Der Experte für Bändchenmikrofone
Bändchenspezialist Stewart Tavener ist der Kopf hinter dem Mikrofonhersteller Extinct Audio und betreibt mit seiner Webseite Xaudia.com eine Plattform für Mikrofonreparaturen. Dort bietet er auch frisch restaurierte “Mikrofon-Schmankerl” aus dem letzten Jahrhundert zum Kauf an. Egal, ob französische, italienische, japanische oder amerikanische Bändchenmikrofone – sein Shop ist voller Kuriositäten. Weltweit dürfte es kaum jemanden geben, der mehr Erfahrung mit all den unterschiedlichen Modellen hat als Stewart Tavener.
Von Raphael Tschernuth
Hi Stewart, danke, dass du dir die Zeit für das Interview nimmst. Kannst du uns etwas zu deinem Background erzählen? Wie hat deine Leidenschaft begonnen?
Hi Raphael, die Freude ist ganz meinerseits. In den 80er Jahren habe ich angefangen Musik zu machen. Ich spiele selbst Gitarre und interessierte mich immer für Aufnahmetechnik. Als ich 14 Jahre alt war, habe ich für rund zehn Pfund ein altes Reslo Bändchenmikrofon samt Ständer gekauft. Das war mein erstes Mikro – es hat gerauscht ohne Ende, aber das war mir egal, denn es klang einfach gut. Noch dazu war es älter als ich und ich liebe alte Dinge (lacht). Später, als ich an der Uni war, hat das Mikro dann eines Tages nicht mehr funktioniert und ich habe beschlossen, es selbst zu reparieren. Das war sozusagen meine erste Bändchen-Reparatur. Hätte dieses Mikro nicht seinen Geist aufgegeben, wäre vielleicht alles anders gekommen. Nach meiner Ausbildung in “physikalischer Chemie” hatte ich zunächst einen akademischen Job an der Uni im Bereich der Magnetresonanzspektroskopie.
Magnete schienen dich ja magisch anzuziehen…
Ja! (lacht) Da war ich aber nicht sehr glücklich, denn mein Traum war es, eines Tages ein Tonstudio aufzumachen. Schließlich habe ich den Versuch gewagt und meinen “Day Job” an den Nagel gehängt. Im Studio hat sich herauskristallisiert, dass ich ein Talent dafür habe altes Equipment aufzuspüren und wieder auf Vordermann zu bringen. Über viele Jahre habe ich mir beigebracht, wie man Bändchenmikros repariert und da es in Europa kaum jemanden gab, der diesen Service anbot, rief ich 2007 Xaudia.com ins Leben. Innerhalb eines Monats kamen die ersten Aufträge rein, ein Jahr später war ich schon total ausgebucht und seither hat es nicht nachgelassen. “I think People will always break things” (lacht) und als “Repair Guy” hat man einfach immer was zu tun. Mittlerweile mache ich keine kommerziellen Tonaufnahmen mehr, sondern konzentriere mich ganz auf die Reparaturen und auf Extinct Audio. Mit meinen Bands war ich immer auf dem Sprung berühmt zu werden – „chasing the dream“ sozusagen. Jetzt versuche ich anderen Leuten zu helfen, ihren Traum zu verwirklichen.
Wie viele Mikrofone hattest du denn im Lauf der Jahre schon auf deiner Werkbank?
Bei jährlich rund 500 Mikros dürften das bisher etwa 6000 Mikrofone gewesen sein. Bis zur Gründung von Extinct Audio habe ich auch viel Zeit in meinen Blog auf Xaudia.com investiert und über ausgefallene Modelle berichtet.
Was waren denn deine ausgefallensten Bändchenmikros?
Wir bekommen viele alte und sehr verrückte Mikros aus Italien, von Meazzi beispielsweise, die meisten sind aber klanglich nicht besonders gut, sondern von Sound her recht “speziell”. Ich selbst habe ein ausgefallenes Bändchenmikrofon von Siemens aus den 20er Jahren, das ELA M25, eines der schwersten Mikrofone in meiner Sammlung.
Ach ja, dieses Siemens hatte ich mir einst für eine Albumproduktion bei Echoschall geliehen und es am Gitarrenamp benutzt. Sehr interessantes Ding…
Du kennst das? Dann ist es ja gar nicht so exotisch wie ich dachte (lacht). Es gibt ja verschiedene Geschichten, woher das erste Bändchenmikrofon stammt. Eine Theorie ist, dass es sich beim Siemens um das erste Bändchenmikro handelt. Die Amerikaner würden das aber auch gern für sich beanspruchen… Ich habe auch ein altes PB90 ein Vorläufer des RCA 44 A. In all den Jahren hat sich eine ganz schöne Sammlung zusammengetragen, um die 200 Bändchenmikros werden es schon sein. Ich repariere sie ja, weil ich sie liebe. Leider nehme ich nur noch ein paar Sessions im Jahr auf und habe kaum die Möglichkeit sie selbst einzusetzen.
Das tiefere Wissen über Bändchenmikros kann man ja an keiner Uni lernen – war das alles “learning by doing”?
Ja, dafür gibt es keine Lehrer. Außer man heuert direkt bei Royer oder AEA an, aber da kennt man dann auch nur die eigenen Modelle. Man muss sein Wissen durch das “Trial and Error”-Prinzip langsam aufbauen.
Wenn mich Leute fragen, ob es schwer ist, antworte ich: Die ersten tausend Stück sind schwer, danach wird es einfach. Bei AEA in den USA habe vor einiger Zeit auch an einem Training teilgenommen, da ich jetzt offizieller Service-Partner für AEA Mikros in Europa bin.
Du hast Eingangs das Reslo Bändchen erwähnt. Vor Extinct Audio war das Reslo Beep ja so etwas wie dein Markenzeichen.
Diese Mikros waren in England weit verbreitet, hatten aber einen sehr schlechten Ruf, da sie eine zu niedrige Impedanz und damit verbundenen schwachen Output hatten. Auch war das Bändchen oft in desolatem Zustand. Die BBC hatte einst Pläne veröffentlicht, was man an den Reslos verbessern muss, damit sie sich für den Rundfunk eignen. An diesen Empfehlungen habe ich mich orientiert. Ich musste die Übertrager tauschen und dafür extra eine Wickelmaschine kaufen und lernen, wie man Übertrager herstellt. Das war ein wichtiger Schritt vorwärts – auch im Hinblick auf Extinct Audio. Anfangs dachte ich, dass ich vielleicht zehn Stück von den Reslo Beep verkaufen würde. Matthias Hahn, der mittlerweile unseren Vertrieb in Deutschland übernommen hat, war damals so begeistert, dass er alle zehn Stück der ersten Serie gekauft hat. Mittlerweile haben wir fast 500 Reslo Beeps aufwändigst restauriert. Leider lohnt sich das heute kaum noch, da die Gebrauchtpreise in den letzten Jahren in die Höhe geschossen sind. Am Anfang von Xaudia konnte man sie noch für 30 Pfund pro Stück finden, mittlerweile kostet ein gebrauchtes Reslo in schlechtem Zustand schon 200 Pfund. Wir haben aber ein paar Alternativen im Auge, die wir ebenfalls umbauen und upgraden werden. Um welche Modelle es sich handelt, will ich noch nicht verraten, sonst steigen die Preise gleich wieder… (lacht)
Was war der Auslöser dafür, dass du deine eigene Marke gegründet hast und eigene Mikros vertreibst?
Das Bedürfnis danach ist langsam aber sicher über die Jahre gewachsen. Ich selbst konnte nie eigene Mikros an den Start bringen, da mir schlichtweg die Zeit gefehlt hat. Als dann mein Freund Adam Watson vor drei Jahren auf der Suche nach einem neuen Job war, haben wir geplaudert und ich habe ihm angeboten, mit mir etwas aufzubauen. Wir haben uns gesagt: Lass es uns einfach versuchen – und das war der Anfang von Extinct Audio. Ausgangspunkt für unseren ersten Prototyp war das Bang & Olufsen BM3, aber im Lauf der Zeit haben wir alles daran verändert und mit unserem BM9 ein ganz neues Mikrofon geschaffen. Ich wollte kein Mikrofon bauen, das mehrere tausend Euro kostet. Mir war wichtig, dass sich ein normales Tonstudio und auch viele Leute, die zu Hause arbeiten, unsere Mikros leisten können. Es sollen Arbeitspferde sein, die man gern täglich und an vielen Quellen benutzt.
Wie viele Mitarbeiter seid ihr bei Extinct Audio?
Wir sind zwischen zweieinhalb und drei Leute (lacht). Neben mir arbeitet Adam, der auch Geschäftsführer ist, in der Herstellung. Dann gibt es noch Anthony Pearson der sich um das Internet kümmert und auch meine Frau Jane hilft, wo sie kann. Wegen der Corona-Krise teilen wir uns die Arbeitszeiten so ein, dass wir nie gemeinsam in der Firma sind. Ich arbeite morgens und Adam arbeitet am Nachmittag.
Wie geht es euch als kleiner Hersteller in dieser Krise?
Es ist eine schwierige Situation, aber wir sind hier alle gesund und das ist das Wichtigste. Für die Musikindustrie ist das furchtbar. Die Studios sind geschlossen, Bands können nicht arbeiten und bekommen keine Auftritte.
Die Nachfrage ist schwächer als sonst, aber wie es sich tatsächlich auswirkt, werden wir erst in ein paar Monaten sehen. Uns kommt zugute, dass wir für fast alle Teile mit lokalen Anbietern zusammenarbeiten. Die Firma die für uns die Metallverarbeitung übernimmt und die Bodys, den Schaft anfertigt, ist beispielsweise nur 50 Kilometer entfernt. Momentan wird dort allerdings Equipment für Beatmungsgeräte hergestellt.
Die restlichen Teile stellen wir selbst her. Das heißt wir wickeln die Übertrager, schneiden und platzieren die Bändchen, bauen die Mikros zusammen und stimmen und kalibrieren jedes Einzelne von ihnen. Das Label “Made in Yorkshire” war mir wichtig. Unsere Holzbox kommt aus dem Norden Englands von einer Firma, die eigentlich Präsentationsboxen für Whiskey und Wein herstellt.
Das Design eurer Mikros hebt sich wohltuend vom Massenmarkt ab. Viele Mikros und ihr Zubehör gleichen sich heute wie ein Ei dem anderen.
Ja, das fällt mir auch auf. Du siehst die gleichen Holzkisten, Mikrofonkörbe, Spinnen, alles offiziell von unterschiedlichen Herstellern, aber doch irgendwie aus der gleichen Firma. Bei manchen steht dann “Made in USA” drauf, aber da ist innen das Gleiche drin wie bei Billigmikros von großen Musikhausketten.
Ist die Spinne auch eure Eigenkreation?
Ja. Wir wollten eine 100 Prozent verlässliche Aufhängung. Wie es dazu kam, war etwas kurios, denn normalerweise macht man Zeichnungen bevor man etwas herstellt, aber bei der Spinne bin ich auch nach “Trial and Error” vorgegangen. Ich habe angefangen, sie mit den Teilen zu bauen, die ich hier verfügbar hatte. Als es dann fertig war, bin ich zu Adam gegangen und meinte: Jetzt kannst du das bitte zeichnen (lacht). Der Protoyp war also fertig, bevor es die erste Skizze gab. Ich arbeite einfach schneller, wenn ich etwas in der Hand habe, anstatt am Computer etwas zu zeichnen.
Wenn du etwas anfasst, dann begreifst du es im wahrsten Sinne des Wortes einfach besser, als wenn du es nur am Bildschirm siehst.
Gibt es schon einige namhafte Kunden für eure Extinct Audio Mikrofone?
Ja, und eine Sache macht mich unglaublich stolz. Bis letzte Woche hatte ich keine Ahnung davon, dass John Williams für den Soundtrack von J.J. Abrams neuem Star Wars Film unsere Mikros benutzt hat. Ein Kunde machte uns darauf aufmerksam. In einem Making-Off-Video sieht man vier Extinct Audio BM9, die über dem Orchester platziert wurden. John Williams ist einer der größten Filmkomponisten und die Produzenten machen weder klangliche Kompromisse noch fehlt es am Geld. Die können sich jedes am Markt verfügbare Mikro leisten. Dass sie sich für unsere Extinct Audio Mikros entschieden haben, freut mich zutiefst. Etwas geschaffen zu haben, dass den höchsten Ansprüchen gerecht wird, gibt mir irgendwie das Gefühl, dass meine Mission eigentlich erfüllt ist (lacht). Die Real World Studios von Peter Gabriel haben sich ebenfalls einige unserer Mikros angeschafft und viele Kunden, die dort aufnehmen, legen sich dann im Anschluss eines unserer Mikros zu.
Auch Nils Frahm taucht in deiner Kundenliste auf…
Ja, für Nils habe ich schon viele Reparaturen erledigt. Als er eines Tages hier in der Gegend ein Konzert gegeben hat, hat er mich eingeladen vorbeizukommen. Ich habe ihn zwar nicht persönlich getroffen, aber das Konzert war toll.
Wie kam es zum Black Ops?
Einer unserer Kunden, Nigel Pepper, ist Sound Engineer von Snow Patrol und hat nach Mikros für die Konzerttournee angefragt. Daraufhin haben wir für ihn ein ganz neues Mikro entworfen mit einem dichteren Windschutz, einem dickeren Bändchen, um es widerstandsfähiger zu machen, und mit einem speziellen Übertrager, der den Nahbesprechungseffekt minimiert. Dadurch konnten die Mikros sehr nahe an den Amps installiert werden. Alle Mikros haben die Tour heil überstanden und sein Team war so begeistert, dass sie sich gleich noch mehr Mikros für die Tour der Band Foals gekauft haben. Aber auch bei Stimme und Sprachaufnahme haben wir sehr gutes Feedback für das Black Ops erhalten, da es im Nahbereich eine ausgewogene Balance bietet.
Was sind denn deine persönlichen Mikrofon-Favoriten?
Bei den dynamischen Mikros wäre mein „Desert Island Mikrofon“ das Electro-Voice RE-20. Ich habe ein paar davon hier und in einer stressigen Session kannst du dieses Mikro guten Gewissens für alles verwenden, egal, ob Gesang, Bass, Drums… Die halten viel aus und klingen nie schlecht – ich liebe diese Dinger. Bei Kondensatormikros stehe ich eher auf dunkleren Klang und mag das Sony C38 sehr gern. Das Rauschen ist vielleicht höher als bei modernen Mikros, aber es klingt “richtig” für mich. Da ich viel Zeit mit Bändchenmikros verbringe, klingen Kondensatormikros für mich meistens “falsch”. Mein persönlicher Favorit unter den Bändchen ist das RCA KU3. Es ist mit speziellen Kuhhaaren gefüttert, bietet Nierencharakteristik und es hat den weißen Streifen auf der Rückseite. Sie wurden in Kalifornien oft am Filmset benutzt und waren damals auf riesigen Booms installiert. Der Boom Operator musste den weißen Streifen immer auf die Person ausrichten die gerade gesprochen hat. So kannst du heute genau sehen, welches Mikro am Filmset in Verwendung war.
Warum eigentlich Bändchenmikros?
Ich liebe Bändchen seit meiner Jugend und finde sie immer wieder aufs Neue faszinierend – die Technik dahinter ist so einfach und doch gibt es feinste Details, die den Unterschied machen. Wenn man Zeit und Wissen einbringt, kann man viel optimieren. Es würde mich reizen einmal ein Buch zu schreiben und das Wissen zusammenzufassen.
Mehr Info:
www.extinctaudio.co.uk
www.xaudia.com
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