Ausstattungsriese

Einkanalige Mikronverstärker gibt es in allen Preisklassen. Nur wenige sind allerdings so üppig ausgestattet wie der neue Vocal Max von Phonic.

Von Harald Wittig 

Der taiwanesische Hersteller Phonic bietet eine Reihe von kostengünstigen Komplettlösungen für den Live- und Studioeinsatz an. Der Vocal Max A6400 ergänzt die ständig erweiterte Produktpalette.

Zunächst ist der Vocal Max ein einkanaliger Mikrofon-Vorverstärker – dennoch würde ihm bitter unrecht getan, bliebe es bei dieser nüchternen Beschreibung. Ein flüchtiger Blick auf die Front mit ihren vielen Reglern macht klar, dass die Entwickler in das hellgraue Rackgehäuse ein prall geschnürtes Ausstattungspaket eingebaut haben. Der Vocal Max ist aufgebaut wie der Kanalzug eines Mischpultes und besonders für Gesangsaufnahmen konzipiert worden worden. Entsprechend umfangreich geriet die Effektsektion: Sie verfügt über variables Trittschallfilter, eingebauten Kompressor, parametrischen Equalizer mit umschaltbarer Filter-Charakteristik (Kuhschwanz oder Glocke) und einen De-esser. Damit nicht genug: Zusätzlich glänzt er mit einem regelbaren Noise-Gate und einer Tube-Sound genannten Röhrenklang-Simulation. Auch die Stromgitarren-Fraktion vergaßen die Phonic-Entwickler nicht, denn der mit „Overdrive“ bezeichnete Regler simuliert die Röhren-Verzerrung eines klassischen Gitarrenverstärkers. Sinnvollerweise ist auch eine Lautsprecher-Simulation in die Overdrive-Funktion integriert – ein pralles Ausstattungspaket für nur 231 Euro.

Dementsprechend üppig auch die Anschlusssektion des Vocal-Max. Außer einem XLR-(Mikrofon)-Eingang und einem Line-In auf der Rückseite, bietet er noch einen HiZ-Eingang zum Anschluss hochohmiger Instrumente wie passive E-Gitarren und Bässe auf der Front. Dabei ist es möglich, alle Eingänge gleichzeitig zu belegen. Über die Druckschalter wählen Sie einen Eingang vor, zum Beispiel Instr und stöpseln Ihre Gitarre an der Klinkenbuchse wie gewohnt ein. Gleichzeitig können Sie bereits ein Mikrofon anschließen. Solange Instr gedrückt ist, gelangt nur das Signal der Gitarre in den Vorverstärker. Benötigen Sie das Mikrofon zur Aufnahme, schalten Sie Instr einfach aus. Sinngemäß gilt das auch, wenn Sie den Line-In, beispielsweise zum Anschluss eines E-Basses mit Aktiv-Elektronik verwenden – eine äußerst praxisgerechte Lösung.

Auch an Ausgängen hat der Vocal Max einiges zu bieten: Natürlich gibt es symmetrische Ausgänge (XLR und Klinke), eine Besonderheit sind der Insert Send und der Recording-Out. Letzterer greift das symmetrische Ausgangssignal vor dem De-esser ab, sein Pegel bleibt unabhängig vom Master-Out-Regler. Der Ausgangspegel hängt damit ausschließlich vom Input-Gain-Regler ab. Wenn Sie zum Beispiel eine Session live aufnehmen wollen, können Sie damit die Gesangsstimme schon mit dem Kompressor bearbeiten. Beim Abmischen setzen Sie dann den De-esser praxisgerecht nachträglich ein.

Der Insert Send dient natürlich zunächst zum Einschleifen eines externen Effektgerätes. Da das Signal aber noch vor der eigentlichen Effektsektion herausgeführt wird, leistet er auch gute Dienste, wenn Sie den Vocal Max als reinen Preamp verwenden und Stimmen oder Instrumente unbearbeitet aufnehmen wollen.

Schließlich ist es möglich über die Instr.-Level-Output-Buchse auch einen Gitarrenverstärker oder andere Geräte anzusteuern.

Im Messlabor macht der Vocal Max eine insgesamt gute Figur. Die Werte für Geräusch- und Fremdspannung sind mit 87,5 beziehungsweise 84,8 Dezibel gut. Hier kann der Vocal Max selbst mit teureren Mikrofon-Vorverstärkern locker mithalten. In der Praxis haben Sie hier also noch genügend Reserve beim Aussteuern nach unten – selbst leiseste Signale werden nicht vom Rauschen überdeckt. Auch bei den Verzerrungswerten leistet sich der Vocal Max keinen echten Schnitzer. Der Klirrfaktor bleibt bis 100 Hertz unter 0,015 %, der Anstieg bei tiefen Frequenzen bis zu 0,2% ist zwar nicht schön hat klanglich jedoch keine all zu großen Konsequenzen. Der Verlauf des Frequenzgangs ist jedoch weniger gut. Auffallend ist vor allem der bei 100 Hertz beginnende Abfall der bei 20 Hertz -4,5 Dezibel beträgt – trotz ausgeschaltetem Hochpassfilters. Tatsächlich hat der Vocal Max, dies belegt der Hör- beziehungsweise Praxistest, Schwächen bei der Darstellung von tiefen Bässen. Recht eigentümlich auch die Arbeitsweise des Trittschallfilters: Bei der eingestellten Einsatzfrequenz von 85 Hertz (siehe Messdiagramm) greift er bereits ab 500 Hertz, also schon im Mittenbereich, kräftig ins Geschehen ein. Stellt man 250 Hertz ein, geht es schon knapp unter 1kHz in den Keller. Besonderes Fingerspitzengefühl ist beim Equalizer an gesagt. Zumindest bei ausgeschalteter Glockencharakteristik (Bell) ist der Kurvenverlauf schon bei dezenten Pegelanhebungen- und Absenkungen, vorsichtig ausgedrückt, etwas merkwürdig (siehe Kurve Seite 68).

Der Vocal Max ist als Studio-Gerät konzipiert, daher testet ihn Professional audio Magazin auch unter Studiobedingungen – obwohl er sich durchaus auch für Live-Einsätze anbietet. Für den Test spielen wir mehrere Gesangs- und Instrumentalspuren ein, bei denen wir das Microtech Gefell M 300 nutzen; ein Sennheiser MKH 40 ist erste Wahl für die Konzertgitarre-Aufnahme, E-Gitarre und ein Fender Jazz-Bass mit nachgerüsteter Aktiv-Elektronik sind über Inst beziehungsweise Line direkt angeschlossen und verstärkt. Die analogen Ausgangssignale gehen in den Apogee Rosetta 200 (Test Seite 16), der sie mit einer Auflösung von 24Bit/96 Kilohertz wandelt und die nun digitalen Signale an Cubase SX 3 weiterleitet.

Beim ersten Abhören der Spuren gefällt zunächst die Rauscharmut des Vocal Max. Insoweit wird er auch hohen Ansprüchen gerecht. Sofern Sie gut eingepegelt haben, lassen sich Stimmen und Instrumente störungsfrei aufnehmen. Allerdings wird das Einpegeln nicht jedem User leicht fallen, da die LED-Anzeigen ein wenig spartanisch ausgefallen sind. Deshalb unser Tipp: Fordern Sie unbedingt die deutschsprachige Bedienungsanleitung beim deutschen Vertrieb Musik & Technik an. Sie ist nicht nur sehr gut übersetzt, sie wurde auch um wertvolle Praxistipps ergänzt. Sie erhalten eine richtig gute Arbeitsunterlage, die auch für Fortgeschrittene und Könner hilfreiche Ratschläge enthält.

Schon bei der Aufnahme bearbeiten wir die Gesangsstimme mit dem Kompressor und dem De-esser. Beide können überzeugen. Mit entsprechend feinfühliger Einstellung, die mit Hilfe des Handbuchs schnell erledigt ist, kann der Kompressor den Dynamikbereich einengen helfen und unangenehmes digitales Clipping vermeiden (siehe dazu auch Kompressor-Workshop auf Seite 102). Dabei verhält er sich klanglich angenehm neutral, im besten Sinne unauffällig. Der De-esser arbeitet beim Herausfiltern allzu störender Zischlaute sehr effektiv. Sie sollten aber nicht versuchen, jeden „S“-Laut wegzubügeln: Der De-esser des Vocal Max kann dies zwar wie jeder andere auch, aber darunter leidet das Klangbild erheblich: Die Stimme klingt dann sehr bedeckt, als hätten Sie den Sänger in einem gusseisernen Kochtopf singen lassen.

Die Tube Sound–Simulation ist den Entwicklern gut gelungen. Der Klang wird hiermit angenehm verrundet und tatsächlich hörbar wärmer. Das Noise-Gate wiederum ist auf dem Stand der Technik und lässt sich mit den stufenlosen Reglern, zuständig für den Schwellenwert und die Abklingzeit, sehr gut einstellen – abruptes, unmusikalisches Abschalten tritt nur bei falscher Einstellung auf.

Der Gesang und auch die unbearbeitet aufgenommene Flöte können klanglich gefallen, wenngleich der Vocal Max bei der Flöte ein wenig Feinzeichnung bei den Obertönen schuldig bleibt. Beim E-Bass indes vermissen wir unten herum einiges an Kraft und etwas Kontur. Das gilt auch für die bassstarke Konzertgitarre.

Um dieses erste Hörergebnis zu erhärten, werden Gitarre und Flöte noch einmal separat aufgenommen: Über den Insert Send geht es jetzt direkt in den Rosetta 200. Für den A/B-Vergleich nehmen wir beide Spuren mit dem High-End-Vorverstärker Millennia HV-3C auf. Hier zeigt sich, dass der Vocal Max in der Tat bei den Bässen schwächelt, außerdem gelingt es ihm nicht, das gesamte Höhenspektrum vollständig abzubilden. Der Klang gerät etwas bedeckt. Das fällt sowohl bei der Gitarre, als auch bei der Flöte auf – hier allerdings sehr viel subtiler. Allerdings: Hier herrscht keine Waffengleichheit, der Millennia spielt in einer völlig anderen Liga und dient hier als unbestechliche Referenz. Unter diesem Aspekt lässt sich dem Vocal Max eine sehr achtbare Gesamtleistung zuerkennen. Im Übrigen zeigt sich hier, dass sein Name bewusst gewählt ist: Denn für die Aufnahme und Bearbeitung von Sprech- und Gesangsstimmen, die es sich selten im tiefen Basskeller gemütlich machen, liefert er zusammen mit dem guten Kompressor mehr als ordentliche Ergebnisse.

Sicher: Legen Sie Wert auf absolute Neutralität und möglichst naturgetreue Aufnahmen ist der Vocal Max überfordert. Wenn Sie jedoch in erster Linie dicht arrangierte Popmusik machen und in den Vordergrund gemischten LeadVocals brauchen, können Sie mit dem Vocal Max recht glücklich werden. Zumal er vielfältige Möglichkeiten zur Klangbearbeitung bietet.

Fazit

Der Vocal Max A6400 ist ein üppig ausgestatteter Mikrofon-Vorverstärker, der in erster Linie Popmusikern zu empfehlen ist. Gerade Aufsteiger bekommen hier sehr viel fürs Geld.

Erschienen in Ausgabe 07/2006

Preisklasse: Economyklasse
Preis: 231 €
Bewertung: gut
Preis/Leistung: sehr gut