Abgerundet

„Mikrofone sind wie Musikinstrumente und man kann nie genug davon haben!“ tönt so mancher Kollege – leider scheitert eine größere Kollektion von guten Mics oft am Budget. Wer schon immer einmal ein Bändchenmikrofon in seine Sammlung aufnehmen wollte, ohne dabei arm zu werden, könnte mit dem neuen sE Electronics X1R fündig werden. Wir haben’s getestet:

Von Sylvie Frei

Einst weitgehend von den europäischen Kondensatormikrofonen verdrängt, feiern die in den USA entwickelten Bändchenmikrofone längst ein mehr als munteres Revival. Der spezielle, etwas rundere und mitunter wärmere Sound, der diesen dynamischen Schallwandlern nachgesagt wird, passt schließlich gut in den Rahmen des aktuellen Analog- und Vintage-Trends und lässt den Sound der 50er-Jahre. Professional audio hat in den letzten zehn Jahren immer wieder hervorragende Bändchenmikrofone im Testfeld gehabt, zu erwähnen seien hier beispielsweise die Hersteller Royer Labs, Cloud, Beyerdynamic und Peluso, zuletzt auch der australische Hersteller Rode mit dem NTR (Test in Professional audio 8/2015). Eine ganze Reihe dieser Hersteller hat mit ihren modernen Bändchen-Interpretationen der Bauform wieder zu viel Ruhm verholfen. Allerdings sind viele der wirklich guten Exemplare mit Preisen zwischen 700 und 2.500 Euro (UVP) eben nicht in Jedermanns Budget. Daher bemühen sich nun auch mehr und mehr Hersteller günstigere, aber dennoch gut klingende Alternativen zu den höher- und hochpreisigen Boutique-Produkten zu schaffen.
Einer dieser Hersteller ist der chinesische Hersteller sE Electronics, der sich hauptsächlich mit der Entwicklung und Fertigung unterschiedlichster Mikrofone samt Zubehör in diversen Preisklassen befasst. Bereits vier Bändchen-Modelle aus dem Sortiment der Asiaten haben wir bereits getestet, namentlich das R 1 Ribbon, das RNR-1, das Voodoo VR1 und das Voodoo VR2, die allesamt mit sehr guten Oberklasse, bis Spitzenklassewerten abschneiden konnten (siehe Bestenliste). Diese Mikrofone liegen mit unverbindlichen Richtpreisen zwischen 750 (Voodoo VR1) und 2.350 Euro (RNR-1) preislich allerdings bereits im mittleren bis gehobenen Sektor.
Das hier vorgestellte sE X1R ist indes mit einem UVP von nur 237 Euro in der Tat sehr günstig. Es handelt sich um ein passives Bändchenmikrofon mit Achtercharakteristik, das den klassischen Bändchenklang mit einem moderneren, technisch den anderen Bändchen-Modellen des Herstellers entlehnten, dezenten Mehr an Höhen verbinden möchte und sich für eine Vielzahl unterschiedlicher Signale – von der Aufnahme akustischer Instrumente, der menschlichen Stimme bis hin zur Amp-Abnahme eignen soll.

Wie funktioniert ein Bändchenmikrofon?

Wandlerprinzip
Das Bändchenmikrofon, seines Zeichens ein elektroakustischer Wandler, arbeitet wie alle dynamischen Mikrofone nach dem Induktionsprinzip. Die zum Schwingen angeregte Membran des Bändchenmikrofons ist ein im Zickzack gefalteter, wenige Mikrometer dünner Aluminiumstreifen von zwei bis vier Millimetern Breite und wenigen Zentimetern Länge, der zwischen den Polen eines starken Permanent-Magneten (im Falle des X1R ein Neodym-Magnet) gespannt wird. Die durch den auftreffenden Schall angeregte Schwingung im Magnetfeld induziert eine Spannung, die an den Enden des Bändchens abgegriffen wird. Passive Bändchenmikrofone sind stets mit einem Übertrager versehen, der die sehr geringe induzierte Spannung auf das etwa 30-Fache erhöht. Dies verändert auch die Ausgangsimpedanz des Mikrofons, die ohne Übertrager gerade einmal rund 0,2 Ohm betragen würde auf die in der Studiomikrofonie gängigen 200 Ohm.

Vorteile
Zu den Vorteilen des Bändchenprinzips zählt ein tendenziell linearer Frequenzgang und durch die geringe Masse des Bändchens ein sehr gutes Impulsverhalten. In den meisten modernen Bändchenmikrofonen ist das Bändchen so eingespannt, dass der Schall von beiden Seiten eintreffen kann – daher die Achtercharakteristik.

Nachteile
Passive Bändchenmikrofone wie das X1R sind Prinzip-bedingt extrem leise, sodass der Einsatz eines extrem potenten und rauscharmen Verstärkers unerlässlich ist. Wir müssen die Verstärkung bei einigen Testaufnahmen, die wir in Interaktion mit dem Steinberg UR242-Interface durchgeführt haben, den integrierten Verstärker voll aufdrehen – und das selbst bei einer klassisch ausgebildeten Stimme, die im forte singt. Ein weiteres Vorurteil besagt, dass besonders günstige Bändchenmikrofone oft dumpf oder muffig im Bassbereich klingen – wir werden also gezielt nachhören. Grundsätzlich sind Bändchenmikrofone ohne nicht für die Aufnahme tiefster Frequenzen geeignet. Darüber hinaus besitzen sie einen Prinzip-bedingt sehr deutlichen Nahbesprechungseffekt – bei sehr naher Mikrofonierung ist also Vorsicht geboten.

Handhabung
Bändchenmikrofone sind sehr empfindlich. Während viele Kondensatormikrofone kleinere Unfälle auch mal unbeschadet überstehen, sollte ein Bändchenmikrofon mit Samthandschuhen angefasst werden. Erschütterungen, Wind und andere physikalische Einwirkungen führen sehr leicht zur Zerstörung des Bändchens. Auch beim Anschluss an Interface oder Vorverstärker ist Umsicht geboten. Versehentlich aktivierte Phantomspannung bedeutet den Tod für ein passives Bändchen-Mikrofon. Mittlerweile gibt es zwar auch eine Menge aktiver Modelle auf dem Markt – das sE X1R gehört jedoch nicht dazu.

Das sE X1R

Das X1R kommt ohne jegliche Zusatzfunktion, einzig mit einer festen, ungefederten Stativklemme in einer gepolsterten Pappschachtel daher – auf jede Form von Schnick-Schnack wurde budgetfreundlicherweise verzichtet. Sprich: Es besitzt keine Vordämpfung, kein Trittschallfilter, keine Kontroll-LEDs, keinen Windschutz und auch keine Spinne – eine solche lässt sich bei Bedarf allerdings für rund 50 Euro hinzukaufen (siehe sE Electronics Isolation Pack). Auch der Einsatz eines Wind- oder Poppschutzes ist bei der Arbeit mit einem Bändchenmikrofon grundsätzlich ratsam.

Das robuste, schwarze Metall-Gehäuse mit dem Korb aus Drahtgeflecht kommt indes ganz und gar Bändchen-untypisch daher, ähnelt viel mehr einem Großmembranmikrofon, wie etwa den Modellen von Audio-Technica. Mit rund 5 x 17 Zentimetern ist das Mikrofon auch in seinen Dimensionen einem durchschnittlichen Großmembranmikrofon nicht unähnlich, allerdings mit seinen 500 Gramm etwas schwerer. Die unelastische Stativklemme hält das Mikrofon übrigens bombenfest in Position, auch einem „Kopfüber“-Setup steht so nichts im Wege. Das Mikrofonstativ sollte allerdings solide und kein Wackelkandidat sein.
An das Bändchen, das vom dichten Drahtgeflechtkorb gut geschützt ist, kommt man auch durch Aufschrauben des Mikrofons nicht ohne weiteres ran – ein möglicher Austausch sollte also im Fall der Fälle vom Experten durchgeführt werden.

Flüsterleise

Wie bereits durch unsere Testaufnahmen vermutet, ist das X1R ein sehr leises passives Mikrofon. Mit einer Empfindlichkeit von nur 1,3 mV benötigt es einen besonders kraftvollen, rauscharmen Vorverstärker. Den Rauschabstand des Mikrofons können wir aufgrund der dynamischen Bauart nicht messen. Rauschen fällt aber auch auf unseren Test-Aufnahmen nirgendwo negativ auf.
Der Frequenzgang zeigt sich für ein Bändchenmikrofon recht mustergültig – wobei es „den typischen Verlauf“ auch hier nicht wirklich gibt – dennoch begünstigt die Bauweise häufig einen relativ linearen Kurvenverlauf mit unauffälligem Präsenzbereich und eher Senken als Anhebungen im Höhenbereich. Der Frequenzgang des X1R verläuft überwiegend sehr linear. Es findet sich ein einziger deutlicher Einbruch um im Acht-Kilohertz-Bereich um maximal acht bis 9 Dezibel und ein anschließender Anstieg zurück in den linearen Bereich um elf Kilohertz. Oberhalb 11 Kilohertz fällt die Kurve wieder ab.

Runder, angenehmer Klang

Klanglich zeigt sich das X1R grundsolide und tatsächlich vielseitig einsetzbar. Im Praxistest haben wir einige Gesangs-, Sprach-, Flöten- und Akustikgitarren-Aufnahmen angefertigt. Besonders Signale in Alt- und Sopranlage kommen sehr schön, rund und mit einer gewissen Sanftheit zur Geltung. Das Impulsverhalten ist sehr ordentlich, sodass auch schnelle, perkussive Elemente und Artikulationen detailliert dargestellt werden. Durch den eher unauffälligen Präsenzbereich und den durch die Achtercharakteristik verhältnismäßig räumlichen Klang empfinden wir die Aufnahmen als sehr angenehm, tragend und natürlich. Sprachaufnahmen klingen eher sanft und zurückhaltend, lassen sich aber gerade durch den recht deutlichen Nahbesprechungseffekt interessant gestalten _ solange ein Mindestabstand von etwa zehn Zentimetern nicht unterschritten wird. Eine gute Sprachverständlichkeit ist grundsätzlich gegeben – dennoch gibt es für diesen Einsatzzweck sicherlich passendere Mikrofone falls eben mehr Präsenz gewünscht ist. Bei schwierigen Sprecherstimmen, die zum Zischeln und zu vermehrten Flüssigkeitsartefakten neigen, könnte das Mikrofon sich jedoch durch seine runden, unaufdringlichen Höhen als Geheimwaffe entpuppen.
Alt- und Soprangesangsstimmen wie Instrumente kommen mit dem X1R schön zur Geltung. Tenor- und Bassinstrumenten wie beispielsweise die tiefen Saiten der akustischen Nylon-Gitarre klingen eher etwas zurückhaltend und dumpf, da ihre charakteristischen Obertöne sich wohl in der Senke um acht Kilohertz befinden und so weniger zur Geltung kommen. Dies kann sich allerdings wenn mit nur einem Mikrofon gleichzeitig sowohl (mittlerer bis hoher) Gesang (oder ein Sopran- oder Alt-Soloinstrument) als auch Gitarre aufgenommen wird als Vorteil entpuppen. So kommen sich nämlich Melodie und Begleitung nicht in die Quere und werden durch die Eigenschaften des Frequenzgangs des X1R bereits sauber voneinander separiert. Unser Folksong mit Gitarrenbegleitung klingt trotz des Einsatzes von nur einem X1R-Mikrofon differenziert und ausgeglichen. Die Eigenheiten des X1R sind also keineswegs als negativ anzusehen, solange es eben für die passende Disziplin eingesetzt wird.

Einsatzempfehlung

Insgesamt können wir das X1R allen an klassischen Bändchenmikrofonen interessierten Nutzern empfehlen, die vor allem mittlere bis hohe akustische Instrumente und Gesangsstimmen auf sanfte weise aufzeichnen wollen. Bei eher tieferen Stimmen und Instrumenten sollte vorher getestet werden, ob die individuellen Obertöne noch ausreichend zur Geltung kommen und das Signal nicht zu muffig wird. Das X1R liefert besonders für die erwähnten mittleren bis hohen Signale einen runden, unaufdringlichen und natürlichen Klang, der so ganz anders als die häufig etwas überpräsent abgestimmten Großmembran-Kondensatormikrofone der gleichen Preisklasse anmutet. Natürlich kommt das günstige X1R nicht an den oft samtig und edel anmutenden Klang der höherpreisigen Modelle von Royer oder Cloud heran, welche sich beispielsweise problemlos auch für Akustikgitarren-Aufnahmen eignen und ein noch besseres Impulsverhalten mitbringen, doch die Bändchen-typischen Eigenschaften bringt die solide Budgetlösung allemal in einer sehr ordentlichen Qualität und mit angenehmem Klangergebnis herüber mit eindeutigem Potenzial zur „Einstiegsdroge“ in die Bändchenmikrofonie. Ein kraftvoller Preamp mit sehr guten Rauschwerten ist allerdings bei dem flüsterleisen X1R Grundvoraussetzung.

Fazit

Das sE X1R ist ein Bändchenmikrofon, das für einen sehr attraktiven Preis einen wohlig-runden Klang transportiert, der besonders mittlere und hohe akustische Signale zur Geltung bringt. Budgetbewussten Bändchen-Interessenten sei das Ausprobieren wärmstens empfohlen.

 

Kleiner historischer Abriss
Etwa im Jahr 1930 wurde das erste einsetzbare Modell von Harry Ferdinand Olson gebaut (die Erfindung geht aber tatsächlich ins 19. Jahrhundert zurück, als Werner von Siemens, der Erfinder des Tauchspulenmikrofons, das Bändchen-Prinzip entdeckt hatte – damals entstand jedoch noch kein nutzbarer Prototyp). Nach Olsons Erfindung eroberte das Bändchenmikrofon rasch die US-amerikanischen Rundfunkanstalten und war das Standard-Mikrofon der 1940er und 1950er-Jahre. Die damaligen Bändchenmikrofone sind heute noch in Aufnahmen von Elvis Presley, Judy Garland und diverser US-Bigbands zu hören. In den 1960er-Jahren wurde das Prinzip allerdings mehr und mehr von den europäischen Kondensatormikrofonen verdrängt. Seit ein bis zwei Jahrzehnten ist die Bauform und ihr charakteristischer Sound, der für Wärme und Natürlichkeit steht, allerdings wieder voll im Trend.

Erschienen in Ausgabe 02/16

Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 349
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut