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Die neue Touring Gear-Serie des deutschen Mikrofonspezialisten Beyerdynamic bietet von Lavalier-, über Headset- bis hin zu Gesangs-, Instrumenten- und Schlagzeug-Mikrofonen alles, was der Live-Alltag erfordert. Professional audio hat exemplarisch drei unterschiedliche Vocal-Spezialisten zwischen 120 und 350 Euro zu den Testkandidaten erkoren.
Von Michael Nötges
Die deutsche Traditionsfirma Beyerdynamic zählt seit den 1930er Jahren zu den führenden Anbietern im Mikrofon-, Kopfhörer- und Beschallungssegment. Heute hat der Konzern – wie die großen Konkurrenten Sennheiser, Shure, AKG oder Electrovoice – neben dynamischen Schallwandlern eine unüberschaubare Vielzahl an unterschiedlichen Modellen für alle Einsatzbereiche im Produktportfolio. „Mit der neuen Touring Gear-Serie wollen wir nicht zuletzt eine übersichtliche Strukturierung der verschiedenen, neu überarbeiteten Live-Mikrofone erreichen“, erklärt uns Klaus Kirchhöfer, seines Zeichens Productmanager Wired Microphones ProAudio bei Beyerdynamic.
‚TG‘ stehe dabei für Touring Gear und der folgende Buchstabe des Produkt-Codes bezeichne den Anwendungsbereich: Vocal, Instruments, Headset, Lavallier oder Drums (V, I, H, L oder D). Es folge die Typ-Kodierung respektive Kapselkontruktion: dynamic, condenser, ribbon (d, c, r) und das Suffix ‚s‘, was die An- oder Abwesenheit eines On/Off-Switches konstatiere. Auf die Frage, was es denn mit der ominösen Sound Channeling Technology (SCT) auf sich habe, die bei der TG-Serie zum Zuge käme, erklärt Kirchhöfer: „Es geht im Kern, um die klangliche Anpassung für bestimmte Anwendungsbereiche. Dabei werden unterschiedliche akustische Labyrinthe, sprich Laufzeit- und Dämpfungsglieder verwendet, um die jeweils gewünschte Klangcharakteristik durch Änderung der Schallführung zu modellieren. Das geschieht nicht elektronisch, sondern auf akustischer Ebene.“ Die Bauweise, die Art der Elemente und die Wahl des Materials sind, laut Kirchhöfer, letztendlich für die Klanganpassung verantwortlich. Wir fragen genauer nach, was es denn mit dem speziellen Höhenresonator auf sich habe, der bei allen drei Testkandidaten erwähnt werde – beim TG V70 sogar als zweistufige Spezialvariante. Die Antwort des Produktspezialisten: „Stark vereinfacht gesagt handelt es sich um Trichter, die je nach Größe und Konstruktion die Höhenanhebung eines Mikrofons beeinflussen. Beim V70d ist es ein ausgeklügeltes System aus zwei dieser Elemente.“ Dann ergänzt er noch: „Beim Bändchenmikrofon TG V90r hilft beispielsweise ein spezieller Resonator, die prinzipbedingt zurückhaltenden Höhen anzuheben.“
Laut Touring-Gear-Code handelt es sich also, wie bereits erwähnt, bei den Testkandidaten TG V50d und TG V70d um dynamische Gesangsmikrofone ohne On/Off Switch. Das TG V90r dagegen ist zwar ebenso schalterlos aber – wie das ‚r‘ für ribbon anzeigt – ein Bändchenmikrofon. Alle drei Testkandidaten verfügen über einen Schaft aus Zink-Druckguss, die sich lediglich durch ihre Lackierung (V50d: schwarz, V70d: schwarz-metallic und V90r: silbergrau) unterschieden. Ansonsten sind die Mikrofone mit 167 Millimetern gleich lang und unterscheiden sich auch nur minimal in ihrer Statur, sprich dem Schaft- und Korbdurchmesser (siehe Tabelle). Auffällig ist allerdings, dass das Bändchenmikrofon in Tradition des frühen M 500 und der Seventies-Legenden M 160 und M 130 (Test, Ausgabe 2/2007), den charakteristischen Kugelkopf übernommen hat. So weiß man schon auf den ersten Blick: Obacht, ein sensibles Bändchen. Bevor wir aber zu dem außergewöhnlichen Schmankerl kommen, schauen wir uns die etwas gewöhnlicheren Arbeitstiere TG V50d und TG V70d an.
Das TG V50d ist ein dynamisches Tauchspulenmikrofon mit Nierencharakteristik und mit 270 Gramm das leichteste der drei Testkandidaten. Der matt-silberne Korb ist selbstredend zur Reinigung abschraubbar und macht einen robusten, vom Design her eher etwas grobmaschigen Eindruck. Im Lieferumfang enthalten sind eine Klemme und ein Etui, das zumindest vor Staub, Wind und Wetter schützt. Der Übertragungsbereich liegt laut Hersteller zwischen 50 Hertz und 17 Kilohertz, was für ein Gesangsmikrofon völlig ausreichend ist. Im Messlabor ermitteln wir die für ein dynamisches Mikrofon eher hohe Empfindlichkeit von 2,4 mV/Pa. Nur zum Vergleich: Ein Shure SM58 (Test, Ausgabe 9/2007) hat eine Empfindlichkeit von rund 1,8 mV/Pa, das Electrovoice RE 20 (Test, Ausgabe 9/2007) nur 1,5 mV/Pa und das Sennheiser MD 421-II liegt laut Hersteller, bei 2 mV/Pa. Gute Vorverstärker mit ausreichend Verstärkungsreserven sind bei leisen oder etwas weiter entfernten Schallquellen aber trotzdem angesagt. Wobei beim Gesang im Live-Einsatz – dafür ist das TG V50d schließlich konzipiert – die direkte Nähe zur Kapsel und damit ausreichend Schalldruck eigentlich immer gegeben ist. Es handelt sich insgesamt um ein sehr gut verarbeitetes und robustes, aber ansonsten eher unprätentiöses Bühnenmikrofon.
Klanglich – wir nehmen Gesang, Sprache Akustikgitarre auf und einen E-Gitarrenverstärker ab – finden wir den äußeren Eindruck bestätigt. Das TG V50d ist sehr kraftvoll, direkt und liefert bei den Vocaltracks einen ungeschminkten, etwas ungehobelten und rauen Grundsound, der allerdings insgesamt sehr ausgewogen erscheint. Für Akustikgitarre eignet sich das V50d, solange es mehr um Rock ‚n‘ Roll und weniger um High-End-Auflösung geht. Der Sound ist insgesamt rauscharm und lebt von seiner direkten, druckvollen Art. Für rotzige und angezerrte E-Gitarren-Riffs gefällt uns das V50d neben rockigen Männerstimmen am besten. Für das feine Jazz- oder Klassik-Genre fehlt ihm etwas die feine Note. Alle Testkandidaten drücken wir der Profi-Sängerin und Gesangs-Dozentin an der Deutschen Pop in Köln, Ellen Schneider (www.aileenmusik.de) in die Hand, um ein Statement zu bekommen. Das Urteil: „Das V50d liegt gut in der Hand. Klanglich finde ich es sehr direkt, allerdings insgesamt etwas grob. Das TG V50d fügt der Stimme eigentlich nichts Besonderes hinzu, für mich ist es ein gutes Einsteigermikrofon.“
Das TG V70d zeigt sich komplett in elegantem Schwarz, wiegt 345 Gramm und ähnelt dem TG V50d ansonsten sehr, nur dass der Korb ein etwas feineres Drahtgeflecht aufweist. Die Richtcharakteristik des dynamischen Mikrofons ist allerdings eine Hyperniere, nimmt also zumindest auch leicht von hinten (180 Grad zur Einsprechrichtung) Schall auf. Das TG V70d sieht etwas eleganter aus und eine neue Korbkonstruktion verbessere laut Beyerdynamic zusammen mit der gedämpften Kapselaushängung die Unterdrückung von Nebengeräuschen. Schraubt man den Korb ab, kommt die Kapsel mit ihrem Neodymmagneten und der hauchdünnem Großmembran zum Vorschein. Beides soll in erster Linie die Auflösung verbessern. Ansonsten hat Beyerdynamic noch den bereits erwähnten zweistufigen Höhenresonator (Doppeltrichter-Konstruktion), eine optimierte Schallgeometrie mit speziellem Gewebe hinter der Membran und abgestimmten Schallöffnungen für eine möglichst frequenzunabhängige Richtcharakteristik implementiert. Im Lieferumfang enthalten sind auch hier Klemme und Etui. Der angegebene Übertragungsbereich liegt, im Gegensatz zum TG50d deutlich erweitert, zwischen 25 Hertz und 18 Kilohertz. Contrabass oder Cello, aber auch Pauken oder tiefe Blechbläser könnten bei Aufnahmen also auch funktionieren. Die gemessene Empfindlichkeit von 2,8 mV/Pa bietet noch etwas mehr Ausgangsspannung als das TG V50d, was es ein wenig mehr auch für filigrane Stimmen oder leisere Instrumente prädestiniert. An der Verarbeitung lässt sich nichts bemängeln und insgesamt versprüht das TG V70d einen vornehmen Esprit.
Das „Kleine Schwarze“ klingt wie das TG V50d insgesamt sehr kräftig und durchsetzungsstark, aber sofort wird der feinere Grundcharakter deutlich. Die Höhen sind bei Sprach- und Gesangs-Aufnahmen etwas offener und wirken weicher. Das Timbre kommt elegant und ein wenig samtig zum Vorschein, wobei auch das TG V70d insgesamt sehr gradlinig und ehrlich ist. Die Auflösung ist detailreich und das gute Impulsverhalten überträgt Anschlaggeräusche bei einer Akustikgitarrenaufnahme sehr exakt. Bei der Abnahme des E-Gitarren-Verstärkers kann es nicht so recht überzeugen, dafür aber bei jazzig-souligem Gesang. Das Statement von Ellen Schneider: „Das TG V70d gefällt mir optisch besser als das TG V50d und es liegt ebenfalls sehr entspannt in der Hand. Klanglich finde ich es sehr kraftvoll und direkt sowie insgesamt etwas feiner. Die Stimme könnte aber für meinen Geschmack noch etwas besser aufgeschlüsselt werden.“
Das silbergraue TG V90r fällt in unserer Gesangsmikrofon-Trilogie etwas aus der Reihe. Alleine schon deswegen, weil „Eure Exzellenz“ anstatt in einem gewöhnlichen Etui, in einer verschraubbaren Kunststoffröhre mit Schaumstoffpolsterung geliefert wird. Als Bändchenmikrofon ist es mit einer untypischen Nierencharakteristik bedacht und außerdem mit einem Kampfgewicht von 450 Gramm für seine Größe und Statur (siehe Tabelle) ein ziemlicher Brocken. Nicht, dass der sehr gut austarierte Schallwandler mit dem Kugelkopf deswegen schlechter in der Hand läge, aber nach einem zweistündigen Konzert mit dem TG V90r, kann der Bizeps schon einmal ziemlich gut durchblutet sein. Auf der anderen Seite vermittelt die massive Bauweise gerade bei einem empfindlichen Bändchenmikrofon ein sicheres Gefühl im harten Live-Alltag. Außerdem fällt das hohe Gewicht bei der Montage am Mikrofonstativ mit der mitgelieferten Klemme kaum ins Gewicht. Die Kapselkonstruktion lagert den rund zwei Mikrometer dünnen Aluminiumstreifen sicher, sodass die Mär vom live-untauglichen, weil hochempfindlichen Bändchenmikrofon spätestens hier ein Ende hat. Unterhalb des von Hand eingespannten Bändchens befindet sich das Schalllabyrinth für die optimale Klangabstimmung, wobei der spezielle Bändchen-Höhenresonator, so Beyerdynamic, nicht nur für die seidige Höhenwiedergabe, sondern gleichzeitig auch als mehrstufiger Poppschutz fungieren soll. Das TG V90r hat im Vergleich zu anderen Bändchenmikrofonen (Shure KSM313, Test Ausgabe 2/2010: 1,9 mV/Pa; Peluso R 14: 1,1 mV/Pa; sE Electronics R1 Ribbon: 2,3 mV/Pa; Beyerdynamic M 130, Tests, Ausgabe 2/2007) eine eher geringe Empfindlichkeit von 0,8 mV/Pa. Damit folgt es seinen unempfindlichen Vorbildern, dem M 500 mit 1,2 mV/Pa (Herstellerangabe) oder dem M 160 mit 0,9 mV/Pa (Test, Ausgabe 2/2007). Probleme beim Gesang oder anderen lauten Schallquellen wird es da nicht geben, für eine Konzertgitarrenaufnahme aus einem Meter Entfernung braucht man allerdings einen hochwertigen Vorverstärker mit üppigen Verstärkungsreserven.
Apropos üppig: Klanglich ist das TG V90r in den unteren Mitten kräftig und ausladend. Dabei verleiht es den aufgenommenen Stimmen eine angenehme Größe und satte Präsenz. Die Auflösung ist sehr feinzeichnend und das Impulsverhalten kommt besonders der Verständlichkeit und Durchsetzungskraft zugute, indem es die Transienten auch bei dynamischen Passagen sehr präzise abbildet. Die Höhen kommen seidig und sehr klar, ohne dem Timbre seine Natürlichkeit zu nehmen. Vielmehr gibt das TG V90r dem Klang noch ein gewisses Etwas, indem es eine feine Prise an Frische liefert und den Gesamtklang insgesamt sanft abrundet. Bei Konzertgitarrenaufnahmen ist es für unseren Geschmack in den unteren Mitten etwas zu viel des Guten, aber als Geheimtipp können wir das Bändchenmikrofon für die Abnahme von E-Gitarrenverstärkern empfehlen. Besonders in Kombination mit dem rockigen TG V50d, das wir direkt auf die Kalotte richten, während das Bändchenmikrofon leicht abgewinkelt auf den Rand der Membran zeigt, kreieren wir einen satten und sehr runden cleanen und angezerrt-bluesigen Sound. Ellen Schneiders abschließendes Statement: „Das TG V90r ist zwar etwas schwer, macht dafür aber optisch was her. Es klingt, als würde man die Stimme durch ein Sieb kippen und sie kommt unten feiner heraus. Dabei ist es sehr detailgetreu, mitten- und bass-stark und verfeinert die Stimme insgesamt sehr professionell.“
Fazit
Die drei Gesangsmikrofone aus der neuen Touring-Gear-Serie von Beyerdynamic sind auf hohem Niveau verarbeitet und allesamt für den Live-Alltag gemacht. Durch unterschiedliche Kapselabstimmungen und Bauformen (Tauchspulen- und Bändchenmikrofon) wird das TG V50d unterm Strich zum rauen Allrounder, das TG V70d zur eleganten Diva und das TG V90r
Erschienen in Ausgabe 07/2011
Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 430 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut
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