Klaviertrio-Mixing à la Andrew

Weiter geht es mit Andrew Levine und seiner CD- und HD-Produktion des Klavier-Trios „Olivier Greif Ensemble“. Recording, Mixing und Mastering stehen diesmal auf der To-Do-Liste.

Von Andrew Levine (Fotos: Thibaut Baissac)

 

In der letzten Professional audio-Ausgabe bin ich schon ausführlich auf die Planung und Mikrofonierung meiner aktuellen Klaviertrio-Aufnahme mit dem Olivier Greif Ensemble, bestehend aus der Cellistin Anne-Elise Thouvenin, dem Geiger Jesus Jimenez Abril und der Pianistin Victoria Dmitrieva, eingegangen. Als Aufnahmeraum stand uns der wunderbar klingende Saal des Prins-Claus Conservatorium der Hanzehogeschool Groningen zur Verfügung.

Das große Plus für mich: nette Kollegen vor Ort, ein umfangreiches Sortiment von Mikrofonstativen, eine halbwegs vernünftige Kaffeemaschine und – bis zur letzten Session – eine gut gefüllte Kabelkiste. Einziges Manko: Fleißig übende Musikstudenten/innen, die gelegentlich die Türen der „Musizier-Zellen“ offen stehen lassen. Und immer mal wieder Percussionisten, bei denen selbst die geschlossene Schallschutz-Tür nicht ausreichend Dämmung bietet. Dennoch arbeite ich immer gerne in dem weiten, hellen Raum. Vielen Dank an die Schule!

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Eingespielt haben wir an insgesamt zwei Tagen fast 40 Minuten Musik:

Bloch – Drei Nokturnen
Turina – Piano Trio No 2
Debussy – Pelleas et Melisande

Letzteres ist ein sehr gelungenes Arrangement der Oper von Hubert Mouton, das die vielen Farben der Orchesterfassung überzeugend in das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten des reduzierten Klangkörpers transponiert. Es ist eines der Schmuckstücke aus einer ganzen Reihe von Bearbeitungen für Opern und orchestrale Werke für Klaviertrio, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Absicht angefertigt wurden, Opern und sinfonisches Repertoire einem größeren Publikum zugänglich zu machen…

Meine Mikrofonierung war nicht besonders aufwändig. Nach einer (Test-)Aufnahme von Faurés Klavier-Trio im letzten Jahr, bei der ich im Wesentlichen mit einem mittig platzierten Doppel-Bändchen-M/S sowie einem Omni direkt darüber gearbeitet habe, kamen diesmal eine Blumlein-Anordnung, eine Flügel-Stütze und vier relativ hoch aufgestellte Raummikrofone zum Einsatz.

Die Session

Am ersten Aufnahmetag, dem Samstag, nahmen wir uns ausschließlich den Bloch-Stücken an – sie sind verhältnismäßig einfach und gut geeignet, um sich warm zu spielen. Praktischerweise lassen sie sich in mehrere überschaubare Sektionen unterteilen, die sich relativ unkompliziert en bloc[h] aufnehmen lassen. Die ersten Takes liefen dann auch sehr zügig – bis zur ersten komplizierteren Passage. Da blieben wir etwas hängen.

Das passiert oft. Man startet und ist ganz überrascht, wie flüssig alles läuft. Dann kommt eine problematische Passage, wo einer der Musiker sich verhaspelt oder das Ensemble nicht so homogen musiziert, wie gewünscht. Dann folgt die Realisierung, dass so eine Aufnahme für die Ewigkeit, oder zumindest bis zum Erscheinen der nächsten CD die Qualität des Ensembles nach außen repräsentiert und dass die Aufnahmezeit limitiert ist. Kurz bricht Nervosität aus. Doch dann reißen sich alle wieder zusammen, und sobald die Passage „im Kasten“ ist, geht es mit dem Bewusstsein weiter, dass man eine Hürde erfolgreich genommen hat und auch die nächsten Klippen umschiffen wird.

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Der Aufnahme-Beginn war daher für alle Beteiligten recht erfreulich. Ungünstiger ist es, wenn es von Anfang an hakt und sich schon früh Frustration breit macht. Ganz schlecht, wenn der erste musikalisch wirklich ernstzunehmende Block ausgerechnet auf das Ende der Session fällt, wenn die Musiker/innen schon müde sind. Daher ist eine gründliche Aufnahmeplanung absolut essenziell. So wie auch Ausdauersportler sehr genau darüber nachdenken müssen, wie sie mit ihrer Energie haushalten, müssen auch Musiker mit ihrer Konzentrationsfähigkeit umgehen. Die Musiker sind jedoch im Vorteil: Sportler können es sich in der Regel nicht aussuchen, welche Etappe der Strecke sie wann in Angriff nehmen – beim Einspielen von Musik gibt es da mehr Spielraum.

Weiter ging es also mit Bloch. In einigen Fällen wurde nach dem ersten Durchlauf des aufzunehmenden Segments dasselbe noch einmal – jedoch in umgekehrter Reihenfolge der Abschnitte – in Angriff genommen. Eine pragmatische, oftmals sehr gute Lösung, vorausgesetzt der Aufnahmeleiter arbeitet parallel schon an einer Montage in korrekter Reihenfolge. Denn nur so lässt sich sicherstellen, dass alle Übergänge funktionieren und alle Anschlüsse in Bezug auf das Tempo nahtlos ineinandergreifen.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn zwischendrin die Instrumente nachgestimmt werden. Vor allem wenn seit der letzten Korrektur eine längere Zeit vergangen ist und die Intonation zu weit vom Optimum entfernt ist. Da gilt es als Aufnahmeleiter die Ohren offen zu halten und sich zu überlegen, ob und wann man den Fluss der Session unterbrechen kann und sollte. Beim Flügel ist man außerdem auf die Erreichbarkeit (besser: Anwesenheit) eines Klavierstimmers angewiesen. Deshalb ergibt es oft Sinn, Stücke oder Passagen, in denen – natürlich nur im übertragenen Sinn – besonders kräftig in die Tasten gehauen wird, eher zu Ende des Tages oder Session hin aufzunehmen. Kurze Randbemerkung: Beim kraftvollen Klavierspiel geht es nicht um ein impulsives Herunterdrücken der Tasten, sondern um einen kontrollierten, bewussten Impuls. Es liegt fast mehr Betonung auf dem flexiblen Loslassen der Tasten.

Bei den Bloch-Aufnahmen blieb ich weitgehend im Hintergrund. Nachdem wir eine kleine Auswahl verschiedener Passage en bloc eingespielt haben, um dem Ensemble die Möglichkeit zu geben, die Balance zu beurteilen, arbeiteten wir uns zügig durch das Repertoire. Anfangs gucken sich die Musiker zur Vergewisserung noch oft nach mir um, aber bald stellte das Vertrauen ein, dass „das Band läuft“, wann immer es soll.

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Montage on the Fly

Ich nutze die Aufnahmepausen um die besagte Vor-Montage der Segmente anzulegen. Aufnehmen selber tue ich – eher ungewöhnlich für meine Sessions – im Recording-Panel der Metric Halo-Console. Meist realisiere ich das Ganze gleich im Cockos Reaper, doch sind mir bei der letzten Session beim ersten Abhören einige minimale Knackser aufgefallen, nachdem ich acht Spuren bei 24 Bit und 96 kHz als FLAC aufgezeichnet habe. Das System lief zu dem Zeitpunkt stabil und ohne Fehlerberichte im System-Log und es war ausreichend Platz auf der internen SSD. Reaper belastete den Prozessor nur minimal, und beim Abhören war nichts zu hören. Doch trotzdem gab es einige wenige „Ticks“ beim Check.

Einschub: Auf der IBC 2016 in Amsterdam hatte ich gerade ein sehr interessantes Gespräch mit einem Senior Manager bei Toshiba, wo es um den Vergleich der Performance von SSDs und „Spinning Disks“ im Zusammenhang mit der Langzeit-Aufzeichnung von Audio ging. Wir werden das Thema in Zukunft vertiefen, aber schon jetzt ist klar, dass auf jeden Fall Server-SSDs mit dezidiertem DRAM eingesetzt werden sollten.

Wie sagt Bob Ludwig so schön: „Never turn your back on digital!“ Es sind einfach so viele Komponenten an einer rechnerbasierten Aufnahme beteiligt, dass eine regelmäßige Kontrolle der real aufgezeichneten Information zu empfehlen ist – Hinterband-Kontrolle sozusagen. Das geht auch mit der Konsole, aber meist konzentriert man sich doch auf das Verfolgen der Session in Echtzeit. In den Pausen empfehlen sich daher stichprobenartige „Sanity-Checks.“ Falls ein wie auch immer geartetes Problem auftaucht, sollte man erst einmal auf ein sicher(er)es System wechseln, bis Zeit für eine umfassende System-Diagnose da ist. Dabei ist es wichtig, das Problem verlässlich reproduzieren zu können.

Daher nutzte ich für diese Session die Konsolen-Software zum Aufzeichnen, öffnete nach jedem Take den neuen Ordner und zog die 24 Bit WAV-Dateien in das Reaper-Projekt hinein. Los geht’s mit dem „In-between-Editing.“

Wir stellten die Bloch-Aufnahmen weitgehend am Samstag fertig, die Turina- und Debussy-Stücke folgten am Sonntag. Hinzu kamen noch einige Bloch-Korrekturen. Nachdem ich schon am Samstag eine komplette Schnittfassung erstellen konnte, die Anne-Elise sorgfältig durchhörte, boten sich einige Retakes an. Eigentlich wollte sich die Cellistin nach dem vollen Samstag nur noch ausruhen, aber als sie mitbekam, dass ich die Balance des Bloch-Materials auf ihrem Nahfeld-System austestete, musste sie sich doch dazusetzen und mithören. Da wäre es eine verschenkte Option gewesen, nicht gleich einige Notizen anzufertigen…

Meine Abreise am Sonntag war genau terminiert, da ich für eine Choraufnahme noch am selben Abend in Berlin ankommen wollte. Und das sollte nicht allzu spät sein, da mein Aufbau für die CD-Produktion mit dem Knabenchor KAMERTON aus Wolgograd am Montag für acht Uhr morgens in Weissensee angesetzt war. Glücklicherweise bekamen wir das ganze Programm ohne allzu große Hektik rechtzeitig in den Kasten.

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Editing und Mixdown 2.0

Noch in Groningen hatte ich eine zweite Schnittfassung des Bloch-Materials und eine erste der Turina-Aufnahmen angefertigt und sie direkt an das Ensemble zum Durchhören weitergegeben. Im Zug auf der Weiterreise nach Berlin kam dann die Debussy-Oper an die Reihe.
Ich schneide sehr gerne unterwegs und zeitnah im Zug. Da bin ich noch besonders nah an der Musik dran, die Erinnerung an die Session ist noch frisch im Kopf. Der Transfer an die Musiker gelingt dann ebenso mobil über Hightail (ehem. YouSendIt) oder WeTransfer. Letzteres hat eine großzügige Gratis-Option, für ersteres habe ich ein preiswertes Abonnement, das unter anderem Download-Bestätigungen beinhaltet.

Mein Kontakt zum Ensemble war durchgehend Anne-Elise, die das Feedback ihrer Mitmusiker sammelte und mir als kombinierte Liste weiterreichte. Das ist meines Erachtens der effizienteste Weg eine Korrekturliste zu erstellen. Aber erst einmal kamen uns bei dem Schnitt andere Dinge in die Quere. Bis alle Beteiligten sich eine Meinung gebildet haben dauert es oftmals eine ganze Weile. So gab es von meiner Seite erst einmal keine neue Fassung, bevor ich mich für eine Woche nach Augsburg begab, zu einer angenehmen Kombination aus einigen relativ kurzen Aufnahme-Sessions von Suiten für Barock-Cello Solo und etwas Urlaub…

Während des Aufenthalts in Augsburg bekam ich überraschend einen Anruf aus England: Ob ich in der kommenden Woche Zeit und Lust hätte, die Konzerte einer Band auf Deutschland-Tour aufzuzeichnen. 24 Spuren plus Publikums-Mikrofone – und zwar das Patti Smith Quartet! Wer kann da schon „nein“ sagen, selbst als Klassikspezialist. Also tourte ich an drei Tagen von Frankfurt am Main nach Essen, und dann nach Haarlem-Bloemendaal. „Aber das ist“, frei nach Michael Ende „eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden…“

Auf meiner Rückreise vom Patti Smith-Einsatz informierte mich Anne-Elise, dass unser aktuelles Projekt am kommenden Montag, also in drei Tagen beim Presswerk in Spanien vorliegen müsste, um auf jeden Fall rechtzeitig für den nächsten großen Gig des Trios vorzuliegen – und zwar als DDP, im Disc-Description-Protocol-Format. Zudem war die Debussy-Aufnahme noch nicht fertig. Die Liste mit Korrekturwünschen hatte ich mittlerweile bekommen, aber noch nicht komplett abgearbeitet. Das hatte ich mir zwar für die Reisen von einem Patti-Smith-Gig zum nächsten vorgenommen, aber ein Backup von den 26 Spuren von einem Tag zum nächsten gestaltete sich als überraschend aufwändig.

Die Zeit war also denkbar knapp bemessen. So plante ich für den Sonntag eine Skype-Session mit Anne-Elise. Ich übertrug meinen Monitor mit dem Reaper-Projekt nach Groningen, sodass sie den Prozess besser verfolgen konnte, und nach jeder Korrektur fertigte ich einen Bounce der Passage als 320 kbps MP3 an und schickte ihr die Datei zum sofortigen Prüfen zu. Das funktionierte erfreulicherweise ziemlich gut. So konnten wir schnell alle Korrekturen abarbeiten. Für den Debussy legte ich erst mal eine Skype-Pause ein, um einige Dinge schneller montieren zu können, dann setzten wir die „virtually attended session“ fort. Klasse Sache!

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Disc-Description-Protocol

Nach Abschluss der Montage, folgte der Bounce in CD-Qualität. Dann wandte ich mich der DDP- /„Disc-Description-Protocol“-Problematik zu. „Problematik“ ist vielleicht ein zu starkes Wort, da das von Doug Carson und Partnern (DCA, Inc.) 1989 vorgestellte Format schon eine ganze Weile im Mastering-Bereich, vor allem bei den Major Labels zum Einsatz kommt. Aber ich habe bislang immer mit dem Vorgänger, der „cue/bin“-Variante gearbeitet. Dabei enthält die „.bin“-Datei die rohen PCM-Daten, die darauf verweisende „.cue“-Datei die Metadaten – im Wesentlichen die Anfangspositionen jedes Tracks, den Namen für das Erstellen einer CD-TEXT plus je ein ISRC, bestehend aus dem zweistelligen Ländercode („DE“), der dreistelligen Label-Kennzeichnung („NU3“ für blumlein records), dem zweistelligen Jahr der Produktion („16“) sowie einer fünfstelligen Kennung („12345“), die das Label aufgrund von einem internen Schlüssel vergibt – oder schlicht auswürfelt. Es gibt weder offizielle Vorgaben noch eine zentrale Sammelstelle.

Das schwierige am Umgang mit cue/bin-Dateien ist, dass zur Prüfung eine CD-R gebrannt werden muss. So lud ich in der Vergangenheit die beiden Dateien, – vor allem der Sicherheit halber – in einem ZIP-Archiv komprimiert, für meine entfernt lebenden Kunden ins Internet, sie zogen diese auf ihren Rechner, brannten eine Kopie, hörten sie sorgfältig durch und gaben dann dieses geprüfte Medium an den Replikator ihrer Wahl weiter. Sicher ist sicher.

Die Idee hinter DDP ist großartig: Das Mastering-Studio generiert auf komfortable Art eine definierte Anzahl standardisierter Dateien, die alle Metadaten sowie die Audio-Rohdaten samt Prüfsummen enthalten. Das Paket lässt sich wie eine CD anhören und prüfen – sowohl von den Musikern/Kunden, als auch gegebenenfalls von einer Abteilung für Qualitätssicherung. Daraufhin lädt das Presswerk das DDP direkt auf seinen Server, von dem aus die CD-Master erstellt werden.

Als ich mich das erste Mal mit dem DDP-Format auseinandersetzte, fand ich keine erschwinglichen Tools, mit denen ein DDP erstellt und abgespielt werden konnte. Aber bei meinen neuen Recherchen entdeckte ich, dass die Software DSP-Quattro von Stefano Daino (dem Entwickler von Spark; vor Unzeiten) DDPs generieren kann. Ich muss nur ein WAV pro Track aus dem Reaper exportieren und in das DSP-Q Projekt importieren, alle relevanten Daten eintragen und auf „Export to DDP“ klicken.

Achtung: Es gibt einige Dithering-Optionen, die man in den Voreinstellungen deaktivieren sollte, wenn man DSP-Q nur für die Generierung nutzt. Ich bin penibel, was die Auswahl des Dithering von meinem Archiv-Format 32 Bit Float auf 16 Bit Fixed betrifft. So nutze ich je nach Projekt entweder MBit+ von iZotope, eine der Optionen in der AirWindows DitherBox (Naturalize, Vinyl oder Spatialize, einmal sogar den HighGloss) oder aus Nostalgie den pow-r3. Vor einiger Zeit hatte ich bei einem Routine-Check festgestellt, dass eine Vorgängerversion von DSP-Q in jedem Fall einen Dither auf die exportierten Dateien legt. Dazu werden die beiden zu vergleichenden Dateien in einer DAW untereinander gelegt und die Phase eines der Kanäle invertiert. Stefano hat das Problem natürlich sofort korrigiert als ich ihn darauf aufmerksam machte.

Auf jeden Fall war das Problem der Erzeugung gelöst. Für das Abspielen fand ich die Lösung by GalaxyClassics: Die freie Software XLD/„X Lossless Decoder“ (zum Download unter: http://bit.ly/2ckp13S) öffnet die DDPMS-Datei, spielt die Inhalte ab und zeigt alle Metadaten an. Wunderbar – vielen Dank an den japanischen Entwickler! Mit Anne-Elise tauschte ich so zwei DDPs aus, dann waren wir beide mit dem Timing der Tracks zufrieden und das spanische Presswerk konnte mit dem Replizieren beginnen.

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