Geschmacksfrage
Komposition und Arrangement sind süß wie ein Eis am Stiel, leider klingt die Digitalaufnahme ebenso kalt. Samsons brandneues Bändchenmikrofon soll mit einem guten Schuss Wärme die frostigen Spitzen abschmelzen.
Von Harald Wittig
Bändchenmikrofone scheinen zurzeit so gefragt zu sein, wie schon sehr lange nicht mehr. Sprach Professional audio Magazin anlässlich des großen Bändchenmikrofon-Tests in Ausgabe 2/2007 noch vorsichtig von einer „Rückkehr der Klangschmeichler“, so scheint dieser Mikrofontyp kaum sechs Monate später vollständig rehabilitiert zu sein. Immer mehr Praktiker – vom Amateur bis zum gestandenen Profi – greifen aus klanglichen Gründen zum Bändchen und ein Hersteller nach dem anderen springt auf den fahrenden Zug auf. Auch Samson ist nun mit dabei und hat mit dem brandneuen VR88 eine eigene Bändchen-Variante ins Rennen geschickt.
Auch wenn Samson im Mikrofonbereich vor allem eine gute Reputation wegen seiner sehr kostengünstigen USB-Mikrofone hat – das amerikanische Unternehmen mit kompletter Fertigung in China gilt insoweit für Viele als Pionier – ist das Thema Bändchen für den Hersteller mit dem biblischen Namen kein absolutes Neuland. Immerhin erfreuen sich beispielsweise die Rubicon-Monitore mit Bändchen-Hochtöner einiger Beliebtheit bei preisbewussten Homerecordlern, was einerseits an dem äußerst günstigen Anschaffungspreis, andererseits aber auch an der mehr als akzeptablen Qualität liegt. Deswegen ist die Redaktion durchaus gespannt, wie sich das VR88 im Mess- und Praxistest behauptet. Samson stellt zwar kostengünstige Produkte her, das abwertende Prädikat „Billigheimer“ verdient der Hersteller, wie einige Test im Professional audio Magazin zeigten, aber sicher nicht.
Allerdings wird das VR88 auch nicht gerade zum Schnäppchenpreis angeboten: Mit etwas über 500 Euro ist es auf dem Preisniveau eines Beyerdynamic M 130 (499 Euro) oder eines Sontronics Sigma (498 Euro) und muss sich daher mit diesen Bändchenmikrofonen der Oberklasse messen lassen müssen (siehe beider Test in Ausgabe 2/2007).
Ein Grund für den nicht eben Samson-typischen Preis dürfte sein, dass das VR88 nach Herstelleraussage in limitierter Auflage von Hand gebaut werde. Nun ja, Handarbeit gehört notwendig bei der Fertigung eines Bändchenmikrofons dazu, denn das Einspannen des hauchdünnen Aluminium-Bändchens in den Rahmen mit den beiden Permanentmagneten kann nicht maschinell erledigt werden. Insoweit ist eine solche Werbeaussage mit Vorsicht zu genießen, denn auch bei einem Billig-Bändchenmikrofon muss mit Lupe und Pinzette gearbeitet werden. Was darüber hinaus an diesem Mikrofon Handarbeit ist, verraten die Entwickler indes nicht. Zumindest hat Samson beim VR88 bei der Materialwahl nicht in die Billigkiste gegriffen: Die Permanentmagnete sind immerhin aus Neodymium und das zwei Mikron hauchdünne Bändchen selbst bestehe aus 99 Prozent reinem Aluminium. Außerdem verkrafte das VR88 auch hohe Schallpegel und wäre damit eine Konstruktion ganz auf der Höhe der Zeit, denn das zeitgenössische Bändchen sollte sich bei einer Vielzahl von Anwendungen bewähren und auch bei der Abnahme von Gitarren- und Bassverstärkern oder als Bassdrum-Mikrofon nicht nach kurzer Zeit mit einem Riss der hauchdünnen Membran den Dienst quittieren. Apropos moderne Konstruktion: Dazu passt auch, dass es sich beim VR88 um ein aktives Bändchenmikrofon handelt. Es verfügt also über einen eingebauten Verstärker, woraus für die Praxis folgt: Das VR88 muss im Gegensatz zu den klassischen Vertretern der Zunft mit Phantomspannung betrieben werden, anderenfalls gibt es keinen Mucks von sich. Das erweist sich indes keineswegs als Nachteil: Mit Phantomspannung sind inzwischen auch sehr günstige Aufnahmegeräte oder Mischpulte ausgestattet. Allerdings lässt sich bei diesen Geräte die Phantomspannung häufig nur global, also für alle Kanalzüge gleichzeitig schalten. Wer nun etwa bei der Abnahme von Gitarrenamps die klanglich attraktive Mischung aus Kondensatormikrofon und Bändchen bevorzugt, hätte mit einem traditionellen Bändchenmikrofon ganz schlechte Karten: Diese verabschieden sich nämlich bei anliegender Phantomspannung oft schon nach sehr kurzer Zeit in die ewigen Bändchen-Jagdgründe und aus ist´s mit der vielfarbigen Mischung. So gesehen bringt ein aktives Bändchenmikrofon wie das VR88 nur Vorteile, zumal dieser Typ auch nicht so niedrigempfindlich ist wie die Ahnherren: Der Vorverstärker muss für einen brauchbaren Pegel nicht allzu sehr aufgerissen werden. Zwar ermittelt das Messlabor einen Wert von 7,9 mV/Pa, womit das VR88 deutlich empfindlicher – also faktisch lauter – als die passiven Kollegen ist, dennoch bleibt es ein Leisetreter und verlangt nach einem Verstärker mit einigen Gain-Reserven. Das klingt jetzt dramatischer als es in Wahrheit ist, denn inzwischen sind sogar ausgesprochen günstige Vorverstäker wie ein Behringer Tube Ultragain Mic 200 für knapp 70 Euro (Test in Ausgabe 6/2006) alles andere als schwachbrüstig.
Das VR88 ist mit seinen 500 Gramm Kampfgewicht nicht direkt ein Schwergewicht, allerdings zerrt es schon am Stativ. Da ist es erfreulich, dass gleich zwei Halterungen in den recht stabil wirkenden Alukoffer beigepackt sind. Die erste kommt ohne jegliche Federung aus und ist für Desktop-Anwendungen gedacht. Sie hält das VR88 sicher und sollte tunlichst nicht ans Stativ geschraubt werden, denn diese Halterung ist tatsächlich völlig steif und kann Vibrationen, auf die das Mikrofon sehr empfindlich reagiert, nicht abfedern. Einen etwas besseren Eindruck hinterlässt da die Spinne – solange der Musiker auf vollen Körpereinsatz verzichtet. In der Praxis bewirkt die Spinne fast nichts und Luftschall kommt sehr deutlich durch. Das liegt in erster Linie an den viel zu nachgiebigen Gummis, so dass das Mikrofon schon bei geringsten Erschütterungen in der Halterung bebt. Hier sollte Samson unbedingt nachbessern, denn die Spinne passt überhaupt nicht zu dem gut verarbeiteten Mikrofon.
Im Messlabor behauptet sich das VR88 mit Werten, die auch von hochpreisigen Vertretern der Bändchenfamilie wie etwa einem R-122V (immerhin rund 3.000 Euro teuer) nicht übertroffen werden. So fällt das Eigenrauschen des VR88 mit einem moderaten 77 Dezibel erfreulich gering aus. Dieser Wert gereicht auch manch einem Kondensatormikrofon zur Ehre, für ein Bändchenmikrofon ist er hervorragend.
Interessant ist der Frequenzgang des VR88: Unter Berücksichtigung der Reflexionen von Stativ und Kabel, die für eine gewisse Welligkeit sorgen, verläuft die Messkurve für ein Bändchenmikrofon ungewöhnlich gleichmäßig. Die einzelnen Spitzen und Senken, beispielsweise bei etwa 350 Hertz oder zwischen zwei und drei Kilohertz können getrost vernachlässigt werden, betragen sie doch kaum zwei Dezibel. Wesentlich auffälliger und für ein solches Mikrofon ganz und gar untypisch ist das Fehlen eines Höhenabfalls ab etwa fünf Kilohertz. Stattdessen steigt die Kurve hier an und erst ab acht Kilohertz erfolgt ein mit vier Dezibel immer noch vergleichsweise gemäßigter Abfall. Das sollte jetzt noch niemand zu voreiligen Schlüssen auf einen möglicherweise besonders ausgewogenen Klang des VR88 verleiten. Nach wie vor gilt, dass der Frequenzgang nur ein geringer Teil der Wahrheit darstellt, gerade über das Auflösungsvermögen eines Mikrofons sagt er nichts aus.
Anlässlich des Tests des Phonic Helix Boards (siehe Seite 84), darf das VR88 bei einer modalen Komposition mit dem geistreichen Titel „Saitenmusik 13“ zeigen, was es klanglich zu bieten hat. Es findet nämlich Verwendung bei der Leadstimme, die mit einer Lakewood D 8-Steelstring eingespielt wird. Damit der Klang des Mikrofons möglichst unverfälscht eingefangen wird, werden gleich zwei Takes eingespielt: Einmal über das Helix Board, einmal über die schon in vielen Tests hinreichen bewährte, da vollkommen klangneutrale Kombination aus Lake People Mic-Amp F355 und Lynx Aurora 8 Digitalwandler. Bereits beim Soundcheck fällt auf, dass der Nahbesprechungseffekt beim VR88 ziemlich ausgeprägt ist. Im Einzelfall kann der daraus resultierende Bassboost zwar willkommen sein, in diesem Fall passt er überhaupt nicht, zumal das Instrument bauartbedingt (Dreadnought) sehr bassstark ist. Deswegen beträgt die Distanz des Instruments zum Mikrofon etwa 50 Zentimeter, weswegen beide Male die Gain-Regler von Pult und Preamp weit aufgedreht sind. Dank der vergleichsweise höheren Empfindlichkeit des VR88 stehen die Regler aber immer noch nicht auf Rechts- beziehungsweise Linksanschlag.
Nerviges Rauschen fällt beim ersten Hineinhören in die fertige Aufnahme schon mal nicht unangenehm auf. Stattdessen scheint das VR88 eine ausgezeichnete Wahl für obertonreiche Saiteninstrumente zu sein: Obwohl die Gitarre mit ganz frischen Saiten versehen ist und noch dazu mit beinhartem Plektrumanschlag eingespielt ist, klingt es weder unangenehm dröhnend im Bassbereich noch überscharf und brillant in den Höhen. Tatsächlich ist der Klang tendenziell ausgewogen, durchaus warm und rund, aber auch nicht übermäßig voll. Im Vergleich zum VR88 klingt beispielsweise ein Sigma von Sontronics viel vintage-mäßiger und auf gewisse Weise älter. Ein wenig geht der Klang des Samson sogar in Richtung des immerhin dreimal so teueren R-121 von Royer, wenngleich es weder dessen hochfeine Auflösung, noch dessen klare Höhenwiedergabe erreicht. In den Höhen wirkt es aufs erste Hinhören sogar etwas zurückhaltend, was auf Kosten der durchaus guten Auslösung geht. Es lohnt sich aber unbedingt, einige Zeit auf den Soundcheck zu verwenden, denn die Akustikgitarre klingt bei einem alternativen Take, wo das VR88 auf Höhe des zwölften Bunds ausgerichtet ist, hörbar brillanter, wenngleich auch jetzt noch die Höhen leicht zurückgenommen wirken.
Um diesen Eindruck zu verifizieren, wird noch eine Solo-Gesangsaufnahme erstellt. Dafür erklärt sich die Background-Sängerin und Keyboarderin der Mannheimer Band SHIN-EN, Sarah Goetz, kurzer Hand bereit. Deren mittel- hoher Stimme steht das VR88 gut, wenngleich auch hier die zurückgenommenen Höhen auffallen. Im direkten Vergleich mit dem ausgesprochen neutralen Kondensatormikrofon M 930 von Microtech Gefell (siehe Test Ausgabe 6/2007), das hier deutlich strahlender klingt, fällt diese Eigenschaft des VR88 noch deutlicher auf. Das Mikrofon weist zudem hörbare Off-Axis-Verfärbungen auf, die in einem erhöhten Bassanteil resultieren. Darauf weist Samson in der Bedienungsanleitung jedoch ausdrücklich hin, somit gibt es insoweit nichts rumzunörgeln. Stattdessen sollte diese Eigenschaft des VR88 bewusst klanggestaltend genutzt werden. Daraus ergibt sich für die Praxis: Für hohe, leicht penetrante Stimmen kann das Mikrofon heilsam wirken, desgleichen für brillante Instrumente. Nicht umsonst empfiehlt Samson das VR88 auch Jazzgitarristen zur Abnahme des Verstärkers: Wie ein kurzer Versuch beweist, ist es mit diesem Mikrofon ein Leichtes, den bei Jazzern so beliebten dicken Handschuh-Ton zu erzielen – ohne dass kräftig am Bass- und Höhenregler der Gitarre oder des Amps geschraubt werden müsste. In diesem Fall aber bitte nicht vergessen, das Mikrofon im 45-Grad-Winkel auf den Speaker ausrichten. Denn auch das Alubändchen eines modernen Bändchenmikrofons kann reißen.
Fazit
Das VR88 von Samson ist insgesamt eine gelungene moderne und pegelfeste Variante des Bändchentyps. Es löst fein auf, hat ein gutes Impulsverhalten und klingt gerade im Mitten- und Bassbereich vergleichsweise ausgewogen, lediglich in den Höhen ist es etwas zurückhaltend. Gezielt zur Verrundung von brillanten Instrumenten und hohen Stimmen eingesetzt, kann es Produktionen um attraktive Klangfarben bereichern.
Erschienen in Ausgabe 07/2007
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 534 €
Bewertung: gut
Preis/Leistung: sehr gut
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