Höhenflug
Update aus Singapur – mit Mikey Robinson hat United Records einen neuen Künstler im Programm, der im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus will. Eric Wong und der Knabensopran Mikey Robinson im Interview
Von Freda Ressel
Rückblende in den Mai 2016: Professional audio stößt auf ein kleines Label im Herzen des sich im rapiden wirtschaftlichen Aufschwung befindenden Stadtstaates Singapur, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, lokale Künstler zu fördern und damit auch den internationalen Markt zu erobern.
Chef Eric Wong zeigt dabei Kreativität und die Willenskraft, seinen Kunden als Full Service Company jeden Wunsch zu erfüllen, egal ob Komposition, Album- oder Videoproduktion, Vertrieb oder beispielsweise auch Post Production für Filme. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs war das Brüder-Duo Scarlet Avenue, das mit Gitarrenpop und Saubermannimage nicht nur die Herzen der Teenagermädchen eroberte, gerade das größte Projekt des Labels.
Ein Jahr später schlägt Wong eine völlig andere Richtung ein: mit „Boy Soprano“ dem Debüt des 12-jährigen Knabensoprans Mikey Robinson macht United Records den Schritt in die klassische Musik. Das ist nicht völlig abwegig, schließlich kommt Wong selbst ursprünglich aus der Klassik, bevor er sich – der Liebe wegen – in Richtung Pop-Produktion bewegte. Zudem passt es in die sympathische Arbeitsphilosophie des Labels, sich nicht in Schubladen stecken zu lassen, sondern genreunabhängig gute Produktionen zu bieten.
Wir sprachen mit Eric Wong und Mikey Robinson über den Klassikmarkt in Singapur, die Besonderheiten einer Produktion mit sehr jungen Künstlern und natürlich über die Musik auf „Boy Soprano“.
Interview mit Eric Wong, Chef von United Records
? Das letzte Mal, als wir miteinander sprachen, war das Pop-Duo Scarlet Avenue das Hauptprojekt von United Records. Was ist seitdem passiert – gibt es neue Projekte und Entwicklungen?
! Im letzten Jahr haben wir mit der Talentsuche weitergemacht. Inzwischen haben wir zwei neue aufstrebende Künstler aufgetan, die noch in diesem Jahr Alben veröffentlichen werden. Scarlet Avenue haben ebenfalls gerade eine neue EP mit dem Namen „Not Everyone Loves the Same“ herausgebracht. In Sachen Musikproduktion haben wir den Score für einen Werbefilm sowie für zwei Kurzfilme produziert. Außerdem hatten wir eine spannende Kooperation mit Intel, bei der ich die Musik für die erste Präsentation der Shooting Star Drohnen in Asien komponierte. Hier wurden 50 Leuchtdrohnen auf die von mir geschriebene Musik synchronisiert.
? Auf Mikey Robinsons Debütalbum finden sich vor allem klassische Stücke, gemischt mit ein paar wenigen Pop- und Folksongs. Kann man das Album als „Back to the Roots“-Projekt bezeichnen, da Sie ursprünglich aus der klassischen Musik kommen?
! Das war es tatsächlich auf gewisse Weise. Ich liebe klassische Musik und es hat wirklich Spaß gemacht, ein klassisches Album zu produzieren.
? Wie kam es dazu? Bislang hat United Records vor allem Pop-Produktionen herausgebracht.
! United Records sieht sich nicht als reines Pop-Label. Im Gegenteil, auch wenn unser erster Act Scarlet Avenue aus dem Popbereich kommt, sind wir offen für alle Genres. Wir haben zum Beispiel mit GIMA ein weiteres Duo im Repertoire, das in der ethnischen Folklore heimisch ist. Sie haben eine Single veröffentlicht – „Donghshan“. Es ist wirklich sehr interessante Musik, eine Fusion aus mongolischem Cello und Akustikgitarre.
? Was zeichnet die Produktion eines Klassik-Albums im Gegensatz zur Popmusik aus?
! Das Wichtigste ist, dass man den richtigen Sound findet. Bei Pop-Alben braucht es viel Kompression, ausdruckstarke Hooklines und sehr fette Sounds.
Klassische Musik wiederum sollte sehr zart und fein sein und alle Nuancen der Künstler einfangen.
? Wie sieht der Klassik-Markt in Singapur aus? In vielen Ländern spielt die Klassik ja leider nur noch eine untergeordnete Rolle.
! Bei uns ist klassische Musik immer noch sehr beliebt. Es nehmen auch sehr viele Kinder Klavier- oder Geigenunterricht. Und Konzerte wie die des Singapore Symphony Orchestra sind stets ausgebucht!
? Die meisten Stücke auf Mikey Robinsons Album stammen von westlichen Komponisten oder Interpreten. Ist diese westlich geprägte Form der klassischen Musik in Singapur sehr gefragt?
! Absolut! Wir hatten schon viele extrem gute und gefragte Orchester und Solisten zu Gast in Singapur. Beim Publikum kommt das immer überaus gut an.
„Mikey ist sehr determiniert dafür, dass er noch so jung ist“
? Wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit mit Mikey Robinson?
! Ursprünglich wurde ich engagiert, um das Live-Mixing für eines von Mikeys Konzerten zu übernehmen. Mikeys Team gefiel meine Arbeit und so begannen wir, über eine Albumproduktion zu sprechen. Das war vor etwa einem Jahr, im August 2016.
? Was macht Mikey einzigartig?
! Mikey ist einfach ein fantastischer Sänger! Ich liebe seine Stimme, vor allem die Reinheit ihres Klangs. Außerdem ist er sehr determiniert und fleißig dafür, dass er noch so jung ist.
? Worauf muss man achten, wenn man mit so einem jungen Künstler produziert?
! Es ist wichtig, dass man ein bisschen mehr Rücksicht auf seine Kondition nimmt. Aufnahmesessions sind körperlich und psychisch deutlich fordernder, als man gemeinhin glaubt. Die vielen Stunden im Studio können einen jungen Menschen ganz schön auslaugen. Deshalb war ich bei Mikey immer sehr achtsam, dass die einzelnen Aufnahmesessions nicht zu lang werden.
? Auf dem Album ist neben Mikey Robinson noch der Begleitpianist Bertrand Lee zu hören. Haben Sie mit ihm zuvor schon einmal produziert?
! Nein, das war das erste Mal, dass ich mit Bertrand gearbeitet habe. Er ist ein Absolvent des Yong Siew Toh Conservatory of Music, welches der National University of Singapore angehört. Er ist ein fantastischer Klavierbegleiter und sehr professionell in seiner Art zu spielen.
? Wie lange dauerte die Produktion des Albums?
! Die Produktion dauerte etwa drei Monate. Das war auch ein sehr guter Zeitraum für Mikey, um die Songs zu verinnerlichen und genau zu planen, wie er sie optimal darbringen kann.
? Bislang kann man „Boy Soprano“ hierzulande nur digital oder bei Streaming-Diensten finden. Ist eine physische Veröffentlichung geplant?
! Tatsächlich haben wir auch eine CD-Version angefertigt – diese ist allerdings bislang nur in Singapur erhältlich. Über Mikeys Facebook-Präsenz kann man sie aber auch ordern, sie wird dann international versendet.
? Auf dem Album sind Songs in vielen verschiedenen Sprachen. Bedeutet das, dass Sie es neben Singapur auch auf internationale Märkte abzielen?
! Ja, definitiv. Schon alleine durch Mikeys Herkunft: Sein Vater ist Brite, seine Mutter kommt aus Japan. So hat er natürlich auch Familie, Freunde und Fans in anderen Teilen der Welt.
? Was sind die nächsten Schritte für United Records?
! Wir werden unsere Aufnahme – und Vermarktungsdienste für Künstler aus Singapur weiter ausbauen. Im Laufe des Jahres werden wir noch einige hochqualitative Alben veröffentlichen – darauf freuen wir uns sehr!
! Vielen Dank für das Interview!
Mikey Robinson im Interview
? Herzlichen Glückwunsch zum Albumdebüt, Mikey! Wie fühlt es sich an, seinen ersten Longplayer aufzunehmen?
! Es war eine wundervolle Erfahrung. Das Beste daran ist, dass ich aus meinem Repertoire, das ich mir seit drei Jahren erarbeitet habe, meine absoluten Lieblingssongs aussuchen durfte!
Außerdem hatte ich großes Glück, dass ich mit Eric Wong aufnehmen durfte. Er ist ein echter Spezialist und ist hauptverantwortlich dafür, dass das Album so fantastisch klingt.
„Als ich James Rainbirds Stimme hörte, dachte ich ‚Wow, ich will so singen wie er!‘“
? Du kommst aus einer sehr musikalischen Familie und hast selbst früh mit dem Singen begonnen. Kannst du dich an das erste Musikstück erinnern, was du aus vollem Herzen geliebt hast?
! Ja, daran erinnere ich mich sehr gut und bis heute ist es mein Lieblingslied. Es ist das walisische Schlaflied „Suo Gan“. Als ich neun Jahre alt war, sah ich den Film „Das Reich der Sonne“ von Steven Spielberg und die Hauptfigur Jim, die von Christian Bale gespielt wurde, sang dieses Lied. Das war so berührend und schön. Bale sang das Stück übrigens nicht selber, sondern der Knabensopran James Rainbird.
? War das deine erste Berührung mit einem Knabensopran?
! Ja. Als ich Rainbirds Stimme hörte, dachte ich ‚Wow, das ist so schön, ich möchte auch so singen wie er!‘ Also fragte ich meine Mutter, ob ich eine klassische Gesangsausbildung machen kann.
? Du durftest die Songs auf „Boy Soprano“ selbst aussuchen. Hast du eine tiefere Verbindung zu den Stücken, oder macht es dir einfach Spaß, sie zu singen?
! Es sind meine absoluten Lieblingssongs aus meinem Repertoire. Die meisten habe ich bereits unzählige Male auf meinen Konzerten gesungen, da diese Melodien einfach das Herz berühren und nicht mehr loslassen.
? Hast du einen absoluten Favoriten?
! „Voi Che Sapete“ aus der Hochzeit des Figaro, weil es von meiner Lieblingsfigur in einer Oper gesungen wird – Cherubino. Er ist ein 14-jähiger Page, der sich in ältere Frauen verliebt. Die Rolle wird normalerweise von einem Mezzosopran gesungen.
Außerdem mag ich das „Ave Maria“ von Caccini, denn sowohl Gesangs- als auch Klaviermelodie sind wunderschön und interagieren auf ganz besondere Art und Weise miteinander.
? Du singst auf „Boy Soprano“ auf vielen verschiedenen Sprachen, unter anderem Deutsch, Italienisch und japanisch. Sprichst du tatsächlich eine davon? Dein Deutsch klingt übrigens sehr überzeugend!
! Ja, ich spreche japanisch, denn meine Mutter ist Japanerin. Für andere Sprachen, wie Französisch, Italienisch oder Russisch nehme ich Stunden bei Muttersprachlern, um die richtige Aussprache zu lernen, wenn ich einen neuen Song lerne. Danach erst arbeite ich mit meinen Gesangslehrern.
Meine Hauptgesangslehrerin kommt aus Amerika und spricht zusätzlich fließend Deutsch, das ist ein glücklicher Zufall für mich.
? Wer sind deine musikalischen Einflüsse?
! Neben James Rainbird, der für mich der wichtigste Einfluss war, mag ich viele Popkomponisten, allen voran der große Elton John. Außerdem mein ältester Bruder William. Er ist zehn Jahre älter als ich und singt, spielt Klavier und Violine. Als ich jünger war, sah ich ihm immer beim Spielen zu.
? Was ist im Moment deine Lieblingsmusik – so ganz privat?
! Ich liebe natürlich klassische Musik, aber es gibt auch Popmusik, die mir gut gefällt. Aktuell mag ich zum Beispiel Clean Bandit und Twenty One Pilots sehr gerne. Außerdem natürlich Elton John, vor allem „Can you feel the love tonight“.
„Ich durfte im Stern Auditorium der Carnegie Hall singen – darauf bin ich besonders stolz“
? Du hast für dein Alter bereits eine beachtliche Karriere hingelegt – du warst sogar auf Platz 1 der iTunes Klassikcharts in Singapur. Auf was bist du besonders stolz?
! Ich habe mehrere internationale Gesangswettbewerbe gewonnen und durfte in diesem Rahmen auch „Röselein, Röselein“ und „Voi Che Sapete“ im Stern Auditorium der Carnegie Hall in New York singen. Darauf bin ich sehr stolz.
? Was steht für dich als nächstes an? Wirst du mit den Songs auf „Boy Soprano“ auf Tournee gehen?
! Ich habe bereits mehrere Einladungen für Benefizkonzerte in den nächsten Monaten bekommen, die ich gerne wahrnehmen möchte. Außerdem ist ein Solokonzert Ende des Jahres geplant, bei dem ich 13 oder 14 Stücke singen werde. Da werden natürlich auch Stücke vom Album dabei sein.
? Was sind deine Zukunftspläne?
! Nach meinem Stimmbruch würde ich unheimlich gerne weiterhin als professioneller Sänger arbeiten. Ich bin sehr gespannt, welche Stimmlage ich dann haben werde. Ich würde gerne auch außerhalb von Singapur singen und vor allem vielen Menschen durch Benefizauftritte helfen.
Ich habe außerdem einen Traum – ich möchte gerne in näherer Zukunft ein Duett mit Elton John singen!
! Vielen Dank für das Interview, Mikey!
Mikey Robinson – Boy Soprano
Auf „Boy Soprano“ versammelt Mikey Robinson elf klassische und fünf Pop- beziehungsweise Folkstücke, die die Highlights seines Repertoires darstellen.
Von Klassikern wie dem „Ave Maria“ von Bach/ Gounod oder „Voi che sapete“ aus der Hochzeit des Figaro bis „Röselein Röselein“ aus Schumanns „6 Gesängen“ oder „Paysage“ des venezolanisch-französischen Komponisten Reynaldo Hahn reicht die perfekt auf die Knabensopran-Stimmlage zugeschnittene Auswahl an klassischen Stücken. Zudem sind mit Pop- und Folksongs wie „Bright Eyes“, „Danny Boy“, „Over the Rainbow“ und das japanische Kinderlied „Furusato“ einige Stücke versammelt, die zeigen, dass Robinson auch im „U-Musik“-Sektor glänzen kann.
Die Stücke sind überaus gefühlvoll gesungen und bringen alle Facetten der einzigartigen Stimme Robinsons zum Vorschein: vom tiefen, kräftigen Gurren bis zu der klaren, ergreifenden Reinheit der schwindelerregend hohen Passagen. Die Vortragsweise vereint die typische Unschuld von Kinderstimmen mit der Professionalität ausgebildeter Sänger – das Endresultat klingt nahezu makellos, ohne zu klinisch zu sein.
Begleitpianist Bertrand Lee liefert ein mustergültiges Klavierspiel, ohne Robinson die Show zu stehlen. Auch er liefert die nötige Prise Gefühl, die den Unterschied macht zwischen einer „nur“ perfekt gespielten und einer bewegenden Aufnahme. Mit der Sarabande aus Bachs Partita Nr. 1 in B-Moll bekommt er einen Soloauftritt – klanglich sehr intim in Szene gesetzt markiert es die Mitte des Klassikteils von „Boy Soprano“.
Die Produktion ist sehr elegant und zurückhaltend gestaltet – mit Hall wird sparsam umgegangen, um die zarte Musik nicht zu sehr zu verwaschen. Die Aufnahmequalität ist sehr gut und kann sich mit internationalen Klassik-Produktionen messen. Sowohl Klavier als auch Stimme sind hervorragend eingefangen und ergänzen einander perfekt.
Die Soundästhetik ist eher modern-offen gehalten und nicht ganz so räumlich intim, wie es oft bei klassischen Aufnahmen von Stimme und Klavier der Fall ist. Das kommt der Mischung aus Pop und Klassik zu Gute – auf diese Weise ist der Bruch zwischen den beiden Welten auf dem Album nicht zu hart. Dennoch – „Boy Soprano“ ist in erster Linie ein Klassikalbum und weitab von der beliebten Crossover-Schiene à la Il Divo und Co. Ein beeindruckendes Debüt und klares Statement von United Records, dass sie auch die anspruchsvolle Klassik beherrschen.
Erschienen in Professional audio 08/2017