Zwischen Reiz und Überflutung
Es ist selten, dass eine französische, englisch singende Band große Hallen in den USA füllt: Die Indie-Elektro-Truppe Phoenix hat dort einen Nerv getroffen und ist auch hierzulande erfolgreich. Wir haben mit FoH Matt West über die Live-Technik der aufwendigen Produktion gesprochen und ihn bei einem Konzert der Band in Neu-Isenburg begleitet.
Von Nicolay Ketterer. Fotos: N. Ketterer
„Pop und Progression“ verkündet das Schild vor der Halle, das den Event ausweist. Das lässt – wenn man es wörtlich interpretiert – Zweifelhaftes erahnen. Dream Theater im gefälligen Pop-Gewand, verkopfte, musiktheoretisch sezierte Materie als versuchte Massenunterhaltung?
Phoenix wurde 1996 im Pariser Vorort Versailles gegründet, von vier Freunden, die gemeinsam zur Schule gingen: Zwei Gitarren, Bass, Gesang. Ein Schlagzeuger fehlte, die Musiker experimentierten stattdessen mit Drum-Computern, die den Elektronik-Einschlag der Indie-Truppe verstärkten. Hinzu kamen schnelle Gesangslinien und Harmonien. Zunächst blieb die Gruppe ein Geheimtipp, landete auf Film-Soundtracks der Regisseurin Sofia Coppola – die inzwischen mit Sänger Thomas Mars verheiratet ist. Mit dem Album „Wolfgang Amadeus Phoenix“ gelang 2009 der Mainstream-Durchbruch: Die Band traf den Nerv der Indie-Szene und füllt seitdem Konzerthallen in Amerika – für eine französische Band mit englischen Texten, die mit typischen leichtem Akzent dargeboten werden, ein Novum. Auch der Nachfolger, das aktuelle Album „Bankrupt!“, konnte den Erfolg untermauern.
„Phoenix hat mich eingeladen, mich aktiv am Live-Sound-Design zu beteiligen.“
In Neu-Isenburg hat die Band gleich zwei Vorgruppen im Gepäck: Family Of The Year, die mit ihrem Song „Hero“ Szene-Erfolge feiern konnte, sowie die Frauengruppe Haim. Bassfahnen wabern bei deren Soundcheck durch die Mehrzweckhalle, die inmitten der Stadt liegt.
„Es ist eine komplette Produktion, samt PA und Monitoren“, erklärt FoH-Mann Matt West. Der Australier ist seit der letzten Phoenix-Tour mit an Bord und versteht sich gut mit den Musikern. Ein Faktor, der unterschätzt werde, gerade, wenn man auf Reisen den Tour-Alltag miteinander verbringt. Und wenn das Klima mal weniger optimal ist? „Dann mache ich den Job trotzdem, brauche aber mehr Schmerzensgeld“, lacht West. Mit Phoenix sei die Zusammenarbeit gut, die Band lade ihn ein, aktiv am Sounddesign mitzuwirken. „Sie wollten die Songs live neu strukturieren und fragen nach meiner Meinung. Sie sind seit ihrer Jugend eine Band, daher ist ihnen Gemeinschaftsgefühl wichtig, wie in einer Familie. Das ist selten.“ West hat früher in verschiedenen Locations als fest angestellter FoH gearbeitet, erzählt er, danach auf Tour als Production Manager, Tour Manager, Stage- und PA-Tech, hat zwei Jahre lang das Monitoring bei Motörhead übernommen. „Ich habe Lemmy mal erklärt, warum Feedback entsteht und sein Monitor nicht lauter aufgedreht werden kann. Er meinte nur: ‚Erzähl mir verdammt nochmal nichts von Physik, dreh einfach auf!‘“, lacht West.
Die Frage nach den gleich zwei Support-Bands ist schnell geklärt: Ursprünglich je eine für die Konzerte in Frankreich und in Deutschland, in Neu-Isenburg überschneiden sich beide. Für das Publikum ein Vorteil, zum gleichen Ticketpreis eine zusätzliche Band geboten zu bekommen. Für die Crew sei es aufwändiger, aber da jede Band einen digital abgespeicherten Soundcheck habe, gehe es schnell. Es gibt durchaus Touren, bei denen die Hauptband der Vorgruppe Restriktionen auferlegt, was bei Phoenix nicht der Fall sei. „Das geht dem Event als Ganzes ab! Es lässt Dich nicht besser aussehen, nur weil die Support-Band scheiße klingt.“ Wer mutig genug sei, hinter der eigenen Musik zu stehen, sollte allen gleiche Chancen einräumen, meint West. Sein FoH-Pult – ein Avid Digidesign Profile – nutzen die Bands gemeinsam. Die Tour-Crew hat zwei Monitor-Pulte im Gepäck – ebenfalls Profile-Modelle. Bei Phoenix nutzen die einzelnen Musiker jeweils In-Ears oder Bühnenmonitore, auf Wunsch manchmal beides zusammen. Aufgrund des komplexen Routings sei es einfacher, für die Vorgruppen ein zusätzliches Pult einzusetzen.
Für die Abnahme der Signale setzt West weitgehend auf Shure-Mikrofone. „Das stammt aus der Zeit, als ich mit kleinen Club-Gigs angefangen habe, wie die meisten von uns. Praktisch jede Kneipe dieser Welt besitzt eine Hand voll Shure SM-58 und SM-57.“ Damit ist er aufgewachsen. „Ich kann aus ihnen das herausholen, was ich hören möchte.“
„Ein Sperrfeuer an Drum-Sounds“
Für die Snare setzt er oben und unten ein Shure SM-57 ein, für die Bassdrum ein Beta 52 zusammen mit einer Beta 91-Grenzfläche. An den Toms kommen Sennheiser e-604-Mikrofone zum Einsatz, „weil sie eine größere Kapsel bieten als etwa das Shure SM-98 und über einen guten, brauchbaren Plastik-Clip zur Befestigung am Tom verfügen.“ An der Hi-Hat kommt ein Beta 181/C, ein Kondensator-Mikrofon mit seitlicher Einsprechrichtung, zum Einsatz. Die drei Becken mikrofoniert er anstatt über Overheads einzeln und direkt, jeweils mit einem Shure KSM-32 – aus optischen Gründen von unten. Das schränke sein Ergebnis nicht ein. Phoenix spielt live mit dem französischen Session-Drummer Thomas Hedlund. West erklärt: „Ein großartiger Musiker, der enthusiastisch performt. Wenn ich ihn mit Overheads zustelle, schmälert das den Eindruck des Publikums. Ich nähere mich der Schlagzeug-Abnahme von meinem Metal-Background: Ein sauberer und konsistenter Drum-Sound liefert mehr Präzision. Natürlich braucht man auch den passenden Drummer dazu.“ Unterschiedliche Arten von Musik bedürften unterschiedlicher Mikrofonierungen, „aber ich denke, der ‚präzise‘ Ansatz wie bei Metal funktioniert bei der elektronischen Musik von Phoenix gut.“ Das Ergebnis erinnert in seiner Klangästhetik an moderne, kräftige Discosounds, klar und fokussiert. Das sei Teil der Unterhaltung, ein „Sperrfeuer an Drum-Sounds“, wie West es nennt. Was den typischen Phoenix-Song laut ihm ausmacht? „Viele Melodien, eine große Anzahl von Signalen und großflächig ausgereizte Frequenzbereiche.“
„Ich gebe den Bands die Verantwortung über die Dynamik zurück.“
Wie viele andere FoHs hat auch West eigene Referenz-Songs, die er über die Anlage hört. „Wenn die PA aufgebaut ist, höre ich ‚Sledgehammer‘, ‚It’s Only Natural‘ und ‚Back In Black‘.“ Danach habe er die PA so gut wie möglich eingestellt, um die Musik im neuen Raum anpassen zu können, meint West. „Ich versuche, meine Fader zunächst einheitlich einzustellen, das gibt der Band die Verantwortung über die Dynamik zurück.“ Das schätze die Band: „Sie wissen, das alles, was sie tun, gehört wird. Das gibt ihnen die Möglichkeit, sich auf der Bühne auszutoben.“
Am Bass-Amp verwendet er ein Beyerdynamic M-88, dessen Klangcharakteristik ihm gefällt. „Deck D’Arcy spielt für die Hälfte des Sets einen E-Bass, die übrigen Basslinien auf dem Keyboard. Beide Signale laufen über den mikrofonierten Bass-Amp, dazu bekomme ich von der jeweiligen Quelle ein DI-Signal. Im Mix finden immer nur zwei Signale gleichzeitig statt: das Mikrofon zusammen mit dem jeweiligen DI-Signal.“ Wie er das Verhältnis mischt? „Das entscheide ich beim Soundcheck.“ Die verallgemeinerte Annahme, das Mikrofonsignal klinge lebendiger, sei nicht immer hilfreich: „Was am Ende besser funktioniert, hängt von der jeweiligen Akustik, dem Raum, unterschiedlicher Temperatur und Feuchtigkeit sowie der Menge an Zuschauern ab.“ Das gelte auch für die Kombination der Bassdrum-Mikrofone: „Manchmal benutze ich die Shure Beta 91-Grenzfläche mehr als das Beta 52, in anderen Fällen umgekehrt. Oder nach der Hälfte des Sets klingt die Snare etwas spröde und ich prüfe dann, ob das Nachjustieren des Verhältnisses zwischen Top- und Bottom-Mikrofon eine Verbesserung bringt.“ Das sei entscheidend, „besonders, was die Bassdrum angeht mit der Kombination aus Grenzfläche innen und dem dynamischen Mikrofon außen. Man stellt ja kein zweites Mikrofon hin, um den gleichen Sound nochmal zu erhalten.“ Das beste Beispiel seien die beiden Snare-Mikrofone für den Attack und die Teppichansprache. „Wenn die Snare zu viel Bauch hat, lässt sich der Klang über das untere Mic regulieren, bevor ich beim oberen Mic im Bassbereich Frequenzen herausziehe.“
„Eine Snare klingt so, wie Du denkst, dass eine Snare klingen soll.“
Für die Gitarren-Amps verwendet West die Shure Großmembranen KSM-27. „Früher habe mit ich einer Kombination aus SM-57 und KSM-27 gearbeitet, aber mittlerweile verwenden wir ein DI-Signal statt dem SM-57. So bekomme ich ein DI- und ein Mikrofonsignal, die ich unterschiedlich im Stereobild verteile und mische.“ Damit ist er einer der wenigen, die bei einer Gitarren-Band ein DI-Signal einsetzen. Kaum ein Rock-Gitarrist mit Verstärker würde freiwillig ein DI-Signal anliefern. „Das DI-Signal wird nach dem Amp abgenommen, also immerhin ein ‚Amp-Sound‘. Da wir viele Mitschnitte machen, brauche ich unproblematische, sichere Signale.“ Kürzlich haben sie schallisolierte Lautsprecherboxen als Alternative ausprobiert, aber das habe nur mehr Low-End-Anteile eingebracht, die er nicht wollte.
Bei den DI-Signalen verwendet er auch am Gitarrenverstärker keine Speaker-Emulation, schließlich habe er einen parametrischen 4-Band-Equalizer zur Hand. „Wenn ich es damit nicht hinkriege, muss ich wieder die Schulbank drücken“ – oder es bestehe ein Problem an der Quelle. Er erinnert sich an eine Geschichte bei seiner SAE-Ausbildung in Australien: „Der Lehrer erzählte, dass man die Snare mikrofoniert, ins Pult einstöpselt, Gain justiert, den Equalizer einschleift und dann den Snare-Sound einstellt. Ich habe dann meine Hand gehoben und gefragt: ‚Entschuldigung, aber wie soll eine Snare abgenommen klingen?‘“ Die Antwort habe ihn verblüfft und zähle bis heute zu seinen Leitsätzen: „Eine Snare klingt so, wie Du denkst, dass eine Snare klingen soll.“
Auf der Tour hat Matt West ein eigenes Effekt-Rack dabei, bestückt mit einem dbx 160 VU-Stereo-Kompressor, zwei BSS-901-Kompressoren, vier Empirical Labs EL-8 Distressoren und zwei EL-9-Mikrofon-Vorverstärkern mit Kompressor. Seine Signalketten? Er gruppiert jeweils die einzelnen Bassdrum- und Snare-Mikrofone und komprimiert die Gruppe. Auch die drei Bass-Kanäle werden in einer Gruppe zusammengefasst, durchlaufen einen EL-9 und anschließend einen BSS-901-Kanal. „Ich komprimiere nochmal, um die letzten Spitzen abzufangen und verwende anschließend Equalizer zum ‚Aufzuräumen‘.“ Die zweite Kombination aus EL-9 und BSS-901 setzt er auf dem Hauptgesang ein. Eine seiner Zielsetzungen beim FoH-Sound sind klare, kraftvolle Vocals, das sei ihm bei Jobs für Snoop Dogg, Eminem und Motörhead bewusst geworden. „Von denen habe ich viel für meinen FoH-Gesangs-Sound gelernt: Man muss jedes einzelne Wort verstehen können.“
„Wenn Du die Musik nicht kennst, kannst Du keine Details herausstellen.“
Die vier EL-8 Distressoren setzt West auf den verschiedenen Gitarrensignalen ein. Es seien „ein paar analoge Spielzeuge abseits der Plug-ins im Pult.“ Die hauptsächliche Kompression nimmt er über die analogen Kompressoren vor, erledigt damit auch die Klangformung. Lediglich die Keyboards werden im Pult komprimiert: „nur ein bisschen oben drauf, um die Sounds in sich anzugleichen, und als Sicherheitsnetz.“ Die teilweise verwendeten synthetischen Bass-Sounds hingegen seien fast zu kräftig. „Die Textur ist dermaßen rund und fett, dass man die Bassanteile fast reduzieren will, aber ich denke mir immer: Lass es, genauso ist es gedacht.“
Die Rhythmussektion komprimiert er als Einheit, „schließt“ Drums und Bass im Mix weg, wie er sagt. „Wenn die Rhythmussektion steht, kannst Du Dich auf die Melodie konzentrieren. Die kann sich auf dem geschlossenen Rhythmusbett bewegen und damit interagieren. Wenn Du die Musik nicht kennst, kannst Du keine Details herausstellen.“ Bei Phoenix sind das etwa einzelne, leichte Ride-Beckenschläge, ein minimalistisches Gitarrenriff, Teile einer Keyboard-Linie, beim Gesang von „Love Like A Sunset“ etwa das betonte „t“ ganz am Ende, das nach sieben Minuten Musik den Song wie ein Schlusspunkt abschließt. „Das muss man herausstellen, es gehört mit zum Potenzial des Songs.“ Die akustische Präsentation müsse komplett sein. „Man muss wissen, woher die Band kommt und was sie will.“
„Pop und Progression“
Am Abend sind knapp 1.700 Zuschauer gekommen. Die Band wird von ekstatischen Fans, vorwiegend im Hipster-Look, gefeiert. Der Bass, besonders die tiefen Synthesizer-Klänge, agiert so druckvoll wie prophezeit, manch dröhnende Keyboard-Fläche lässt die Halle beben. Die Dynamik ist – sowohl im Set insgesamt, als auch innerhalb der Songs – wie bei einem stimmigen DJ-Set aufgebaut: In sich weitgehend gleichbleibende Dynamikstufen und -abschnitte. Das Set von Live-Schlagzeuger Hedlund klingt wie bei einer ausproduzierten Disco-Platte: Kontrollierte Sounds, kräftig komprimiert, eingerahmt von einer gleichmäßig führenden, definierten Bassdrum mit Attack, ohne tiefe Sub-Bässe. Die E-Gitarren füttern mit betonten Tiefmitten um 500 Hz angenehm das Song-Fundament. Zusammengefasst: Disco-Elektro mit flotter, fast hektischer Phonetik, Beatles-ähnlichen Gesangsharmonien und vielen kleinen Melodie- und Klangfetzen inklusive passender, neonfarbener Leinwand-Projektionen, mitunter nahe der Reizüberflutung. Nach einigen Abstechern ins Publikum zu Beginn, lässt sich Sänger Thomas Mars gegen Ende mit seinem kabelgebundenen Mikrofon vom Publikum zum FoH-Platz tragen, um von dort zu singen. Warum keine Sendestrecke? „Tom mag Kabel, nichts anderes”, kommentiert West. Als Zugabe folgt eine Gitarrenballade ohne Bass und Drums. Sie markiert den Moment, in dem die Show aus dem Konzept der Spannung in die Entspannung mündet. Am Ende läuft eine Video-Schleife und zeigt Bilder des verstorbenen Lou Reed, als Hommage, im Hintergrund dessen Song „Street Hassle“. Da ist das Publikum bereits im Aufbruch. Die Phoenix-Show erinnert an eine Lady Gaga-Produktion – sie folgt konsequent der Dramaturgie eines audiovisuellen Spektakels. „Pop und Progression“ trifft es eigentlich ganz gut – ganz abseits der anfänglichen Befürchtungen.
Abseits der Bühne
Bildband „Moments“ von Matt West
Der Alltag als tourender FoH-Tontechniker? Matt West zeigt persönliche Eindrücke seiner Reisen, hinter und abseits der Bühne in einem Foto-Bildband
Wie kann Entschleunigung, Abschalten, Selbsterkenntnis als tontechnischer Live-Dienstleister aussehen? Matt West stammt aus Perth im Westen Australiens, arbeitet als FoH- und Monitor-Mann. Seit Ende der 1990er ist er auf Welttourneen unterwegs, etwa mit Testament, Motörhead, Phoenix, The Cure, Snoop Dogg oder Eminem. West entwickelte eine Leidenschaft für Fotografie, die Touren führten ihn in entlegene Gegenden – eine ideale Gelegenheit. Vor vier Jahren veröffentlichte er einen Bildband: Ein Buch, das Eindrücke fernab vom Leben als FoH-Mann vermittelt: Es enthält „zufällige, unverbundene, individuelle Momente“, wie West beschreibt. Sein Buch streift über 40 Länder. „In den ersten Jahren habe ich den Rock’n’Roll-Lifestyle gelebt, aber nur wenig von den Orten um mich herum mitbekommen – zu betrunken oder verkatert, um abseits der Arbeit meine Freizeit sinnvoll zu gestalten“, erklärt West in der Einleitung. „Für eine Weile macht das Spaß, aber daraus entsteht keine Nachhaltigkeit.“ Sein Lieblingszitat stammt von dem amerikanischen Komiker Bill Hicks: „Die Welt ist wie eine Fahrt in einem Vergnügungspark. Wenn man sich darauf einlässt, hält man das Erlebnis für echt, weil unser Vorstellungsvermögen so kraftvoll ist.“ Wirklichkeit sei das, was man daraus mache. „Eines Nachts war ich in einem Rock-Club in Athen zusammen mit dem Drummer der Band, mit der ich gerade auf Tour war, in die übliche Sauferei vertieft. Plötzlich wurde mir bewusst, wie privilegiert ich eigentlich bin, dafür bezahlt zu werden, an einmaligen Orten zu arbeiten – und dass ich gerade eine dieser Gelegenheiten an der Bar verschwendete“, schreibt West. „Am nächsten Morgen besuchte ich die Akropolis. Meine Kollegen und die Bandmitglieder hatten den Kater danach, ich dagegen eine Kamera voller Eindrücke.“ Das sei ein Wendepunkt gewesen. „Nicht falsch verstehen: Ich gehe immer noch auf die üblichen Partys, aber verdrücke mich früh genug, damit Zeit bleibt für ein paar persönliche Tourismus-Erinnerungen vor der nächsten Abreise.“
Mit seinem Bildband hofft er, einen Aspekt des Tour-Lebens fernab lauter Musik und blinkenden Lichtern zu vermitteln. West verzichtet auf das Selfie-Dogma und die Beweisfotos, welche die Social-Media-Portale regelrecht überfluten. West ist kein Selbstdarsteller, er nimmt seine Person fast völlig aus dem Buch heraus. Kommentare hat er auf ein Minimum reduziert, damit dem Betrachter Raum für eigene Eindrücke bleibt. Bildunterschriften – Titel der jeweiligen Aufnahmen – setzen oft einen humorvollen Kontrapunkt. Das Buch enthält über 200 Bilder, Künstlerfotos sucht man vergeblich. Bei vielen Fotos handelt es sich um Impressionen abseits der Bühne. Meist Hochglanzfotos, bewusst eingerichtet, vereinzelt finden sich Schnappschüsse zwischen Tür und Angel, bei denen die Gunst des Moments über die Bildqualität siegt. West liefert ein inspirierendes Bilderbuch: Es zeigt, wie viel Lebensqualität selbst in einem stressigen Job stecken kann – wenn man die Augen aufmacht.
Passend zum ganzheitlichen Ansatz verzichtet West beim Vertrieb auf Branchenriesen wie Amazon und vertreibt das Buch selbst. Einziges Manko sind die Versandkosten nach Deutschland, die höher ausfallen als der eigentliche Verkaufspreis.
Mehr Info unter: www.mwviz.com
Moments. Matt West. MW Visual (Direktvertrieb im Eigenverlag), Perth. 210 Seiten. $40 AUD (ca. 27 Euro) zzgl. Versand ($45 AUD nach Deutschland, ca. 30 Euro)
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