellen, dass das funktioniert?

Abb5_web

! Wenn ein Song musikalisch funktioniert und mit minimalem Arrangement groß und fertig klingen soll, muss jeder Sound Charakter haben und den Vibe des Songs zu 100 Prozent transportieren. So lange musst Du an Sounds und Performances arbeiten – und vertrauen, dass der Song in dem Kontext funktionieren wird. Wenn sich das Ergebnis noch nicht richtig anfühlt, lieber ein Element neu angehen: Vielleicht funktioniert der Song mit Gitarre statt Piano? Eher ersetzen statt aufschichten, bis es irgendwann „fett“ klingt. Viel wichtiger: Ich will eigene, interessante Sounds kreieren, die die Stimmung des Songs unterstützen.

? „Fetter Klang“ mit wenigen Instrumenten entsteht durch entsprechendes Mixing?

! Ja. Was breite „Layer“-Produktionen angeht: Wenn ein Arrangement oder eine Produktion im Mix noch nicht funktioniert, dann eher, weil sich Elemente auf den Füßen stehen, Klarheit fehlt, was aber nicht mehr rückgängig gemachen werden kann – der Song funktioniert erst in der Komplexität. Beim minimalistischen Ansatz, wenn alles am Pult anliegt und ich Parallelkompression probiere, denke ich selten, dass mir ein Element für bestimmte Frequenzen fehlt. Die Breite muss natürlich intelligent arrangiert werden. Das fällt mir bei gut produzierten internationalen Platten auf: Nur wenige Sounds nehmen die komplette Stereo-Breite ein beziehungsweise belegen den gesamten Frequenzbereich. Jedes wahrnehmbare Element – etwa Gitarre oder Piano – hat seinen Platz in Frequenzbild und Stereobreite. Arrangements, die beide Ebenen perfekt ausfüllen, funktionieren und klingen meist am besten – eben weil sie eine Ordnung haben.

? Wie kann ich beurteilen, ob ein minimalistisches, reduziertes Signal nachher im Song funktionieren wird?

! Ich glaube, dass man Dinge ausprobieren muss, die sich richtig anfühlen und Entscheidungen durchziehen, statt lange damit zu hadern. Letztendlich zeigt nur der Abstand, ob es richtig war oder der Song eine grundlegende Änderung braucht. Aber es braucht den Mut, Sachen in Frage zu stellen oder entscheidende Elemente zu verwerfen.

? Wie viel wurde denn tatsächlich in Nashville aufgenommen?

! Wir sind in dem Bewusstsein nach Nashville geflogen, dass wir zwei Wochen Zeit haben und dabei so viel wie möglich schaffen wollten. Letztendlich entstanden neun Songs [von zwölf auf dem Album, d. Autor]. Nummern wie „B 96“ basieren auf wenigen Elementen, die Musik war praktisch in Nashville fertig. Andere Songs waren skizzenhaft und wir haben sie später in eine andere Richtung gerückt. Im Blackbird hatte ich auch ein tolles Gesangs-Setup: Ein Telefunken ELAM 251 über einen Fairchild-Kompressor – das ergibt einen fantastischen Vocal-Sound. Aber der blieb nur bei „Allzu menschlich“, weil die Songs teilweise noch nicht fertig getextet waren und an Phrasierungen und Melodiebögen gearbeitet wurde – das brauchte Zeit und Ruhe. Es ergab keinen Sinn, die Tage mit Vocal-Recording zu füllen. 90 Prozent des Gesangs entstand im Nachhinein in Berlin. Einzelne Vocals wurden jedoch von den Demos übernommen. Das hat nichts mit der Qualität eines Sängers zu tun. Manche Takes sind nicht reproduzierbar, sondern richtig, wie sie sind. Wenn das schon auf dem Demo passiert, muss man das so nehmen.

Abb6_web

? Ästhetisch fehlen die für Silbermond bisher prägenden Kopfstimmen-Sprünge. Wie entstanden denn die Gesangsaufnahmen?

! Bisher war Stefanie Kloß‘ Stimme immer relativ laut, trocken und sehr weit vorne. Die Art, wie der Gesang wirkt, war ein wichtiges Thema für die Band, denn sie wollten mit einer anderen Attitüde arbeiten. Klanglich stellt eine gute Gesangsaufnahme für mich ein warmes, großes, gut klingendes Signal dar. Das haben wir mit einem alten Neumann U-47 und einem Lorenz V-241 Preamp vom Echoschall-Verleih in Berlin gut hinbekommen (www.echoschall.de). Am ersten Vocal-Tag im Band-Studio hatte ich dort ein U-47, M-49 und ein AKG C-12 gemietet. Wir hatten außerdem noch unser Wagner U-47w und ein altes Neumann U-87. Die Vergleichs-Files habe ich in meiner Regie so angefasst, wie ich sie im Mix einbetten würde. Das halte ich für entscheidend bei einem Vocal-Shootout: Wie sich das Signal komprimiert oder angezerrt verhält. Das Neumann U-47 hat zur Klangästhetik der Instrumentals am besten gepasst und sich eingebettet. An einem anderen Tag, bei einem anderen Song hätte auch das C-12 funktionieren können. Bei den Gesangsaufnahmen haben wir zwei Kompressoren eingesetzt: Einen Universal Audio 1176 und einen Tube Tech C-1B. Beide waren zurückhaltend eingestellt, sodass die Aufnahme kaum bearbeitet klang, aber hochwertigen, großen Sound lieferte.

? Interessanterweise fällt auf dem Album kein deutlicher Unterschied in der Gesangstextur auf, obwohl ein ELAM 251 eigentlich diametral anders klingt als das Neumann U-47…

! Das ist richtig. Was man wahrscheinlich eher hören würde: Eine billige Gesangskette mit einem 100-Euro-Kondensator-Mikro aus China, das unangenehme Höhen hat. Das drückt einer Gesangsaufnahme einen Stempel auf, mit dem man leben muss. Wir hatten zum Glück immer eine hochwertige Kette: Die Demos wurden mit einem U-87 über einen Universal-Audio-Preamp aufgenommen. Im Mix habe ich die Spuren etwas anders angefasst. Wenn man genau darauf achtet, hört man auch Unterschiede, aber im Gesamtkonzept ist das keine Entscheidung, über die man sich großartig Gedanken machen muss.

Abb7_web

? Wie entstand die leichte Gesangsverzerrung?

! Bei manchen Songs war es ein „Tubescreamer“-Gitarrenpedal, parallel dazu gemischt, ansonsten ein Standard Audio Level-Or im API-500-Format, der einem Shure Level-Loc-Limiter nachempfunden ist, im verzerrenden „Crunch“-Modus. Dazu haben einige Gesangsspuren auch ein deutliches Slap-Back-Delay, richtig laut als hörbarer Vocal-Effekt.

? Du magst deutliche Effekte, die eine Funktion erfüllen…

! Absolut, wenn Effekte nicht wahrnehmbar sind, wozu einsetzen? Aber natürlich treffe ich auch unzählige subtile Entscheidungen im Mix, die in der Summe für das Endprodukt wichtig sind…

? Lass uns mal über den Schlagzeug-Sound sprechen: Auf dem Album fällt besonders der „luftige“ Bassdrum-Sound auf…

! Das war ein Tipp vom Blackbird Studio-Besitzer John McBride. Ich frage gerne die Leute vor Ort nach ihren Lieblingstipps. Er empfahl ein altes RCA 44-BX vor der Bassdrum, ein 3.000-Dollar-Bändchenmikrofon, das 60 Jahre alt ist. Das hätte ich mich persönlich nie getraut, und ich bin nicht zimperlich. Ein Knallersignal, das großen Anteil am Bassdrum-Sound hatte, kombiniert mit anderen Mikros. Das Mikrofon stand gute 30 cm vor der Trommel, ein anderer Klang als ein dynamisches Mikrofon im Kessel. Durch das weiter entfernt positionierte Bändchenmikrofon ist das Transientenverhalten viel weicher, ähnlich dem, was durch „heißes“ Aufnehmen auf eine Bandmaschine „wegglättet“ werden würde.

? Mikrofone in der Bassdrum verwendest Du keine mehr?

! Damit habe ich vor Jahren aufgehört. Ich habe auch Heavy Metal-Platten ohne Innenmikro gemacht: Attack und „Knack“ kommt genug mit einem dynamischen Mikro vor dem Loch im Resonanzfell. Dafür verwende ich gerne ein Beyerdynamic M-88. Das klingt für mich natürlicher, um bei Bedarf mit dem richtigen EQ „Snap“ reinzudrehen, statt ein Mikrofon in eine Bassdrum zu stecken – das klingt in meinen Ohren nach Plastik.

? Wie hast Du die Drums insgesamt abgenommen?

! Es war ein Setup aus vielen Signalen, die ich aber nicht zwingend alle benutzt habe. Auf dem Album befinden sich sehr unterschiedliche Drum-Performances, was Lautstärke und Dynamik angeht. Manches ist sehr intim gespielt, und soll auch so transportiert werden: Da ergeben entfernte Raum-Mikrofone keinen Sinn, da der Raum durch geringe Spielintensität kaum angeregt wird. Bei anderen Songs, wo großer Raum-Sound gewünscht ist, muss man mehr Gas am Schlagzeug geben, um die Reflexionen anzuregen. Grundsätzlich gibt es alle Varianten an Close-Mikes, dazu zwei Mono-Signale, die bei fast allen Songs den Hauptklang ausmachen: zunächst ein Sontronics Bändchenmikrofon neben der Snare, unter der Hihat, relativ stark angezerrt, gegenüber, wo normalerweise das Ride-Becken hängt, ein Neumann U-67, recht stark komprimiert über einen Universal Audio 1176-Kompressor. Als Raummikrofone dienten ein Paar Coles 4038-Bändchenmikrofone in Blumein-Konfiguration vor dem Set, zusätzlich zwei Neumann M-50, die höher und breiter im Raum aufgestellt waren. Dazu kam die Hallkammer des Blackbird Studios zum Einsatz. Die Snare-Mikrofone waren ein Josephson E22 und ein Shure SM-57, dazu noch ein Mikro von unten, das mir nicht mehr einfällt. (lacht)

Abb8_web

? Ein paar der Songs entstanden im Toolhouse-Studio in Rotenburg an der Fulda. Auch wenn der Aufnahmeraum vermutlich anders klingt, fällt etwa beim Drum-Sound kein „Bruch“ auf…

! Das liegt daran, dass das Toolhouse ein wirklich tolles Studio mit sehr gut klingendem Raum ist. Der klingt sehr knallig und hat viel „Zunder“ – nicht für alles das richtige, aber für viele Sachen cool. Der Raum „poltert“ etwas mehr in den unteren Mitten als der Raum im Blackbird Studio D, der auf seine Art differenzierter klingt. Grundsätzlich hatte ich aber die gleichen Möglichkeiten, den Drum-Sound aufzuziehen: In Nashville steht ein AKG C-24 (ein Stereo-C-12-Röhrenmikrofon), mit dem man während des Takes die Hallkammer aufnehmen kann. Im Toolhouse kann ich die Tür zum Flur offenlassen, der groß, gekachelt und verschachtelt ist. Den nehme ich mit einem Mikrofon ab – auch das hat den Charakter einer Hallkammer. Natürlich wird jede Aufnahme anders, und das Studio drückt der Aufnahme einen grundlegenden Stempel auf. Das lässt sich aber nicht in Qualitätsabstufungen messen. Nach der Nashville-Session wurde mir nochmal bewusst, wie gut das Toolhouse-Studio wirklich ist.

? Was die Instrumentierung betrifft: Bei einzelnen Songs sind auch Streicher vorhanden …

! Genau – manchmal entwickelt sich ein Song in eine bestimmte Richtung und man merkt, der braucht mehr. Bei „Heute hab ich Zeit“ oder „Fische im Teich“ finden große Klangkonstrukte statt, umgekehrt bestehen Songs wie „B 96“ schlicht aus Schlagzeug, Bass und einer Akustikgitarre – und es funktioniert wunderbar. Wir hatten Orchester zunächst nicht auf dem Schirm, wollten generell auf „Band-fremde“ Instrumente verzichten. Synthie-Elemente finden auch nur sehr gezielt statt. Irgendwann haben wir bemerkt, dass Streicher als Klangfarbe für einzelne Songs passen, haben einen Arrangeur beauftragt und einen Tag das Babelsberger Filmorchester für eine Session gebucht. Allerdings wurden längst nicht alle Aufnahmen, die wir gemacht haben, auch auf der Platte verwendet.

? Wie hat sich das Mixing bei dem „gestückelten“ Projekt gestaltet?

! Ich habe analog über meine SSL-Konsole mit Outboard gemischt, aber es gab keinen endgültigen Mixing-Prozess, keinen Punkt, an dem ich das Feedback bekommen hätte: „Der Song ist fertig, da kommt nichts mehr.“ Mir war klar, dass das bei diesem Projekt nicht der Fall sein würde. Ich habe schon gemischt, während noch Spuren aufgenommen und Arrangements verändert wurden. Es musste eine „Recall“-Möglichkeit geben, daher habe ich mir überlegt, analoges Mixing in einzelnen Stems in den Rechner zu ziehen, und damit den finalen Mix zu machen. Manchmal wurden Songs verändert, aber mein bisheriger Mix war gut – dann habe ich den Mix behalten und einen zusätzlichen Stem mit neuen Elementen gemacht. In Einzelfällen haben wir anhand der Stems Arrangement und Feinheiten verändert.

? Mit einem Dynamikabstand von teilweise -6dB (RMS) ist das Album laut gemastert, mit wahrnehmbarem Clipping, wirkt dafür allerdings noch dynamisch. Wo ziehst Du die Grenze bei subjektiver Lautstärke?

! Mit dem Thema hadere ich immer: Auf der einen Seite passt eine Gesamtlautstärke zu bestimmten Musikstilen. Eine auf mp3 konvertierte, gut produzierte Platte klingt für mich immer noch tausendmal besser als eine schlecht gemachte in 96 kHz. Genauso verhält es sich bei Mastering-Lautstärke: Natürlich gibt es unangenehme Grenzen, aber ich habe versucht, die nicht zu überschreiten und trotzdem eine relativ laute, moderne Platte zu machen. Anfangs höre ich einen Mix am Pult-Ausgang ab. Wenn ich das Gefühl habe, der Mix wird „komplett“, höre ich leiser auf NS-10 über Pro Tools mit Ozone 7 als Limiter ab, der etwa 3 dB Lautstärke anhebt. Das ist das einzige Plug-in auf dem Mix. Ich vergleiche dann das limitierte Signal mit angepasster Lautheit – wenn ich merke, dass das „laute“ Ergebnis schlechter wird, muss ich weiter am Mix arbeiten. Ich vergleiche auch immer mit anderen Platten. Für die Version, die ich zum Mastering abgebe, nehme ich das Limiting weg. Robin Schmidt von 24-96 Mastering, mein Mastering-Engineer, hat mir bestätigt: Meine Mixe klingen am besten, wenn er mit seinen Mitteln 3 dB anwendet. Mit weniger Level klingt der Mix zu offen und „verloren“, lauter wirkt er „geplättet“. Das hat damit zu tun, dass ich mir beim Mixing Gedanken mache, wie laut die Platte sein soll und das Level bereits erreiche. Ansonsten habe ich gutes Equipment für die analoge Summenbearbeitung, wobei ich nicht denke, dass der Mastering-Engineer den besseren EQ für die Höhen hat. Auf der Summe setze ich meine beiden modernen Pulse Techniques EQP-1A3 EQs ein und gebe Höhen dazu, ansonsten verwende ich einen Shadow Hills Mastering Compressor oder den SSL-Bus-Kompressor.

Abb9_web