Samt und Seide
Mit seiner 800-Serie hat MXL eine ganze Serie preisgünstiger Studiomikrofone auf den Markt gebracht. Das Bändchenmikrofon MXL 860 sticht besonders hervor und empfiehlt sich unter anderem für Vocals.
Von Hans-Günther Beer
Bändchenmikrofone gehören zu den ältesten Mikrofontypen in der Audiotechnik, gerieten aber in der Studio- und Bühnentechnik fast in Vergessenheit, zu dominant war die Vorherrschaft der dynamischen Schwingspulenmikrofone à la Shure SM57 sowie der Groß- und Kleinmembran-Kondensatormikrofone. Zur großen Verbreitung insbesondere der Kondensatormikrofone trugen in den letzten Jahren insbesondere die fernöstlichen Fabriken bei. Für erstaunlich wenig Geld liefern diese sehr hohe Klangqualität zu verblüffend niedrigen Preisen bei gleichzeitig hervorragende Material- und Fertigungsqualität. Eine Vielzahl von Tests in Professional audio belegen das. Ein Grund für das Abtauchen der Bändchenmikrofone ist sicherlich die vergleichsweise komplizierte Bauweise.
Dennoch erlebte das Bändchenmikrofon vor wenigen Jahren eine echte Renaissance, an der vor allem die amerikanische Firma Royer Labs ihren Anteil hatte. Beflügelt wurde dies sicherlich auch durch die Suche von Audio-Ingenieuren nach den besonderen Klangeigenschaften, die sich von der der Mainstreammikrofone abhebt. Bändchenmikrofone liefern Prinzip bedingt einen eigentümlichen Klang, der zunehmend wieder in Mode kommt. Bei einem Bändchenmikrofon schwingt eine hauchdünne Aluminiummembran senkrecht stehend zwischen sehr starken Permanentmagneten. Wird diese Membran, das Bändchen, nun durch Luftdruckschwankungen in Bewegung gesetzt, wird in der Membran eine proportionale Spannung induziert. Diese Spannung spannt ein spezieller Übertrager so hoch, dass ein Mikrofonverstärker damit etwas anfangen kann.
Bändchen zum Kampfpreis
Diese Bauweise erfordert höchste mechanische Qualität mit geringsten Toleranzen. Naturgemäß treibt das die Fertigungskosten in die Höhe. Umso erstaunlicher ist es, dass der der Mikrofonhersteller MXL, der sich insbesondre durch seine Kondensatormikrofone einen Namen gemacht hat und zur Marschall-Gruppe gehört, kürzlich mit dem MXL 860 ein reinrassiges passives Bändchenmikrofon-vorgestellt hat. Der unverbindliche Richtpreis: 149 Euro. Das Mikrofon gehört zur neuen MXL 800er-Serie, einer Reihe günstiger Studio-Mikrofone, zu der auch das Kleinmembran-Paar MXL 840 Pair und die Großmembran-Mikrofone MXL 870, 880 und 890 gehören – die Preise liegen zwischen 120 und 200 Euro.
Das wie die meisten Bändchenmikrofone als Side-Adress-Ribbon konstruierte 860 – aufgrund des senkrecht stehenden Bändchens also von der Seite zu beschallen – besitzt ein nur 1,8 µm (Mikrometer, tausendstel Millimeter) dicke Aluminiummembran von 47 Millimeter Länge. Das Mikrofongehäuse ist sehr kompakt, besitzt eine sehr gute Anmutungsqualität und wirkt äußerst hochwertig. Zum Lieferumfang gehört neben einem Mikrofasertuch zum Reinigen eine gut gemachte Metallspinne, die ebenfalls hochwertig wirkt. Wie jedes Bändchenmikrofon besitzt auch das MXL 860 die typische Achter-Charakteristik, will heißen, das Mikrofon nimmt den Schall in Sprechrichtung von vorne und hinten in gleicher Intensität auf. Dies ist bei der Mikrofonierung zu beachten und kann für ganz besondere Effekte bei der Aufnahme ausgenutzt werden. Der Hersteller gibt einen sehr universellen Einsatzbereich an, empfiehlt es aber insbesondere für Bläser- und Gitarrenaufnahmen. Gleichzeitig proklamiert er einen maximalen Schalldruckpegel von 130 Dezibel bei einem Kilohertz. Nichts desto trotz gelten Bändchenmikrofone gemeinhin als eher empfindlich, denn die hauchdünne und relativ lange Membran kann rechts schnell reißen. Obwohl MXL das 860 als robust bezeichnet wird, sollte man es sehr vorsichtig behandeln und keinen heftigen Stößen aussetzen. Ebenso wenig darf am Audiointerface oder Mischpult die Phantomspannung eingeschaltet werden, denn das MXL-860 ist ein passives Mikrofon.
Messtechnisch ohne Fehl und Tadel
Im Professional audio Messlabor ermittelte der Audio Precision Messcomputer unter anderem den Frequenzgang des MXL 860. Dabei offeriert das Mikrofon in den Mitten und Höhen einen typischen Frequenzgang für diese Bauweise. Von 200 Hertz bis 3000 Hertz verläuft der Frequenzgang sehr linear, um dann zu 5 kHz um 4 Dezibel anzusteigen uns bis 10 kHz abzufallen – ein sechs Mal so teures Royer 101 macht das nicht anders. Allerdings tut sich oberhalb von 10 kHz nicht mehr allzu viel, bei 17 kHz bleibt die Dämpfung bei -8 Dezibel. Ganz jedoch im untern Mitten- und Bassbereich, hier legt das MXL-860 noch mal richtig zu – von Bassschwäche keine Spur. Mit einer Empfindlichkeit von 1,3 mv/Pa liegt das MXL-Bändchen exakt auf dem Niveau eines Royer R-101 (Test Ausgabe 6/2013).
Klangbeurteilung
Zwar wird das 860 vom Hersteller vor allem für Bläser- und E-Gitarrenaufnahmen empfohlen, doch meist eignen sich Bändchen-Mikrofone auch für speziell klingende Vocal-Aufnahmen. Aus diesem Grund testen wir das 860 zur Aufnahme der menschlichen Stimme und fertigen zusammen mit dem USB-Audio-Interface Prism Sound Titan (Test auf Seite 76) unterschiedliche Gesangsaufnahmen von Rock-, Pop- und Klassik-Stücken an. Zunächst fällt beim Abhören der Aufnahmen auf, dass das 860 einen sehr speziellen präsenten, matt-samtigen, aber dennoch Bändchen-typisch sanften Klang besitzt, welcher der lyrischen Mezzosopran-Stimme unserer Sängerin bestens zu Gesicht steht. Trotz seiner Achter-Charakteristik ist das Klangbild des 860 sehr intim und zeigt kaum Raumanteil. In dieser Hinsicht gleicht das Bändchen-Mikrofon eher einem Großmembran-Mikrofon mit Nierencharakteristik. Ein Nahheits-Effekt ist, obwohl das MXL 860 als Bändchen ein reiner Druckgradientenempfänger ist, hingegen eher wenig spürbar. Insgesamt erscheinen die aufgenommenen Signale nicht ganz so dynamisch differenziert wie sie beispielsweise über unsere Kleinmembran-Referenz klingen – stattdessen wirkt das Signal auf angenehme Weise leicht komprimiert.
Unsere Gesangs-Aufnahmen mit dem 860 werden von offenen, stark ausgeprägten Hochmitten dominiert, welche die Stimme der Sängerin besonders weiblich klingen lassen, da die für Frauenstimmen typischen hohen Frequenzanteile und Obertöne besonders betont werden. Die Mitten und Tiefmitten erscheinen hingegen – anders als der Frequenzgang vermuten lässt – eher etwas zurückhaltend und leise, was allerdings bei einer hohen Frauenstimme keineswegs stört. Im Gegenteil, so kann sich die Stimme später im Mix leichter von den eher Mitten-lastigen Begleitinstrumenten abheben. Insgesamt gefällt uns vor allem die matte Samtigkeit, von der die Aufnahmen bestimmt sind. Der Gesang wirkt edel, intim und sanft – aber eben nicht schillernd oder glänzend. Einen bassig-mulmigen Klang, wie er anderen eher günstigen Bändchen-Mikrofonen gerne zugeschrieben wird, besitzt das 860 jedenfalls nicht, obwohl der gemessene Frequenzgang das suggerieren könnte. Sehr gut eignet sich das günstige Bändchen für Signale, deren Mitten- und Höhenanteile besonders groß und charakteristisch sind, wie es etwa bei Frauenstimmen, hohen und mittleren Holz- und Blechbläser oder Streichern der Fall ist.
Fazit
Das MXL 860 ist ein auffallend gut klingendes Mikrofon mit der typischen Klangcharakteristik eines guten Bändchenmikrofons. Stimmen erhalten einen besonderen Klangcharakter. Das MXL 860 bereichert jeden Mikrofonpark und bietet ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Erschienen in Ausgabe 08/2014
Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 149 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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