On Tour mit Patti Smith
Autor und Live-Recording-Experte Andrew Levine hat Patti Smith samt Band auf drei Konzerte in Frankfurt a. M., Essen und Haarlem begleitet und berichtet von seinen spannenden Erfahrungen.
Von Andrew Levine
Neulich bekam ich überraschend einen Anruf aus England. Ob ich denn in der kommenden Woche Zeit und Lust hätte, die Konzerte einer Band auf Deutschland-Tour aufzuzeichnen – 24 Spuren plus ein paar Publikums-Mikrofone. Das war allerdings nicht nur irgendeine Band, sondern das Patti Smith Quartet. Neben dem Star am Mikrofon würden der Bassist und Keyboarder Tony Shanahan, Pattis Sohn Jackson Smith an der E-Gitarre sowie der britische Schlagzeuger Seb Roachford auf der Bühne stehen. Wer kann da schon nein sagen, selbst als Klassik-Spezialist? Da hieß es schnell ein Angebot erstellen und schon mal vorsorglich die Pack-Liste skizzieren.
Das passende Equipment
Was sollte ich also über das normale Maß hinaus mitnehmen? Auf jeden Fall redundante Netzteile für meine Interfaces, ein separates Recording-System für erhöhte Sicherheit, zwei FW-Hubs plus -Kabel und Zubehör sowie ausreichend Backup-Festplatten.
Zwei unabhängige Recording-Systeme bedeutet: Je zwei Interface hängen per FW-Hub an einem Rechner, aber jedes System zeichnet alle insgesamt 26 Spuren auf. Dafür werden neben den Mikrofon-Kanälen auch die digitalen In- und Outputs genutzt: Jeder Mic-Input wird auf je einen digitalen Output gerouted. Bei meinem Metric Halo ULN-8 gibt es 4 x Stereo AES/EBU, bei meinem Metric Halo 2882+DSP und ULN-2 ADAT – insgesamt acht Kanäle bei den einfachen Sampleraten 44,1 und 48 kHz. Bei den doppelten Sampleraten 88,2 und 96 kHz reduziert sich die Kanalzahl auf vier, bei den vierfachen Sampleraten 176,4 und 192 kHz auf zwei. AES/EBU – „Copper“ – kennt diese Limitierung nicht.
Dadurch, dass jedes Recording-System nur zwei Interfaces „sieht“ und 2 x 18 Kanäle auf dem isochronen FW-Bus reserviert sind, liegt die Auslastung pro Computer bei zwei Dritteln der maximalen Kapazität – bei den Interfaces von Metric Halo (und deren Treiber) sollen für den Aufnahmebetrieb nicht mehr als drei „Kisten“ an einem Firewire-Bus angeschlossen sein.
Für die Atmo beziehungsweise als Publikums-Mikrofone packe ich meinen DPA 4060-Beutel ein, darin: 2 x omni Lavaliers, 2 x Grenzflächenadapter, 2 x Windschutz-Puschel, 2 x 10 m Kabel-Verlängerung sowie einen 2-Kanal Microdot-XLR-Adapter. Die 4060er klingen sehr gut, sind optisch unauffällig und von meinen Kondensatoren die Wind-unempfindlichsten.
Zwei Recording-Systeme und vier Audiointerfaces bedeuten konkret: 5 x Metric Halo Netzteil (1 „Spare“), 2 x Firewire-Hub, 7 x FW-Kabel (inkl. einem in Reserve), 2 x WC-Clock BNC-Strippe plus 2 x ADAT (inkl. je einem Backup), 2 x Mic-Snake (8 x XLR-F auf DB-25; plus einer Digi-Snake als Reserve) und 2 x DB-25 auf DB-25 Connector (auch hier mit Redundanz) zur Verbindung der digitalen Ein- und Ausgänge der zwei ULN-8er.
An Mikrofonkabeln nehme ich nur zwei 10 m-Strippen mit, Mikrofonstative brauche ich dank der 4060er keine. Trotz allem ist der Stapel am Ende im Vergleich zu meiner gängigen Packliste nicht wesentlich kleiner.
Die Frage, ob es analoge Splitter vor Ort gibt, bleibt bis zum Schluss offen. Ich habe nur eine kleine Stereo-DI-Box von Radial in meiner Sammlung. Klanglich in Bezug auf den Frequenzgang und die Phase sehr neutral, aber in meiner Praxis selten im Einsatz. Für diese Show bräuchte ich aber 24 Kanäle! So etwas kostet Geld und Gewicht. Meine PA-Kollegen warnen mich, dass es nicht mehr allzu viele Verleiher gibt, die analoge Splitter im Sortiment haben. Keyborder Tony Shanahan, gemeinsam mit Monitor-Mischer Darrell Bussino mein Ansprechpartner, beruhigt mich im Vorfeld: „Wird schon klappen…“ Abgesehen von den Instrumenten wird das gesamte Equipment jeweils lokal angeliefert und aufgebaut. Darrell ist dabei der Hauptverantwortliche für den Line-, Level- und Soundcheck auf der Bühne.
Logistik und Anreise
Los geht‘s zum ersten Einsatz in Frankfurt am Main! Ich buche früh am Morgen schnell mein Zugticket und eine Unterkunft in der Nähe des Bahnhofs und setze mich dann langsam in Bewegung mit meinem Rollkoffer (für die Netzteile, Kabelage, ULN-2, MacBook), zwei Interfaces in der Tasche, wo sonst eine ULN-8 Platz findet und die 2882+DSP, Mikrofone, Festplatten und mein MacBook Pro in meiner neuen Monocreators-Tasche „The 365“. Über lange Jahre hatte ich den „Very Busy Man“ von Crumpler im Einsatz, aber in den neuen DJ-Tasche passt im Gegensatz zum Crumpler-Monster sogar eine 19 Zoll ULN-8 – perfekt!
Aktuell habe ich etwas Sorge mit meinen mittlerweile 10 Jahre alten ULN-8ern, weswegen mein Freund Arnfried und mein Assistent Özgür mir großzügigerweise ihre Interfaces für diese Tour ausgeliehen haben. Ein Unsicherheitsfaktor weniger… Vielen Dank an die beiden!
Zur Überraschung meiner Mitreisenden im Abteil packe ich kurz nach Bremen alle vier Interfaces aus, stapele und verkabele die Boxen, und nach dem Boot werden sie an meinem Laptop angeschlossen. So kann ich schon mal eine Konfiguration mit allen Kanälen einrichten, die sich dann auch offline modifizieren lässt. Das spart später vor Ort viel Zeit.
Station 1: Der Palmengarten (Frankfurt am Main)
Der erste Stopp der Tour ist der Palmengarten in Frankfurt am Main. Da habe ich schon sehr lange nicht mehr vorbeigeschaut. Genau genommen seit ich im Alter von bis zu neun Jahren meine Nachmittage entweder im Naturmuseum Senckenberg, dem Grüneburgpark oder eben im Palmengarten verbrachte. Auch heute noch ist das Naturkundemuseum und der botanische Garten auf jeden Fall einen Besuch wert, aber dieses Mal kann ich nicht allzu viel Zeit für Sightseeing aufwenden.
Technikschlacht und Trouble-Shooting
Nach Info von Tony beginnt um 15:00 Uhr der „Load-In“. Gerade beim ersten Treffen plane ich mir mehr als ausreichend viel Zeit ein, um mich zu orientieren, mein System ans Laufen zu bringen und ausgiebig zu optimieren. Erfreulicherweise wurde den Leuten vor Ort mein Einsatz angemeldet und alle 24 Kanäle der Band liegen bereits auf drei 8er XLR-Snakes beim FOH-Pult für mich bereit. Nachdem ich mir links vom Pult eine ausreichend große Stellfläche aus Flight-Cases zusammengebaut habe – ein Extra-Tisch ließ sich nicht auftreiben –, lege ich wie geplant zwei Stapel an: Ein ULN-8 plus 2882+DSP für das MacBook Pro sowie ein ULN-8 plus ULN-2 für das MacBook – jeweils kreuzweise miteinander verkabelt. Jetzt muss ich nur noch die Sends anzapfen.
Doch da wird es kompliziert. Es gibt keine Kanal-Liste, und eben geht auch der Line-Check auf der Bühne los. Also gilt es, den Kopfhörer aufzusetzen und sukzessive alle Kanäle bei mir anzustöpseln. Irritierend dabei ist, dass so einige Kanäle scheinbar leer bleiben. Irgendwo soll es einen „Technical Rider“ geben, aber in der Hektik des Moments kann niemand eine Kopie für mich organisieren.
So versuche ich mitzubekommen, was läuft, und nerve regelmäßig meinen Kollegen am FOH-Pult, der ebenfalls Mühe hat. Ein ausgedruckter Zettel hätte Wunder bewirken können… Zu diesem Zeitpunkt hätte ich besser nur die Kanalzug-Nummern des Pults zur Benennung meiner Inputs verwenden sollen – ich fange wegen der 3 x 8-Kanal-Interfaces immer wieder bei 1 an. Doch diese Erkenntnis kommt mir erst mittendrin und so versuche ich erst einmal bei meinem Schema zu bleiben.
Die acht Kanäle für das Schlagzeug liegen auf der 2882+DSP: Kick von innen und von außen (Shure SM91 und B52), Snare von oben und unten (Shure SM57 und B98), Hi-Hat (Shure KSM 137), Stand-Tom (Shure B98) sowie 2 x Overhead (Shure KSM 32). Diese sind so weit auch durch reines Hören zu identifizieren.
Dann folgt viermal aktive DI: Tonys Bass sowie die akustischen Gitarren von Patti, Tony und Jackson. Für Jacksons Speaker ist ein Shure SM58 vorgesehen. Im Palmengarten steht außerdem ein Flügel. Der wird im geschlossenen Zustand innen mit zwei DPA 4090ern abgenommen.
Der erste Output des Keyboards liegt auf dem letzten Eingang des ULN-8 #1, der zweite auf dem ersten Kanal des ULN-8 #2. Dann kommen sieben Vocals: Pattis SM58, drei Beta 58er für Tony, Jackson und das Klavier, ein SM58 als Reserve, eine aktive DI als Instrument-Reserve sowie ein weiteres SM58 für etwaige Gäste. Ungünstigerweise bekomme ich die Info zu den Reserve-Kanälen erst einen Tag später. So habe ich mit diesen Inputs erst mal Stress: Soll da ein Signal sein? Und wenn ja, mit welchem Pegel?
Meine Publikums-Mikros befestige ich links und rechts an den Streben des FOH-Zeltes. Das ist zwar nicht ideal, aber mir kommt angesichts der Location einfach keine bessere Idee. Beim Stöpseln meiner Inputs ist mir aufgefallen, dass öfter mal ein kleiner Knacks von der Bühne her zu hören war. Auch beim Sortieren der beiden Kabelpeitschen knistert es ganz schön von vorne. Ich war davon ausgegangen, dass ich mich an Trafo-entkoppelten Anschlüssen eingeklinkt habe, aber jetzt stellt sich heraus, dass das nicht der Fall ist. Es sind direkte Splits! Selbst als ich mit einigen bemühten Helfern alle Kabel in Bezug auf eine maximale Zugentlastung ausgebreitet und fixiert habe, ist uns das für eine Live-Show zu heikel. Zum Glück gibt es alternativ einen entkoppelten Weg für alle 24 Kanäle. Die PA-Techniker stöpseln meine Multicores auf der Bühne um und jetzt sind wir allemal auf der sicheren Seite. Ich habe sogar noch die Zeit beim (extrem kurzen) Soundcheck die Kanal-Zuordnungen einigermaßen zu präzisieren und meine Pegel Pi mal Daumen einzustellen.
Patti rockt!
Dann geht die Show auch schon los. Das Event ist ausverkauft, die Location voll mit einer großen Gruppe von eingefleischten Fans direkt vor der Bühne und einer spannenden Mischung von Publikum. Jung und Alt, Männer und – vielleicht etwas mehr – Frauen, ganz „Normale“ neben nicht wenigen punkig anmutenden Besuchern. Das Quartett ist gut drauf! Sie spielen viele von Pattis Klassikern und einige stimmungsvolle Covers. Für mich erst mal ungewohnt laut, aber der Musik und Bomben-Stimmung kann man sich nicht entziehen. Patti rockt!
Nach eineinhalb Stunden ist das Konzert zu Ende, die Band verschwunden und alle Übriggebliebenen beginnen mit dem Tear-Down. Das muss ratzfatz gehen, weil alles andere an PA und Licht von einer mehrköpfigen Crew in Windeseile zerlegt und weggepackt wird. Sie wollen natürlich meine Flight-Cases weg haben, obwohl noch mein After-Show Backup läuft. Mit einigen Helfern verlagere ich das laufende System erfolgreich, und dann geht das Ein- und Umpacken weiter.
Tony taucht noch mal auf, ist gut gelaunt nach der erfolgreichen Show, zufrieden mit meiner Arbeitsweise und fragt an, ob ich nach dem Gig in Essen auch mit nach Amsterdam Haarlem kommen kann. Aber klar doch! Praktischerweise kann sich die Spedition auch um mein Equipment kümmern. Aufkleber dran und weg ist der Großteil meines Gepäcks. So zuckele ich leicht beladen zu meinem Hotel und buche schon mal die Bahnfahrt nach und die Unterkunft in Essen. Dann falle ich ins Bett.
Station 2: Das Lichthaus (Essen)
Nach einem großartigen Frühstück sitze ich auch schon in der Bahn nach Essen, wo ich mit einigem Vorsprung eintreffe, da sich die Band über eine teilweise verstopfte Autobahn zur zweiten Location quälen muss.
Mein Hotel ist wieder nah am Bahnhof gelegen. Von dort aus sind es nur wenige Minuten durch die Fußgängerzone zum Lichthaus, einem ehemaligen Kino. Die Catering-Crew ist schon fleißig am Aufbau und das Essen großartig. Während es in Frankfurt am Main Wiener Würstchen, Kartoffelsalat und Grüne Soße gab, ist hier ein opulentes, überwiegend vegetarisches Festbankett angerichtet. Ich habe noch einige Zeit bis die Band anrückt, aber meine Sachen sind schon vor Ort, also geht es frischgestärkt zur Sache.
Zum zweiten Aufbau erhalte ich eine Kopie des „Technical Rider“ und kann endlich nachvollziehen, warum in Frankfurt einige Kanäle leer geblieben sind. Dieses Mal habe ich auch schon eine gute Vorstellung über das Layout meiner Station, und die Pegel sind auch schon eingerichtet. Easy as pie… Meine Position ist hier direkt neben Darrell und dem Monitor-Desk, da nur dort ein Trafo-symmetrierter Split abzugreifen ist. So kümmere ich mich auch darum, dass der Bühnenvorhang etwas zugezogen wird. Ich möchte schon gerne unsichtbar bleiben.
Für die Publikums-Mikrofone bietet sich der Bühnenrand an. So schallt die PA großflächig über die als Grenzflächen montierten 4060er und ich kann eine schöne Atmo einfangen. Der Sound dieser Show ist erwartungsgemäß viel kontrollierter als beim Frankfurter Open-Air. Die Energie ist wieder super und meine Aufnahme läuft wie am Schnürchen. Auch die Show-Aufnahme #2 gelangt so glücklich in den Kasten (ebenfalls auf beide Laptops) und bald als Kopie auf meine Backup-Platte.
Station 3: Openluchttheater Caprera
Die Unterkunft in Essen war nicht ganz so nett wie die in FFM. Frühstück suche ich mir woanders, für die Zugfahrt nach Holland plane ich ausreichend Puffer ein. So kann ich sogar noch etwas in Amsterdam herumschlendern, bevor es mit dem Nahverkehrszug nach Haarlem weitergeht. Das Wetter ist allerdings ziemlich unerfreulich. „This is the Dutch summer“ heißt es von seitens meiner holländischen Kollegen vor Ort. Auch dieses Konzert ist ausverkauft. Das wird ein nasses Vergnügen für die Fans…
In Bloemendaal manifestiert sich das erste echte Problem: Es gibt keinen Splitter-Ausgang für mich! Der Kollege meint, es wäre kein Problem. Ich müsse nur Steinberg Live auf meinem MacBook Pro installieren und schon könnte ich mit Hilfe der Dante Virtual Soundcard auf alle Spuren zugreifen.
Die Installations-CD war griffbereit und ich mühte mich eine Weile ab. Schließlich hatte ich schon einmal beim Internationalen Jüdischen Musikfestival in Amsterdam mit dem Treiber gearbeitet. DanteVS installieren, autorisieren – es gab eine 7-Tage Lizenz –, Ethernet-Kabel rein, die Routing-Matrix konfigurieren und die DAW der Wahl einrichten. Damals lief das sehr gut, abgesehen von der für mich gewöhnungsbedürftig hohen Latenz des Treibers. Aber hier in Bloemendaal will einfach nichts klappen.
Zu meinem Glück ist Darrell unglücklich über die digitale Konsole, mit der er arbeiten soll. Das Gefummel mit den Digital-Menüs ist auch kein Vergleich zum Komfort einer „One Knob per Function“-Konsole. Kurze Zeit später wird für ihn eine analoge Midas-Konsole abgeliefert – mit je einem Send pro Eingang! Stöpseln, Pegel angleichen und schon passt die Sache auch bei mir, inklusive der Mic-Pres und ADs meiner Wahl.
Auch an diesem Abend rockte Patti! Sie spielen unter anderem „Wing“, „Dancing“, „Frederick“ und – das erste Mal auf der Tour – „Ghost“. Nach einem langsamen Start entwickelte sich der vorletzte Gig in Europa erstaunlich gut und sowohl die Band als auch die nahezu 1.300 Fans, die bei dem Open-Air im Regen standen, haben ein unvergessliches Erlebnis. So ist es auch für mich: Tolle Musik und für uns Tonleute gibt es sogar ein Dach über dem Kopf.
Der Abschied am nächsten Morgen ist herzlich. Patti umarmt mich, sagt „I will miss you“ und ich vermisse sie und die Band schon jetzt. Die Vier haben einen Tag Pause vor dem letzten Gig in Antwerpen, dann geht es zurück in die USA. Ich freue mich schon auf die nächste Europa-Tour!
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