Misch-Gigant
Ein kompaktes, aufs erste Hinsehen spartanisch ausgestattetes Analog-Pult für schlappe 10.000 Euro als DAW-Kommandobrücke? Muss doch nicht, wo sich doch alles bequemst im Rechner zusammenrühren lässt. Wer so denkt, kennt Neos noch nicht, den neuen Misch-Giganten aus dem Hause SPL.
Von Harald Wittig
Dass das Sound Performance Lab, besser bekannt unter dem Kürzel SPL, regelmäßig grandiose, überwiegend in feinster Analogtechnik aufgebaute Neuschöpfungen verlassen, weiß jeder Tontechnik-Interessierte. Die genialen Köpfe aus Niederkrüchten haben die Tonschaffenden regelmäßig mit Innovationen verblüfft und beglückt – SPL ist längst Synonym für Studio-Hardware der Weltklasse. Die neuste SPL-Kreation nennt sich Neos, ist ein kompaktes 24-Kanal Analog-Mischpult mit zwölf 100-Millimeter-Stereokanalfadern, kommt gänzlich ohne Vorverstärker, Kanal-Klangstellern, sprich EQs aus und kostet die Kleinigkeit von rund 10.000 Euro. Wer jetzt bereits abwinkt und weiterblättern möchte, sei gebeten noch einen Augenblick dran zu bleiben, denn die bewusst verknappte Beschreibung des Neos ist irreführend. SPL selbst bezeichnet sein neues Pult als Summier- und Abhörmischer, der essentielle Summierfunktionen einschließlich Fadern und Panoramareglern mit einem kompletten und komfortablen Abhörweg vereint. Das führt uns aufs richtige Gleis: Neos ist gedacht als klangentscheidende Kommandozentrale für das moderne Digital-Studio, um mittels analoger Spitzentechnik DAW-Produktionen das gewisse klangliche Etwas verleihen soll, konkret mehr Größe, Tiefe und Plastizität. Wohlgemerkt ohne das Hinzufügen von Störsignalen wie Verzerrungen, denn die Schaltung des Neos-Pults ist vollkommen transparent ausgelegt. Das Kompakt-Pult basiert nämlich auf der innovativen 120-Volt-Technik, mit der SPL Anfang dieses Jahrtausends die fast schon totgesagte und von vielen begrabene Analogtechnik einer Frischzellenkur unterzogen hat. Mit den heute längst als Meilensteine der zeitgemäßen Analog-Technik gefeierten 120-Volt-Mastering-Konsolen wie den Modellen MMC-1 und MMC-2, erbrachten die Niederkrüchtener den Beweis, dass die Klangbearbeitung auf analoger Basis auch im Digital-Zeitalter grandiose Endergebnisse bringt. Kern der 120-Volt-Technik ist der handgefertigte Operationsverstärker von Chefdenker Wolfgang Neumann, der – aha! – mit 120 Volt betrieben wird und damit der Dynamik von Schallereignissen wesentlich besser folgt und sie verarbeiten kann als konventionelle Konstrukte.
Hinzu kommt ein überlegener Störabstand, was konkret bedeutet, dass das Neos über Signalstörungen wie Rauschen oder Verzerrungen erst einmal völlig erhaben ist. „Aber“, fragt jetzt der aufmerksame Leser, „wenn das Neos völlig sauber und neutral ist, also nicht klingt – was bringt es mir dann?“ Grundsätzlich mehr Dynamik und damit verbunden mehr Tiefe und Plastizität der Mischung. Denn dass sich überhaupt eine Gerätegattung wie analoge Summierer etablieren konnte, lag an der häufig beklagten Flachheit der reinen DAW-Mischungen. Klar, das ist ein vieldiskutiertes und heißumstrittenes Thema und an dieser Stelle soll die Diskussion nicht befeuert werden. Was Neos klanglich auszurichten vermag werden wir im Praxisteil erläutern. SPL hat das Pult zusätzlich mit einem Monitoring-Controller auf gleicher technischer Basis ausgestattet, der den Neos-Klang direkt zu den Abhör-Lautsprechern bringt, so dass der Tonschaffende eine direkte akustische Rückmeldung bekommt. Das Pult verfügt über zwölf spartanisch ausgestattete Stereo-Kanäle: Es gibt für jeden Kanalzug einen Panorama-Regler, Mono-, Cut/Mute-, To Monitor Only-Schalter, eine additiv arbeitende Solo-P(re)-F(ader)-L(istening)-Funktion einschließlich entsprechendem Schalter sowie zwei Signal-LEDs. Die Stereokanäle summieren sich auf eine Mastersektion, die wie die Kanalzüge auch mit hochwertigen 100-Millimeter-Schiebereglern von ALPS ausgestattet ist und zusätzlich noch über einen Insert zur Einschleifung von Signalprozessoren, namentlich eines Kompressors zur Summenbearbeitung verfügt. Als Besonderheit hat SPL der Mastersektion noch einen Limiter spendiert, der über den mit „Bend“ bezeichneten Schalter (siehe Foto, Seite 21) auf Wunsch aktivierbar ist. Dabei handelt es sich um einen passiven Dioden-Limiter, der mehrstufig ausgelegt ist und den Pegelverlauf beugen – daher der Name „Bend“ – sowie Pegelspitzen eingrenzen kann. Zum Einsatz kommen Germanium und Silizium-Dioden mit jeweils eigenen Kennlinien: Während Germanium-Dioden weicher arbeiten, werkeln Silizium-Dioden härter. Das Diodennetzwerk ist so abgestimmt, dass der Eingriff von Bend umso intensiver ist, je höher die Pegel sind. Grundsätzlich dient der Limiter eher der Klangformung als der Schutzfunktion, ist also kein Brickwall-Limiter, wobei Bend selbstverständlich auch eine gewisse Absicherung gewährleistet, indem Pegelspitzen vor dem A/D-Wandler begrenzt werden. Tatsächlich verlässt SPL mit Bend die reine 120-Volt-Klanglehre was auch die auf Seite 21 abgedruckten FFT-Spektren belegen: Ohne aktivierten Bend ist das FFT-Spektrum makellos, die zu erkennenden Harmonischen erster und zweiter Ordnung sind, da deutlich unter -100 Dezibel verbleibend, keine klangbeeinflussende Nebenrolle. Anders, wenn Bend so richtig zu tun bekommt: Die Klirranteile nehmen deutlich zu und können im Extremfall Maximalverzerrungen von zwei Prozent (siehe das THD+N-Messdiagramm auf Seite 22) erreichen. Wer also von einem Analog-Pult auch Analog-Artefakte verlangt, bekommt diese vom Neos wunschgemäß geliefert.
Da wir schon mal bei Messwerten sind, handeln wir kurz und bündig die weiteren Ergebnisse aus dem Professional audio-Messlabor ab: Die Messwerte sind – etwas anderes haben wir auch nicht erwartet – exzellent. Der maximale Eingangspegel ist größer als 30 dBu und damit jenseits dessen, was der Audio Precision-Messcomputer erfassen kann. Mithin sind die Eingänge des Neos außergewöhnlich übersteuerungsfest, allerdings ist zu beachten, dass die Eingangskanäle extrem hohe Pegel nicht in Mittelstellung der Balanceregler akzeptieren. In diesem Fall sind es „nur“ noch +24 dBu, was immer noch einen überdurchschnittlich großen Headroom bedeutet. Mit ausgezeichneten 92,4 und 98,2 Dezibel für Geräusch- und Fremdspannungsabstand, gemessen am Recording Out des Pultes ist belegt, dass Rauschen absolut kein Thema ist. Kehren wir zur Ausstattung zurück und betrachten die Controller-Einheit: Es gibt einen großen, sehr griffigen und wunderbar weich laufenden Lautstärkeregler, einen Dim-Schalter, der die Abhörlautstärke exakt um 20 Dezibel reduziert, einen Mute-Schalter sowie den obligatorischen Mono-Schalter. Zur visuellen Kontrolle gibt es – das gilt auch für die Kanalzüge und die Mastersektion – sehr fein glimmende LEDs nach dem SPL-Standard, die zusammen mit der über jeden Zweifel erhabenen Verarbeitung den hohen Anspruch des Herstellers fett unterstreichen. Ausgangsseitig verfügt das Neos über zwei XLR-Buchsenpaare zum Anschluss von zwei Monitor-Paaren oder alternativ einem Abhör-Lautsprecherpaar und einem Kopfhörerverstärker. Der bereits im Rahmen der Messwerte-Diskussion erwähnte Recording Out liegt das Summensignal, also die fertige Mischung für die Aufnahme an: Im rechnerbasierten Studio wird ein A/D-Wandler angeschlossen sein, alternativ darf selbstverständlich auch eine Bandmaschine Anschluss finden. Der sogenannte Alt. Out, stellt das Recording Out-Signal gleichzeitig bereit und dient beispielsweise zum Anschluss eines Kopfhörerverstärkers oder eines weiteren Aufnahmegeräts. Eingangsseitig finden sich auf der Rückseite drei achtkanalige DB25-Buchsen deren Belegung dem Tascam-Standard, der bekanntlich gleichzeitig auch der professionelle Studio-Quasistandard ist. Neos hat also 24 Eingangskanäle, die auf die 12 Stereokanäle abgebildet werden. Wer möchte kann die Kanäle auch Mono schalten, reduziert dabei aber die Anzahl der Kanäle um die Hälfte und damit letztlich auch den klanglichen Zugewinn beim analogen Summieren. Wer deswegen wirklich noch mehr Kanäle benötigt, kann deswegen über die „Slave“-Buchse zwei Neos-Pulte kaskadieren und erhält damit 24 Stereokanäle, die auf eine Mastersektion summiert werden. Das hierfür notwendige Spezialkabel gibt es exklusiv bei SPL. Der zusätzliche Tape Return genannte, in stereo ausgeführte Eingang dient dazu, die Ausgänge des Aufnahmegeräts anzuschließen und – sofern nicht eine Bandmaschine sondern das Ausgangssignal des DAW-Wandlers/-Interfaces anliegt – gewissermaßen der zeitgemäßen Hinterbandkontrolle.
Insgesamt gibt das Neos in puncto Bedienung und Einbindung in die DAW-Umgebung keine Rätsel auf, allenfalls Neulinge werden das sehr gut geschriebene und hilfreiche Handbuch – auch das gehört zu den SPL-Standards – zu Rate ziehen müssen. Befassen wir uns deswegen direkt mit der Praxis. Für den Test verbinden wir Neos direkt via Sub-D auf Sub-D-Kabel mit dem Referenzwandler Mytek 8×192 ADDA und nehmen uns dreier eigentlich schon finalisierter Sonar-Projekte an. Dabei mischen wir zwei akustische Instrumentals – im folgenden Projekt 1 und Projekt 2 genannt, komplett neu. Das dritte Stück (Projekt 3), ein Arrangement für mehrere E- und Akustikgitarren sowie obligatem E-Bass, belassen wir im Sonar-Mix, allerdings verwenden wir das Pult zum analogen Summieren – einmal ohne, einmal mit aktiviertem Bend. Zunächst sei Ihnen allerdings unser erster Höreindruck, den uns Neos in seiner Funktion als Monitoring-Controller beim Anhören von Projekt 3 beschert, nicht vorenthalten: Aus den ADAM S3X-H tönt die Musik mit einer Dynamik und bislang kaum wahrgenommenen Tiefe, die wir so bisher sehr, sehr selten kennengelernt haben. Vor allem der praktisch naturbelassene E-Bass knurrt wie Barry White, ist dabei aber stets präzise und in puncto Dynamik springlebendig. Überhaupt Dynamik: Der Umgang mit impulshaften Schallereignissen diese Pultes ist schlichtweg grandios. So erklingen beispielsweise die Akustik-Gitarren-Einwürfe mit einer Präzision, die einer akustischen Punktlandung gleichkommt. Insoweit zeigt sich die Überlegenheit der 120 Volt-Technik. Darüber hinaus verleiht Neos der Musik neben einem schönen Links-/Rechts-Panorama auch eine Oben-Unten-Wirkung, die andere Abhör-Controller, sündhaft teure Spezialisten mal ausgenommen, schuldig bleiben. Ganz klar, diesen Höreindruck wollen wir festhalten und nehmen das analoge Recording Out-Signal auf den Fostex Master-Recoder CR-500 auf, wobei wir die A/D-Wandlung dem Lynx Aurora 8 anvertrauen, denn ein solch fantastischer Analog-Klang verdient eine hochwertige Digitalisierung. Im direkten Vergleich mit der aus Sonar exportierten Mischung klingt die Aufnahme ganz klar überlegen: Die exportierte WAVE-File erscheint flacher, lebloser. Das gilt auch für die unbeschnittene, 32-Bit-Fließkomma-Datei, wenngleich die Unterschiede geringer ausfallen. Zumindest dieses Summierungs-Experiment hat uns überzeugt. Wir wollen auch wissen, wie sich Bend auswirkt und summieren Projekt 3 ein zweites Mal, diesmal mit aktiviertem Limiter. Im konkreten Fall arbeitet Bend sehr subtil, die Dynamic Range reduziert sich lediglich von 13 auf 12. Dennoch ist eine musikalisch-geschmackvolle Verdichtung des Arrangements wahrnehmbar, außerdem erklingen perkussiven Signale geringfügig prägnanter. Zumindest für solche Musik seien eigene Experimente mit Bend jedem empfohlen, wenngleich das wahre Neos-Klangerlebnis sich selbstverständlich nur mit ausgeschaltetem Limiter einstellt. Der bleibt für die Akustiknummern, also Projekt 1 und 2, auch deaktiviert. Beide Stücke sind völlig naturbelassen, Effekte kamen weder bei der Aufnahme selbst, noch nachträglich in Sonar zum Einsatz.
Wie gesagt, diesmal mischen wir über das Pult, setzen alle Einstellungen des virtuellen Mixers zurück – und staunen einmal mehr. Mit nur zwei Reglern pro Kanal, also Spur-Fader und Panpot können wir beispielsweise Projekt 2 neues Leben einhauchen: Es handelt sich hierbei um ein Stück, das wir im Rahmen des Testes des grandiosen Twin-Mikrofons Josephson C700A aufgenommen hatten. Wir beabsichtigen das Arrangement so klingen zu lassen, als wurde ein Gitarrenquartett im Studio aufgenommen. Deswegen weisen wir den Instrumenten einen eigenen Platz im Stereo-Panorama zu und passen die Lautstärkeverhältnisse sorgfältig an. Das ist eine kinderleichte Übung, denn die Präzisionsinstrumente des Pultes übertreffen für unser Gefühl jede Einstellung am Software-Mixer via Controller – vom nervigen Rumgeschiebe mit der Maus ganz zu schweigen. Im Falle von Projekt 1 übernehmen wir zwar, abgesehen von einer kleinen Feinjustage der Sologitarren-Spur, mehr oder weniger die Sonar-Mixer-Einstellungen, dennoch klingt es über das Neos einfach besser: Natürlicher, detaillierter und plastischer. Selbstverständlich nehmen wir auch diese Mischungen auf und geben nach sehr kurzem Vergleichshören der Neos-Mischung den Zuschlag vor dem DAW-Mix. Interessanterweise klingt alles, was wir mit dem SPL-Pult zusammengerührt haben, auch auf weniger guten Anlagen. Genau das wollen wir doch alle, nicht wahr? Sie merken schon: Wir sind hin und weg, Neos hat uns rundum überzeugt.
Fazit
Das SPL Neos ist ein klanglicher Gigant, denn es verleiht DAW-Projekten einen schlichtweg grandiosen Klang voller Dynamik und Tiefe, der sich „in the box“ über Plug-ins nur mit großen Kunstgriffen erzielen lässt. Dieses kleine Edelpult ist sicherlich nicht billig, aber macht süchtig und bestätigt, dass Analogtechnik der absoluten Spitzenklasse auch im Digital-Zeitalter einen großen klanglichen Mehrwert bringt.
Erschienen in Ausgabe 11/2011
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 9890 €
Bewertung: überragend
Preis/Leistung: sehr gut
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