Sounds am laufenden Band
Ableton geht mit den schwedischen Emulationsspezialisten von Softube eine viel versprechende Liaison ein. Ergebnis des Software-Techtelmechtels ist der proprietäre Effekt Amp/Cabinet, der das üppige Soundangebot für die Live-Software munter aufpeppt.
Von Michael Nötges
„Natürlich geht es letztendlich um Verstärker-Simulationen“, erklärt uns PR-Manager Ralf Kleinermanns zur neuen Effekt-Erweiterung von Ableton Live, „aber die neue Amp-Engine bietet mehr als das und eignet sich bei weitem nicht nur für Gitarren- und Bass-Signale.“ Das liegt wohl im Wesentlichen daran, dass Ableton dem Amp-Effekt neben sechs legendären Gitarrenverstärkern, einem Bass-Amp, sowie sechs Cabinet- und zwei Mikrofon-Simulationen auch noch eine Vielzahl von vorgefertigten Audio-Effekt-Racks spendiert hat. Viele Ableton-User sind Live-Performer oder DJs, die nicht unbedingt ein Instrument spielen, mit der neuen Amp-Engine aber eine ganze Reihe interessanter Effekte an die Hand bekommen. Wer Ableton Suite 8 besitzt, muss bloß auf die Version 8.2 upgraden, um im vollen Umfang Zugriff auf die Effekte zu haben. Ansonsten – Voraussetzung ist Ableton Live 8.2 – kostet das Paket im Downloadstore 99 Euro. Nur damit es zu keinen Irritationen kommt: Amp läuft nur im Zusammenhang mit der Sequenzer-Software Ableton Live und lässt sich nicht wie andere Emulations-Plug-ins in jede x-beliebige DAW einbinden oder etwa stand-alone nutzen. Streng genommen handelt es sich bei der Effekt-Erweiterung um zwei Plug-ins. Zu der Amp-Instanz muss nämlich – sollen authentische Gitarrensounds entstehen – noch das Cabinet-Pendant zur virtuellen Mikrofonierung einer Box geöffnet werden.
Wer das für umständlich hält, hat nicht verstanden, worum es Ableton geht: Nämlich die Aufstockung praxistauglicher Effekte. Der große Vorteil dieser Teilung ist, dass beispielsweise ein Rhodes-Signal lediglich mit einem Cabinet-Effekt versehen werden kann, weil es dann den klanglichen Vorstellungen des Users genügt. Die GUIs beider Effekt-Einschübe sind Ableton-Live-like eher funktionell als besonders originell. Die einzige grafische Dreingabe ist eine stilisierte Amp-Head-Skizze, die auf die zugrundeliegenden Gitarren-Amps verweist. Fotorealistische GUIs wie bei Softubes FET-Compressor-Plug-in (Test, Ausgabe 4/2009) oder dem Tube-Tech CL 1B-Klon (Test, Ausgabe 2/2010) gibt es nicht. Das mag den ein oder anderen GUI-Ästheten und Softube-Fan enttäuschen, spart aber Ressourcen, deren Schonung gerade im Live-Betrieb von entscheidender Bedeutung ist. Eingefleischte Gitarristen wissen spätestens bei der kurzen Beschreibung des jeweiligen Amps – genaue Angaben sind aus rechtlichen Gründen verboten – um welches Verstärkerschätzchen es geht. Hinter dem „Clean“-Amp verbirgt sich der Brilliant-Modus eines Vox AC30 aus den 1960er Jahren, wie bereits das typische Rautenmuster des skizzierten Amp-Heads vermuten lässt. Die „Boost“-Alternative entspricht dem Tremolo-Kanal der britischen Verstärkerlegende. Hinter dem „Blues“-Setup verbirgt sich – wie könnte es anders sein – ein Fender Twin aus den 1970-er Jahren, der mit seinem typischen Chime, Country-, Rock- und Blues-Freunde anfixen soll. Wobei sich der Zwilling auch für Rhodes- und Synthie-Sounds hervorragend eignet. Das „Rock“-Top entspricht einem Marshall Plexi Superlead von 1959 und hinter der „Lead“- und „Heavy“-Emulation stecken der Modern- und Vintage-Kanal eines Mesa Boogie Rectifiers. Die einzige Bass-Amp-Simulation ist ein Hiwatt-Modell aus den 1970er Jahren, der vor allem wegen seines satten Fundaments und der typischen Verzerrung bei hohen Lautstärken beliebt ist. Bei der Auswahl der unterschiedlichen Verstärkermodelle wechselt vordergründig die Verstärkergrafik, während die Engine im Hintergrund für die jeweiligen Soundcharakteristika sorgt. Auch wenn die realen Amps über unterschiedliche Regler verfügen, bietet das immer gleiche Effekt-Fenster, identische Regelmöglichkeiten: Gain bestimmt die Lautstärke der Eingangsverstärkung und den Grad der Verzerrung durch die Eingangsstufe. Der Volume-Regler justiert am anderen Ende der Signalkette die Lautstärke der Ausgangs- oder Endstufe. Dazwischen liegen ein Drei-Band-Equalizer (Bass, Middle, Treble) zum Anpassen des Sounds sowie ein Presence-Regler, der für mehr Biss- und Durchsetzungskraft sorgt. Im Dual-Modus arbeitet der Effekt im Stereobetrieb, was zu doppelter CPU-Belastung führt. Der Dry/Wet-Regler bestimmt das Verhältnis zwischen originalem und bearbeitetem Signal. Federhall, zusätzliche Effekte oder minutiöse Parametereinstellungen zur Röhrenbestückung oder anderen technischen Detailfinessen gibt es nicht. Das hat den Vorteil, dass der Effekt sehr intuitiv zu bedienen ist, rüttelt aber ein wenig an der Usability und klanglichen Flexibilität. Allerdings muss keineswegs auf Effekte verzichtet werden, denn Ableton Live 8 bietet eine ganze Armada an Effekten, weshalb die Entwickler auch auf überflüssigen Schnickschnack im eigentlichen Amp-Modul verzichtet haben.
Ein Blick auf die nicht enden wollende Liste der Audio-Rack-Effekte, die findige Soundtüftler speziell für authentische Gitarren- und Basssounds aber auch extreme FX-Klänge zusammengebastelt haben, entschädigt für die kurze Ernüchterung über die spartanische Ausstattung des eigentlichen Amp-Effekts. Dieser liefert den Grundsound. Den Rest – vom Kompressor bis zum abgedrehten Bit-Crusher ist alles dabei – liefert Ableton Lives üppige Effektsammlung. Wie im richtigen Leben klingen die Verstärker-Emulationen – das können sie schließlich bei aller Effekthascherei auch – erst mit einer entsprechenden Box und den passenden Lautsprechern authentisch. Dafür bietet der Cabinet-Effekt die Emulation einer 1×12-, 2×12-, 4×12-und 4×10-Box sowie ein weiteres Cabinet mit vier Zehn-Zoll-Speakern als Bassvariante. Für die virtuelle Mikrofonierung stehen drei Varianten zur Auswahl: On-Axis und Off-Axis für die Nahmikrofonierung sowie die Einstellung „Far“, was den Einsatz eines Raummikrofons simuliert. An Mikrofonen steht die Emulation eines Kondensatormikrofons – etwas frischer und schlanker – und alternativ ein dynamisches Mikrofon – rauer und fetter – zur Verfügung. Auch der Cabinet-Effekt verfügt über den bereits erwähnten Dual-Modus. Im Vergleich zu den Amp-Simulations-Flaggschiffen wie Amplitube 3 (Test Ausgabe 5/2010) von IK Multimedia oder Native Instruments Guitar-Rig 4 Pro (Test, Ausgabe 2/2010) sind die Parameter zur Klangbeeinflussung bescheiden. Eine opulente Mikrofonsammlung, virtuelle Stereo-Mikrofonierung im Raum sowie die Auswahl von offenen und geschlossenen Cabinets oder gar die sehr ins Detail gehende Beeinflussung der Membranverzerrungen sucht man vergebens. Aber: Man kommt auch gar nicht in die Verlegenheit zu suchen, denn die Qual der Wahl ist schnell überwunden. Zumindest, wenn man zunächst nicht in die Trickkiste von Ableton Live 8 greifen möchte. Die Effekt-Racks sind nämlich prall gefüllt und bieten unzählige Parameter zur Soundmanipulation. Es geht nicht nur um die Eins-zu-eins-Abbildung eines Originals, sondern vielmehr um das kreative Erstellen neuer Sounds. Amp- und Cabinet-Effekt machen klanglich eine sehr gute Figur. Die Grundsounds der Emulationen klingen authentisch und weitestgehend natürlich. Wobei die Sounds der Twin- und AC30-Emulation manchmal etwas unorganisch und zurückhaltend kommen, was mit einer Portion Gain oder dem Einsatz des Saturators (Bandsättigungs-Effekt in Live 8) problemlos auszuräumen ist. Die Grundcharakteristik ist allemal gut getroffen. Sehr gut gefallen uns die Rectifier-Simulationen, wenn es um Sounds der härteren Gangart geht. Mit etwas Kompression, ein wenig Hall und einem leichten Delay versehen, fliegen uns die gespielten Solo-Passagen mit frischen und durchsetzungsstarken Höhen geschmackvoll um die Ohren. Aber auch das trockene Rhythmus-Brett kommt sehr satt, besonders wenn ein 4×12-Cabinet und das dynamische Mikrofon (Off-Axis) gewählt sind. Die Plexi-Simulation kommt ehrlich und überzeugend und besonders bei aufgedrehtem Gain, einer 4×12-Box mit Kondensatormikrofon (On-Axis) steht authentisch trockenen AC/DC-Riffs nichts mehr im Weg. Die Emulationen taugen also schon mal zur authentischen Amp-Nachbildung. Wobei Verstärker-Fetischisten die unzähligen Details fehlen werden, um beispielsweise auch den Alterungszustand einer Lautsprechermembran bis ins Kleinste simulieren zu können. Versteht man die beiden Module aber neben ihrem Simulationstalent originaler Amps als vielseitige Effekte, um den Klang anzudicken, zu verzerren oder anzuheizen, eröffnet sich eine ganz neuer Blickwinkel. Beispielsweise lassen sich Drum-Gooves geschmackvoll anfetten und schärfen, wenn der Blues-Amp leicht hinzu gemischt wird. Effektvolle Industrial-Loops entstehen bei Rectifier-Vollverzerrung und der „Far“-Mikrofonierung. Legt man diesen extremen Effekt auf einen der Send-Wege und regelt ihn dem originalen Loop leicht bei, kommt der Groove mächtiger und dreckiger, ohne seinen natürlichen Charme zu verlieren. Bei Vocals oder Synths funktioniert das Anschmutzen übrigens auch sehr gut. Der Kreativität – das unterstreicht natürlich das Konzept von Ableton Live – sind keine Grenzen gesetzt und erlaubt ist, was gefällt und gut klingt oder aber eben gerade völlig trashig erscheint – wenn es denn so gewollt ist. Genau wie im realen Studioleben.
Erschienen in Ausgabe 11/2010
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 99 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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