Doppelhertz
Die Vocals klingen matt, der Bass müde und schlapp, die Drums brauchen mehr Feuer unter dem Hintern? Da könnte das brandneue TwinTube-Plug-in von SPL die richtige Medizin sein, mit einer Mischung aus reichhaltiger Röhrensättigung und frischer Obertonbearbeitung.
Von Michael Nötges
Seit dem Coming-out der niederkrüchtener Audio-Manufaktur in Sachen eigener Software-Emulationen auf der AES Convention in San Francisco Anfang Oktober 2008, scheint das neu gegründete Weichwaren-Department die Füße nicht mehr still halten zu können. Denn passend zur Namm-Show 2009 in Anaheim kommt das nächste Plug-in auf den Tisch – wieder ein emuliertes RackPack-Modul aber diesmal der digitale Klon des analogen Röhreneffektprozessors TwinTube.
Grundsatzdiskussionen über den Sinn und Unsinn von emuliertem Outboard sparen wir uns an dieser Stelle. Trotzdem bleibt festzustellen, dass Plug-ins durch die unmittelbare Einbindung in die DAW, sowie das Abspeichern von Presets und die Automationsmöglichkeiten von einzelnen Parametern durchaus Vorteile gegenüber den analogen Vorbildern bieten. Außerdem können sie den Workflow erheblich vereinfachen. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Emulation des TwinTube rund 240 Euro kostet, das Original aber mit rund 500 Euro in der Standardversion (mit Lundahl-Übertragern entstehen rund 200 Euro an Zusatzkosten) zu Buche schlägt. Es lassen sich so viele Instanzen des Plug-ins öffnen, wie die CPU des Computers erlaubt und bereits ein Insert reicht für Stereo-Bearbeitungen. Im Falle der analogen Hardware sind da schon zwei Zwillingsröhren, sprich rund 1.000 Euro Investition vonnöten. Auf der anderen Seite kennt jeder DAW-Nutzer Latenz- und CPU-Probleme, System-Crashs und nervige Dropouts, die einen schon einmal schnell an den Rande des Wahnsinns treiben, besonders wenn viele CPU-Killer geladen sind. Außerdem werden viele Hardliner aus dem Analog-Lager vehement betonen, dass Emulationen immer nur digitale Nachbauten sind, die wegen Rundungsfehlern und anderer programmiertechnischer Unwegsamkeiten klanglich niemals an das analoge Original heran kommen. Da die Software-Entwickler aber auch nicht auf den Kopf gefallen sind – das belegt nicht zuletzt auch der Test des Transient Designer- und EQ Rangers Vol.1-Plug-ins (Test in Ausgabe 11/2008) –, und die digitalen Klone immer besser gelingen, lässt sich über die klangliche Qualität mittlerweilevielerorts trefflich streiten.
Zurück zu unserem TwinTube-Plug-in: SPL bietet derzeit die native Variante für VST-, RTAS- und AU-Schnittstellen an und arbeitet mit Hochdruck an einer TDM-Lösung. Damit ist das Plug-in sowohl für Macs als auch PCs nutzbar. Nach dem Download der aktuellen Version von der SPL-Homepage ist die Software ohne Probleme und im Handumdrehen installiert. Der Einzige Haken ist die Freischaltung per i-Lok-Dongle auf den zunächst die gültige Lizenz übertragen werden muss, bevor es endlich losgehen kann. Eingefleischte Plug-in-User kennen dieses Prozedere allerdings bereits und nehmen die Kopiertschutz-Hürde gelassen und mit Verständnis für die Sicherung der Urheberrechte hin.
Das GUI des TwinTube-Plug-ins ist übersichtlich und eigentlich selbsterklärend. Im Gegensatz zum Hardware-Original umfass seine Oberfläche allerdings die Frontplatten zweier RackPack-Module, wobei die linke Hälfte eins-zu-eins der Frontplatte des analogen Outboards entspricht, die rechte, zur besseren Übersichtlichkeit, Platz für die zusätzlichen Preset-Buttons und die Bypass-Funktion bietet. Röhren-Experten wissen sofort Bescheid, wenn sie den Harmonics- und Saturation-Regler sehen, stolpern aber möglicherweise über die Harmonic-Switches, deren Funktion nicht unmittelbar selbsterklärende ist. Um willkürliches Herumklicken und Bedienfehler zu vermeiden, lohnt es sich zunächst dem TwinTube-Konzept auf den Grund zu gehen.
Das Plug-in emuliert die zwei wesentlichen Klangveränderungen, die durch Röhrenschaltungen erzeugt werden können, Stichwort Röhrensättigung und Obertonbearbeitung. Beide Effekte können einzeln oder in Kombination angewendet werden. Das analoge Original verwendet für die Obertonbearbeitung einen Röhren-Spulen-Filterverbund, der, laut Hersteller, dynamisch auf die Signalstruktur reagiert und das Obertonspektrum durch Angleichung der einzelnen Oberwellen harmonisiert. Diese Schaltung ist im Plug-in digital nachgebildet. Im Gegensatz zur Wirkungsweise von Excitern werden bei dieser Form der Obertonbearbeitung keine neuen Verzerrungen generieren, sondern lediglich die vorhandenen Oberwellen manipuliert. Der große Vorteil gegenüber dem Einsatz von Equalizern liegt darin, dass es durch diese Form der Bearbeitung kaum Pegelveränderungen gibt, trotzdem ein Signal im Mix herausgearbeitet werden kann. Entscheident ist, dass durch Filter mit einer festgelegten Bandbreite immer nur das Obertonspektrum bestimmter Frequenzbereiche modifiziert wird. Je nach Schalterstellung (rein oder raus) der beiden so genannten Harmonic Switches, ergeben sich vier Voreinstellungen mit unterschiedlicher Centerfrequenz und Bandbreite (siehe Tabelle) mit dem Ziel, Präsenz und Räumlichkeit der Audiosignale zu verbessern.
Aber das ist noch nicht alles, was das TwinTube-Plug-in bietet, macht es sich auch noch die sogenannte Röhrensättigung zunutze. Das TwinTube-Plug-in simuliert das Übersteuern einer Röhre, also den klanglichen Effekt, der entsteht, wenn die glühenden Kolben in die Sättigung gefahren werden (siehe FFT-Spektrum). Da die Verzerrungen von Röhren im Gegensatz zu Halbleitern mit steigendem Signalpegel langsam zunehmen und dabei zunächst in erster Linie aus harmonische Obertönen wie k2, k4 oder k6 bestehen, entsteht ein runder weicher Klang, der oft als warm, energetisch oder seidig bezeichnet wird. Verantwortlich für die Intensität des Effekts ist der Saturation-Regler des Plug-ins. Neben der Anreicherung mit harmonischen und unharmonischen Obertönen führt die Sättigungsfahrt aber auch zum sogenannten Tube-Limiting, das einer sanften Kompression gleichkommt und Pegelspitzen und Transienten abrundet. Gleichzeitig erhöht sich dadurch die Lautheit des Signals. Bei dynamischen Quellen verhilft dieser Effekt mitunter zu einem kompakten, aufgeräumten Klangbild. Soweit die Theorie, kommen wir zur Praxis.
Wir schicken unterschiedliche Signale vom Gesang bis zum Schlagzeug durch das TwinTube-Plug-in, um uns einen dezidierten Eindruck des Röhreneffektprozessors zu machen. Schnell ist klar: Es besteht Suchtgefahr. Gleichwohl auch Vorsicht geboten ist, die Effekthascherei nicht zu übertreiben, denn schnell gerät im Eifer des Gefechts eine Akustikgitarrenaufnahme etwas zu spitz und vordergründig oder der Gesang durch den Sättigungs-Effekt einen Ticken zu angeraut. Wie so häufig ist weniger auch hier mehr und ständige A/B-Vergleiche, durch Klicken auf den Power-Button, sind grundsätzlich wärmstens zu empfehlen. Sehr hilfreich in diesem Zusammenhang sind die vier belegbaren Preset-Buttons (A, B, C und D). Ist eine Einstellung für A gefunden, empfiehlt es sich weitere Varianten für Button B und C einzustellen. Mit einem Klick lässt sich dann zwischen den Presets umschalten und sehr gut entscheiden, welche Einstellung letztlich die beste ist. In puncto Benutzerfreundlichkeit erweist sich außerdem die Mausrad-Bedienung als guter Freund des Engineers. Sobald sich der Cursor über dem jeweiligen virtuellen Drehregler befindet, ist das Scroll-Rad der Maus aktiv und ermöglicht präzise Einstellungen. Das lässt sich durch gleichzeitiges Drücken der Strg/Ctr-Taste optimieren: Die Feineinstellung mit höherer Auflösung der Parameteränderung ist aktiviert.
Sehr gut gefällt uns der zurückhaltend edle Grundklang des Plug-ins, das dem guten Ruf des Herstellers alle Ehre macht. Dabei sei es mal dahingestellt, ob das Plug-in genauso klingt wie das analoge Vorbild. Fakt ist, dass es alle Signale sehr musikalisch und geschmackvoll veredelt und sehr stark an den Klang von analogem Röhren-Equipment erinnert. Zunächst wenden wir nur den Algorithmus zur Bearbeitung des Obertonspektrums auf einen Vocaltrack an, was angenehm vordergründige und frische Klangveränderungen hervorruft. Die Stimme der Sängerin bekommt mehr Profil und wirkt zunehmend geschärft. Dabei wählen wir die Stellung der Harmonic-Switches so, dass die Centerfrequenz bei sechs Kilohertz liegt. Je mehr wir jetzt den Harmonics-Regler aufdrehen, desto präsenter, frischer und profilierter gerät der Gesang. Dabei sind die Veränderungen, gerade im Vergleich zu einem Equalizer, anfangs sehr subtil und zurückhaltend, münden aber in einem heftigen Obertonkonzert.
Bei Akustikgitarren- oder Schlagzeugaufnahmen überzeugt uns die Einstellung mit einer Centerfrequnez von zehn Kilohertz. Die Anschlaggeräusche der Klampfe kommen silbrig, wirken konturierter und schärfer. Ohne den klanglichen Charakter des Instruments grundsätzlich zu verbiegen, beginnt die Aufnahme zu strahlen – die Sonne geht auf. Besonders eindrucksvoll wirkt sich die Obertonbearbeitung auf die Plastizität und Räumlichkeit aus. Der Klangkörper gerät insgesamt griffiger und organischer. Das gleiche Phänomen zeigt sich bei den Schlagzeugaufnahmen: Die ¬Snare klatsch einem plötzlich ins Gesicht, Hi-Hat und Overheads zischen silbrig und der Raum öffnet sich zugunsten von Transparenz und Durchsichtigkeit. Die Aufnahme bekommt dadurch mehr Luft zum Atmen. Ein guter Schuss Röhrensättigung bringt zusätzlich etwas mehr Druck ins Spiel. Leicht komprimiert und angeraut wirken die Drums aufgeräumter und insgesamt größer. Allerdings scheint uns der Sättigungseffekt etwas harscher als bei analogem Equipment, was uns dazu bewegt, den Saturation-Regler sehr vorsichtig einzusetzen und die Sättigung subtil im Hintergrund wirken zu lassen.
Richtig spannend wird es, als wir mit den unterschiedlichen Centerfrequenzen für die Obertonbearbeitung herumexperimentieren. Durch die jeweiligen Veränderungen des Obertonspektrums kommen ungeahnte Klangfarben des Ausgangssignals zum Vorschein. In Kombination mit der Röhrensättigung lassen sich – wir wagen uns aus dem ersten Drittel des Saturatio-Regelbereichs heraus – mitunter auch sehr gewagte Fuzz-Sounds für Bässe oder rotzige E-Gitarren-Tracks erzeugen.
Fazit
Das TwinTube-Plug-in von SLP ist ein edler Klangprozessor, der von subtilen Eingriffen in das Obertonspektrum bis hin zu harschen Röhrenverzerrungen große klangliche Vielfalt bietet. Neben seinem hohen klanglichen Niveau mit überzeugendem Analog-Sound, punktet das Plug-in außerdem durch die praxisgerechten Preset-Buttons und die komfortable Mausradbedienung.
Erschienen in Ausgabe 03/2009
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 238 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut
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