„Studios sind Labore!“

Seit knapp fünf Jahrzehnten arbeitet Richard Bennett als Studiogitarrist, seit 20 Jahren an der Seite von Mark Knopfler, davor bei Neil Diamond. Trotz seitenlanger Session-Biografie bleibt Bennett seit jeher eher im Hintergrund. Ein Blick auf den Alltag als Session-Musiker und den Wandel der Branche.

Von Nicolay Ketterer. (Fotos: M. Humeniuk, G. Karp)

“Wenn sich auf einer Platte aus Nashville ein tolles Gitarren-Lick befindet, ist die Chance groß, dass es von Richard stammt,“ wird Mark Knopfler in einem Artikel über Richard Bennett zitiert. Das Lob seines Arbeitgebers kommt nicht von ungefähr: Seit fast 50 Jahren arbeitet der 64-Jährige Bennett als Studiogitarrist, ursprünglich in Los Angeles, später in Nashville. In den 1970er und 80er Jahren war er Gitarrist bei Neil Diamond, seit Mark Knopflers Solokarriere Mitte der 1990er spielt er an der Seite des ehemaligen Dire-Straits-Gitarristen.

Bis hierhin klingt alles nach einer soliden Musikerkarriere. Wer genauer hinsieht, wird von der Bandbreite allerdings förmlich erschlagen: Bennetts Lebenslauf als Gitarrist, Produzent und Arrangeur spuckt endlos große Namen aus – darunter Ringo Starr, Gene Vincent, Andy Williams, Roseanne Cash, Emmylou Harris, Waylon Jennings, Smokey Robinson, Gladys Knight, die Four Tops, Barbara Streisand, T-Bone Walker, Chubby Checker, Duane Eddy, Glen Campbell, Petula Clark, die Partridge Family, Marvin Gaye, Amy Grant und Billy Joel – um nur die bekanntesten zu nennen. Dazwischen finden sich gar Kompositionen fürs Fernsehen. Seit einigen Jahren veröffentlicht Bennett außerdem eigene Alben, gelassene Instrumentalmusik mit Song-Melodien. Gerade erschien sein fünftes: Contrary Cocktail.

Mark Knopfler "Kill to get Crimson" Tour 2008

„Ich war der Junge in der Band, der ein Rockstar sein wollte.“

Seine Studiokarriere begann er bereits im Alter von 17 Jahren in Hollywood, erzählt der sympathische wie entspannte Musiker, der ursprünglich aus Chicago stammt. „Die Session-Musiker der ‚Wrecking Crew‘ [legendäre Session-Gruppe, die etwa für die Beach Boys und Frank Sinatra eingespielt haben, d. Autor] haben mir eine Menge beigebracht. Ich bin sehr darauf bedacht, nicht den Eindruck zu erwecken, als sei ich Teil von ihnen gewesen. Aber ich habe mit allen von ihnen gearbeitet und den Job von ihnen gelernt.“ Als 19-Jähriger fing er bei Neil Diamond an, stellte mit seiner jugendlichen Energie ein Gegengewicht zu den gestandenen Musikern dar. Bennett muss lachen: „Ich war der Junge in der Band, der ein Rockstar sein wollte.“ Die Zusammenarbeit blieb fruchtbar, 17 Jahre blieb Bennett an der Seite des Sängers. Die Arbeit als Studiomusiker lief parallel weiter: Mitte der 1980er zog er nach Nashville, etablierte sich dort als Session-Größe.

„Am Ende geht es immer um den Song, nicht um Dich.“

Wie sich das Leben in den letzten fünf Jahrzehnten als Session-Player verändert hat? „Es gibt deutlich weniger Aufträge. Der Prozess hat sich verändert: Produzenten stellen oft eine kleine Rhythmussektion für die Basic-Tracks zusammen, anschließend gehen die Künstler für Overdubs und Gesang in ihre Heimstudios.“ Eines der guten Dinge laut Bennett: „In Nashville fangen die Leute wieder an, Platten wie früher aufzunehmen – sie stellen eine Band zusammen, die ein Album live einspielt.“ Aufgrund geringer Budgets müssten die Künstler schnell arbeiten, da biete sich diese Arbeitsweise an. „Wenn die Musiker und Sänger gut genug sind, lernt jeder kurz vor der Aufnahme den Song. Dann spielt und singt man ihn. Nach dem gemeinsamen Take ist alles fertig. Keine teuren Alben, aber oft ein sehr befriedigender Prozess – der Künstler muss allerdings in der Lage sein, das abzuliefern.“ Die wichtigste Erkenntnis für einen Session-Musiker? „Es sind Songs, die Du da spielst. Am Ende geht es immer um den Song, nicht um Dich. Gleichzeitig solltest Du aber zum Song beitragen – ihn ‚würdigen‘ und ihm das geben, was dazu passt.“ Seine Ratschläge an werdende Session-Musiker? „Einfache Sachen: Pünktlichkeit! Sieh zu, dass Du Deinen ganzen Kram vor Ort hast – und dass er funktioniert. Besorg Dir Equipment, an dem Du nicht rumfrickeln musst, wenn es darauf ankommt. Regel Deine Telefonanrufe und besorg Dir Deinen Kaffee – oder was auch immer Du brauchst – vorher. Wenn die Session um 10 Uhr geplant ist, sollte das Dein Startschuss sein. Ob‘s am Ende tatsächlich pünktlich anfängt oder nicht, spielt keine Rolle – denn Du bist vorbereitet.“

„Es macht mehr Spaß gemeinsam mit anderen Musikern einzuspielen.“

Wie sich beim Aufnehmen für ihn der Unterschied anfühlt, zwei, drei Gitarrenspuren als Overdubs „aufzuschichten“, statt sie gleichzeitig mit anderen einzuspielen und aufeinander zu reagieren? „Ich denke, die Intention, wie die Spuren im Arrangement funktionieren sollen, ist grundsätzlich die gleiche – egal, ob zwei andere Typen mit Dir im Aufnahmeraum stehen und auf Dich reagieren, oder ob deren Spuren schon aufgenommen sind und Du Dich einpassen und darauf reagieren musst. Aber es macht natürlich mehr Spaß, zusammen mit anderen Musikern einzuspielen.“ Er habe jetzt fast 50 Jahre als Session-Gitarrist geabeitet, „und ich finde es immer noch einschüchternd, alleine in den Aufnahmeraum zu gehen und einen Overdub einzuspielen. Alles findet wie unter einem Mikroskop statt, Du sitzt draußen im Aufnahmeraum, und jeder beobachtet Dich. Egal, wie man sie dekoriert – Studios sind Labore!“ lacht Bennett. „Die Studios sind für mich völlig in Ordnung, wenn ich für andere Künstler einspiele, aber für meine eigenen Platten suche ich eine andere Atmosphäre.“ Sein aktuelles Album hat er im Studio eines Freundes aufgenommen, einem mit Werkstatt-Atmosphäre statt der einer gefühlten „Klinik“. „Man entblößt sich, besonders, wenn man die Songs selbst geschrieben hat. Du probierst einen Song aus und musst vielleicht feststellen, dass er doch nicht so gut ist, wie Du dachtest.“

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„Die Gitarre ist ein Mittel zum Zweck.“

Die Idee hinter der eigenen Musik: „Die Platten, die ich mache, sind kein Vehikel, um zu zeigen, wie toll ich spielen kann. Auch wenn das Spiel natürlich ins Ergebnis eingeht – es geht um die Komposition. Die Gitarre ist das Mittel zum Zweck, das hier nun mal die Stimme stellt.“ Instrumentalstücke stellten einen besondere Schwierigkeit dar, gerade für Virtuosen, meint Bennett: „Mir scheint, es gibt wenig melodische, eher minimalistische Instrumentalmusik. Stattdessen höre ich ‚Wettrennen‘ auf dem Gitarrenhals.“ Das sei Musik für Instrumentalisten, weniger für Hörer im Allgemeinen. „Und ich kann nicht mal sagen, wie vielen Musikern das gefällt – manchmal vermutlich nur dem Künstler selbst!“ (lacht) „Ich mag Songs und Melodien. Als ich aufgewachsen bin, waren reine Instrumentalstücke Nummer-Eins-Hits im Radio! Last Date oder Cast Your Fate To The Wind, dazu Filmmusik wie Neve On Sunday. Das hat Tradition – erfolgreiche Instrumentalsongs gab es von den 1920er bis in die 1960er Jahre, sie waren schlicht Teil der Popmusik. Das ist schon lange nicht mehr der Fall. Aber das stört mich nicht – es ist die Art von Musik, die ich machen möchte.“ Bennett beschreibt sich selbst als „melodischen Gitarristen“. Das Album klingt atmosphärisch, eher ruhig, die getragenen Töne erinnern grob an Bill Frisell. Bennett bietet allerdings eigene Klangfarben, stellenweise mit leicht südamerikanisch angehauchtem Flair. „Das Album hat kein Oberthema – es sind schlicht Songs, die ich geschrieben habe. Normalerweise würde ich nicht so viele unterschiedliche Songs auf ein Album packen.“ Es habe aber Sinn ergeben, daher auch der Albumtitel, Contrary Cocktail – „ein Cocktail gegensätzlicher Dinge.“ Auf einzelnen Stücken finden sich ungewöhnliche Saiteninstrumente, im Song Tresero etwa eine kleine kubanische Gitarre, die sogenannte Tres. Bei Our Summer Last entstammt die Rhythmusspur einem Madolin-Guitarophone, das „eher wie eine Zither aussieht“, erklärt Bennett.

In Concert

„Jedes kleine Teil, das Du zum Klingen bringen kannst, hilft.“

Wie er zu den obskuren Saiteninstrumenten gekommen ist? „Al Casey, ein Gitarrist der Wrecking Crew und mein Mentor, besaß immer kleine, seltsame Instrumente. Ukulele, spezielle Gitarren – was auch immer er spielen konnte, brachte er zu einer Session mit. Er würde es nie aufzwingen, aber gelegentlich meinte er bei einzelnen Songs, dass er einen besonderen Sound dafür hätte – und zauberte ein Instrument aus dem Hut. Wenn es funktionierte, warst Du der Star der Aufnahme: Auch wenn es nicht um Dich geht, hast Du einen entscheidenden Teil zum Ergebnis beigetragen. Von ihm habe ich gelernt: Jedes kleine Teil, das Du zum Klingen bringen kannst, hilft. Ich hab viele kleine, fremdartige Ethno-Instrumente, die ich nicht traditionell spiele, weiß aber, wie ich ihnen ein paar Klänge entlocken kann.“ Bei Mark Knopflers Hill Farmer’s Blues spielt er beispielsweise eine brasilianische Cavaquinho, dem Vorläufer einer Ukulele. „Der Sound funktioniert für das Stück.“

„Ich bin mir der Kraft bewusster, dass weniger mehr ist.“

Stichwort Knopfler – die Band wurde im Laufe der Jahrzehnte gefühlt immer ruhiger. „Wir spielen mittlerweile komplett anders – weniger laut. Ich denke, wir spielen besser, sozusagen ‚smarter‘. Früher habe ich ältere Musiker darüber reden gehört, ‚smarter‘ zu spielen – und nie verstanden, was das heißen soll! Ich hielt es immer für eine Entschuldigung, nicht mehr so gut zu spielen!“ (lacht) Mittlerweile verstehe er den Unterschied. „Wir sprechen darüber, dass wir inzwischen ‚smartere‘ Musiker sind, die nicht mehr versuchen, die ganze Zeit so viel Scheiße unterzubringen. Die braucht es nicht.“ Ob es darum geht, bewusster zu spielen? „Du bist Dir der Kraft bewusster, dass weniger mehr ist.“ Das klingt nach einem Klischee, aber Bennett formuliert es aus: „Weniger bringt tatsächlich mehr, wegen dem Raum, den Du den einzelnen Tönen lässt. Du hast keine Angst mehr vor Leerstellen, davor, nicht alles komplett auszufüllen.“
Das ruhigere Spiel? „Das entwickelt sich ganz natürlich. Wenn man älter wird, spielt man nicht mehr so ‚wild‘! Laut spielen ist das letzte, was ich im Moment will. Das geht in die gleiche Richtung wie die Geschichte mit dem ‚Raum geben‘: Du wächst raus, wirst sozusagen erwachsen – das heißt nicht, dass Du keinen Rock’n’Roll mehr magst, aber Du gehst einfach ‚smarter‘ damit um.“ Das gelte auch für sein Album, das in gemächlichem Midtempo gehalten ist. „Ich denke, es ist in Ordnung, ein Album zu machen, das nicht viel schnellen Lärm beinhaltet.“

 

Erschienen in der Ausgabe 09/2016