„Es geht nicht um uns!“
Produzent und Tontechniker Niko Bolas hat mit Neil Young, KISS, Toto, Melissa Etheridge, Warren Zevon oder Sheryl Crow gearbeitet. Im Gespräch erzählt er von den Aufnahmen zur aktuellen Neil Young-Platte „Barn“, er vermittelt philosophische Betrachtungen, wie aus seiner Sicht möglichst gute Aufnahmen entstehen – und warum moderne Aufnahmen oft wie Cover-Songs klingen.
Von Nicolay Ketterer. Fotos: Adam CK Vollick (adamckvollick.com), Val Garay
Die Karriere von Niko Bolas begann in den späten 1970er Jahren. 2021 betreute er Neil Youngs „Barn“-Projekt: Der Musiker ließ eine Scheune aus den 1850er Jahren originalgetreu restaurieren und beschloss, darin ein Album aufzunehmen, mitten in der Prairie Colorados. Niko Bolas arbeitet mit Young seit 1983 über die Jahrzehnte immer wieder zusammen. Das bot eine gute Gelegenheit, um über ungewöhnliche Projekte und die Aufgabe des Tontechnikers und Produzenten aus Bolas‘ Sicht zu sprechen.
? – Neil Young wollte für sein „Barn“-Album in der Atmosphäre und dem Klang der Scheune Musik aufnehmen. Die Performance der Band fanden innen auf einer Art Bühne statt. Zum Aufnehmen stand draußen ein Sattelschlepper des Remote-Recording-Dienstleisters „Le Mobile“. Wie sahen die Bedingungen insgesamt aus? In der atmosphärischen Dokumentation der Filmemacherin Daryl Hannah [auf YouTube veröffentlicht: https://www.youtube.com/watch?v=mbmkek5j6Vs] wirkt das wie ein langer, entspannter Urlaub …
! – Zuallererst – das war kein Urlaub (lacht) Wir waren vielleicht zehn Tage auf dem Gelände. Dort ist nichts! Um pinkeln zu können, musstest du die entsprechende Infrastruktur mitbringen. Alles wurde innerhalb von vier Wochen auf- und wieder abgebaut. Anschließend ging ich mit G [Engineer Guy Charbonneau, Anm. d. Autors] und dem Le Mobile-Recording-Truck nach San Diego, um die Mischung im Truck abzuschließen. Wir haben das meiste Material bereits vor Ort abgemischt, direkt nach der Aufnahme, nur ein paar Elemente nachträglich verändert. Wir ließen die Platte mastern – fertig! Der Film ist brillant. Daryl Hannah, Neils Frau, ist eine erstaunliche Filmemacherin und Regisseurin. Sie koordinierte alles – vom Essen bis zu den Fahrten, um die Leute hin und zurückzubringen. Sie haben einen fantastischen Job gemacht! Wir schliefen im Hotel, fuhren von den unterschiedlichen Hotels um Colorado auf das Plateau und campten dort. Wir machten eine Platte und gingen wieder!
? – „Barn” hast du auf einer Neve-Konsole im Truck aufgenommen. Soweit ich verstehe, verwendete Neil Young bisher Band, wann immer er konnte. Kam in der Wildnis auch Band zum Einsatz, oder war Pragmatismus unter den Umständen sinnvoller?
! – „Barn“ ist ein Hybrid-Album. Wir haben Tape verwendet, aber am Ende haben wir bei einem deutlichen Teil den digitalen 192 kHz-Mitschnitt genutzt. Für komplexe Edits hast du digital viel mehr kreative Freiheiten. Wir haben nach Möglichkeit versucht, die Bandmaschine und das Pro-Tools-Setup zu synchronisieren. Unabhängig von der Quelle wurde analog durch die Neve-Konsole auf eine Viertelzoll-Mastermaschine gemischt – so gesehen landete am Ende alles auf Band.
? – Deine Zusammenarbeit mit Neil Young begann 1986 bei dem Album „Landing on Water“. 1989 hast Du „Freedom” koproduziert. Das wurde – als eine Ausnahme in Neil Youngs Arbeitsweise – digital auf den frühen Sony-Maschinen aufgenommen. Auf der Platte sind typische “Vintage-Klangtexturen“ zu hören. Wie hast du mit der damaligen, noch in den Kinderschuhen befindlichen Digitaltechnik die recht analoge Gesamtästhetik erhalten?
! – Nun, jeder schreibt den digitalen Klang dem Medium zu – daran liegt es nicht! Du musst einen Schritt zurückgehen und deine analogen Gewohnheiten loslassen. Wenn du analoge Gewohnheiten mit einem digitalen Wiederhabegerät verwendest, wird das Ergebnis zu hell und hart klingen. Verwendest du die Gewohnheiten mit einer analogen Maschine, gibt dir beim Aufnehmen die „Polsterung“ durch Bandsättigung und die Trafos beim Abspielen das wieder, was du erwartest. Mir scheint, es existieren zwei Fraktionen: Typen in meinem Alter, die immer dasselbe machen, ohne zu hören. Das ist einfach eine Gewohnheit – du fügst bei der Aufnahme immer diese und jene Frequenzen hinzu, und machst weiter. Beim Playback wendest du wieder EQ an, denkst, du müsstest etwas machen, und am Ende klingt das Ergebnis zu hart, weil du viel zu viel Equalizer hinzugefügt hast, in welchem Bereich auch immer, normalerweise im High-End. Und dort existiert kein analoges „Polster“! Die zweite Fraktion, die das ebenso macht, sind Assistenten, die unter Leuten meines Alters angelernt wurden, und die immer noch nicht mit ihren Ohren aufnehmen und mischen, sondern lediglich mit ihren Gewohnheiten, um den Job zu erledigen. Am Ende ist keiner Schuld, jeder möchte die Aufnehme so akkurat wie möglich hinbekommen, und du machst naturgemäß immer das, was beim letzten Mal funktioniert hat!
“Unsere Philosophie veränderte sich – Effekte wurde zu etwas, die du nur bei einem Problem verwendest”
? – Wie hast du dich selbst dieser Angewohnheiten entzogen?
! – Ich musste mich wirklich ändern – von null anfangen, ohne EQ oder Kompression. Das entwickelte sich zwischen Al Schmitt und mir zur wahren Kunst des Aufnehmens: Wir würden schauen, wie „groß“ wir eine Platte klingen lassen konnten, rein durch Mikrofonpositionierungen, ohne jegliches Outboard – außer, wenn es unumgänglich war. Die Philosophie veränderte sich – Outboard-Equipment wurde zu etwas, das du nur bei einem Problem verwendest. Wenn also der Gesang nicht präsent genug ist, solltest du vielleicht ein anderes Mikrofon holen. Füge nicht Mitten hinzu! Wenn du anfängst, Aufnahmen aus der Perspektive anzugehen, dann verliebst du dich in hochauflösende Digitaltechnik, weil sie so akkurat ist
? – Es heißt gerne, man solle mit Processing vorsichtig sein, weil Effekte oft die Grundqualität und Unmittelbarkeit eines gut aufgenommenen Signals „verschlimmbessern“ …
! – Absolut!
? – Lass uns auf deine Anfänge in den späten 1970er Jahren blicken. Der Produzent und Tontechniker Val Garay – unter anderem bekannt für seine Arbeit mit Linda Ronstadt, James Taylor, Kim Carnes oder Neil Diamond – baute gerade das Studio „Record One” in Los Angeles mit auf. Er bot dir zunächst einen Job beim Bau ein, woraufhin du nachts zu den Sessions bliebst und Interesse am Recording hattest. Daraus wurde ein Job, und Garay dein Mentor …
! – Val Garay ist der Grund, warum ich existiere: Er hat mich angelernt – und nicht gefeuert, als er es hätte tun sollen! Ohne ihn hätte ich nicht halb so viel Wissen, und sicherlich hätte ich nicht den philosophischen Ansatz zum Thema Recording, den ich habe. Das alles habe ich gelernt, als ich jahrelang neben ihm saß.
„Die einzige Qualifikation, die du wirklich in einem Assistenten suchst, besteht darin, dass sie sich aufrichtig kümmern, und dass sie aufrichtig dazulernen wollen.“
? – Wenn du heute einen Assistenten einstellen würdest – was wäre denn eine Situation, in der du denjenigen feuern solltest, ihn aber behälst, vielleicht vor dem Hintergrund, dass es sinnvoller wäre, denjenigen langfristig zu behalten?
! – Was mich angeht, ich hatte viel Potenzial. Mein Ansatz war ehrlich, gleichzeitig nahm ich ordentlich Drogen, weil ich sehr ängstlich und unsicher war. Val erkannte, dass die Probleme, die ich hatte, aus einer unsicheren und persönlichen Natur heraus entstanden. In dem Fall war er mehr wie ein Vater. Er würde einfach sagen: „Krieg deinen Scheiß geregelt oder ich schmeiße dich raus.“ Es gab nie eine Situation, in der ich kontinuierlich unaufmerksam war oder einen Fehler machte – etwa den Gesang zu löschen oder ähnliches. Ich war immer sorgfältig. Die einzige Qualifikation, die du wirklich in Assistenten suchst, besteht darin, dass sie sich aufrichtig kümmern, und dass sie aufrichtig dazulernen wollen. Falls sie aus irgendwelchen anderen Gründen da sind, werden sie entweder kündigen oder du wirst sie feuern, für eine beliebige Anzahl von Verstößen. Aber wenn deren Attitüde lautet, „ich versuche, alles richtig hinzubekommen“ … Und meiner Meinung nach beginnt das mit der Essenbestellung: Wenn du die Bestellung für das Mittagessen richtig hinbekommst, kann ich dir vielleicht mit der Auswahl von zehn Mikrofonen vertrauen, weil du das auch richtig hinbekommst. Umgekehrt kann ich dir nicht vertrauen. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass es derart grundlegend ist – und das muss es sein, denn unsere Arbeit besteht darin, die flüchtigste Muse einzufangen, die ich kenne, zwischen schauspielern und dem Erschaffen von Musik. Das sind zwei Genres, bei denen Magie stattfindet, ob du willst oder nicht.
Die Rolle eines Produzenten? „Er ist die praktisch die Leitplanke auf einer Bowlingbahn. Er sagt dir nicht, wir du werfen sollst, die Punktzahl ist ihm nicht wirklich wichtig … Aber wenn die Kugel in Richtung Aus läuft, stößt er sie zurück auf die Bahn.“
Wenn die Magie entsteht und du nicht bereit bist, wirst du sie nie einfangen. Du kannst sie nicht nochmal abspulen, nie wiederholen. Das ist das, was ich gelernt habe, wenn ich bei Aufnahmen neben Val saß. Technisch gesehen gab es niemanden, von dem ich besser hätte lernen können als Val, weil er hart mit mir ins Gericht ging – aber das war das größte Geschenk, das er mir machen konnte, und das wusste er! Ich habe nie gekündigt. Irgendwann meinte er schließlich: „Du hast deine Ausbildung abgeschlossen! Geh und such dir Kunden!“ Ich wurde einer der Kunden im Record One-Studio. Das hat mich sehr stolz gemacht! Mir wurde zuvor mehrfach angeboten, mich selbständig zu machen, aber ich nahm die Gelegenheit nie wahr, weil ich noch nicht ausgelernt hatte. Wenn der Zeitpunkt gekommen wäre, dann wäre mir das bewusst und Val würde es mir sagen. Darauf vertraute ich, und das tat er.
? – Deine ursprüngliche Inspiration, zu produzieren, kam durch den Singer/Songwriter Warren Zevon …
! – Ja, er war einer der ersten Leute, die ich produziert hatte. Der Produzent Andy Slater fragte mich, ob ich ihm helfen würde, Warrens Album [Sentimental Hygiene, 1987, Anm. d. Autors]. zu produzieren. Mit ihm wechselte ich vom Aufnehmen zum Produzieren. Warren war in einigen Bereichen meines Lebens behilflich. Da er verstorben ist, kann ich die Anonymität aufheben und sagen, dass er der Grund ist, dass ich in einem Zwölf-Punkte-Programm trocken wurde, weil er so einen guten Einfluss auf mich hatte, abgesehen von der musikalischen Seite. Aber das war das erste Major-Label-Album, das ich produzierte – davor hatte ich bereits kleinere Projekte selbst produziert. Das war das Jahr, in dem ich mit Drogen und Alkohol aufhörte, und alles wurde viel besser in kurzer Zeit.
? – Das kann ich mir vorstellen! Kombinierst du gerne die beiden Welten Produzieren und Aufnehmen?
! – Für mich machen sie keinen Unterschied. Es ist schlicht ein Job – ich helfe, Platten zu machen!
? – Der Grund, warum ich frage: Manchmal kann es schwierig sein, ständig zwischen der analytischen und der kreativen Seite des Gehirns umschalten zu müssen – aus dem Grund könnte die Kombination für manche eine Ablenkung darstellen …
! – Ja, das stimmt – aber was das Engineering angeht … Wenn ich produziere und aufnehme, dann wird die Aufnahme selbst mit meinem ersten Bauchgefühl produziert. Von da an läuft die Aufnahme von selbst. Ich habe ein großartiges Team – einen tollen Engineer, mit dem ich arbeite, oder Assistenten – und ich widme meine Aufmerksamkeit ganz dem Künstler und der Musik. Das beste Beispiel: Neil. Wenn das Setup steht, ändert sich nicht wirklich was, es sei denn, er hat eine Idee. In dem Fall sagt der Engineer in mir: „Nun, lass es uns auf jene Art machen.“ Anschließend widme ich wieder darum, dass er sich so wohl wie möglich fühlt. Wenn ich nur aufnehme und für einen Produzenten arbeite, ist das ein Luxus! In dem Fall werde ich als Engineer produziert. Diejenigen kommen auf mich zu und meinen, „ich möchte, dass die Drums lila klingen.“ Ich kann mich zurücklehnen und meine Zeit damit verbringen, mit meinen Werkzeugen zu spielen und zu versuchen, herauszufinden, was lila bedeutet! Und ich muss mir keinen Kopf machen, ob der Künstler bereits Mittagessen hatte, wann wir eine Kaffeepause einlegen sollten, oder ob die Noten für die Streicher korrekt sind … All das übernimmt jemand anderes. Wenn ich also nur aufnehme, ist das tatsächlich einfacher, und es macht viel Spaß, weil ich mich ganz der Kunst des Aufnehmens hingeben kann. Produziere ich gleichzeitig, verlasse ich mich beim Aufnehmen auf meine ersten Instinkte und widme mich anschließend der Produktion.
? – Wie würdest du die Arbeit als Produzent generell beschreiben?
! – Es existiert keine Führungsrolle, wenn du einen Künstler produzierst. Stattdessen existiert Coaching. Die Künstler sind die Anführer, die Musik kommt von ihnen. Sie „füttern“ mich mit dem, was passiert, und es liegt an mir, zu versuchen, das zu lotsen. Die beste Art, wie ich es erklären kann, besteht darin, wie ich es immer wahrgenommen habe: Das war das Bild, das ich immer vom Produzenten Don Was [u.a. Rolling Stones, Anm. d. Autors] hatte – er ist praktisch die Leitplanke auf einer Bowlingbahn. Er sagt dir nicht, wir du den Ball werfen sollst, die Punktzahl ist ihm nicht wirklich wichtig … Er weiß nur, dass wir den ganzen Tag bowlen werden. Aber wenn die Kugel in Richtung Aus läuft, stößt er sie zurück in die Bahn. Der Rest liegt an der Person, die die Kugel wirft.
? – Vor einer Weile meintest du in einem Interview, dass jeder eine Cover-Version eines Songs abliefern könnte – und viele der heutigen Platten für dich nach einer Cover-Version klingen, dessen Original noch nicht aufgenommen wurde, weil die Ergebnisse zu perfekt klängen …
! – So fühlt sich das Ergebnis für mich an! Mit der Technologie, die verfügbar ist – junge Tontechniker kommen in Studios mit digitalen Gewohnheiten oder alten analogen Gewohnheiten – aber es sind beides Gewohnheiten! Sie haben noch nicht vor einer Band gesessen, die einfach nur spielt! Oder schlimmer noch – sie haben Platten gemacht, sind Musiker, aber sie haben sich selbst nicht gestattet, einfach zu spielen und zu erfahren, wie es ist, das Timing zu verschieben, zu erfahren, dass Fehler zum gewünschten Ergebnis führen können. Mit den digitalen Werkzeugen, die uns zur Verfügung stehen, kannst du eine Platte wie ein Lego-Set zusammenbauen, und sie wird fehlerfrei sein! Unglücklicherweise – was mich angeht – wird sie keine Seele besitzen. Die Platten, die ich am meisten liebe, beginnen mit Feeling – anschließend findest du heraus, wie du den Sound hinbekommst. First Takes und Durchläufe sind der beste Anhaltspunkt, um festzustellen, wohin die Reise gehen sollte.
? – Manchen Musikern, die mit DAW-Recording aufgewachsen sind, fehlt die Gewohnheit, einen Song von Anfang bis Ende aufzunehmen, und bei mehreren Takes hintereinander ist ihre Kondition schnell aufgezehrt …
! – Das stimmt! Das Pro Tools, das Produzenten bis vor rund 20 Jahren zur Verfügung stand, bestand in Rhythmusgruppen wie der „Section“, der „Wrecking Crew“ oder all den großartigen Musikern, die in New York in der Power Station waren. Die kamen rein, schufen unglaubliche Parts, und spielten sie anschließend mit Feeling fünf Mal hintereinander. Du konntest den Take anhand des Gesangs auswählen, weil die darunterliegende Musik immer gut war. Heutzutage konstruieren die Leute den Unterbau Stück für Stück, ohne jemals den Fluss erfahren zu haben, einen Text von Anfang bis Ende gesungen zu haben, zusammen mit der zugehörigen Melodie. Und dann setzen sie den Gesang dort obendrauf! Du endest – meiner bescheidenen Meinung nach – mit etwas, das eine Cover-Version darstellt: Ein akkurates Portrait, das allerdings die gleiche Art von Gefühl vermittelt wie Musik einer Fernsehwerbung. Gerade gut genug, um damit durchzukommen, aber es riskert kein wirkliches Gefühl. Und die Musik, die wir lieben – wenigstens die Musik, die ich liebe – besteht aus Risiko! Wenn jemand einen Text singt und etwas riskiert, dann wird die nie in Erinnerung bleiben, dass derjenige im Refrain im Ton daneben lag. Du wirst dich immer daran erinnern, dass dich der Refrain zu Tränen rührte.
? – Ein guter Freund von mir hat gerade die Platte einer Singer-Songwriterin editiert, und er schlussfolgerte in dem Fall, dass es wichtiger ist, das Timing einer Gesangsphrasierung hinzubekommen, als die Tonhöhe …
! – Absolut!
? – Er meinte, „mit einer leicht schiefen Note hier und da kommst du durch, aber wenn der Sänger oder die Sängerin das Timing nicht richtig abliefert … “
! – Dann kannst du einpacken – das wird nicht funktionieren! Alles läuft immer auf Rhythmus heraus. Es gibt drei Elemente in einem Song: Was du sagen willst, was du spielen willst, und wie du es klingen lassen willst. Du kannst beispielsweise ein Gitarren-Lick spielen, das du liebst, und einen Song drumherum schreiben. Du kannst einen Text haben, der dir wichtig ist, und darum einen Song schreiben. Oder du hast eine Melodie, die du singen oder summen willst, und kannst um die Melodie einen Song schreiben. Das war’s. Wenn du allerdings den Rhythmus nicht hast, wird das Ergebnis den Hörer auf keinen Fall packen. Es heißt nicht umsonst „Hook”. Und das alles entspringt dem Rhythmus. Von Ginger Baker existiert ein berühmtes Sprichwort: “Du kannst einen Hit haben, aber du kannst keinen Hit ohne gute Drums haben.”
? – Was Gesang angeht – wie entstand dein Ansatz, den Gesang laut und klar im Mix herauszustellen?
! – Das liegt wohl daran, dass ich in meiner Arbeit damit aufwuchs, mit Sängern und Sängerinnen wie Linda Ronstadt, Don Henley, James Taylor, Warren Zevon, Dolly Parton oder Steve Perry zu arbeiten … Bei denen gilt – alles, was sie singen, muss hörbar sein. Das ist ein perfektes Beispiel für die Bedeutung von Phrasierungen, zum Beispiel die „Pocket“, in der Steve Perry singt. Er würde das letzte Wort einer Zeile an das Ende der „4” positionieren, vor dem Takt der nächsten Strophe, weil er will, dass dich jede Minute, jede Sekunde, jede Nanosekunde Atem und Melodie so berührt wie sie ihn berührt. Wenn du jemanden wie ihn aufnimmst, ist es sehr wichtig, dass diejenigen einen besonders guten Mix hören, der praktisch das darstellt, wie die fertige Platte nachher klingt, weil sie die Phrasierungen dort positionieren, wo sie für den Mix und für die Platte hingehören. Das ist nicht mein Job, sondern der des Sängers! Mein Job besteht darin, sicherzustellen, dass sie das tun können. Du gibst ihnen die Werkzeuge. Viele Tontechniker scheinen zu denken, dass sie den Sound aufbauen. In meinem Fall stimmt das nicht. Ich baue nichts auf. Ich nehme so gut ich kann die brillantesten Leute auf.
? – Vor einigen Jahren habe ich mit Chuck Ainlay gesprochen [siehe Professional Audio Ausgabe 10/2012]. Er meinte, er sei überrascht, wie viele junge Tontechniker nicht in den Kopfhörer-Mix für den Künstler zum Aufnehmen reinhören würden. Sie würden lediglich Signale hochziehen und den Sänger fragen, ob das für ihn in Ordnung ist – allerdings nicht selbst hören, ob der Sound sie bewegt, ob es ein guter Mix ist, um dazu eine Performance abzuliefern …
! – Exakt! Chuck hat Recht! Deshalb ist er, wer er ist – einer der besten in unserer Branche. Er ist ein Genie. Und das ist so fundamental wahr: Du kannst den gesamten Tonhöhen-Fokus eines Sängers durch den Kopfhörer-Mix verändern, und du kannst auf jeden Fall deren Phrasierung beeinflussen – einfach dadurch, wie viel High End du auf die Kopfhörer gibst. Darauf musst du achten.
? – Wie würdest du bei einem Sänger die Tonhöhe über den Kopfhörer-Mix beeinflussen?
! – Nun, wenn du eine Gitarre mit viel Chorus-Effekt und ein Klavier hast, dann stelle das Klavier in den Vordergrund! Das liefert dir eine griffigere Tonhöhe. Wenn du viel Bass beimischst, kannst du manchmal jemanden ein bisschen ins Wanken bringen, allein durch die Art, wie dessen Kopf resoniert. Du weißt es nie – du lernst nur. Beginne mit einer Balance, die für dich wie eine gute fertige Aufnahme klingt, zu der du singen willst, und dann schaust du weiter.
? – Was das Aufnahmemedium angeht: Manche meinen, es sei schwierig, gute Drum-Sounds digital hinzubekommen. Dabei gilt doch eigentlich, dass der gewünschte Sound schon auf dem Weg zum Medium „stehen“ sollte …
! – Es ist sehr einfach, gute Drum-Sounds hinzubekommen. Du besorgst dir einen guten Drummer! Mir ist egal, ob es digital oder auf Band, auf Kassette oder auf deinem iPhone aufgenommen ist. Wenn der Drummer swingt, hast du einen swingenden Drum-Sound! Die Attitüde ist Bullshit – wie ich gesagt habe, ein schlechter Arbeiter beschuldigt sein Werkzeug. Wenn du mir sagst, du kannst keinen guten Drum-Sound hinbekommen, weil dir der Raum nicht gefällt, oder dies oder das nicht gefällt, bist du der falsche Mann für den Job, du redest nur Scheiße. Mach den Drummer glücklich, sorge dafür, dass er sich wohlfühlt. Er wird wie die Hölle spielen, und du hast einen guten Drum-Sound. Wenn du einen unglaublichen Drum-Sound hören willst: Geh auf YouTube und hör dir Karen Carpenter [Schlagzeugerin und Sängerin, The Carpenters] an. Die Frau hat besser Schlagzeug gespielt als die meisten Leute, die ich kenne. Sie hat im Fernsehen performt, teils nur mit einem Mikrofon abseits der Kamera aufgenommen – und das ist der beste Drum-Sound, den du je hören wirst. Sie ist die großartigste Schlagzeugerin, die du je sehen wirst, und fühlen wirst – ihr Groove … Der Sound ist verdammt egal, weil sie immer noch unglaublich ist. Ich bin ein furchtbarer Schlagzeuger. Ich habe einen furchtbaren Schlagzeug-Sound. Ich habe großartige Schlagzeuger aufgenommen, und ich bekomme ihren Sound, was großartig ist!
? – Was vielen wohl nicht auffällt, ist die gelungene Balance, die ein großartiger Drummer von Haus am Kit mitbringt. Im Raum beim Spielen am Kit zuzuhören, klingt bereits wie ein hochwertiges, aufgenommenes Ergebnis – ohne dass ein Element heraussticht oder seltsam klingt.
! – Absolut! Wenn du die Recording-Grundlagen lernst und anwendest, und anschließend nicht im Weg stehst … Frag einfach den Drummer, was er oder sie braucht. Sie werden die sagen, was sie im Kopfhörer brauchen. Gib ihnen das und lass sie spielen. Deine Arbeit wird getan sein. Und: Digitale Aufnahme bedeutet, das Ergebnis wird immer gleichbleiben. Wenn es am Tag der Aufnahme gut klang, brauchst du keinen weiteren Equalizer, keine weiteren Kompressoren, nichts. Du musst es nur abspielen. Tape bot eine Kompression, aber großartige Drummer brauchten keine Bandmaschinen. Sie brauchten lediglich eine weitere großartige Band und die Freiheit, zu spielen. Hör dir Al Jackson oder – nochmal – Karen Carpenter, Gene Krupa oder Hal Blaine an. Ed Green, wie er Sechzehntel spielt, oder Jeff Porcaro, der unter den Mikrofonen von einem Dutzend Engineers gespielt hat, auf einem Dutzend Platten in einem Dutzend Räume. Es klang immer hervorragend! Es geht nicht um uns. Im Hinterkopf zu behalten, dass es nicht um uns geht und die Arbeit erledigen, ist der schwierigste Teil. Ich kann dazu ein Akronym anbieten – lediglich ein philosophischer Ansatz. Es geht um das Wort „Ego“. Wenn du dein Ego aus etwas herausnimmst, wird es funktionieren. Das Akronym für Ego lautet „edging God out” [„Gott beiseite drängen”, Anm. des Autors]. Und damit meine ich nicht Gott im biblischen Sinn, sondern Gott als die Muse, das Universum, die Energie, die Kraft des Lebens, der große Geist. Und das ist da – es ist in deinem Drummer, deinem Gitarristen, deinem Sänger, dem Texter, … Dein Job besteht darin, den Geist aufzunehmen, wenn er stattfindet, und danach abzuspielen, und nicht im Weg zu stehen. Wenn du also diesen Geist beiseitedrängst, weil du dem Ergebnis deinen eigenen Stempel aufdrücken willst, erweist du der Sache einen Bärendienst.
? – Vielleicht ist das am schwierigsten zu lernen …
! – Nun, das ist es, wenn du unsicher bist. Jahrelang dachte ich, ich müsste etwas beisteuern, bis mir bewusst wurde, dass der größte Beitrag, den ich liefern kann, darin besteht, andere Leute beitragen zu lassen (lacht)
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