Von Georg Berger

Und weiter geht die wilde Fahrt bei Izotope in Sachen Kreativ-Effekte. Kaum, dass der amerikanische Software-Hersteller mit dem DDLY- und Möbius-Filter-Plug-in (Test im letzten Heft) um die Ecke lugte, holt er schon zum nächsten Paukenschlag aus. Mit dem rund 200 Euro kostenden Vocal Synth präsentiert die Software-Schmiede ein Multieffekt-Plug-in, das sich primär um das kreative Verfremden von Sprach- und Gesangssignalen kümmert. Als Mischform aus Effekt und virtuelles Instrument kann oder muss Vocal Synth dabei auch mit Hilfe eines MIDI-Keyboards angesteuert werden. Roboterstimmen, seltsam gepitchte Harmonie-Sätze, eigentümlich verfremdete Talkbox-Spektren und auch digitale Glitch-/Zerhacker-Effekte sind möglich. Der Hersteller verspricht mit Hilfe von Vocal Synth im Handumdrehen Stimmen-Effekte zu erzeugen, wie sie von Stücken wie „Around the world“ von Daft Punk, „Intergalactic“ von den Beastie Boys und Peter Framptons Album-Klassiker „Frampton comes alive“ bekannt sind sowie natürlich auch die sattsam bekannten Stimmen-Effekte von Kraftwerk.

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Vier Sub-Prozessoren versammeln sich auf der Oberfläche, die über lediglich drei beziehungsweise vier Parameter einstellbar sind. Hinzu kommt jeweils eine Ausklapp-Liste zum Auswählen verschiedener Presets und Sounds, die das Ergebnis maßgeblich beeinflussen. Während der Vocoder die typischen Roboter-Stimmen und singenden Synth-Pads erzeugt indem ein wählbares Carrier-Signal – hier: diverse Synthesizer-Wellenformen – vom Stimmklang moduliert wird, sorgt die Polyvox-Abteilung für ein mehrstimmiges Harmonisieren mit Hilfe von Pitch Shiftern. Talkbox emuliert den eigentümlich hohlen Klang der gleichnamigen Hochtöner-Box, an die ein Plastikschlauch angeschlossen ist und über den mit Hilfe der Mundhöhle formantartige, synthetisch anmutende Sounds erzeugt werden. In den 70er Jahren wurde dies zumeist mit Gitarren-Signalen realisiert. Vocal Synth bietet aber noch weitere Sounds. Vierter Prozessor im Bunde ist die CompuVox-Sektion, die herrlich kaputte Computer-Stimmen billiger Sprach-Chips erzeugt. Diesen vier separat aktivierbaren Prozessoren, die über einen kleinen zentralen Mixer in der Lautstärke justierbar sind, ist noch eine zuschaltbare Tonhöhenerkennung und -korrektur vorgeschaltet, die für ein Zurechtrücken der Tonhöhe in Echtzeit sorgt. Dies kann wahlweise über eine frei bestimmbare Skala/Tonart und über ein dreistimmiges, frei bestimmbares Akkord-Voicing im zentralen Mixer oder mit Hilfe eines MIDI-Keyboards on the fly geschehen. Der berüchtigte Cher-Effekt ist damit in Extremstellungen ein Klacks. Fünf weitere, separat aktivierbare und per Mix-Regler anteilig regulierbare Effekte sorgen am Ende der Signalkette für ein weiteres Veredeln und/oder Verfremden des bereits prozessierten Signals. Distortion, Filter und Delay sind selbsterklärend. Hinter dem Transform-Effekt verbirgt sich ein Faltungs-Prozessor, der den Sound diverser wählbarer Lautsprecher oder Verstärker auf den Klang aufprägt. Die Shred-Sektion ist am ehesten als Noise-Gate-artiger Zerhacker-Effekt umschreibbar, der allerdings auf das DAW-Tempo synchronisiert ist und reizvolle rhythmische Pattern erzeugt. Als zusätzliches Schmankerl lässt sich schließlich die rudimentäre Spektrums-Anzeige oben in der Mitte des GUI gegen eine XY-Matrix austauschen über die sich schließlich dynamisch zwei beliebig wählbare Parameter geschmeidig ändern lassen.

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Im Test können wir den Vocal Synth auf drei Arten einsetzen. Dabei wird das Plug-in als Effekt logischerweise in die Spur eingesetzt, dessen Signal entsprechend verfremdet werden soll. Im Auto-Modus überlassen wir Vocal Synth das Analysieren der eingehenden Tonhöhe auf dessen Basis schließlich Harmonien und Effekte erzeugt werden. Im MIDI-Modus senden wir mit Hilfe eines Keyboards die gewünschten Toninformationen, Melodien und Akkorde an Vocal Synth, um entsprechend harmonisch lebendige Klangverläufe zu erzeugen. Schließlich werden die internen Klangerzeuger – hier: im Vocoder, der Talk Box und dem CompuVox-Modul – im Sidechain-Modus deaktiviert und stattdessen externes Audio-Material ins Plug-in gespeist, das über die verfügbaren Parameter und Sub-Prozessoren transformiert wird.
Das Setup für die beiden letztgenannten Anwendungsfälle geschieht dabei denkbar einfach. In Cubase müssen wir die VST3-Version des Plug-ins auf den Vocal-Track insertieren. Zusätzlich erzeugen wir eine MIDI-Spur die im Ausgang den Vocal Synth besitzt. Jetzt schalten wir im Vocal Synth auf den MIDI-Modus und schon können wir über das Keyboard die internen Synthesizer des Izotope-Effekts ansteuern. Im Sidechain-Modus werden schließlich zwei Audio-Spuren benötigt. In die erste insertieren wir das Vocal Synth-Plug-in. In der zweiten Spur erzeugen wir einen Postfader-Send, der auf den Sidechain von Vocal Synth geroutet ist. Wir ziehen den Volume-Fader der zweiten Spur nach unten, aktivieren im Vocal Synth den Sidechain-Modus und schon wird das Signal der zweiten Spur als Carrier-Signal in den Izotope-Effekt geleitet.
Im Hör- und Praxistest haben wir den Vocal Synth, nicht zuletzt dank der überschaubaren Ausstattung, bereits nach kurzer Zeit erfasst. Dabei ist es eine wahre Freude noch ohne Einsatz der Effekte am Ende der Signalkette an den einzelnen Parametern und Sub-Prozessoren zu drehen und sich von den daraus resultierenden Effekten überraschen zu lassen. Die per Ausklappliste wählbaren Sounds in den Prozessoren sind klug gewählt und fallen ohne Wenn und Aber praxisgerecht aus. Der Grundsound fällt durch eine angenehme Wärme positiv auf. Rauschen und digitale Artefakte sind nicht hörbar, respektive nur dort vorhanden, wo sie erwartet werden. Selbst beim Einstellen harscher Spektren und Modi klingt nichts bissig. Wohldosiert eingesetzt sorgen wir für ein subtiles Anfetten der Stimme, wobei die Polyvox-Sektion wahre Wunder wirkt. Die weiteren drei Prozessoren liefern in klanglich-charakteristischen Abstufungen synthetische Spektren, die irgendwie alle nach Vocoder klingen, aber dennoch ihren ganz eigenen klanglichen Fingerabdruck besitzen. Besonders hervorstechend ist im Test die CompuVox-Sektion, mit der sich Signale bis zu Unkenntlichkeit dekonstruieren lassen. Izotope hat dabei gut daran getan, jede Sektion via Fader anteilig in der Lautstärke regulieren zu können. Denn bei Einsatz aller vier Sektionen entsteht nur allzu leicht klangliches Chaos. In dem Zusammenhang darf auch nicht verhehlt werden, dass der Vocal Synth einiges an CPU-Ressourcen verlangt. Hierbei gilt: Je weniger Prozessoren aktiv sind, desto weniger CPU ist nötig. In der Praxis kommen wir schon bestens nur mit einem oder zwei Prozessoren aus, um klangliche Würze auf Vocal-Tracks zu legen. Die fünf abschließenden Effekte liefern schließlich noch das letzte i-Tüpfelchen. Obwohl primär für Vocals gedacht, heißt das noch lange nicht, dass der Vocal Synth nicht auch auf anderen Signalen verwertbare Ergebnisse bringt. Ausprobieren lautet die Devise. Im Test verwandeln wir eine trockene E-Bass-Linie in ein angenehm brummendes Synth-Pad und Drums erhalten ordentlich Schärfe und Biss unter Zuhilfenahme des CompuVox-Prozessors. Unterm Strich bleibt eine kinderleichte Bedienung, die ein hohes Inspirations-Potenzial besitzt und mit der eine enorme Bandbreite an exzellent klingenden, charakteristischen Effekten realisierbar sind.