Akustischer Cyberspace
Nach dem Motto: What you hear is what you get, müsste es möglich sein, jede erdenkliche akustische Umgebung virtuell simulieren zu können. Das dachten sich spitzfindige Entwickler auch, schotteten die Ohren durch einen Kopfhörer von der realen Umgebung ab und fütterten das Ohr-Gehirn-System stattdessen mit akustischen Rauminformationen eines 5.1-Abhörsystems.
Von Michael Nötges
Um den Anforderungen moderner Surround-Produktionen gerecht zu werden, brauchen Pro-Audio-Anwender geeignete Bearbeitungs- und Abhörmöglichkeiten. Auf Seiten der D.A.W.s sind die Weichen längst gestellt. Um allerdings in den dreidimensionalen Abhörge-nuss zu kommen, bedarf es üblicher Weise mindestens fünf Lautsprecher plus einen Subwoofer, jeder Menge Kabel und vor allem ausreichend Platz, um die Tonerzeuger im Kreis um den Sweetspot zu positionieren. Das aufwendige Einmessen auf den jeweiligen Raum bleibt zudem für den perfekten Aufbau auch nicht aus und außerdem nutzen die Wenigsten ein solches System jeden Tag, so dass sich der immense Aufwand wirklich lohnt. Für die Vertonung von DVDs, Computerspielen oder das Abmischen von Live-Sendungen im 5.1-Format kommt es aber trotzdem vor, dass eine sinnvolle Abhörmöglichkeit von Nöten ist. Um flexibel auf solche Situationen reagieren zu können hat die Firma Beyerdynamic in Zusammenarbeit mit der Schweizer Firma Sonic Emotion, eine professionelle 5.1-Abhörlösung entwickelt, die sich an Kompaktheit und Mobilität kaum übertreffen lässt. Der Kopfhörer und Mikrofon-Spezialist aus Heilbronn erweitert damit seine Kopfhörer-lösungen um die dritte Dimension des 5.1-Raumklanges. Um den Abhörraum als virtuelle Simulation aber auf den Kopfhörer zu bekommen, haben sich die Entwickler Hilfe von den 3D-Audio-Profis aus der Nähe von Zürich geholt. Als Ergebnis kommt jetzt die Headzone auf den Markt, die mit ihren ausgeklügelten Algorithmen einen virtuellen Raumklang via Kopfhörer übertragen kann. Dabei ist sie nicht mehr und nicht weniger als ein mobiles Audiointerface, das sich über eine Firewire-Schnittstelle mit jedem PC oder Mac verbinden lässt. Mit dem Stereokopfhörer DT 880 Pro HT (siehe Test, Heft 06/06), der mit einem so genannten Headtracking-System ausgestattet ist, wird es möglich in einen individuell konfi-gurierbaren Abhörraum einzutauchen und 5.1-Sound über einen Stereokopfhörer zu bearbeiten und abzuhören. Der Clou: selbst Kopfbewegungen werden wie in einem reellen Surround-Monitorsystem akustisch simuliert. Für 2.200 Euro öffnet sich Ihnen die Türe zu einer virtuellen Regie. Folgen Sie mir und wir werden sehen ob sich dieser Schritt in den Cy-berspace des Klanges lohnt.
Von außen betrachtet, könnte es sich bei der Headzone auch um einen herkömmlichen Kopfhörerverstärker handeln. Das silberne Metallgehäuse ist bis auf die Front mit einem blauen Kunstoffrahmen ummantelt, der durch die Gummifüße festen Halt auf glatten Oberflächen garantiert. Die Vorderseite zeigt sich zurückhaltend elegant. Der Volume-Regler mit dem Durchmesser eines Ein-Euro-Stückes entpuppt sich als äußerst exakter und leicht gängiger Helfer bei der Lautstärkekontrolle. Zwei schwarze Taster entscheiden zum einen über den Bypass-Status, zum anderen über die analoge oder digitale Anbindung der Hardware. Die Anschlüsse hierfür befinden sich wie ge-wohnt auf der Rückseite des Gehäuses. Die sechs analogen Eingänge im Cinch-Format weisen dabei eher auf die Zielgruppe im Con-sumer- als im Pro-Audio-Bereich hin. Der Vorteil: auch DVD-Player für den Hausgebrauch lassen sich problemlos anschließen und ohne Computeranbindung sind Datenträger im 5.1-Format abspielbar. Der Nachteil: unsymmetrische Cinch-Verbindungen stellen keine sicheren und störgeräuschfreien Verbindungen her. Pro-Audio-Hardliner werden ungern auf stabile symmetrische XLR-Verbindungen verzichten, allerdings wird das Murren verstummen, sobald sie dafür in den Genuss des 5.1-Sounds kommen und sich dafür lediglich die Kopfhörer aufzusetzen brauchen. Des Weiteren lässt sich die Eingangsempfindlichkeit mit Hilfe eines versenkten Schalters zwischen dem Studio-standard +4 dBu und reduzierten Linepegel -10 dBV einstellen. Die digitale Anbindung an die D.A.W. erfolgt über den sechspoligen Firewire-Port (IEE1394). Vierpolig ist Steckverbinderbuchse mit der Überschrift Headtracker und sorgt zunächst für Verwirrung. Betrachtet man aber das Zubehör der Headzone, wird schnell klar, was hier Anschluss findet und zwar der Ultraschall-Empfänger des Headtracking-Systems. Der dazugehörige Sender ist am Kopfbügel des Kopfhörers befestigt. Beide etwas futuristisch anmutenden Module verfügen über zwei Ultraschallelemente, die jeweils am Ende einer Kunststoffschiene zu finden sind. Der Empfänger kann problemlos als Clip an einem TFT-Bildschirm, hängend an der Wand oder stehend, beispielsweise auf einer Meterbridge installiert werden, je nachdem welche Möglichkeit sich in der jeweiligen Umgebung bietet. Damit möglichst gradgenau die Bewegung des Kopfes geortet werden kann, empfiehlt es sich den Empfänger in Blickrichtung und auf Augenhöhe zu installieren. Beide Module verfügen über je zwei Sende- und Empfangspunkte. Aus der Berechnung der unterschiedlichen Entfer-nungen zueinander, kann dann der Winkel der Kopfdrehung berechnet werden. Dadurch wird das Audiosignal der jeweiligen Blickrichtung angepasst. Der Blick zur rechten Wand des Raumes führt also dazu, dass das gesamte Klangbild um 90 Grad gedreht wird und das Center-Signal auf dem linken Ohr erscheint. Eine realistische Abhörsituation entsteht, in der Kopfbewegungen wie in einem reellen Abhörraum möglich sind.
Mittels des Software-basierten Control Panels lassen sich die Konfigurationen des virtuellen Abhörraums und die Einstellungen des Audio-treibers verifizieren und auf die Hardware übertragen. Die Samplingfrequenz kann zwischen 44,1 kHz, 48 kHz und 96 kHz bei einer Wortbreite von 24 Bit gewählt werden, so dass für Klangliche Souveränität gesorgt sein sollte. Bevor wir zusammen den Schritt in die Virtualität wagen lohnt sich das Lesen des Kastens, um die grundlegende Funktionsweise des Binaural Environment Modelling zu verstehen.
Für den Praxistest haben wir problemlos den Treiber auf unserem PC installiert, die Hardware über die Firewire-Schnittstelle angekoppelt, den Ultraschallemfpänger am TFT-Bildschirm angebracht und erwartungsvoll den Kopfhörer aufgesetzt. Das Control-Panel der Headzone dient uns zur individuellen Optimierung des simulierten Abhörraums.
Anhand einiger vorgefertigter Demo-Projekte für Cubase SX und unterschiedlichen DVDs mit 5.1-Sound, wollen wir den Klang und die Funktionalität der Headzone erproben. Der Vorhang öffnet sich zum ersten Mal und ein Flamenco-Ensemble beehrt uns mit Gitarren-klängen und Gesang. Die fünf Positionen Cen-ter (C), Left (L), Right (R), Surround Left (SL) und Surround Right (SR) sind im Raum klar definiert. Für die beiden hinteren Positionen bedarf es etwas Konzentration, aber nach kurzer Zeit sind auch diese lokalisierbar. Im Room-Setup-Fenster des Control-Panels ist das 5.1-System samt Abhörkopf aus der Vo-gelperspektive skizziert. Auf einem Kreis um den Sweetspot herum liegen die fünf Lautsprecher, die per Drag and Drop frei auf der Umlaufbahn verschoben werden können. Wir packen uns die Sängerin – in Form der graphischen Repräsentation des Center Lautsprechers – und lassen sie um uns herum tanzen. Erstaunlich wie gradgenau die Position auszumachen ist. Über die numerischen Eingabefelder versuchen wir verschieden Aufstellungen der virtuellen Monitore und bekommen so eine noch bessere Vorstellung unseres Abhörraums. Drei Fader ermöglichen die Veränderung unserer Regie. Auf einer Skala von Null bis Hundert lassen sich sowohl die Raumgröße, die Entfernung der Lautsprecher zur Abhörposition und die Schallcharakteristik des Raums beeinflussen. Die Parameter wirken interaktiv aufeinander, so dass sich die Charakteristik des Raums nicht verändern lässt, wenn beispielsweise der Abstand der Lautsprecher auf Null steht, sie sich also direkt am Ohr befinden. Dies sorgt für realistische Bedingungen in unserem flexiblen Abhörraum. Für unseren Geschmack ist mit den Veränderungen sparsam umzugehen. Der Ambience-Regler bleibt unter 10, um einen möglichst trockenen Abhörraum zu gewährleisten. Für die anderen beiden Pa-rameter erweist sich die Grenze bei 50 als klanglich sinnvoll. Ein Live-Mitschnitt des Klassikers Wish you were here von Pink Floyd versetzt uns inmitten rhythmisch klatschender Fans. Über das Volume-Fenster lassen sich die beiden Zuschauer-Spuren, die sich auf die Surroundpositionen befinden im Verhältnis anpassen. Für das verstärkte Live-Erlebnis reicht ein leichtes Anheben des Pegels der Zuschauergeräusche.
Wem die Bühne zu schmal erscheint kann einfach die beiden Positionen L und R weiter nach außen bewegen: et voilá. Durch das Muten der einzelnen Kanäle können die Zuschauergeräusche nach belieben eliminiert und die Kanäle einzelne abgehört werden. Ein wichtiges Element haben wir bis jetzt noch nicht getestet: das Headtracking. Ein Hörspiel mit verschiedenen Stimmen und Geräuschen aus den unterschiedlichsten Richtungen animiert zum Experimentieren mit der Kopfbewegung. Leisen Stimmen aus dem Off kann sich entspannt zugewandt werden, um sie besser zu verstehen und exakt zu lokalisieren. Dabei vollzieht sich die Kopfbewegung frei im virtuellen Raum und bald ertappen wir uns, dass wir unseren Kopf bei überraschend auftretenden Geräuschen automatisch in die Richtung des Ereignisses wenden. Für die Konfiguration und Kontrolle der Headtracking-Funktion dient das Control-Status-Fenster. Es gibt Auskunft darüber, ob das Surroundprozessing und der Headtracker aktiviert sind, die digitalen oder analogen Ein-gänge verwendet werden und ob überhaupt ein Audio-Signal anliegt. Eine Skizze zeigt die gemessene Drehung des Kopfes und die Entfernung der beiden Ultraschallmodule zueinander an. Ist es einmal nicht möglich die Sender und Empfänger exakt gegenüber zu positionieren, empfiehlt es sich bei geradem Blick nach vorne den Reset-Button an-zuklicken. Dadurch wird diese Position als Nullstellung gesetzt und die Abweichungen von hier aus berechnet. Der Skale-Fader ermöglicht die Anpassung des virtuellen Systems an die eigenen natürlichen Hörerfahrungen. Der gefühlte natürliche Blickwinkel kann dem gehörten angepasst werden um Unstimmigkeiten zwischen virtueller und tatsächlicher Bewegung zu eliminieren. Beim weiteren Hören und Schauen verschiedener DVDs gewöhnt man sich schnell an den Luxusklang. Die Kopfhörer liegen dabei durch die samtige Polsterung angenehm am Kopf an und der Sound ist klar und differenziert, so dass auch längeres Hören nicht zur Ermüdung führt.
Fazit
Die Headzone von Beyerdynamic ist ein inno-vatives Produkt, das sicherlich in die Kerbe der aktuellen Entwicklungen im Pro-Audio-Bereich schlägt. Die Simulation eines 5.1-Lautsprechersystem gelingt beeindruckend gut und vor allem absolut Platz sparend. Das Kopf-hörersystem ist besonders geeignet für beengte Abhörsituationen, die keinen Platz für Lautsprecherinstallationen bieten, in denen aber trotzdem Surroundsound-Mischungen angefertigt werden sollen. Die Mobilität und Flexibilität der Headzone ist genauso überzeugend wie der individuell konfigurierbare virtuelle 5.1-Abhörraum. Dieser ist zwar virtuell, muss aber trotzdem real mit 2.200 Euro bezahlt werden.
Erschienen in Ausgabe 13/2006
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 2200 €
Bewertung: gut
Preis/Leistung: gut
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