Musikalischer Zauberkünstler

Wie von Zauberhand verwandeln sich Audio-Signale in MIDI-Daten. Ist das eine Illusion? Oder doch endlich die Lösung für alle, die oftmals Musik von CD transkribieren müssen oder wollen? Professional audio Magazin entzaubert das Rätsel 

Von Georg Berger

Der quasi virtuelle Zauberstab heißt WIDI 3.3. Das von der Moskauer Firma Widisoft entwickelte Programm ist in der Lage,
aus wav- und mp3-Dateien, sowie herkömmlichen Audio-CDs, MIDI-Files zu wandeln. Die Software ist damit ein nützliches Tool für alle, die aus bestehendem Audio-Material entweder Noten transkribieren, oder ein bestehendes Arrangement neu instrumentieren wollen. Eine Einschränkung gibt es jedoch: Klänge ohne definierte Tonhöhe, wie etwa Schlagzeug oder  Percussion werden ignoriert und müssen vom Nutzer nach wie vor durch intensives Heraushören erstellt werden.
WIDI 3.3 liegt momentan nur als stand-alone Version für den PC vor. Es existiert eine Standard-Version für knapp 80 Euro mit eingeschränkten Eingriffsmöglichkeiten in die MIDI-Daten, sowie eine Profi-Version für cirka 140 Euro. Eine Version als VST Plug-in für etwa 75 Euro steht kurz vor der Veröffentlichung und dürfte mit Erscheinen dieses Artikels schon erhältlich sein. Eine Adaption des Programms für Apple-Rechner steht bis dato noch aus, ist aber in Vorbereitung. Zum Test verwenden wir die stand-alone Profi-Version, die umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten in die generierten MIDI-Daten ermöglicht.

Wer jetzt denkt, dass diese Software nur etwas für Alleinunterhalter ist, die auf schnelle und bequeme Art damit General MIDI-Files für ihre Arbeit erstellen können, wird jedoch enttäuscht sein. Denn WIDI 3.3 ist trotz der verblüffenden Funktionalität keine Wunderwaffe, um fertige und perfekte MIDI-Arrangements auf einen Schlag zu erstellen. In jeder Situation ist das Nachbearbeiten der MIDI-Daten vom Nutzer erforderlich. Dafür braucht es musikalische Kenntnis und kompositorischen Sachverstand. Das zwar knappe aber sehr informative deutsche Handbuch vermerkt diese Voraussetzung ebenfalls an mehreren Stellen. Denn abhängig vom Programm-Material existieren physikalisch-musikalische Umstände, die immer wieder zu Fehlinterpretationen und falschen MIDI-Noten führen. So werden Töne bei Phasenüberlagerungen nicht eindeutig erkannt, spielen mehrere Instrumente den gleichen Ton. Je nach Klang wandelt die Software manchmal auch Teiltöne eines Obertongemischs unnötigerweise in MIDI-Noten. Gesangslinien sind durch die Intonation und das Timing des Vokalisten nicht immer eindeutig erkennbar und schließlich führt die Wandlung von Crescendi oder Portamenti zu missverständlichen Ergebnissen, die in jedem Falle nachbearbeitet werden müssen. Dennoch bietet die Software trotz dieser Einschränkungen eine Arbeitserleichterung.

Die knapp vier Megabyte große Anwendung wartet zu Anfang mit recht spärlichen Eingriffsmöglichkeiten auf. Das Design der Oberfläche wirkt wenig gefällig und versprüht nicht zuletzt durch das Design der Buttons in der Menüleiste den Hauch einer Billig-Consumer-Anwendung. Doch sämtliche Bedienelemente und Fenster sind übersichtlich und leicht erfassbar angeordnet.

Der erste Schritt zur Konvertierung besteht im Laden einer Audio-Datei. Danach  zeigt sich als erstes das Audio-Fenster mit einer Wellenform-Darstellung des Stückes. Teile daraus können mit Hilfe der Maus ausgewählt werden. Handelt es sich um eine Stereo-Aufnahme, so hat der Nutzer zusätzlich die Auswahl, welchen Kanal er konvertieren möchte.

In der Menüleiste gibt es zwei wichtige Buttons, die Dialoge zur Voreinstellung für die Konvertierung des Audio-Materials enthalten und maßgeblich das Resultat beeinflussen.
Im Equalizer-Fenster lässt sich der zu wandelnde Tonumfang einstellen. Über kleine Balken, die mit der darunter liegenden Klaviatur  korrespondieren wird mit der Maus die Lautstärke eingestellt und so ein bestimmter Tonraum definiert. Wer aus einem Arrangement heraus eine Gitarren-Linie konvertieren möchte, dämpft dazu nur die für dieses Instrument irrelevanten Bereiche. Wir hätten uns in diesem Dialog gewünscht, dass bei Klick auf eine Klaviertaste zusätzlich ein Ton zu hören wäre. Die Begrenzung des Tonraumes würde dadurch in Sachen Bedienung eindeutig mehr Komfort bringen. So bleibt nur ein taubes Editieren übrig.

Der zweite Button ruft den Erkennungs-Einstellungs-Dialog auf, in dem sich weitere wichtige Parameter einstellen lassen, die in drei Reitern aufgeteilt sind.  

Im ersten Reiter lassen sich Einstellungen hinsichtlich der Tonhöhen-Erkennung vornehmen.
Vier Algorithmen zur Konvertierung stehen zur Auswahl, die unterschiedlich feine Ergebnisse liefern. Ein Zeitraster, ähnlich einer Quantisierungsfunktion ist einstellbar, um die Algorithmen auf unterschiedlich lange Notenereignisse auszurichten. Bedingt durch die Software kann es passieren, dass tiefe Noten zeitlich nach hinten versetzt im Ergebnis auftreten. Dafür stellt der Dialog einen Schieberegler bereit, der dieses Phänomen kompensiert.

Der zweite Reiter enthält Eingriffsmöglichkeiten, die Einfluss auf die zu konvertierenden MIDI-Daten nehmen. Schwellwerte für Tondauer und Lautstärke sind einstellbar. Unterhalb der eingestellten Werte werden Signale  für die Konvertierung ignoriert. Über die Polyphonie lässt sich die maximale Anzahl der gleichzeitig zu generierenden MIDI-Noten definieren. Ein weiterer Schieberegler übt Einfluss auf die Anschlagsdynamik der konvertierten Noten aus.

Der dritte Reiter schließlich dient zur vorbereitenden Einstellung der MIDI-Daten-Darstellung in einem Noten-Editor. Tempo, Taktmaß, Tonart und der zu erklingende General MIDI-Sound lassen sich dort einstellen. Diese Einstellungen üben jedoch keinen Einfluss auf das zu wandelnde Ergebnis aus.
Über ein Ausklapp-Menü zur Auswahl von Voreinstellungen für bestimmte musikalische Situationen, können fünf Presets ausgewählt werden. Auf der Homepage von Widisoft (www.widisoft.com) lassen sich weitere Presets herunterladen und in das Programm importieren. So gibt es beispielsweise Voreinstellungen zum Herausfiltern von Bass-Anteilen, zur Erkennung von Gesangslinien, oder von harmonisch komplexer Musik. Der Equalizer-Dialog wartet ebenfalls mit einem Auswahl-Menü und unterschiedlichen Presets auf.

Nach entsprechender Einstellung in den beiden Dialogen braucht jetzt nur noch der Konvertierungsknopf im Audio-Fenster betätigt zu werden.

Nach Ende der Konvertierung öffnet sich in der Pro-Version automatisch der so genannte True Tone Editor. Im Zentrum des Editors steht die Darstellung und Bearbeitung des konvertierten Ergebnisses mit Hilfe einiger Werkzeuge. Wer die Arbeit mit Piano Roll Editoren von Sequenzern her kennt, wird sich sofort darin heimisch fühlen. Einzig die Darstellung des Ergebnisses ist gewöhnungsbedürftig. Ähnlich wie in einem Spektrum – siehe Test Algorithmix Renovator, Ausgabe 07/2006 – zeigt sich im Hauptfenster eine mitunter wüste Ansammlung unterschiedlich farbiger Balken. Die farbig intensivsten Flächen – die Darstellung lässt sich bei Bedarf anpassen – repräsentieren dabei die vom Algorithmus als am stärksten erkannte Noten. Je nach zuvor gemachter Einstellung finden sich davon abgesetzt weiße Balken, die die ermittelten MIDI-Noten darstellen.
Als erstes wird man sich das Ergebnis anhören wollen. WIDI 3.3 bietet dafür komfortable Möglichkeiten. Besonderes Feature: MIDI-Signale und Audio-Material können zum Vergleich simultan abgespielt werden.

Es bleibt nicht aus, Hand an das Ergebnis zu legen. Dafür bietet der Editor eine Reihe von Werkzeugen zur Bearbeitung von MIDI-Daten an. Neue Noten lassen sich einfügen, alte Noten löschen, sowie bestehende ausschneiden, kopieren, einfügen und in Position und Länge verändern.

Ein wichtiges Werkzeug ist das Tapping-Tool. Mit seiner Hilfe lässt sich ein Taktraster über die MIDI-Daten legen, was durch Abspielen des Stückes und Druck auf eine beliebige Taste auf die Eins jedes Taktes erfolgt. Ein nachträgliches Verschieben des Rasters ist möglich und bietet somit einen hohen Komfort für ein anschließendes Bearbeiten in einem Noten-Editor.

Doch nicht nur einzelne Noten können bearbeitet werden. Durch Ziehen mit der Maus bei gedrückter linker Taste lassen sich natürlich auch mehrere auswählen. Zusätzliches Feature: Der Editor bietet einen eigenen Auswahl-Dialog, mit dem sich per Filter mehrere Noten nach bestimmten Kriterien auswählen lassen. So können unter anderem Noten, die eine bestimmte Lautstärke oder Länge besitzen von der Auswahl ausgeschlossen oder einbezogen werden. Im Test erweist sich diese Funktionalität als sehr intelligent. Das Editieren des Ergebnisses wird dadurch erheblich erleichtert. Doch der Editor bietet noch mehr: Durch Rechtsklick auf eine Note oder einer ganzen Auswahl kann über den Noteneigenschaften Dialog den Noten jetzt eine eigene Spur mit eigenem Kanal und General MIDI-Sound zugewiesen werden, die sich im True Tone Editor anschließend links in der Spuranzeige wieder finden. Diese Funktion erlaubt somit auf bequeme Art die Erstellung eines Arrangements in WIDI.
Doch wir müssen auch meckern: Die Auswahl der einzelnen Bearbeitungswerkzeuge über Short-Cuts oder durch Druck auf den entsprechenden Button behindert mitunter den Arbeitsfluss. Wir hätten uns eine zusätzliche Möglichkeit über das Auswahl-Menü bei Rechtsklick mit der Maustaste gewünscht, was uns ungleich komfortabler erscheint.
Weiterhin erklingt kein Ton, wenn auf die Tasten der Klaviatur auf der linken Seite geklickt wird. Damit fehlt eine weitere Kontrollmöglichkeit.

Für den Praxistest stellen wir uns Audio-Material unterschiedlichster musikalischer Stilrichtungen zusammen und machen uns mit den Parametern des Konvertierungsprogramms vertraut. Wir wandeln für einen ersten Eindruck eine melancholische Ballade, bestehend aus Gesang, Klavier und Streichern, ein Stück mit weiblichem Solo-Gesang, sowie ein Rockmusikstück in der klassischen Besetzung mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Die ersten Ergebnisse erklingen erwartungsgemäß sehr verfremdet. Die erzeugten MIDI-Noten lassen die Originale nur in Ansätzen erahnen und vermitteln den Eindruck, als ob ein tauber Pianist mit Parkinsonscher Erkrankung versucht, das Stück nachzuspielen. Wir bemerken, dass wichtige Töne nicht in MIDI-Noten gewandelt werden, dafür aber mitunter viele doppelte und sogar falsche Noten auf einmal erscheinen. Zwischenfazit: Um ein annähernd befriedigendes Ergebnis zu erhalten, müssen wir intensiv mit den Voreinstellungen experimentieren.

Deshalb gehen wir als nächstes planvoller vor. Wir stellen jetzt die Piano-Ballade ins Zentrum unseres Tests. Da das erste Ergebnis unbefriedigend ist, schließen wir diese erste Konvertierung ohne zu speichern und nehmen im Equalizer und Erkennungs-Dialog weitere Einstellungen vor. Wir engen den Tonraum im Höhen- und Bassbereich ein, vergrößern das Zeitraster zur Analyse der Töne und nehmen eine weitere Konvertierung vor. Durch die Möglichkeit Audio- und MIDI-Signale simultan abzuhören, erhalten wir schnell einen Überblick über die Qualität der erzeugten MIDI-Daten. Doch auch diese Wandlung ist noch nicht befriedigend. Wir nehmen weitere Einstellungen vor und prüfen immer wieder das gewandelte Ergebnis.

Gerade zu Anfang brauchen wir ein hohes Maß an Einarbeitungszeit, um uns mit den Auswirkungen der einstellbaren Erkennungs-Parameter vertraut zu machen. Gleichzeitig dürfen wir – die Bedienungsanleitung sagt es mehrfach – nicht das perfekte Ergebnis erwarten und verabschieden uns von der Idealvorstellung einer perfekten MIDI-Sequenz.
Schließlich erhalten wir nach zirka einer halben Stunde des Experimentierens ein annähernd befriedigendes Ergebnis. Es existieren zwar immer noch viele falsche, sowie doppelte Töne und einige wichtige Töne sind nicht als MIDI-Noten gewandelt worden. Mit Hilfe der Bearbeitungswerkzeuge im True Tone Editor korrigieren wir die Fehler, indem wir Noten nachträglich einfügen beziehungsweise löschen. Dort, wo besonders helle Flächen erscheinen, die einen Hinweis auf einen lauten Ton geben, aber nicht als MIDI-Note erfasst wurden, setzen wir nachträglich Noten ein. Doch das rein visuelle Abgleichen der Spektrumsdarstellung und Einfügen von Noten führt nicht immer zum Ziel, da sich unter diesen hellen Flächen manches Mal überflüssige Tonverdoppelungen verbergen. Hier zeigt sich, wie wichtig musikalischer Sachverstand im Umgang mit WIDI ist.  Musikalisches Know-How gewährleistet im Vergleich zur Trial-and-Error-Methode ein ungleich effektiveres Arbeiten. WIDI ist also tatsächlich eine Software mit professionellem Anspruch.

Abschließend rufen wir den Tapping-Editor auf und tippen auf der Tastatur ein Taktraster zur laufenden Musik ein. Ein leichtes nachträgliches Korrigieren des Rasters mit der Maus ist noch erforderlich und geschieht leicht und komfortabel.

Wir speichern das Ergebnis als MIDI-Datei ab und importieren es zunächst in Cubase SX3. Die Datei besteht aus einer einzigen Spur, die den Klavierauszug des gesamten Arrangements enthält. Das von uns eingegebene Taktraster wird von Cubase richtig erkannt. Dennoch finden sich einige Töne, die nicht richtig positioniert sind und die wir über die Quantisierungsfunktion des Sequenzers nachträglich korrigieren. Die MIDI-Spur ist damit optimal vorbereitet, um als Basis in einem Noten-Editor weiter bearbeitet und zu Papier gebracht zu werden.
 
In einem nächsten Schritt wollen für jedes Instrument eine eigene MIDI-Spur erhalten. Durch die Möglichkeit, in WIDI 3.3 Noten und Notenbereiche auszuwählen und ihnen eigene Spuren und Kanäle zuweisen zu können, erreichen wir unser Ziel. Dadurch, dass die Gesangsstimme – ein sonorer Bariton – mitten im Bereich des Klaviers erklingt, bemühen wir die Auswahlfilter-Funktion von WIDI, grenzen zur Auswahl den Tonraum ein und wählen, da der Gesang durch lang gezogene Töne besticht, eine hohe Notenlänge aus. Die so getroffene Auswahl kopieren wir und fügen sie in eine neue Spur ein. Jetzt blenden wir die übrigen Spuren im Spur-Dialog aus und schalten sie stumm. Die kopierte Spur enthält zum Großteil die Töne der Gesangsmelodie, allerdings auch einige zusätzliche Töne, die noch vom Klavier stammen. Durch Löschen der überflüssigen Noten erscheint jetzt die Gesangsmelodie in Reinform. Über den Noteneigenschaften-Dialog weisen wir dieser Spur außer einer neuen Spurzahl und einem Kanal auch einen Chorsound zur besseren Abhebung von den anderen Instrumenten zu. In einem zweiten und dritten Schritt verfahren wir ähnlich mit der Klavierstimme und den Streichern. Zum Schluss enthält das Projekt drei Spuren, die sich auch in der abschließend gespeicherten MIDI-Datei wieder finden.

Fazit

WIDI 3.3 von Widisoft empfiehlt sich als nützlicher Helfer für alle, die aus fertig arrangierter Musik ein MIDI-Arrangement, oder eine Partitur erstellen wollen. Das Programm bietet für wenig Geld umfangreiche Einstellmöglichkeiten zur Erkennung von Tonhöhen. Gleichwohl erfordert es ein hohes Maß an Einarbeitungszeit um souverän mit den Parametern umzugehen und adäquate Ergebnisse zu erhalten. Physikalisch bedingt ist immer ein nachträgliches Editieren der MIDI-Noten erforderlich. Musiker,  die oftmals mit spitzen Ohren vor dem Lautsprecher sitzen und verzweifelt versuchen einen Akkord aus einem Arrangement herauszuhören, wird dieses Programm gute Dienste leisten.

Erschienen in Ausgabe 10/2006

Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 139 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut