Die Mastering-Gurus
Colin Leonard und Michael Heiler sind die beiden Köpfe hinter Aria. Colin gehört mit seiner Firma SING Mastering zu den gefragtesten Mastering Engineers der Welt. Dank Michael konnte Colin seine Mastering Chain komplett automatisieren und online für jedermann verfügbar machen. Was mit einer wahnwitzigen Idee begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Art “American Dream”.
Von Raphael Tschernuth
? Hi Colin, Hi Michael, erstmal vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für das Interview nehmt. Eine Frage bevor wir in die Aria-Welt eintauchen: wie seid ihr überhaupt zum Mastering gekommen? Was ist euer Background?
Colin: Ich habe in den Neunzigern klassische Gitarre studiert und bin dann zum Audio Engineering übergegangen. Nach dem Studium zog ich nach Atlanta und habe angefangen Musik für Fernsehen zu schreiben und Rapper aufzunehmen. Gegen 2005 habe ich das Mastern für mich entdeckt – es war wie eine Offenbarung. Seither ist Mastern meine Leidenschaft.
Michael: Ich komme ursprünglich aus Heidelberg und bin vor rund achtzehn Jahren für ein Projekt nach Atlanta gezogen. Mein Besuch sollte nur ein Jahr dauern, aber wie das halt so läuft ist es dann doch etwas länger geworden (lacht). Seitdem bin ich hier und habe in den ersten Jahren als Programmierer gearbeitet. Aber Musik ist mein Hobby, ich singe, spiele Gitarre und habe mir ein Heimstudio eingerichtet, für das leider im Moment etwas zu wenig Zeit bleibt. Vor Aria habe ich unter anderem Plug-Ins und Audio-Apps programmiert, wie etwa den Stereo-Monoizer. Ein Tool für Mixing Engineers, das Stereodateien auf Stereoanteile untersucht. Wenn diese nicht vorhanden sind, erzeugt es Mono-Dateien, was die Ressourcen des Computers schont.
? Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Service wie Aria ins Leben zu rufen?
Colin: 2012 hatte ich die Idee, gewisse Arbeitsschritte meines analogen Signalpfads zu automatisieren. Ich habe gegoogelt, ob jemand automatisierte Systeme für Mastering verwendet, aber zu dem Zeitpunkt existierte das nicht. Anfangs hatte ich nur die Idee, und ich war mir auch bewusst, ob andere Leute das ernst nehmen würden, da es ja sonst niemand macht.
Über ein Side-Projekt habe ich zufällig Michael kennengelernt, der gerade an einem Audioplayer programmiert hat. Ich wusste, dass er ein guter Programmierer war, der ein Faible für Audio hat. Michael war perfekt, um mit mir die Idee voranzutreiben. Ich fragte ihn: Denkst du, wir würden es schaffen das zu programmieren? Michael war sich zwar nicht sicher, ob das überhaupt funktionieren kann, aber er meinte: „Lass es mich einfach probieren!“.
Michael: Also ich habe schon viele verrückte Dinge in meinem Leben programmiert, aber ein analoges Audiosystem so zu programmieren, dass es automatisch läuft? Ich war extrem skeptisch. Die erste Schwierigkeit lag darin, dass drei Computer miteinander kommunizieren sollen, um ein wirklich komplexes Audiosystem zu kontrollieren. Auch die Domäne muss ja zweimal gewechselt werden. Von den digitalen Audiodateien rein in die analogen Geräte und wieder zurück zur digitalen Welt. Dann noch zusätzlich das gesamte Processing und die Knöpfe kontrollieren? Ich war extrem skeptisch, ob das funktionieren kann. Aber die Möglichkeit zu bekommen mit jemandem wie Colin an einem so spannenden Projekt zu arbeiten, wollte ich mir einfach nicht nehmen lassen. Ich musste es irgendwie hinbekommen.
Der erste Prototyp war dann 2014 fertig. Colin und ich haben sehr viel Zeit investiert, aber tatsächlich war das anfangs nur ein Side-Projekt, denn ich hatte einen Full-Time-Job und Colin war mit seinen Masterings eingespannt.
Der Prototyp lief für ein paar Monate und wir konnten ihn stetig verbessern. Zwar dauerte es noch etwas bis wir Aria öffentlich machen konnten, aber zu dem Zeitpunkt haben wir realisiert, dass das Aria-System super bei den Leuten ankommt und wir uns voll darauf fokussieren müssen, wenn es funktionieren soll.
Colin: Es war wirklich atemberaubend zu sehen, wie verlässlich das System arbeitete, speziell wenn man bedenkt wie komplex das Ganze ist. Zu jener Zeit kamen gerade ein paar digitale Mastering-Plattformen auf die Oberfläche. Die standen dann in der Schusslinie und das war ehrlich gesagt ganz gut für uns. Dass es viele Skeptiker geben würde war uns klar, aber wir hatten den Vorteil ein echtes analoges Mastering anzubieten. Es ist keine digitale Emulation von irgendetwas. Das ist eine andere Philosophie und ein immer noch viel besserer Sound.

SING Mastering befindet sich im gleichen Haus wie Aria, hier legt Colin Leonard noch selbst Hand an.
? Wenn ihr 2014 angefangen habt, hat die Markteinführung nicht lange auf sich warten lassen. Ich denke, ich habe euren Service zum ersten Mal 2016 benutzt.
Colin: Ja, das muss dann gewesen sein, kurz nachdem wir Aria gelauncht haben.
Michael: Dann ging die Arbeit aber erst richtig los. Wir haben uns sehr lange um den analogen Teil der Kette gekümmert. Aber auch die Webseite, das Rechnungssystem, die Kundenaccounts, usw. wollten gepflegt werden. Wir haben alles auf eine Karte gesetzt und ich habe mich dann nur noch um Aria gekümmert.
Es entstand die Idee, dass wir dem User ermöglichen wollten selbst die Regler einstellen zu können. Also musste ein Roboterarm her. Colin sagt immer zu mir, “You‘ll get it done” und ich zerbrach mir dann wochenlang den Kopf und versuchte das irgendwie umzusetzen. Jetzt arbeiten die Roboter dort 24 Stunden an sieben Tagen die Woche. Für mich als technikaffinen Menschen ist es beeindruckend mitanzusehen, wie diese Maschinen zum Leben erwachten.
? Wie viele solcher autarken Arbeitsplätze gibt es bei Aria derzeit? Wie darf man sich das Setup vorstellen?
Colin: Momentan haben wir zwei völlig unabhängige Systeme, die jeweils mit einem Roboterarm ausgestattet sind. Die ankommenden Audiodateien werden je nach Auslastung verteilt. Untergebracht sind sie in dem gleichen Gebäude in dem ich auch SING Mastering betreibe. Von den technischen Geräten her sind beide Arbeitsplätze bis ins kleinste Detail identisch.
? Welche Hardware wird denn für das Mastering genutzt?
Colin: Im Grunde ist es ist eine High-End-Mastering-Chain, so wie sie besonders in den 1990ern und 2000ern von vielen Top Engineers benutzt wurde. Wobei viele Geräte extra für uns modifiziert wurden. Die Aria- Signalketten sind identisch zu dem Setup das ich selbst seit Jahren benutze. Es sind genau die gleichen Geräte, in gleicher Anordnung, mit den gleichen Kabeln, wie mein System bei SING Mastering. Es ist wirkliche eine durch und durch identische Kopie, denn damit habe ich sehr viel Erfahrung gesammelt.
Mit an Bord ist beispielsweise ein Dangerous Master mit analoger Width Control, der alleine schon um die 5000 Dollar kostet. Auch Manley- Komponenten und viele Röhrengeräte von Pendulum sind mit dabei. Die sind wirklich toll und klingen einfach fantastisch. Ich habe sie auf sehr vielen Alben benutzt. Auch ein Mini-Massive-Passive findet sich in der Kette, ein wirklich cool klingender EQ mit einem besonderen Op-Amp. Als Wandler kommen Prism-Geräte und Forsell DA-Converter zum Einsatz, die ebenfalls sehr gut sind… und jetzt solltest du mich stoppen, sonst geht es echt ins Detail (lacht).
Es ist aber nicht nur die Hardware, sondern das Know-how dahinter. Man muss einige Alben gemastert haben, damit man die totale Kontrolle über all diese Geräte hat. Deshalb war es mir wichtig für Aria mein eigenes System 1:1 zu spiegeln.
Besonders das Gainstaging zwischen den einzelnen Komponenten ist entscheidend für guten Klang und benötigt viel Erfahrung. Deshalb haben wir von Grund auf unser eigenes Normalisierungssystem entworfen, damit wir die ankommenden Dateien, so unterschiedlich sie sein mögen, sehr akkurat an die Erfordernisse unserer Mastering-Komponenten anpassen können.
? Denkst du, dass digitale Systeme analoge Master irgendwann obsolet machen werden?
Colin: Ehrlich gesagt nicht, das sind zwei verschiedene Philosophien mit unterschiedlichem Sound. Was du mit analogen Geräten erreichst, hat viel mit deinen Fähigkeiten zu tun. Ein digitales Master ist viel einfacher herzustellen, aber damit bekommst du nicht diesen einzigartigen und vielleicht leicht nostalgischen Ton. Digital ist einfach cleaner. Bei Aria und SING Mastering verwenden wir viele Röhren in der Signalkette. Dieser Sheen im Top-End ist digital schwer zu rekreieren. Röhren haben einfach einen einzigartigen Klang. Ich denke nicht, dass analoges Mastering obsolet wird.
? Als ihr angefangen habt, gab es da Kollegen, die gesagt haben, dass ihr euch ins eigene Bein schießen werdet? Wenn es online so gut funktioniert, wird ja niemand mehr zu den Mastering Engineers gehen.
Colin: Als wir das Aria-System getuned haben, habe ich Mixe von Top Mixing Engineers benutzt, um die verschiedenen Settings zu kreieren. Und ich habe mich da nicht zurückgenommen oder irgendwie beschnitten. Ich habe die Settings genauso gemacht, wie ich sie selbst bei SING Mastering eingestellt hätte. Ohne Kompromisse. Ich wollte es nicht schlechter machen, sondern identisch. Ich hatte keine Angst mir ins Bein zu schießen. Mir war immer klar, dass die Leute da draußen beide Arten der Dienstleistung brauchen.
Bei SING Mastering bin ich heutzutage extrem busy und Aria hält uns auch auf Trab und wächst beständig weiter.
Aber beide Firmen richten sich an unterschiedliche Projekte und eine unterschiedliche Klientel.
Aria ist sozusagen DIY-Mastering, man muss hier und dort selbst etwas verstellen, eigene Entscheidungen treffen und vielleicht seinen Mix mehrmals ändern. Mit guten Ohren und etwas Geschick kommt man sehr schnell sehr weit.
SING Mastering bietet hingegen den Full-Service mit mir an den Reglern. Wenn du beispielsweise in einer Stunde ein Master benötigst, ist Aria fantastisch. Und bei SING bekommst du eben den Mastering Engineer mit dazu.
Dass die Nachfrage nach schnellen Masters da war, wusste ich von den Kundenanfragen. Leute haben mich angerufen und gesagt, sie bräuchten ein Master innerhalb einer Stunde. So schnell kannst du das im täglichen Betrieb nicht unterkriegen – aber mit Aria haben wir das möglich gemacht.

Colin Leonard gehört zu den gefragtesten Mastering Engineers der Welt. Stars wie Justin Bieber, Cardi B. oder Paul McCartney vertrauen auf seine Expertise.
? Hat sich Mastering für dich im Laufe der Zeit sehr geändert? Nach dem Loudness-War der CD-Zeit, geben ja mittlerweile Streaming Plattformen den Ton an.
Ja, ich denke schon. Auch Covid hatte bestimmt seinen Anteil, da weniger Leute in den Clubs unterwegs waren. Hier in Amerika ist der Wettbewerb in den Clubs enorm.
Die Clubs sind hier in Amerika sozusagen das letzte Schlachtfeld in Sachen Loudness: Wie laut spielt dein Mix in den Clubs?
Das nimmt gerade etwas ab. Aber tiefer Bass ist immens wichtig geworden über die Jahre.
Ich denke es ist gut für alle, dass Musik etwas dynamischer ist und weniger der Zwang herrscht alles nur laut zu machen. Wir bei Aria wollen ja auch, dass es gut klingt.
? Wie ist es sich als Mastering Engineer an die verändernden Hörgewohnheiten der Konsumenten anzupassen? Selbst viele Musiker hören heutzutage ja ihre Musik auf Handy, Notebooks oder Bluetooth-Lautsprechern. Wirkt sich das auf deine Arbeit aus?
Colin: Ich persönlich versuche einfach den Mix so gut wie möglich zu machen. Mit meinem Ohr (lacht).
Michael: Ich bin ja selbst Hobby-Musiker und als ich früher meine eigenen Master gemacht habe, war ich etwas verzweifelt wie unterschiedlich meine Songs auf den verschiedenen Abspielgeräten geklungen haben. Im Auto klang es gut, aber auf der Anlage im Wohnzimmer war der Sound dann doch nicht so toll, am Handy war es wieder ganz anders. Als ich anfing meine eigene Musik mit Aria zu mastern, habe ich gemerkt, dass die Songs plötzlich auf allen Abspielgeräten gut klangen. Wie Colin das genau macht, weiß ich nicht, aber das zeichnet Aria in meinen Augen aus. Nicht die einzelnen technischen Geräte sind wichtig, sondern die Art und Weise wie das alles zusammenspielt. Ich alleine hätte es auch mit all den technischen Geräten nicht geschafft so einen Sound rauszuholen.
? Manche Musiker wenden sich mit Stems direkt an den Mastering Engineer. Ist Stem Mastering etwas wofür sich Aria anbietet?
Colin: Stem Mastering kommt in Amerika eigentlich nicht vor. Ich denke, das ist ein europäisches Ding (lacht). Du musst den Song schon erstmal mischen und mir dann den Mix schicken. Den finalen Mix, denn ich bin kein Mixer, ich bin ein Mastering Engineer. Das sind zwei unterschiedliche Jobs. Stem Mastering ist Mixing, nichts anderes. Um Aria richtig zu benutzen, würde ich schon empfehlen zuerst einen Stereomix zu machen.
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