Im Alleingang – Steve Hill
Der kanadische Bluesrock-Musiker Steve Hill singt und spielt dazu Gitarre, Bass und Schlagzeug –gleichzeitig. Wir haben ihn vor einem Konzert besucht und zur Studio- und Live-Umsetzung der „One-Man-Show“ befragt.
Von Nicolay Ketterer (Fotos: Nicolay Ketterer, Scott Doubt)
Dass Musiker ihre Platten alleine aufnehmen, stellt beileibe keine Neuerung dar – sämtliche Instrumente im Studio und auf der Bühne gleichzeitig zu spielen, wirkt indes ungewöhnlich. Der Bluesrock-Musiker Steve Hill aus dem kanadischen Quebec singt und spielt dazu gleichzeitig Gitarre, Bass und Schlagzeug. Hill bietet auf mittlerweile drei Alben wie auf der Bühne als „Ein-Mann-Band“ eigenes Material und neu arrangierte Cover-Stücke zwischen Blues, Rock’n’Roll, Rock und Hardrock. Bassdrum und Snare oder Hi-Hat spielt er mit Fußpedalen, am Kopf seiner E-Gitarre ist ein Schlagzeug-Stick befestigt, mit dem er ein Becken oder ein zweites Hi-Hat anschlägt.
Das Ergebnis erinnert an eine Mischung aus den White Stripes, Led Zeppelin und der Gradlinigkeit von AC/DC. „Ich war immer ein AC/DC-Fan, schon als Kind – die Musik hat viel Attitüde und ist sehr reduziert, das gefällt mir. Als One-Man-Band muss ich es auch reduziert halten!“ Wer nur die Musik hört, vermutet eher eine sehr gut eingespielte Band, statt einem einzelnen Musiker.
Konzept
Das Konzept entstand vor fünf Jahren – ursprünglich, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, erzählt der 43-Jährige. Hill ist bereits seit 25 Jahren als Profimusiker unterwegs. „Das Musikgeschäft hat sich verändert. Heute machst du eine Platte, um auf Tour zu gehen. Es geht nicht ums Geld, sondern darum, das zu machen, was du liebst. Manche Musiker hören ganz auf, haben einen normalen Job. Den hatte ich nie. Ich hatte früher einen Plattenvertrag mit einem Label, das mein Album veröffentlichte, und anschließend nichts damit machte – keinerlei Promotion. So kamen nicht viele Shows zustande. Bei jeder Show bezahlte ich alle Musiker, am Ende war nichts mehr übrig. Um meine Rechnungen zu bezahlen, musste ich noch als Sideman für andere spielen.“ Dazu kamen finanzielle Probleme mit seinem Management, er suchte einen Weg, nicht Pleite zu gehen, meint Hill. „Ich überlegte mir, Solo-Gigs zu spielen, wo ich nur Gitarre spielte und sang, stampfte dabei einfach mit meinem Fuß auf, was mit einem Mikrofon Richtung Boden abgenommen wurde. Das klang nicht wirklich toll. Ich habe ein paar Shows gespielt und schließlich eine Bassdrum verwendet. Da ich ein Studio besaß, machte ich mir Gedanken, wie ich ein Album aufnehmen könnte, das ich bei den Konzerten als etwas Außergewöhnliches verkaufen könnte, um meine Kreditkarten leichter abzuzahlen.“
Das erste Solo-Album verkaufte sich besser als einige Vorgängerplatten, erzählt er, er gewann damit Auszeichnungen, spielte 175 Shows. „Der Name ‚Solo Recordings Volume 1‘ entstand nur als Gag! Ich dachte, ich mache die Platte, zahle meine Schulden ab und trommle meine Band wieder zusammen!“ Die Leute fragten nach einem Nachfolgealbum. „Volume 2“ gewann unter anderem den Juno Award, die kanadische „Grammy“-Entsprechung, verkaufte sich noch besser. Dieses Jahr kam schließlich „Volume 3“. Er perfektioniere das Konzept immer noch, erzählt Hill. „Für mich funktioniert es, und macht mir Spaß! Irgendwann dachte ich, dass ich einfach eine Trilogie mache. Aber ich glaube nicht, dass es dabei bleibt.“ Er denke etwa über einen Konzertmitschnitt nach.
Setup
Er sei zwar gut beschäftigt, müsse aber dennoch aufpassen, nicht zu viel zu spielen, meint Hill. Die größte Herausforderung? „Du musst mit der Dynamik aufpassen, das ist das Wichtigste!“ Es sei schwierig, die Spieldynamik der einzelnen Elemente unabhängig voneinander zu gestalten. „Ich kann nicht wirklich soft auf der Gitarre spielen, und die Drums gleichzeitig kräftig. Das geht Hand in Hand.“ Es gehe darum, auch Raum für den Gesang zu lassen – „und bei einem Gitarrensolo nicht das Gefühl entstehen zu lassen, dass gleichzeitig etwas fehlt.“ Bei dem Konzept könne er keine Effekthascherei betreiben. „Es wird sehr schnell langweilig, wenn der Song nicht funktioniert.“
Auf seinen Gitarren ist ein zusätzlicher Tonabnehmer für das Bass-Signal montiert, der über die Saiten hinausragt und nur die drei tiefen Saiten der Gitarre abnimmt. Damit steuert Hill einen Bass-Verstärker an, das Signal durchläuft zudem einen Electro-Harmonix POG Octaver. Ob Bass und Gitarre nicht gelegentlich zu sehr unisono klingen, wenn sie gleichzeitig auf einem Instrument gespielt werden? „Das kann passieren, aber durch die Art, wie ich spiele, macht der Bass praktisch sein eigenes Ding. Im Ergebnis spiele ich oft unterschiedliche Parts.“ Er macht eine Achtellinie vor, darüber ein Gitarrenriff – das erinnert entfernt an die simultane Spieltechnik, die etwa Chet Atkins im Country-Bereich populär gemacht hat. „Meine Bass-Parts sind normalerweise simpler als bei Chet Atkins, ich bin mehr bei AC/DC“, meint er schmunzelnd. „Darüber kannst du die Akkorde legen, sozusagen das Song-Fundament. Aber es gibt auch Songs wie ‚Dangerous‘, die ich unisono spiele, und die bereits wie ein Bassriff wirken.“ Hill spielt ohne Plektrum. Passend zum ungewöhnlichen Setup verzichtet er auf herkömmliche Stimmungen. „Wenn ich ein Standard-Tuning spiele, dann höchstens einen Ganzton tiefer. Ansonsten verwende ich etwa ein Open A-Tuning, mit einem D auf dem Bass, oder ein Open G als DADGAD.“ Er dämpfe immer Saiten, die er nicht spiele, um Resonanzen zu verhindern. „Wenn ich eine Basslinie spiele, dazu ein Riff auf zwei Saiten, dann dämpfe ich die anderen drei ab.“

Hill nimmt die Bass-Saiten seiner Gitarre über einen separaten Tonabnehmer zusätzlich ab, um das Signal getrennt über einen Bass-Verstärker zu schicken (Foto: Scott Doubt)
Beim Spielen verwendet er Tape-Echo-Effekte und Federhall. „Ich benutzte zwar meist keine Distortion, aber sättige die Signale. Die Verstärker sind halb aufgerissen, davor zwei Clean-Booster und mein Fulltone Tube Tape Echo, das seinerseits einen Röhren-Preamp eingebaut hat: Das sind drei Verstärkerstufen vor dem eigentlichen Amp, was mir sehr natürlich klingende Übersteuerung liefert.“ Zusätzlich zur getrennten Bassverstärkung verteilt er die „Gitarrenspur“ auf zwei Amps: „Ich benutzte normalerweise einen Gitarren-Amp mit Federhall, dazu einen zweiten mit Slapback-Delay. Das ergibt einen sehr weiten Sound.“
Looper – um etwa vorab einzelne Parts zu loopen und abzurufen – hat er noch nie benutzt, erzählt Hill. „Bislang komme ich ohne aus.“
Interessantes Detail: Hill ist eigentlich Linkshänder, das Gitarrenspiel hat er allerdings rechts herum gelernt. „Als ich anfing, erzählte mir ein Freund, dass Linkshänder-Gitarren 200 Dollar Aufpreis kosten würden. Mein gesamtes Budget betrug 200 Dollar – damit war die Sache geklärt.“ Schlagzeug spielt er indes in „Linkshänder-Aufstellung“, weil er den Bassdrum-Rhythmus automatisch mit links stampft. Das „Pedalspiel“ der Snare? Dass die Trommel mit einem Bassdrum-Beater statt einem Drumstick angespielt wird, stelle kein Problem für ihn dar. „Es klingt immer gut. Ich habe nie ein ‚normales‘ Drumkit gespielt.“
Recording
Die Aufnahmen des aktuellen Albums „Solo Recordings Volume 3“ entstanden in den Tone Bender Studios in Montreal. Wie die Vorgänger hat er alle Instrumente ebenfalls gleichzeitig eingespielt. Lediglich manche Takes hat er aus verschiedenen Einspielungen zusammengeschnitten. Beim aktuellen Album kam teilweise der Gesang nachträglich hinzu, aufgrund einer Rippenverletzung, die er sich beim Hockey-Spielen zugezogen hatte. Der Hintergrund der Live-Einspielung? „Das würde sonst die Spontanität des ganzen Projekts abtöten.“ Umgekehrt sei es lächerlich, auf der Bühne eine ‚One-Man-Show‘ zu liefern, und im Studio alles nacheinander einspielen, meint Hill. „Dann wäre es eine normale Platte, wie sie jeder macht! Das wollte ich nicht – außerdem klingt das schal, wir alle haben das in der Vergangenheit probiert. In meinem Fall klang es nicht natürlich, nicht wirklich passend, wenn ich selbst alle Instrumente nacheinander einspielte. Genauso, wenn ich einen Click-Track verwendet habe – das hat sich einfach nicht richtig angefühlt. ‚Unperfekt‘ klang es nicht nur natürlicher und lebendiger, sondern schlicht besser und war interessanter anzuhören.“
Das Album wurde auf eine Studer A-800 24-Spur-Maschine aufgenommen, unter anderem mit Bändchenmikrofonen, dazu ein Shure SM-7 beim Gesang. Als Preamps dienten größtenteils Neve-Modelle, so Hill. Anschließend wurden die einzelnen Spuren in Pro Tools überspielt, um Takes zusammen zu schneiden. Das Ergebnis wurde schließlich auf eine Ampex Halbzoll-Bandmaschine abgemischt.
Zusätzliche Effektbearbeitung abseits des Gitarren-Setups hielt er reduziert: Beim Abmischen hat er als Gesangsecho und gelegentlich auf dem Schlagzeug seine Studer A-81-Mastermaschine verwendet, indem er den Versatz zwischen Aufnahme und Wiedergabekopf für den Echo-Effekt nutzte. Kompression? „Ich bin ein großer Fan des Neve 33609-Kompressors, der funktioniert für mich ideal auf Gitarren und auch auf der Summe. Auf dem Album hatten wir auf der Summe einen alten Gates-Kompressor, der unglaublich klang. Ein riesiges Teil, acht Höheneinheiten im Rack. Auf dem Gesang haben wir bei manchen Songs einen Retro 176-Kompressor verwendet, auf anderen eine Kombination aus einem Universal Audio 1176 und einem LA-2A. Ich meine, mich zu erinnern, dass wir den SSL-Bus-Kompressor verwendet haben. Auf allen Subgruppen kamen Pultec-Equalizer zum Einsatz.“
Live
Mit dem ungewöhnlichen Konzept war Hill mehrfach auf Tour, vor drei Jahren ist er etwa beim Montreux Jazz Festival aufgetreten. In Deutschland ist er dieses Jahr bereits zum zweiten Mal, Anfang des Jahres war er als Support für Wishbone Ash unterwegs. Beim abendlichen Gig im Karlsruher Substage Café fühlt sich das Publikum dem Vernehmen nach gut unterhalten. Hill spielt neben eigenem Material etwa ein Medley aus der Muddy-Waters-Nummer „Rollin‘ & Tumblin“, dem Stones-Song „Stop Breaking Down“ und Jerry Lee Lewis‘ „Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On“ – eines der Höhepunkte, samt beschwingtem wie komplexen Slide-Gitarrenspiel. Weitere Highlights: Sein eigener Song „Dangerous“, eine brachiale Rock-Nummer, sowie sein Hendrix-Cover „Voodoo Chile“, samt ausufernde Soli mit Progressive-Rock-Elementen und Van-Halen-Komplexität.
Abwechslung bieten einzelne ruhige Akustiknummern, spartanisch mit Bassdrum und verhaltener Mundharmonika arrangiert. Bei einem Robert-Johnson-Cover imitiert er im Gesang den rauen Blues-Duktus und spielt überraschend flink. Die größte Herausforderung, eine Show über zwei Stunden spannend zu halten? „Ich achte generell auf die Dynamik. Aber wenn du zum Beispiel eine Open-Air-Show spielst, wo die Leute nicht wirklich auf die Musik achten, sondern Party machen und sich unterhalten, kannst du nicht viel Dynamik unterbringen. Ich spiele auch einige Akustik-Songs, würde in dem Kontext aber keine Balladen spielen.“ Das sei das falsche Setting. „Idealerweise spiele ich Rock, ein paar Blues-Nummern, dazu Akustik-Songs, um dem Hörer die größte Bandbreite von dem zu präsentieren, was ich mache.“ Was bleibt? „Du musst heute mehr Shows spielen, um über die Runden zu kommen, aber das macht mir nichts aus – ich liebe es, live zu spielen!“
Erschienen in Professional audio 12/2017