Streaming in der Künstler-Praxis
Song oder Album sind fertig und nun soll die Musik raus in die Streaming-Welt: Wie funktioniert das eigentlich? Welche Portale sind relevant? Wie sieht die Vergütung aus? Welche Veröffentlichungs-Politik erscheint sinnvoll? Ein Praxis-Beispiel im Streaming-Dschungel liefert der Elektro-Punk-Künstler David Kurz alias Björn Peng, der ohne Label und nur über den Digitalvertrieb RecordJet seine eigene Musik veröffentlicht.
Von Nicolay Ketterer (Fotos: Frank Bale, Maximilian Motel, Laura Russ)
Wer seine Musik per Streaming zugänglich machen will, steht vor einer Vielzahl an Anbietern: Spotify, Apple Music, Deezer, Tidal Hifi, SoundCloud, Bandcamp, Napster, Youtube Music oder Amazon Music sind hierzulande die namhaftesten Anbieter. Welche sind in der Praxis am relevantesten? Und wie kann ein Künstler das Streaming-Thema bewerkstelligen? Der Musiker und Künstler Björn Peng gibt dazu freigiebig Auskunft.
Björn Peng: Von Myspace zum DIY-Digitalvertrieb
„Ich hatte 2006 angefangen, elektronische Musik zu machen und hatte, aus der Punk-Szene kommend, immer einen großen DIY-Ansatz“, erinnert sich David Kurz. Der hauptberufliche Mediengestalter aus Freiburg hat unter dem Künstlernamen Björn Peng bislang zwei Alben veröffentlicht, die elektronische Musik mit Punk-Elementen enthalten. Über die Jahre spielte er rund 250 Gigs, 2020 auch auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig. „Ich habe versucht, alles selbst zu machen und mir alles selbst beizubringen.“ Er veranstaltete Konzerte, bekam Kontakte. „Für mich war MySpace zu Beginn wichtig, das verhalf mir 2008 mit zwei, drei Songs zu einem Bekanntheitsgrad in der Szene.“ Doch MySpace fiel dann vom Radar der Industrie. Ein Bekannter eröffnete mit ihm anschließend ein Label, sie brachten 2014 das erste Björn-Peng-Album heraus. Das Album wurde über einen Vertrieb auf verschiedenen Digital-Portalen, darunter Spotify, angeboten. Die Resonanz blieb aus, die Veröffentlichung dümpelte vor sich hin, das Label stellte später den Betrieb ein. „Ich stellte fest, dass zwei, drei Songs für die Nischenmusik doch recht gut geklickt wurden. Mit dem Label handelte ich aus, dass ich die Rechte zurückbekomme.“ Ein neues Album, „Volk Off“, folgte 2020 und Kurz überlegte sich, wie er beide Alben am besten vermarkten könnte.
Bandcamp als „direkte“ Künstler-Plattform
Bandcamp war für ihn wichtig als Plattform, da er auch Merchandise anbot, was dort verkauft werden kann. Zudem stellt Bandcamp eine gute Alternative zum Streaming dar, gerade für unbekanntere Künstler: Kauft dort ein Kunde ein Album als Digital-Download für 12 Euro, entspricht das bei Spotify grob der Vergütung von rund 4.500 Streams – dazu später mehr. Auch einzelne Songs können gekauft sowie die Preise vom Künstler selbst direkt festgelegt werden. „Über Bandcamp habe ich einen direkten Draht – da bleibt das meiste bei mir hängen, weil kein Label dazwischen ist.“
Kurz nutzt den Digitalvertrieb RecordJet
Für die „herkömmlichen“ Streaming-Portale suchte er einen Digitalvertrieb, bei dem er die Rechte an seiner Musik behalten würde. „Viele Labels wollen die exklusiven Vertriebsrechte für die digitale Musik. In der Theorie bedeutet das, dass ich meine Musik nicht mehr auf kostenlosen Portalen wie SoundClound und Bandcamp – wo ich das Material direkt vermarkten kann, hochladen dürfte.“ Er landete beim 2008 gegründeten Berliner Digitalvertrieb RecordJet, zu deren Künstlern beispielsweise Milky Chance oder Alice Merton gehören. „Das Konzept gefiel mir, es war sehr übersichtlich. Dazu konnte ich weiterhin meine Sachen auf SoundCloud und Bandcamp behalten.“
Digitalvertriebe bestücken die angeschlossenen Streaming-Portale nach Wunsch. RecordJet wurde seinerzeit vom Musikproduzenten Jorin Zschiesche in Berlin gegründet. „Für Jorin landete zu wenig Geld bei den Künstlern, und der Künstler musste seine Rechte langfristig abgeben. Das war für ihn Anlass, einen Digitalvertrieb mit fairen Deals zu gründen. Damals gab es nicht die Möglichkeit, sich als Künstler anzumelden und bei allen Stores verfügbar zu sein“, erklärt Jörg Peters, der das Marketing bei dem Vertrieb leitet. „Man brauchte erst einmal einen Label-Deal – an das Label hatte man bereits einen Großteil der Einnahmen abgegeben, das Label hatte wiederum einen Vertriebsdeal, wo wieder etwas wegfiel.“
Während YouTube, SoundCloud und Bandcamp direkt von Künstlern bestückt werden können, ist für Spotify, Apple Music, Amazon & Co. also ein Digitalvertrieb nötig, um dort Musik einzupflegen. „Meines Wissens erlaubt es keine Plattform, Material selbst hochzuladen. Spotify hatte mal ein Test-Case, aber man muss immer noch über einen Vertrieb gehen“, meint Peters. Dazu bieten Vertriebe wie RecordJet auf Wunsch zusätzliche Promotion-Dienstleistungen bei Streaming-Plattformen, wie auch andere Anbieter (siehe auch das Interview mit Andreas Klein von Playlist-Promotion.com in Heft 09/2019).
Für den Vertrieb existieren bei RecordJet in der sogenannten „Business Class“ ein Basic- und ein Premium-Modell für Künstler. „Bei Premium bezahlt man eine Jahresgebühr – für eine Single 9 Euro, für eine EP 19 Euro, und für ein Album 29 Euro – und erhält 100 Prozent der Streaming-Einnahmen.“ Im „Basic-Modell“ fällt statt der Jahresgebühr ein einmaliger Betrag von 19 Euro pro Single, 29 Euro pro EP oder 39 Euro pro Album an. Dabei werden 90 Prozent der Streaming-Einnahmen an den Künstler ausgeschüttet. Welches Modell sich besser eigne, müsse man ausrechnen, meint David Kurz. „Für die meisten, und auch einige meiner Releases, ist es sinnvoller, auf die 90 Prozent zu gehen. Ansonsten braucht es sehr hohe Klickzahlen, damit sich das jährliche Paket, auch gerade bei Singles, rentiert.“ Die beiden Modelle stehen jedem Künstler offen. In der sogenannten „First Class“ bietet RecordJet individuelle Deals mit zusätzlichen Anreizen an – „dafür treffen wir eine Auswahl an Künstlern und Künstlerinnen“, so Peters. Dafür kann man sich per Formular auf der Webseite bewerben.
Weitgehend ähnliche Vergütung bei den Portalen
David Kurz erreicht bei Spotify im Schnitt eine Vergütung von 0,0027 Cent pro Stream – ein Durchschnittswert. „Jedes Streaming-Portal zahlt etwas anders aus. Bei RecordJet habe ich ein Konto, wo sich die Gelder ansammeln, und ich sie mir auszahlen lassen kann.“ Die Vergütung läge bei den Streaming-Portalen grob in ähnlichen Bereichen, so Jörg Peters. Die Summe pro Stream hänge dazu vom Angebot des Dienstleisters ab. „Bei einem werbefinanzierten Angebot hängt es von der Vermarktung ab, teilweise existiert eine Werbebeteiligung. Bei Premium-Diensten ist recht klar, wie viel ausgeschüttet wird. Allerdings hängt es vom Land ab: Das Spotify-Abo kostet, in Euro bemessen, beispielsweise in Indien weniger als in Deutschland.“ Daher unterscheide sich die Ausschüttung für jeweilige Anteile.
„Demokratische“ Verteilung bei Tidal, Soundcloud und Deezer
Hinzu kommt eine Debatte, die seit einigen Jahren schwelt. Dabei geht es darum, dass das herkömmliche Abrechnungsmodell von Portalen wie Spotify, das sogenannte „Pro-Rata-Modell“, kleinere Künstler benachteilige: Die Abo-Gebühren werden anteilig an die am meisten gestreamten Künstler ausgeschüttet, nicht an die jeweils vom individuellen Nutzer gehörten Künstler. Streamt ein Nutzer während eines Monats nur einen einzigen Song, bestünde eine gerechtere Verteilung darin, die Abogebühr des Nutzers auf den gehörten Künstler zu konzentrieren und ihm so eine höhere Streaming-Vergütung zukommen zu lassen. Abhilfe könnte das sogenannte „User-Centric Payment System” schaffen, bei dem die Abogebühren nutzerbasiert ausgeschüttet werden. Das wurde bislang lediglich von Tidal umgesetzt. Auch SoundCloud bietet in seinen Premium-Angeboten eine entsprechende Verteilung. Deezer liebäugelt seit 2019 mit dem Modell, konnte es aber bislang noch nicht umsetzen. „Deezer setzt sich schon lange für dieses Modell ein“, erläutert Jörg Peters. „Relevant ist natürlich, was Spotify, Apple und Amazon machen – die haben sich bislang noch nicht für dieses Modell entschieden, was teilweise auch von den Lizenzgebern abhängt. Sie brauchen Verträge mit den Lizenzgebern, die das unterstützen.“ Ein Major-Label müsse nicht zwingend ein Interesse daran haben, dass sich die Ausschüttungen für größere Künstler reduzieren. „Tidal und Deezer bezahlen recht gut, soweit ich weiß – sie sind leider für mich nicht besonders relevant“, erläutert David Kurz mit dem Hinweis auf die Spotify-Marktführerschaft. Bei SoundCloud hat er vor einiger Zeit aufgehört, erzählt er. „Ich wollte, dass die Leute auf Bandcamp gehen, weil sie direkt den Song kaufen können.“ Seine Meinung zur Tantiemen-Verteilung bei Spotify: „Fair ist das nicht, ich finde es auch nicht cool, wie die Verteilung bei Spotify ist – aber ich ziehe trotzdem noch ein bisschen Geld raus, verglichen mit den Zeiten davor, wo die Leute die Musik gestreamt haben und überhaupt nichts hängen blieb.“
Spotify nimmt bei Kurz rund 80 Prozent Anteil ein
Einer seiner Songs, „At Night“, hat bei Spotify mittlerweile rund 2,4 Millionen, „Das alte Lied“ gut 1,4 Millionen Streams. Von den Portalen – darunter YouTube Music und Apple Music – macht Spotify bei ihm über die gesamte Zeit besehen einen Anteil von rund 80 Prozent aus, erzählt er. Danach folgen Apple Music und Amazon Music mit je fünf Prozent, anschließend YouTube Music mit 3,3 Prozent. „Es geht so gut wie alles über Spotify. Dabei stammen wiederum fast alle Einnahmen von einem Song.“ Daher sei Spotify für ihn am wichtigsten. Betrachtet er nur den Dezember 2022, lag Spotify sogar auf 96 Prozent, auf den zweiten Platz kam Apple Music mit 3,3 Prozent, Amazon Music kam auf 0,2 Prozent. „Über Amazon gehen eher Downloads. YouTube war mal eine Zeit lang auf Platz drei – da bekam ich über einen Zeitraum von drei Monaten 8 Euro für einen Song.“
Selbst betreuter YouTube-Kanal als Mehrwert
Laut einer von der GEMA in Auftrag gegebenen Streaming-Studie lag der Marktanteil von Spotify bei 28 Prozent. Dominierend war mit 51 Prozent allerdings der kostenfreie, werbefinanzierte Video-Dienst von YouTube. In dem Kontext verweist Kurz auf den Nutzen eines selbst betreuten, „herkömmlichen“ YouTube-Videokanals. Der eigene YouTube-Kanal taucht in seiner RecordJet-Auswertung nicht auf. „Bei YouTube lade ich mein Album immer auch noch selbst auf meinen eigenen Kanal hoch. Dort sind die Klicks hundertmal so hoch wie bei YouTube Music, wo das Material automatisch hochgeladen wird. Die eigene Community, die eigene Fanbase, der direkte Draht zu den Leuten, ist nach wie vor einfach wichtig. Über YouTube Music habe ich das nur bedingt. Ich glaube, dass sogar meine GEMA-Einnahmen über YouTube höher sind als die Spotify-Einnahmen. Daher ist es relevant, zu schauen, viele Klicks auf YouTube zu bekommen – was allerdings nicht unbedingt über das läuft, was bei YouTube automatisch hochgeladen wird. Das wird recht lieblos über einen Bot hochgeladen, ohne relevante Infos.“
Mit Streaming will Kurz Konzertbesucher anlocken
„Mir geht es darum, dass möglichst viele Leute meine Musik niederschwellig streamen können – dann kommen sie auch auf meine Konzerte. Dass ich auch ein bisschen Geld darüber bei Spotify bekomme, ist ein positiver Nebeneffekt. Ich kenne das noch aus der Zeit, als die Sachen über Soulseek [eine Filesharing-Community, Anm. d. Autors] gehandelt wurden, und ich sie dort auch selbst angeboten hatte. Wenn mir etwas gefällt, hole ich mir das selbst irgendwann auf Vinyl. Die Einnahmen, die ich über Streaming-Portale bekomme, sind für mich zweitrangig. Ich sehe das eher als Werbung, um die Leute auf Bandcamp oder auf meine Konzerte zu bekommen.
Fanbase-Kontakt per Instagram anstatt via Facebook
Bei der Social-Media-Betreuung setzt er sich nicht unter Druck, gibt Kurz zu Protokoll. „Ich weiß, dass ich da viel mehr rausholen könnte – aber ich komme nur mit Content raus, wenn ich dahinterstehe und etwas erzählen möchte. Bei mir kann es auch nur ein Post pro Woche sein, oder weniger. Aber ich bin erreichbar – wichtig sind die DMs, und ich versuche auch, darauf zu reagieren. Mein Aufwand ist sehr unterschiedlich – das hängt davon ab, ob gerade ein Release oder Konzerte anstehen. Mittlerweile habe ich den direktesten Draht mithilfe der Storys bei Instagram, weil ich nur wenig Videos produziere. Sonst wäre es vielleicht YouTube. Facebook büßt auf jeden Fall an Relevanz ein, was auch damit zu tun hat, dass das Bezahlsystem, der Algorithmus, immer mehr auf Gewinnoptimierung aus ist. Dadurch werde ich beispielsweise nicht mehr über Konzerte benachrichtigt, die in meiner Umgebung stattfinden und die mich interessieren könnten – auch Clubs, in die ich regelmäßig gehe, schaffen es nicht mehr in meine Facebook-Timeline, wenn sie nicht dementsprechend Werbung schalten. Für mich wird Facebook daher zunehmend unbrauchbarer, sowohl privat wie auch als Musiker. Die Reichweite ist zu eingeschränkt, und dafür sehe ich es auch nicht ein, Geld in die Hand zu nehmen und Werbung zu schalten.“
Generell will er sich bei der Social-Media-Betreuung auf einzelne Plattformen konzentrieren. Dabei verzichtet er beispielsweise auf TikTok. „Ich habe so viele Daten an Facebook und Co. bereits herausgegeben, da will ich nicht auch noch meine Daten an China verschenken – auch wenn TikTok eigentlich eine wichtige Plattform ist, die vermutlich die größte Relevanz hat.“ Es sei ähnlich wie mit den Storys bei Instagram. „Darüber verbreiten sich sehr schnell Trends und Hypes. Ich habe schon von Punkbands gehört, deren Song dort eine Zeit lang viral ging und alle möglichen Leute ein Video darauf gemacht haben.“
„Ich bräuchte sechsmal so viele Streams, um davon leben zu können“
Wie könnte er allein vom Streaming leben? „Das hat auch immer mit dem eigenen Lebensstandard zu tun. Meine Ausgaben sind relativ gering.“ Bei Spotify hat er aktuell 12.000 Hörer, 25.000 Streams in sieben Tagen. Er müsste auf 150.000 Streams pro Woche kommen, um alleine davon leben zu können. „Streaming müsste sechsmal so hoch sein, wie es gerade ist. Ich würde mich dabei aber unwohl fühlen, davon abhängig zu sein. Die Einnahmen schwanken um 20 Prozent. Ich kann nicht vorhersagen, wie viel ich diesen Monat bekomme.“ Er sehe es daher als Zubrot. Die Streams seien auch von der Stilistik abhängig. „Das Elektro-Projekt lief recht gut über Streaming-Portale, während bei meinem Dark-Wave-Projekt ‚Totengeläut‘ die physischen Verkäufe besser liefen, weil es eine andere Szene ist. Es kann wirklich passieren: Du lädst eine Single hoch, und wenn sie keine Klicks hat, bringt sie übers Jahr nur 20 Euro. Das ist bei manchen meiner Sachen auch der Fall, daher muss ich mir immer überlegen, welches Modell ich bei RecordJet wähle.“ Eine Single seines Projekts Totengeläut wurde lediglich 20.000 Mal gestreamt, was rund 50 Euro Einnahmen brachte. „Wenn du davon noch das Mastering abziehst, was ich in Auftrag gebe, dazu die rund 20 oder 30 Euro, die ich bei RecordJet bezahle, ist das so gesehen ein Minusgeschäft.“
Streaming beeinflusst die Musikproduktion
„Wenn man sich darauf verlässt, auf die Streaming-Portale zu gehen, muss man auch anfangen, für die Streaming-Portale zu produzieren. Das würde mich zu sehr in meiner künstlerischen Freiheit einschränken. Ich habe das bei einem Song ausprobiert und ihn sehr kurz gemacht, damit er viele Klicks bekommt. Normalerweise habe ich einen sehr dynamischen Aufbau in vielen meiner Tracks. Wenn du für Streaming-Portale produzierst, muss die Hook auf die du sonst hinarbeitest, gleich am Anfang kommen damit die Leute gleich wissen, um was es in dem Song geht. Du musst mindestens auf rund 30 Sekunden Stream kommen, damit der Stream abgerechnet wird. Das heißt, viele Songs werden nun so produziert, dass alles, was den Song ausmacht, in den ersten 30 Sekunden verballert wird. Der Rest dient nur dazu, um den Song zu Ende zu bringen – und ihn möglichst gleich nochmal von vorne hören zu wollen. Darauf habe ich keine Lust.“
Streaming plus physische Angebote als Königsweg?
Christian Goebel, Label-Manager der „Rent A Record-Company”, sieht Ergänzungsmöglichkeiten zwischen Streaming und physischem Produkt (siehe Reportage in Heft 7/2018): „Unterm Strich kommt für die meisten mehr raus – gerade, wenn man alle Plattformen passend bedient: wenn mein physisches Produkt ein schönes Booklet hat, dazu eine tolle Vinyl-Pressung, die limitiert ist, und ich jeden Konsumenten entsprechend mit Respekt behandle. Die Vinyl-Ausgabe ist ein besonderes Produkt, das einen Anreiz liefert, nicht nur zu streamen. Stattdessen liefere ich bei Spotify zum Beispiel noch eine ‚Kommentar-Version‘ des Albums ab. Dann kannibalisieren sich die Angebote nicht unbedingt. Zuerst hole ich Leute auf Spotify ab – die gehen noch aufs Konzert und kaufen dort die Vinyl-Ausgabe.“ Mittlerweile müsse das Ziel darin bestehen, den Konsumenten praktisch ein Leben lang zu begleiten. „Das wird für uns beim Katalogmarketing immer wichtiger, dass ein potenzieller Fan immer wieder erinnert wird, die Musik zu hören: indem ich als Künstler meine Fans animiere, dass sie mich in ihre Playlisten packen, und Katalogaktionen zum zehnjährigen Jubiläum eines Albums habe.“ Wenn man das vernünftig bespielt, bietet der Markt viel mehr Möglichkeiten als früher.“
Ähnlich argumentiert Christoph Diekmann von „addvalue Consulting“, der Plattenfirmen berät. Er plädiert dafür, passende Nischenmärkte im Blick zu behalten und jeweils zum richtigen Zeitpunkt zu bedienen. „Ein Musiker sollte sein Augenmerk darauf legen, Produkte anzubieten, die auch gekauft und nicht nur abonniert werden.“ Er würde bei Streaming-Anbietern so vorgehen, „wie früher Musik vermarktet wurde: Singles anbieten, drei Tracks als Teaser, als Promo, sodass Fans diese bereits hören können.“ Darüber hinaus stelle sich die Frage, warum man das Album in reduzierter Klangqualität direkt zur Veröffentlichung „umsonst“ rausgeben sollte.
Streaming: Vielleicht gar „ganz ohne“?
Insgesamt besehen gewinnt das Thema Streaming an Relevanz. Setzte die deutsche Musikindustrie laut der für die GEMA erstellten Studie 2015 noch 221 Millionen Euro durch Streams um, waren es 2021 bereits 1,34 Milliarden Euro. Was die Social-Media-Promotion angeht, regt Saskia Rienth, die als Medien-Coach Künstler betreut, die passende Auswahl der Medien zur eigenen Persönlichkeit an. Promotion gehe im Extrem notfalls auch komplett offline: „Grundsätzlich solltest du dir überlegen, wen du wo erreichen möchtest. Ich habe auch mit Künstlern und Bands gearbeitet, die als Nutzer nicht auf Social Media unterwegs sind und keine Musik streamen. Warum sollten die als Musiker bei Social Media oder auf Streaming-Plattformen stattfinden? Das wäre nicht authentisch. Sie haben sich entschieden, nur physisch zu veröffentlichen. Das hat andere Entscheidungen zur Folge: Man muss sich überlegen, wie man sich eine ‚analoge‘ Zielgruppe aufbaut – zum Beispiel direkt nach dem Konzert. Wir hatten auch einen telefonischen Anrufbeantworter eingerichtet, bei dem man sich immer wieder melden kann und News und Updates bekommt. Theoretisch kann man auch mit einem Newsletter arbeiten. Wem das noch zu digital ist, der könnte auf Briefe gehen.“ Auch wenn das die absolute Ausnahme darstellt – letztlich gehe es darum, sich selbst treu zu bleiben, so Rienth.
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