Einen renommierten Studiokomplex einfach so an einen neuen Standort zu beamen – das könnte nicht mal Enterprise-Chefingenieur Scotty. Am Beispiel der Münchener Dorian Gray Studios zeigt sich, wie ein solches Abenteuer gelingt.

Text von Harald Wittig/Fotos Harald Wittig, Dorian Gray Studios

Die Dorian Gray Studios zu München wurden bereits 1989 gegründet und sind gewissermaßen der Nukleus der music support group, unter deren Dach sich verschiedene Geschäftsbereiche der Medienbranche versammeln. Am Bekanntesten sind die Akademie Deutsche POP und die Dorian Gray Studios selbst. Die wurden mit dem Eintritt des Studioleiters Gerhard Wölfle im Jahr 2004 in einem kurz davor und eigens errichteten Neubau vollständig neu errichtet. In Eichenau bei München entstand seinerzeit ein hochmoderner Studio-Komplex, der sich zügig als erstklassiges Klanglabor etablierte und zur Lieblingsproduktionsstätte zahlreicher Künstler, die auf nationalem und internationalem Parkett aktiv sind, wurde – dank der exzellenten Akustik, Technik und Kompetenz der in den Studios beschäftigten Tonschaffenden, allen voran Gerhard Wölfle.

Im Jahr 2017 fiel die Entscheidung der Unternehmensleitung, die Standorte der music support group in München zu zentralisieren. Bisher befanden sich die Unternehmens-Zentrale und die Dorian Gray Studios etwas abgelegen in Eichenau, zwei Ausbildungsstätten der Deutschen POP – für den Audio- und den Marketing- und Fotografiebereich – residierten anderenorts in München. Seit 2020 sind Zentrale, Deutsche POP und die Dorian Gray Studios in der Perchtingerstraße in München-Obersendling in einem Gebäude untergebracht und damit im Vergleich zu früher sehr viel verkehrsgünstiger gelegen. So findet sich eine U-Bahnstation in unmittelbarer Nähe des Gebäudes, zwei größere Hotels in direkter Nachbarschaft bieten sich an, Künstler, Produzenten oder Gastdozenten zu beherbergen. Doch ein Studio-Komplex ist nicht mal eben mit einem Fader-Hochschieben umgezogen. Auch der Umzug und die Neuerrichtung der Dorian Gray Studios war ein Abenteuer, das wir Euch unter kundiger Führung von Gerhard Wölfle erzählen wollen.

Abbau und Neubau

Im Sommer 2019 war klar, dass das inzwischen verkaufte Studiogebäude in Eichenau zu verlassen war: „Zum Dezember 2019 mussten wir raus, denn der neue Eigentümer hatte Eigenbedarf angemeldet. Der Plan war, dass wir schnellstmöglich ausziehen, also das Studio abbauen und in der Perchtingerstraße neu aufbauen.“ Dabei sollte die Technik und die komplette, ihrerseits perfekte Raumakustik an den neuen Standort mit umziehen und dort in neuem Glanz wiedererstehen. Was sich unter anderem aus baupolizeilichen Gründen nicht wie vorgesehen zügig realisieren ließ: „Wir mussten unsere komplette Anlage und die Akustik im neuen Gebäude erst einlagern. Selbstverständlich war die Demontage sorgfältigst erfolgt, jedes Einzelteil, vom großen Absorber bis zum kleinsten Anschlussfeld war plangemäß nummeriert, um wieder aufgebaut werden zu können.“ Faktisch war das allerdings eine Puzzlearbeit, die ein Besucher des Studios heute nur noch mit viel Fantasie erahnen kann. Denn die Anlage der neuen Dorian Gray Studios unterscheidet sich grundlegend von der Anlage in Eichenau:

Untergebracht sind die Studios im Kellergeschoss des music support group-Hochhauses. Die Langseite des Trakts umfasst den großen Aufnahmeraum, das Studio 2, einen kleinen Aufnahmeraum sowie ein neues Schulungsstudio, das in erster Linie von der Akademie Deutsche POP, aber auch als Aufnahmeraum genutzt wird.  Das Besondere an der Anlage: Es gibt anders als früher eine durchgehende Sichtverbindung zwischen den Räumen. Musiker können sich also beim Einspielen sehen. Gerhard Wölfle nennt Beispiele: “Letzthin hatte ich das Ensemble ‚Blechschaden‘, das sind die Blechbläser der Münchener Philharmoniker, hier. Die Bläser und der Dirigent waren im Raum 1, der Schlagzeuger in Raum 2. Dass der Drummer Sichtkontakt mit dem Dirigenten hat, ist selbstverständlich optimal für die Musiker. Oder das Weltmusikensemble ‚Quadro Nuevo‘, die schon lange unsere Stammkunden sind und zuletzt ihr Album ‚December‘ bei uns aufnahmen: Die Musiker verteilen sich bei den Aufnahmen buchstäblich über alle Aufnahmeräume, während der Quadro Nuevo-Produzent Philipp Winter im Studio 2 an der SSL Duality-Konsole arbeitete. Gerade für solche Ensembles, die viel live im Studio machen und auf eine gute Signaltrennung Wert legen, ist die Sichtverbindung ideal.“

Es ist klar, dass in eine, übrigens in den Dimensionen gewaltige Kelleretage nicht mal eben ein professioneller Studio-Komplex eingerichtet werden kann. Folgerichtig haben wir es bei den Dorian Gray Studios mit einer komplexen, sehr aufwändigen Raum-im-Raum-Konstruktion zu tun. Der Komplex ist vollständig vom Gebäude entkoppelt und optimal isoliert. Für den bauphysikalischen Teil war die Müller-BBM AG (www.mbbm.de) zuständig. Das Unternehmen bietet unter seinem Dach verschiedene Bereiche vom (Akustik-)Bau   bis hin zur akustischen Messtechnik an. Zwar wollte Gerhard Wölfle als Bauleiter ursprünglich den Akustiker Jochen Veith, der für die Eichenauer Studios verantwortlich zeichnete, verpflichten: „Jochen hatte aber keine Kapazitäten frei, sodass letztlich Müller-BBM den bauphysikalischen Part übernahm und alles hervorragend umgesetzt hat.“ Dabei musste die Raumakustik nicht neu geplant und gemacht werden: „Die Raumakustik hatten wir und es war klar, dass die auch im neuen Bau – ebenso wie die komplette Kabellage – weiterverwendet werden würde. Ein paar akustische Modifikationen haben sich für das Studio 2 und den kleinen Aufnahmeraum, bei denen wir vergleichsweise höhere Decke haben, ergeben. Der große Aufnahmeraum hat aber die gleiche Deckenhöhe wie zuvor, während die Bruttoraumgröße der Regie 1 bis auf den Zentimeter genau der in Eichenau entspricht.“ Was für den Studioleiter elementar ist, denn die Regie 1, die Wirkungsstätte des erfahrenen Tonmeisters, sei „nach meinen Begriffen der perfekte Raum.“ Weswegen er auch zunächst „keine Luftsprünge“ machte, als klar war, dass er seine Kreativzentrale verlassen musste. „Doch jetzt bin ich sehr, sehr zufrieden. Das Arbeiten geht so gut von den Händen wie ich es gewohnt bin und die neue Raumstruktur ist deutlich flexibler als im alten Gebäude.“ Schaltzentrale in der Regie 1 ist immer noch die bewährte SSL C200-Konsole nebst einer feinen Kollektion analogen Outboards, einiges davon aus der Privatsammlung Gerhard Wölfles.

Vollständig entkoppelt, vollkommen isoliert

Doch zurück zum Studio-Bau: „Das Gebäude ist ein typischer 1970er-Jahre Stahlbeton-Zweckbau, der akustisch alles andere als günstig ist. Deswegen mussten wir einigen Aufwand treiben, um den Studio-Komplex vollständig von dem Gebäude zu entkoppeln.“ Das ist, um es kurz zu machen, gelungen, was echte Praxistests schnell belegten: „In den oberen Etagen wurde mit Hochdruck, laut und im wahrsten Sinne markerschütternd gewerkelt. In unserem Reich aber…Hörst Du nichts.“ Die Nähe zur U-Bahn war ebenfalls zu berücksichtigen. Bei 30 Hertz ermittelten die Messtechniker von Müller-BBM ein leichtes tieffrequentes Rumpeln, das beim Bau  berücksichtigt wurde, indem die Resonanzfrequenzen entsprechend tiefer gelegt wurden.

Für jeden Raum sind speziell berechnete Sylomer-Elemente zur Körperschalldämmung eingesetzt, die Wände zwischen Regie 1, Aufnahmeraum1, Studio 2 und Aufnahmeraum 2 sowie dem Mastering-Studio bestehen aus einem Verbund mit Kalk-Sandstein und zwei Vorsatzschalen. Das ergibt eine vollkommene Isolation der Räume voneinander: „Als ich die Blechschaden-Aufnahmen in der Regie 1 mischte, probte gleichzeitig im Raum 1 ein Rockband, während mein Assistent im Studio 2 Sprachaufnahmen machte. Da ist nichts durchgedrungen.“ Lediglich beim Schulungsstudio wurde weniger Aufwand getrieben. Die Wände des Raumes sind reiner Trockenbau mit zwei Vorsatzschalen, da „dringt bei sehr hohen Pegeln schon mal ein bisschen was nach draußen. Das ist aber kein Problem und für ein Schulungsstudio akzeptabel.“

Was sich in wenigen Zeilen zusammengefasst rasch wegliest, dauerte am Ende viel länger als gedacht: „Ich konnte erst im September 2021, also noch gut eineinhalb Jahren wieder die erste Produktion im Studio 1 fahren.“, fasst der Studioleiter zusammen. Das Studio 2 war indes schon viel früher, nämlich schon im Oktober 2020 einsatzbereit: „Das musste unbedingt sein, schon wegen der Akademie. Die Schulungen für den Kurs ‚Tontechniker und Tonmeister‘ finden nämlich im Studio 2 statt.“ Insoweit gibt es Überschneidungen zwischen dem Unterrichtsbereich und dem kommerziellen Bereich in der Studio-Anlage. Gerhard Wölfle präzisiert: „Das Studio 1 ist für professionelle Produktionen reserviert, während das Studio 2 dual genutzt wird. Zunächst wollte ich den kommerziellen vom Schulungsbereich auch räumlich trennen. Da sich bislang aber keine Probleme ergeben haben, wir sogar schon Parallel-Betrieb hatten, hat das keine Priorität.“

Günstiger Zeitpunkt

Als das Studio 2 die Arbeit aufnahm, war das Studio 1 gleichwohl noch Baustelle. Dass die Pandemie einem zügigen Baufortschritt hinderlich war, kann sich jeder vorstellen: „Es durfte immer nur ein Gewerk,  beispielsweise die Trockenbauer oder die Klimatechniker,   arbeiten. Das hat einfach Zeit verschlungen. Von unvorhergesehen Pannen ganz abgesehen…“ So wurden beispielsweise in der Regie 1 die falschen Sylomere angebracht, mussten umständlich entfernt und durch die richtigen ersetzt werden. Nicht auszudenken, wenn diese Fehler nicht aufgefallen wären. Denn die aufwändige Konstruktion, welche die PMC-Hauptmonitore trägt, drückt auf beiden Seiten mit einem Gewicht von jeweils einer Tonne nach unten.

Doch die Pandemie und ihre bekannten Einschränkungen hatten für den Studio-Umzug auch durchaus Vorteile: „Da während der Coronazeit ohnehin alles runtergefahren war und an Produktionen mit größeren Ensembles nicht zu denken war, hielten sich die wirtschaftlichen Einbußen im Rahmen. Wären wir nicht umgezogen, hätten wir Covid-bedingt ohnehin viel Leerstand gehabt.“

Das ausgeklügelte, schlichtweg geniale Lüftungssystem, das die Luft in allen Räumen fünf bis sechs Mal in der Stunde komplett erneuert, war selbstverständlich bei der Wiederaufnahme der Studioarbeit ein Segen. Genial ist diese Anlage auch insoweit, als dass die Studios damit auch geheizt werden. Auch im Winter sorgt die zur Vermeidung von Kondensatbildung vorgewärmte Zuluft für eine gleichmäßige Raumtemperatur von 23 Grad Celsius und damit eine behagliche Arbeitsatmosphäre. Mit dieser Beheizung sind die Dorian Gray Studios ganz auf der Höhe der Zeit – ein aufwändiger und teurer Heizungsbau ist für diese Anlage nicht vonnöten.

Der große Aufnahmeraum ist im Vergleich zur Eichenau-Anlage bei gleicher Deckenhöhe etwas länger und an einer Seite wegen einer Nische, die einer der Gebäudesäulen geschuldet ist, geringfügig breiter. Das hatte tatsächlich Auswirkungen auf die Nachhallzeit, die gegenüber zum Eichenau-Raum etwas länger ist: „Die Blechschaden-Musiker haben das direkt gehört – und waren, obschon sie den alten Raum sehr mochten, hocherfreut. Die sind als Orchestermusiker sehr große Säle gewohnt. Mit der längeren Nachhallzeit des neu errichteten Raumes ergibt sich für Bläser ein anderes, besseres Spielgefühl.“ Der Raum 1 lässt dank seiner vier Stellwände und der pfiffigen Akustikelemente, die wahlweise Absorber oder Reflektoren sein können, an die Aufnahmesituation anpassen: „Wenn ich beispielsweise klassische Rock-Drums aufnehmen möchte, kann ich den Raum akustisch öffnen und sehr lebendig machen. Dann arbeite ich viel mit Raummikrofonen, um die Interaktion der Instrumente mit dem Raum einzufangen.“

Das Eigenklangargument

Womit sich die Frage seit buchstäblich Jahrzehnten gestellte Frage anschließt: „Wer braucht heute eigentlich noch einen solchen Aufnahmetempel?“ Gerhard Wölfle, ganz erfahrener Profi, der sein Handwerk in den 1980er-Jahren unter anderem in den berühmten Münchener Union Studios lernte, antwortet ehrlich: „Heute machen Musiker vieles selbst in kleinen, rechnerbasierten Studios. Wer elektronische Musik macht, braucht ein Studio wie unseres meistens nicht. Aber auch Bands machen sehr viel in ihren Heimstudios. Wir kommen immer dann ins Spiel, wenn es größerer, akustisch optimaler Räume, vieler Kanäle und einer erlesenen Kollektion von Mikrofonen bedarf. Eine Bigband lässt sich nun mal nicht im Schlafzimmer-Studio aufnehmen.“ Auch Einzelkomponenten einer Rockproduktion, konkret die Drums, werden wieder häufiger in Groß-Studios aufgenommen. „Ebenso kommen Kunden für den finalen Mix und das Mastering zu uns“, so Gerhard Wölfle.   „Letzthin hatte ich eine Rockband hier, die einen professionellen und individuellen Drumsound wollten. Nichts gegen Drumlibrarys – Steve Slate ist sicherlich klasse -, aber diese programmierten Drums klingen zwangsläufig immer gleich.“ So nahm die Beispielband, deren eigene Vorproduktion ausschließlich selbst programmiertes Schlagzeug enthielt, vier Tage lang unter Leitung von Gerhard Wölfle das Schlagzeug auf. Die Gitarrenaufnahmen machten die Musiker hingegen mit dem allenthalben sehr angesagten Digital-Amp Kemper selbst in ihrem Kleinstudio: „Das klang aber wirklich schon recht  amtlich, die heutigen Digital-Emulationen sind richtig gut.“ Für Mix und Mastering wird die Band wieder in die Dorian Gray Studios zurückkehren.

Apropos Digital-Technik: Im dank einer Glastür gefällig hellen und einblickoffenen Maschinenraum arbeiten  immer noch die Mac Pros nebst Betriebssystem, die schon in Eichenau einige Dienstjahre sammeln konnten. Dazu stellt der Studioleiter fest: „Fürs Studio 1, wo ich zu 95 Prozent pultbasiert arbeite, bedarf es für die Audio-Produktion keines Rechner-Updates. Zum Glück, denn ein Austausch zöge einen Rattenschwanz nach sich, der den Studiobetrieb erst mal lahm legen und sicherlich einiges an Nerven kosten würde. Selbstverständlich kann ich nicht mit den allerneusten Plug-ins arbeiten – aber wenn das notwendig sein sollte, ließe sich aufs Studio 2 ausweichen. Lediglich Anwendungen jenseits des reinen Audio-Segments sind mit dieser Anlage nicht immer machbar. Ich kann beispielsweise nicht ohne Weiteres vom Studio 1 Online-Unterricht halten, weil Zoom nicht auf den alten Betriebssystemen läuft.“

Obschon mit seiner Tätigkeit als Studioleiter gut ausgelastet, unterrichtet Gerhard Wölfle auch: „Ich mache im Moment einen Tonmeisterkurs. Als Leiter der Dorian Gray Studios mache ich die meisten Produktionen, kümmere mich um die Terminplanung, mache Kunden-Akquise und schreibe Angebote.“ Konkrete Preise kann der Studio-Leiter nicht nennen, denn es habe sich gezeigt, dass jeder Kunde am Ende seine eigenen, maßgeschneiderten Dienstleistungen erhält, die ganz unterschiedlich ausfallen können: „In den 1980er- und 1990er-Jahren konnte noch wochenlang im Studio gearbeitet werden. Aber die entsprechenden Budgets gibt es schon lange nicht mehr. Deswegen gibt es oft diese hybride Produktionsweise bei Bands. Oder Jazz- und Weltmusikgruppen spielen faktisch live ein und haben ihre Aufnahmen nach zwei, drei Tagen im Kasten.“

Die dann auch wegen ihrer besonderen Klangästhetik womöglich eher überdauern als manche rein rechnerbasierte Produktion. Dazu kommt Gerhard Wölfle schmunzelnd ein Bonmot von den Lippen: “Eine Produktion bei uns ist nachhaltig. So nachhaltig wie unser Studiokomplex – immerhin verwenden wir auch am neuen Standort die essentielle Technik und die Akustik, die sich seit 2004 bestens bewährt hat.“ Womit die Dorian Gray Studios einmal mehr ganz auf der Wellenlänge des aufgeklärten Bewusstseins funken und dies auch in Zukunft weiterhin tun können.

Adresse und weitere Infos:
Dorian Gray Studios
Perchtingerstraße 8
81379 München
E-Mail: info@doriangraystudios.de
www.doriangraystudios.de

Wer eine akustischen Einblick von den Studios bekommen möchte, kann hier das Weltmusikensemble Quadro Nuevo mit ihrem Titel „Song for Peace“ in den Dorian Gray Studios hören und sehen.

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