Profi-Tools reloaded
Pro Tools kann mit Fug und Recht als der Industriestandard für professionelle Audiobearbeitung betrachtet werden, und die Entwickler aus dem Hause Avid arbeiten stets emsig an Verbesserungen und neuen Features. Unser letzter großer Test liegt bereits mehr als drei Jahre zurück (Ausgabe 01/2014) – Grund genug, die aktuelle Version 12.8 erneut gründlich unter die Lupe zu nehmen.
Von Igl Schönwitz
Im Test vor drei Jahren konnten wir der Pro Tools Version 11 einen technologischen Paradigmenwechsel bescheinigen, der von konsequenter 64 Bit-Architektur und einer komplett überarbeiteten Audioengine bis hin zur damals neuen Plug-in-Schnittstelle AAX reichte. Diesmal haben wir es dagegen eher mit vielen kleinen Detailverbesserungen und neuen Features zu tun, die Konkurrenzprodukte allerdings zum Teil bereits seit längerem bieten. Das spielt aber im Endeffekt keine Rolle, denn schließlich kommt es bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte DAW letztlich auf persönliche Vorlieben und Arbeitsweisen an. Wer den bekannt schnellen und komfortablen Workflow von ProTools bei Editing- und Mixingaufgaben liebt, der wird ohnehin so schnell auf keine andere DAW umsteigen, und sich entsprechend umso mehr über die neuen Features freuen.
Versionen und Preise
Die Pro Tools Software ist nach wie vor in drei Versionen zu haben: Pro Tools First kann kostenlos verwendet werden, beschränkt sich allerdings auf jeweils 16 Audio-, MIDI- und Instrumentenspuren. Die kostenpflichtige Pro Tools Software unterstützt üppige 128 Stereo-Audiospuren (bei 44,1 kHz Sample Rate) und 32 physikalische Ein- und Ausgänge. Die Profi-Version ProTools HD dagegen lässt sich mit entsprechender Avid HD-Kartenausstattung auf bis zu 768 Audio- und 64 Videospurenspuren „aufbohren“, kostet aber bereits als reine Software – ohne Avid-Hardwarekomponenten – deutlich mehr als die Standardversion.
Wie viele andere Softwareanbieter offeriert nun auch Avid neben der Kaufversion die Möglichkeit, Pro Tools 12 auf Monats- oder Jahresbasis zu mieten. Während die Software als Kaufvariante inclusive eines einjährigen Updatevertrages mit 665 € kostet, kann man sie im Monatsabo für 35 € und im Jahresabo für 28 € Monatsmiete jeweils so lange benutzen, wie sie benötigt wird.
Für Pro Tools HD muss man – wohlgemerkt ohne HD-Hardware – stolze 2.736 € berappen, der jährliche Udateplan kostet 1071 €. Damit richtet sich die HD-Version ganz klar an Profianwender, denen mit der bekannt zuverlässigen und latenzfreien Audioverarbeitung über HD-Hardwaresysteme, 64 Videospuren und – neu in 12.8 – der direkten Unterstützung von Dolby Atmos Surroundformaten bis zu 7.1 auch einiges geboten wird.
Dennoch gibt es einige neue Features in Pro Tools HD 12 – Stichwort clipbasierte Audioeffekte – die ich mir auch in der nativen Version gewünscht hätte, zumal die Konkurrenz teilweise seit längerem ähnliches bietet. Erfahrungsgemäß sind in der Vergangenheit aber im Rahmen von Updates häufig HD-Features in die nativen Pro Tools Versionen übernommen worden, so dass hier noch Hoffnung besteht.
Detailverbesserungen und neue Features
Ich möchte zunächst auf einige Detailverbesserungen eingehen, die seit Version 12.3 bis heute neu in die Software eingeflossen sind:
Clip Transparency
Markiert man einen Clip mit der Maus und bewegt ihn an eine neue Position, so wird er nun leicht transparent dargestellt, so dass die Wellenform des darunterliegenden Clips weiterhin zu erkennen ist. Gerade wenn man einzelne Töne oder Worte zwischen verschiedenen Aufnahmetakes austauschen möchte, erleichtert dies die Positionierung der Clips ungemein. Clip Transparency lässt sich optional über einen entsprechenden Eintrag im View-Menu abschalten.
Batch Fade Window
Über das neue Batch Fade Window lassen sich nunmehr unterschiedliche Fadevorgänge mehrerer Clips gleichzeitig editieren. Über „Command-F“ öffnet sich ein neues Fenster, das drei Sektionen für Fade-In, Crossfade und Fade-Out bietet. Für alle Fadearten lassen sich die Fadekurve, Equal Power oder Equal Gain-Einstellung sowie Fadezeiten individuell einstellen. Gleichzeitig kann der User auswählen, ob er neue Fades erzeugen oder existierende Fades in Länge oder Kurve anpassen möchte. Verschiedene Batch-Fade-Settings lassen sich in fünf Presets abspeichern. Das Batch Fade Window ist ein extrem zeitsparendes Tool, das seit PT-Version 12.3 implementiert ist und das ich bereits heute in meiner täglichen Arbeit nicht mehr missen möchte.
Metering
Das Metering – von der lieben Kollegin Carina Pannicke im letzten Test noch angemahnt – kann nun auch in der nativen Pro Tools-Variante von Sample Peak, diversen PPM-Charakteristika (BBC, EBU, PPM Digital und andere), Bob Katz` K12, K16 und K24 und weiteren Ballistiken umgeschaltet werden. Auch die Gain Reduction der eingesetzten Dynamik-Plug-ins lässt sich nun direkt im Kanalzug anzeigen. In Pro Tools 11 war dieses Profi-Metering noch der HD-Software vorbehalten gewesen. Damit hält endlich ein weiteres lang ersehntes Profi-Feature Einzug in die native PT-Variante.
VCA-Master
VCA-Master sind ein weiteres ehemals exklusives HD-Feature. Nun lassen sich auch in der nativen Software Spurengruppen im Mixer über VCA-Fader zusammenfassen.
Disk Cache
Disk Cache wurde erstmals in Pro Tools HD 10 eingeführt. Seit Version 12 kommen auch Nutzer der nativen Software in den Genuss dieser effektiven Möglichkeit, Performance zu optimieren. Im unteren Bereich des „Playback Engine“-Windows kann man über ein Popup-Menü die Größe des RAM-Caches einstellen, die Pro Tools nutzen soll, um Audiodateien bei Aufnahme und Wiedergabe zwischenzuspeichern. Dadurch wird die Performance schneller und zuverlässiger, da RAM-Speicher immer schneller ist als Festplatten. Bei genügend Arbeitsspeicher ist es sogar möglich, Projekte direkt von langsamen Speichermedien wie SD-Karten oder USB-Sticks zu öffnen und zu bearbeiten. Die maximal verfügbare Größe des Disk-Cache beträgt grundsätzlich 3 GB weniger als der gesamte im System installierte Arbeitsspeicher – bei 8 GB RAM können also maximal 5 GB Disk Cache aktiviert werden. Systeme wie unser Studiorechner, der mit 64 GB RAM ausgestattet ist, können hier natürlich aus dem Vollen schöpfen. Im Fenster für die Systemauslastung lässt sich auch die Belegung des Disk-Cache ablesen.
Track Freeze
Seit Version 12.4 gibt es auch in Pro Tools eine Freeze-Funktion, mit der sich Bearbeitungen im Hintergrund auf die Festplatte schreiben lassen, um Resourcen freizugeben. Nach einem Freeze-Vorgang lassen sich – wie üblich – nur noch Volume, Pan, Mute und Send Levels editieren. Alle anderen Parameter wie Plug-ins, Elastic Audio, Audioinstrumente etc. werden eingefroren und können erst wieder editiert werden, wenn man die Spur über den kleinen Button mit der stilisierten Schneeflocke wieder freischaltet.
Soweit ist Freeze aus anderen Programmen altbekannt, allerdings hat sich Avid noch ein nützliches Gimmick einfallen lassen: Man kann mit der rechten Maustaste auf einen Insert klicken und über ein Popup-Menu „Freeze to Insert“ aufrufen. Nun werden alle vor diesem Insert im Signalfluß liegenden Parameter eingefroren, der betreffende Prozessor selbst bleibt aber editierbar.
Clipbasierte Effekte
Seit Version 12 ist es auch in Pro Tools möglich, Audioeffekte clipbasiert einzubinden. Hierfür öffnet sich oben im Arrangementwindow ein spezieller Plug-in-Bereich, der quasi einen eigenen Channel-Strip darstellt. Neben einem Input Trim stehen Phase Reverse, zwei Filterstufen die jeweils Hipass, Lowpass, Peak oder Bellcharakteristik haben können, sowie je eine zusätzliche Dynamik- und EQ-Einheit zur Verfügung. Erstere besteht aus einem Kompressor/Limiter sowie einer Expander/Gate-Funktion, die in der üblichen Art und Weise parametrisiert sind. Auch ein Sidechain-Filter für die Kompressorsektion wurde nicht vergessen. Der Equalizer kommt erwartungsgemäß als Vierband-Vollparametrik daher, wobei Bass- und Höhenband wahlweise als Peak- oder Shelvingfilter betrieben werden können.
Das Besondere ist nun, dass dieses Plug-in eben nur auf den jeweils angewählten Audioclip und nicht etwa auf eine komplette Spur wirkt. Wird der Clip verschoben oder kopiert, so bleiben auch die hier getätigten Einstellungen erhalten. In der rechten oberen Ecke der Clipdarstellung im Arrangefenster wird jeweils ein kleines Icon angezeigt, wenn der Clip per EQ oder Dynamiksektion bearbeitet wurde. Das Plug-in selbst ist selbstverständlich speicherbar, zusätzlich stehen fünf Presets über Quick-Recall-Buttons bereit.
Die clipbasierten Effekte in Pro Tools sind ein nützliches neues Feature. Allerdings gibt es Ähnliches in Samplitude beziehungsweise Sequoia bereits seit geraumer Zeit, und dort können sogar Drittanbieter-Plug-ins clipbezogen eingesetzt werden. Umso bedauerlicher ist es, dass die clipbasierten Effekte vollumfänglich bis dato nur in Pro Tools HD zur Verfügung stehen. Wird eine Pro Tools HD-Session, die clipbasierte Effektbearbeitungen enthält, in der nativen Version der Software geöffnet, so werden die Bearbeitungen zwar auch dort wiedergegeben, allerdings lassen sie sich nicht editieren. Schade. Bleibt zu hoffen, dass auch User der nativen Version mit einem zukünftigen Update in den Genuss dieses Features kommen.
Layered Editing und neue Playlist-Features
In der unteren Reihe der Hauptwerkzeugleiste direkt neben dem Zählwerkfenster sticht dem erfahrenen ProTools-Benutzer ein neuer Button ins Auge, der ein Symbol trägt, das in etwa wie zwei übereinandergelegte Papierblätter aussieht. Dieser Button aktiviert das „Layered Editing“:Bewegt man einen kurzen Audioclip über einen anderen und löscht ihn danach wieder, so war das Ergebnis bisher eine Lücke im darunterliegenden Audiofile. Bei aktiviertem Layered Editing wird dies vermieden. Nun wird der unten liegende Clip wiederhergestellt, wenn der darüber bewegte Clip gelöscht wird. Dieses an sich nützliche Feature ist unserer Meinung nach allerdings nicht ganz zu Ende gedacht. Wird der obere Clip nämlich nochmals bewegt, so entsteht nach wie vor eine Lücke im darunterliegenden Clip. Wäre der Layergedanke konsequent zu Ende verfolgt, so würde der untenliegende Event auch hier entsprechend wieder hergestellt.
Wird ein größerer Audioclip im Arrangierfenster über einen kleineren verschoben, so wird dieser komplett gelöscht. Das war bisher schon so, und auch Layered Editing ändert nichts an diesem Verhalten. Ähnliches passiert bei der Aufnahme, wenn ein kürzerer Clip von einem längeren Take „überschrieben“ wird. In der aktuellen Softwareversion lässt sich nun definieren, dass die überschriebenen Clips in diesen Fällen automatisch auf neue Playlists verschoben werden. Die beiden Funktionen lassen sich einfach über entsprechende neue Einträge auf der „Editing“-Seite des Preferences-Dialogs aktivieren.
Soundbase und Sound Libraries
Anscheinend war es nicht zu vermeiden: Seit Version 12.7 kommt auch Pro Tools mit einer eigenen Soundlibrary, die mit ca. 1,8 GB allerdings vergleichsweise klein ausfällt. Zusätzlich gibt es eine neue Workspace-Kategorie, die sich „Soundbase“ nennt. Die Soundbase-Umgebung ermöglicht eine detaillierte Suche nach Loops, Sounds und Mediendateien aller Art. Das Fenster enthält im oberen Drittel eine Auswahl an Schlagworten wie „Hits“, „Drums“, „Processed“, „Beats“ wie man es ähnlich auch beispielsweise aus Logic kennt.
Unterhalb dieses Bereiches findet sich rechts ein Browser für die verfügbaren Speicherorte und links zunächst ein weiteres Fenster, in dem sich die Suche über logische Verknüpfungen weiter verfeinern lässt. Pro Zeile gibt es hier drei Popup-Menüs, über die man Parameter wie „Typ – ist – Audiodatei“ oder „Tonart – ist – Moll“ definieren kann. Hier stehen wirklich unzählige Suchparameter bereit, und zudem kann man beliebig viele dieser Suchzeilen kombinieren.
Im untersten Bereich des Workspace-Fensters werden schließlich erwartungsgemäß die Suchergebnisse angezeigt. Audiofiles und Loops lassen sich über einen kleinen Play-Button vorhören und ins Arrangierfenster ziehen. Hier wird direkt eine entsprechende Spur erzeugt. Zieht man einen Loop mit Tempoinformationen in das Arbeitsfenster, so fragt das Programm nach, ob dessen Tempo übernommen werden soll. Ansonsten werden derlei tempobasierte Loops selbstverständlich automatisch dem Songtempo angepasst.
Soundbase ist eine wirklich durchdachte und gut funktionierende Sound- und Loopverwaltung, mit der Pro Tools auch in dieser Beziehung zu Apple`s Logic aufschließen kann.Die mitgelieferte Library hört auf den klangvollen Namen „Avid Loopmasters 1.0“ und stellt dem entsprechend vor allem Loops verschiedener Instrumente bereit. Der Fokus liegt eher im Electro- House und Dubstep Bereich, aber auch einige echte Streicher und Bluesriffs sind an Bord. Die Qualität ist durchweg ordentlich, die Vielfalt kann aber mit kommerziellen Libraries der bekannten Spezialisten nicht mithalten. Das war auch nicht zu ernstlich erwarten, aber immerhin hat nun auch Pro Tools eigene Loops für die ersten Gehversuche an Bord. Der echte Mehrwert liegt meiner Meinung nach aber ganz klar im neuen Soundbase- Workspace.
Avid Cloud Collaboration
Auch Avid bietet nunmehr eine komfortable Möglichkeit, weltweit gemeinsam zu produzieren. Als Grundlage wird jedem registrierten User über sein Avid- Kundenkonto 1 GB kostenloser Cloud-Speicher überlassen. Das Datei-Menü enthält einen neuen Menüpunkt „anmelden“, über den man Zugriff auf die Cloud erhält. Nun kann man über „Fenster -> Künstler-Chat“ Projekte verwalten, Kontakte auswählen und vieles mehr.
Ist die Cloud Collaboration aktiviert, so erscheinen in der Werkzeugleiste einige neue Symbole, mit denen sich einzelne Spuren oder ganze Spurenlisten in die Cloud uploaden oder aus der Cloud downloaden lassen. Zusätzlich gibt es im Spurfenster ein entsprechendes Parameterfeld, in dem man jede einzelne Spur freigeben oder down- bzw. uploaden kann. Ein Namensfeld zeigt an, wer gerade an der jeweiligen Spur gearbeitet hat.
Cloud Collaboration ist ein mächtiges Tool zur Zusammenarbeit verschiedener Künstler über das Internet. Eine ausführliche Beschreibung aller Funktionen würde allerdings den Rahmen dieses Tests sprengen.
Neue Plug ins
Mit Version 12 hat Avid eine ganze Reihe neuer Stompbox-Plug-ins wie diverse Verzerrer, Chorus- und Wahwahpedale, Delays und vieles mehr vorgestellt. Zusätzlich gibt es nach wie vor Premium-Plug-ins, die Prozessoren wie die Focusrite Red-Serie und die bekannten Pultec-Equalizer bereitstellen. All diese Prozessoren im Einzelnen zu besprechen würde den Rahmen dieses Tests ein weiteres Mal sprengen, daher möchte ich nur auf die beiden aktuellsten – und auch interessantesten – Neuzugänge kurz eingehen. Beide kommen aus der hochwertigen „Pro“-Serie, die jeweils mit 332 EUR zu Buche schlägt.
Pro Subharmonic erzeugt Subbass-Frequenzen ähnlich dem bekannten Lo Air von Waves. Es stehen allerdings umfangreiche Anpassungsparameter wie ein vierweg-Bereichsselektor, Hoch- und Tiefpassfilter und sogar eine MIDI-Noteneingabe zur Verfügung. In einem ersten Kurztest gefiel mir der Prozessor sehr gut, nach meinem Eindruck klingt er sogar etwas exakter und durchsichtiger als das Waves-Pendant.
Pro Multiband Dynamics ist, wie der Name schon vermuten lässt, ein vierband-Dynamikprozessor, der für jedes Band sowohl Kompression wie auch upward-Expansion zulässt. Zusätzlich lässt sich das Plug-in bei deaktivierter Dynamikfunktion auch als Frequenzsplitter einsetzen. Das Plug-in ermöglicht sowohl dezente als auch drastische Bearbeitungen und klingt stets überzeugend.
Fazit
Pro Tools wird auch in der aktuellen Version seinem Ruf als kompromisslose Profi-DAW mehr als gerecht. Einige der neuen Features sind von Konkurrenzprodukten seit längerem bekannt, was ihrem Praxisnutzen aber natürlich keinen Abbruch tut. Die neue Cloud Collaboration ist eine prima Sache, die überzeugend umgesetzt wurde. Einziger Wehrmutstropfen ist die lange fällige clipbasierte Effektbearbeitung, die leider der teuren HD-Variante vorbehalten ist. Hier hoffen wir auf ein baldiges Update.
Erschienen in Professional audio 08/2017