Von Georg Berger
Der israelische Software-Hersteller Waves war wieder einmal in den Abbey Road Studios zu Gast, um die dort installierte historische Hardware zu analysieren und anschließend in Form exakt emulierter Plug-ins auf die virtuelle Ebene zu portieren. Nach der REDD-Mischpult-Emulation, dem RS56-EQ, der J37-Bandmaschinen-Emulation und dem legendären ADT-Effekt (Tests in den Heften 03/2013 und 04/2014) stehen im Zentrum des jüngsten Wurfs der Abbey-Road-Serie gleich vier Hallplatten, die nach wie vor ihren Dienst verrichten. Genauer gesagt, handelt es sich um vier Modelle des Typs 140 des deutschen Herstellers EMT. Das Besondere an diesen Platten sind dabei die Ein- und Ausgangs-Verstärker, die mit ihren Eigenschaften in Bezug auf Nebengeräusche und Verzerrungen die Hallplatten in ihrem Klang entsprechend beeinflussen. Die vier Platten wurden 1957 als Alternative zu den Hallkammern angeschafft. Das EMI Central Research Lab modifizierte schließlich die Ein- und Ausgangsstufen der Platten mit eigens entwickelten Verstärker-Stufen in hybrider Transistor-/Röhren-Technik, um primär für eine Verbesserung des Rauschabstands zu sorgen. Die ersten drei Platten – der Einfachheit halber einfach A, B und C genannt – wurden damit ausgerüstet. Die vierte Platte – D – kommt hingegen mit reinen Röhrenstufen am Ein- und Ausgang daher. Bedingt durch Abweichungen hinsichtlich Materialqualität und Fertigung – etwa der Aufhängung der Stahlplatten mittels Federn – besitzt jede der vier Hallplatten verschiedene klangliche und technische Eigenschaften. Insofern erhält der Anwender schon einmal eine Menge geboten. Überdies wurden diese Platten für eine Vielzahl von Produktionen im Rock-, Klassik- und Filmmusik-Bereich eingesetzt, so etwa für die Alben der Beatles und ganz prominent in Pink Floyds „Dark side of the Moon“-Album. Klanglich sollte das Plug-in also sehr vertraut daherkommen. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Ausstattung und Bedienung: Das in allen üblichen Schnittstellenformaten vorliegende Plug-in besitzt in der oberen Hälfte die graphische Reproduktion einer offenen Hallplatte, die links und rechts davon mit LED-Meter-Ketten eingerahmt wird. Diese Ansicht lässt sich aus Platzgründen auch einklappen, so dass nur noch die Bedienelemente der unteren Hälfte sichtbar sind. Massige Fader zum Einstellen der Ein- und Ausgangs-Lautstärke finden sich links und rechts außen. Über ein massiges Metall-Rad kann zwischen den vier Platten umgeschaltet werden. Damper erlaubt das Einstellen der Nachhallzeit wahlweise über die grünen Taster oder durch Verschieben der roten Anzeigenadel im Display. Die Skala entspricht übrigens nicht der tatsächlichen Halldauer, nicht zuletzt weil jede Platte eine individuelle Dauer besitzt. Waves gibt die Maximal-Halldauer übrigens mit rund sechs Sekunden an. Weiter geht’s mit einem Höhenshelf bei vier Kilohertz und einem Hochpass-Filter mit drei Festfrequenzen zwischen 100 bis 1.000 Hertz. Der Pre-Delay- (bis maximal 500 Millisekunden) und Mix-Regler spricht für sich selbst. Mit Hilfe von Drive wird das Verzerrungsverhalten der Ein- und Ausgangsstufen dynamisch hinzugemischt. Der Analog-Regler fügt schließlich Nebengeräusche wie Zischen und tieffrequentes Brummen hinzu, um dem Ganzen bei Bedarf eine gehörige Portion Vintage-Charakter zu verpassen. Als besonderes Schmankerl, kann im Stereo-Betrieb via Crosstalk-Fader ein Übersprechen simuliert werden.
Im Test ist der Abbey Road-Hall bereits nach kurzer Zeit souverän bedienbar. Klanglich offeriert das algorithmische Hall-Plug-in eine breite Palette an Plattenhall-Sounds, die durch die Bank gefallen und im Test tatsächlich sehr vertraut klingen, so als ob man seinen in die Jahre gekommenen Lieblings-Pullover anzieht, in dem man sich am wohlsten fühlt. Die A- und D-Platte erzeugt bei Gleichstellung der Parameter den größten und wuchtigsten Raum, wobei die D-Platte im Vergleich zu allen anderen sehr dunkel und bassstark daherkommt. Die C-Platte klingt hingegen luftig, leicht und kommt mit der kleinsten Raumsimulation. Die B-Platte positioniert sich in der Mitte zwischen A und C. Sie besitzt hörbar und ausbalanciert sowohl luftige Höhen, als auch prominente Tiefmitten. Mit Hilfe des Drive-Reglers lässt sich im Test das Hall-Signal hörbar anfetten und rauer gestalten. Zusätzlich stellt sich ab der 14-Uhr-Position eine Kompression ein, die klanglich durchaus gefällt. Höhen- und Bass-Parameter tragen das Übrige zum Ausformen des Hall-Sounds bei, wobei der Basscut, im Gegensatz zum Treble, eher subtil ans Werk geht. Wohldosiert eingesetzt, sorgen die Platten für ein klanglich angenehmes Vergrößern der Signale, wobei der Raum als solches fast nicht wahrgenommen wird. Am Ende klingt alles stets größer, schöner und auf eigentümliche Weise prominent in Szene gesetzt. Insgesamt verdient der Hall-Sound in jeder Hinsicht das Prädikat Spitzenklasse. Allerdings gibt es auch einen dicken Minuspunkt: Im Test beansprucht der Waves-Hall satte 50 Prozent CPU-Last auf einem Rechner mit vier Kernen. Das ist so nicht hinnehmbar und wird viele Anwender, so sie denn keine Rechner mit acht Kernen besitzen, vom Kauf abhalten, was schade ist. Wir hoffen daher auf baldige Nachbesserung, denn in Sachen Sound ist das Waves Plug-in Top und braucht als direkten Konkurrenten höchstens die EMT 140 Simulation von Universal Audio zu fürchten, die im Grundsound eher fein, subtil und nicht im gleichen Maße vordergründig und warm daherkommt wie das Waves-Pendant.
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