Fit für die Gegenwart?
Reif für die Zukunft?

Professional audio hat sich für Sie auf der großen Broadcast-Messe IBC 2016 im malerischen Amsterdam auf die Suche nach neuen Trends, Lösungen und Entwicklungen gemacht.

Von Sylvie Frei
Vom 8. bis zum 13. September öffnete die IBC, ihres Zeichens die größte europäische Messe im Broadcasting-Bereich, in der beschaulichen Grachtenstadt Amsterdam ihre Tore. Auch wenn das Thema „Audio“ nur ein kleiner, wenn auch bedeutender Bruchteil des riesigen Konferenz- und Ausstellungsprogramms war, haben wir uns auf der IBC für Sie umgesehen und einen Blick auf die relevanten Themen geworfen, welche die Broadcast-Branche und verwandte Branchen derzeit am meisten umtreiben. Der Ausstellungsteil der Messe fand bei strahlendem Spätsommerwetter vom 9. bis 13. September im riesigen, modernen Messegelände RAI in Amsterdam Zuid statt, während der Konferenzteil bereits vom 8. bis zum 12. September leicht zeitversetzt in der gleichen Location abgehalten wurde. Die Mess-Öffnungszeiten sind in Holland deutlich beschaulicher als in Deutschland, wo es meist schon um 9 Uhr los geht. Die IBC öffnet täglich nur von 11 bis 18 Uhr. Eingeteilt wurden die insgesamt 15 Messehallen des Geländes in die Rubriken Creation, Management und Delivery. Der Pro Audio-Aussteller konzentrierte sich insbesondere auf die Hallen 7 und 8, die unter den Kategorien Management und Creation belegt waren.

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Die großen Themen der Messe überraschen kaum, wenn wir einen Blick zurück auf die Entwicklung der Medienlandschaften in den letzten sagen wir 15 Jahren werfen: Die digitale Revolution, neue Medien, das immer weiter boomende Internet und die optimierte Mobil-Technologie haben die klassischen Medien – auf der IBC vor allem Radio und Fernsehen – längst in ihren Grundfesten erschüttert. Den Medienvertretern ist völlig klar: Nichts wird jemals wieder sein, wie es einmal war. So waren viele professionelle Messeteilnehmer auf der Suche nach neuen, Geld-bringenden Konzepten in einer Online-Landschaft, die überwiegend von den großen Platzhirschen Amazon, Apple, Facebook und Google regiert wird. Wie viel Kooperation von diesen Giganten zu erwarten ist, sodass die Medienlandschaft online weiterhin bunt und vielfältig bleibt und nicht nur den Monopolisten selbst Geld einbringt, ist abzuwarten.
Aber der technische Fortschritt macht sich auch anhand anderer Themen bemerkbar, allen voran am Thema „Networking und IP“, welche den Workflow im großen Broadcast-Zusammenhang in letzten Jahren regelrecht revolutioniert haben. Das blitzschnelle Übertragen von Video-, Audio- und Steuer-Signalen über ein LAN-Netzwerk macht das Ethernet zu dem Tool schlechthin für den Broadcast-Bereich. Die Tendenz blieb auch dem Pro Audio Studio-Anwender nicht verborgen, bieten doch immer mehr Hersteller Interfaces mit Networking-Option an, sei es etwa die AVB-Serie von Motu oder Focusrites Rednet-Serie, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ein einheitlicher Standard für das Übertragungs-Protokoll wurde noch immer nicht etabliert – momentan existieren diverse Formate nebeneinander her. Dementsprechend viel Bewegung ist bei der Entwicklung und dem Standard-Wettrennen der Hersteller weiterhin zu erwarten. Auf der Messe fanden sich bereits zahlreiche Lösungen für Switches und andere Technologien, um den vernetzten Workflow – Protokoll unabhängig – so unkompliziert und effizient wie möglich zu gestalten.

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Wenn künftig immer höhere Datenraten in immer kürzerer Zeit übertragen werden und auch die Geräte der Endverbraucher immer leistungsfähiger mit gestreamten Daten umgehen können, gleichzeitig immer mehr schnelle Internetverbindungen zur Verfügung stehen, werden auch immer höher auflösende Daten-Formate übertragbar. Wurde noch vor weniger Jahre ein regelrechter Hype ums HD-Fernsehen und -Streaming angezettelt, ist das heute längst kalter Kaffee. 4K, UHD und unterschiedlichste Mehrkanalsound-Systeme sind mittlerweile die Antworten auf die Frage nach hochfeiner Video- und Audio-Qualität. Auch 3D und virtuelle Realität spielen eine immer größere Rolle bei der Produktion fürs Kino, das Wohnzimmer der Konsumenten oder die Mobil-Lösung für unterwegs.

Abgesehen von diesen Entwicklungen präsentierten die Pro Audio- und auch Pro Video-Hersteller auf der IBC in erster Linie portable, leicht zu bedienende und robuste Produkte, die Audio- und Video-Recording effizient Situations- und Workflow-gerecht aufzeichnen lassen. Klassische Audio for Video-Produkte, wie immer kleinere und unauffälligere Lavalier-Mikrofone, Funksysteme, Broadcast-Mixing-Lösungen sowie Zubehör und Software rund um die Produktion wurden ausgestellt.
Neben den neuesten High-End-Profi-Geräten waren auch zahlreiche Produkte zu sehen, die es auf den Konsumenten, der heute mehr denn je selbst Gestalter von Online-Medien ist, abgesehen haben. Portable Audio-Lösungen, die sich mit dem Mobil-Telefon oder einer DSLR-Kamera nutzen lassen, sind noch immer gefragt. Dazu zählt beispielsweise das Stereo-Doppel-Richtrohrmikrofon MKE 440 von Sennheiser, ein DSLR-Mic, das wir bereits auf der Musikmesse als Prototyp bewundern durften und das im kommenden Heft in unserer Professional video-Sektion getestet wird.

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Ganz nah an unserem in den vergangenen zwei Ausgaben angesprochenen Thema „Raumoptimierung“ ist der Hersteller Trinnov angesiedelt. Das Unternehmen bietet schon seit etlichen Jahren digitale Hardware-Monitoring-Lösungen, die sich komfortable per Messmikrofon auf die Räumlichkeit einmessen lassen und die Hörbedingungen für eine oder mehrere Hörpositionen im Raum optimieren, indem der durch Raumeinflüsse gestörte Frequenzgang linearisiert wird. Das ist tatsächlich eine Produktkategorie, die für den Broadcast-Bereich genau so interessant ist wie etwa für ein Mastering-Studio. Ein entsprechender Test oder ein Report zu einem Studio, das eines der Trinnov-Systeme in der Praxis anwendet, folgt in einem der kommenden Hefte.

Natürlich kamen auch Vorträge und Produkt-Präsentationen auf der IBC nicht zu kurz. Wir haben uns in Halle 7 eine Weile in das Publikum der Referenten am Adobe-Stand gemischt. Während Adobe Premiere Pro CC neben dem Avid-Gigant Mediacomposer längst zum ernstzunehmenden Player im Video-Schnitt-Bereich aufgestiegen ist, durften wir im Rahmen der Vorträge Jason Levines und Mike Russels mehr über die neuesten Tools der zumindest im Studio-Bereich weniger bekannte Adobe Postproduction- und Audio-Editing Software Audition erfahren. Diese erlaubt selbstverständlich einen noch tieferen Eingriff auf der Audio-Ebene als die Premiere -Bordmittel. Die neuesten Detailoptimierungen befassen sich vor allem mit der Beschleunigung des Workflows bei repetetiven Aufgaben wie etwa dem Reinschnitt von Recording-Material – ein Thema, das wir sicherlich anhand einer Marktübersicht für Audio-Editingwerkzeuge oder einen speziellen Workshop zum Thema Audio-Aufbereitung für Videoanwendungen noch einmal aufgreifen.

dsc_6484Resumée unseres Messebesuchs: Amsterdam bietet mit der IBC eine großes, buntes, weltoffenes Forum zu allen relevanten Themen, welche die Broadcast-Szene derzeit bewegen. Für reine Pro Audio-Anwender im Studiobereich zählt die Messe sicherlich nicht zu den Haupt-Anlaufstellen, wenn es darum geht, sich über neue Produkte zu informieren. Natürlich wird dennoch eine Menge Hard- und Software vorgestellt, welche die Schnittmenge zwischen Broadcast-, Live- und Studio-Audio abdecken. Ganz anders sieht es natürlich für Leute aus, die auch im Live-, Video- oder gar direkt im Broadcast-Bereich tätig sind. Insgesamt ist die Messe jedoch vor allem, wenn es um die Reaktion der Hersteller auf die Umwälzung im Medienbereich geht, hoch spannend. Viele Fragen stehen noch offen, viele Dinge sind noch im Umbruch. Werden die einst etablierten Medien-Anbieter das Wettrennung um die Konsumentengunst gewinnen können? Welche technischen und auch inhaltlichen Instrumente sind nötig, um im von Content unterschiedlichster Urheberschaft regelrecht überschwemmten Internet oder auch die alten Kanäle, Fernsehen und Radio, heute noch breitenwirksam Menschen zu erreichen und zu begeistern? Wohin führt das Wettrennen um immer höhere Auflösungen, immer mehr Geschwindigkeit und der zusehends immer vernetztere Arbeitsplatz der Medienmacher? Über mögliche Tendenzen, neue Modelle und innovative Ansätze werden sich die Gäste der IBC auch im kommenden Jahr in Amsterdam wieder austauschen. Der Termin, 14. bis 19. September 2017 im RAI-Messegelände in Amsterdam, steht schon fest. Wir finden, die beschauliche niederländische Großstadt mit ihren Grachten, historischen Gebäuden, tonnenweise Fahrrädern, Boten, Kneipen und Museen bietet für eine von Technik und Innovation strotzende Messe, wie die IBC, einen angenehmen, meditativen und in sich ruhenden Gegenpol. Der äußere Rahmen könnte nicht besser gewählt sein. Doch Achtung: Sollten Sie im kommenden Jahr zur IBC reisen wollen, beachten Sie das etwas merkwürdige Eintrittspreis-Konzept der Veranstalter. Früh Entschlossene, die sich schon mehr als vier Wochen vor der Messe online über die Webseite akkreditieren, kommen umsonst auf die Messe. Wer später handelt, zahlt fast schon unverschämte 100 Euro für den Eintritt.