Die Vesperdose für die DAW
Kein Tag in der Studiowelt vergeht, kein Produzenten-Interview neigt sich dem Ende und keine Diskussion unter fachkundigen Tontechnikern ebbt ab, ohne mindestens einmal über die Worte „Urei 1176“ oder „Pultec“ gestolpert zu sein. Und das nicht ohne Grund. Die Firma Lindell widmet sich seit 2010 unter anderem dem Bau eigener Hardware mit dem Charme eben dieser alten Klassiker. Nun finden ihre Produkte auch den Weg in die DAWs dieser Welt.
Von Henning Hellfeld
Tobias Lindell entschloss sich im Jahre 2010 zu etwas, von dem so mancher Toningenieur oder Produzent nur träumen kann: Dem Bau von eigener Studioperipherie. Natürlich mit dem Ziel, die persönlichen Klangvorstellungen zu verwirklichen, aber auch um den eigenen Workflow zu optimieren. Vier Jahre später umfasst das Sortiment des Unternehmens Lindell Audio schon dreizehn Geräte, vom Preamp über Equalizer, Kompressoren, D/A-Wandler bis hin zu eigenen Studioabhören. Da liegt der Schritt nahe, die Eigenkreationen auch in virtueller Form der Welt zur Verfügung zu stellen. Man entschied sich für vier Geräte im API-500-Format, die nun als Plug-ins zu haben sind. Der 6X-500 Preamp, der 7X-500 F.E.T. Kompressor, der PEX-500 Equalizer und dann noch die Kombination aus diesen drei Schätzchen, den ChannelX-Channelstrip.
Die Plug-ins stehen in den gängigen Formaten AU, VST2, VST3, RTAS und AAX zur Verfügung und benötigen einen Intel Dual Core Prozessor mit 8GB Arbeitsspeicher. Am PC funktioniert das Ganze ab der XP Version, am MAC wird eine Version ab OS X 10.4. vorausgesetzt. Der Download erfolgt nach dem Erstellen eines Accounts bei Lindell über die Eingabe der Seriennummer. Hier ist nun auch die Lizenz gespeichert. Nach der Installation muss nun in der DAW der Wahl jedes Plug-in mit Hilfe der Account-Zugangsdaten freigeschaltet werden.
Nun strahlen uns für unseren Test vier Geräte im eben erwähnten API-Lunchbox-Look entgegen, die sich optisch sehr nahe an den analogen Originalen bewegen. Große Drehregler, schön gestaltete Kippschalter und eine Vielzahl an leuchtenden Knöpfen runden das gelungene Design der Benutzeroberfläche ab.
Im Detail…
Für unseren Test wollen wir zuerst die Features der einzelnen Plug-ins näher beleuchten, bevor wir später den Channelstrip dem Praxistest unterziehen. Der Preamp 6X-500 ist die Simulation eines Class-A Vorverstärkers mit Pultec-artiger Klangregelung. Neben dem Gain-Regler steht auch ein Output-Regler zur Verfügung, der automatisch das an Pegel reduziert, was der Input hinzufügt. Diese Funktion kann allerdings auch über ein kleines Ketten-Symbol deaktiviert werden, sodass beide Regler separat genutzt werden können. Der Höhen-Boost-Regler erhöht durch den daneben liegenden Kippschalter die Centerfrequenzen 6, 10 oder 16 Kilohertz um bis zu 15 Dezibel. Gleiches kann natürlich auch der darunterliegende Bass-Boost-Regler, allerdings wahlweise bei 30, 60 oder 100 Hertz. Unterhalb dieser Sektion finden sich Schalter zum An- und Ausschalten des Equalizers, ein Phasenumkehr-Schalter und der inzwischen bei Analog-Simulationen fast schon obligatorische Analog-Button zum Hinzufügen des gerätetypischen Grundrauschens. Die High- und Lowpass Sektion fällt hingegen üppiger aus. Neben den beiden Drehreglern, lassen sich per Slope-Knopf die Abfallwinkel der Reduktion in fünf Stufen bestimmen. So kann zwischen einem Winkel von 6, 12, 18, 24 oder 36 dB/Oktave gewählt werden.
Der 7X-500 FET Kompressor ist nach Angaben von Lindell ihr ureigener Versuch, an den legendären Urei 1176 anzuknüpfen, allerdings mit den Vorzügen der digitalen Welt. Neben dem In- und Output-Regler erstreckt sich senkrecht fast über das ganze Plug-in das Gain-Reduction-Meter. Die Attack- und Release-Zeiten können wahlweise über zwei Kippschalter mit drei Stufen (slow, med, fast) eingestellt oder über zwei Drehregler stufenlos zwischen slow und fast reguliert werden. Neben dem Bypass-Button des Kompressors reihen sich der dreistufige Ratio-Kippschalter (4:1, 12:1, 100:1) und der ebenfalls dreistufige Sidechain-Highpassfilter, der entweder deaktiviert ist, oder bei 100, respektive 300 Hertz agieren kann. Des Weiteren steht ein Stereo-Link-Drehregler zur Verfügung der bestimmt, wie stark das linke und rechte Sidechain-Signal vor der Kompression zusammengeführt wird. Ein Dry/Wet-Regler, welcher heutzutage schon zum guten Ton zählt, ermöglicht das Mischen von trockenem und komprimiertem Signal. Der Analog-Button darf hier natürlich auch nicht fehlen.
Drittes Plug-in im Bund(l)e ist der PEX-500, ein passiver Equalizer in Pultec-Manier mit jeweils einem Dämpfungs- und einem Boost-Regler für Höhen und Bässe. Die Höhenfrequenz der Dämpfung lässt sich per Kippschalter bei 10, 15 oder 20 Kilohertz festlegen, während die Bässe entweder im Bereich 30, 60 oder 100 Hertz reagieren. Die Bandbreite des High-Boost lässt sich über einen weiteren Regler in der Mitte steuern und die Höhen-Boost-Frequenz kann via Feststellregler in sieben Stufen zwischen drei bis 16 Kilohertz geeicht werden. Das Input-Signal kann mit Hilfe des Input-Pad-Reglers abgesenkt werden und in der Stereoversion steht uns dann noch eine MS-Matrix zur separaten Regelung der Mitten- und Seitenanteile zur Verfügung. Ach ja, der Analog-Button ist natürlich auch mit an Bord.
Im ChannelX vereinen sich schließlich die drei Prozessoren sozusagen in einem Gehäuse mit einem festen Routing in der Reihenfolge Preamp > Kompressor > Equalizer. Für optionale Routings muss man allerdings auf die Einzelkomponenten zurückgreifen. Gerade die Funktion, bequem etwa per Schalter den Kompressor nach dem Equalizer zu schalten wäre es schön gewesen. Dafür gibt’s einen Punkt Abzug.
Hohe Erwartungen
Die Schlagworte „1176“ oder „Pultec“ wecken natürlich die Neugier, schrauben allerdings die Erwartungshaltung in Sachen Klangqualität gewaltig in die Höhe. Was können wir nun von diesen Plug-ins erwarten? Eine Class-A Preamp-Simulation sollte unserer Meinung nach dem Signal seinen Stempel aufdrücken, ohne es dabei zu sehr zu verfremden. Die Pultec-artige Klangregelung des Vorverstärkers sollte subtile seidige Höhen und ein kräftiges Lowend erzeugen. Und höre da, unsere Erwartungen werden nicht enttäuscht. Bläst man ein Signal mit dem Gain-Regler an, fällt zuerst positiv die voreingestellte Verkettung mit dem Output auf. Der fälschlicherweise als Klanggewinn gewertete Lautstärkeunterschied wird durch die automatische Anpassung des Outputs im Keim erstickt. Klanglich werden Signale dichter, gewinnen an Charakter und sogar mit überfahrener Vorstufe, wenn die Signale schon anzerren, bleibt der Klang harmonisch und angenehm. Der virtuelle Preamp besitzt also viel Potential, um digitale Kälte aufzuwerten. Die Klangregelung geschieht dabei subtil, aber nicht zu lasch. Die Höhen kommen sehr fein daher, auch wenn der Regler schon am Anschlag ist. Die Bässe fügen ein kräftiges Lowend hinzu ohne zu matschen. So will man das von einer Vorstufen-Klangregelung, subtil das Signal aufwerten. Die High- und Lowpass-Filter arbeiten, dank einstellbarem Abfallwinkel sehr präzise und wie wir wissen, ist es ratsam, nicht benötigte Frequenzen gar nicht erst in den Mix mitzunehmen.
Nun zum „1176“- Klon, dem 7X-500 Kompressor. Das Original ist ein vielseitiges Werkzeug für alle Arten von Anwendungen, wobei der Grundcharakter nicht der sauberste ist. Das 7X-500 Plug-in tut es seinem Vorbild gleich. Nicht hörbares Komprimieren, das wie durch Zauberhand ohne klangliche Veränderung zu Werke geht ist also Fehlanzeige. Nein, der Schwede packt ordentlich zu, wenn es sein muss. Von leichter Kompression der oberen Zwei Dezibelchen bis hin zu pumpenden Parallel-Spuren ist alles drin. Trotz oder gerade aufgrund von nur drei verfügbaren Ratio-Stufen bleibt der 7X-500 vielseitig einsetzbar und dank der optionalen stufenlosen Regulierung von Attack- und Release-Zeiten findet man für die meisten Aufgaben eine gute Lösung.
Wer sich zum ersten Mal mit einem Pultec-artigen Equalizer beschäftigt, wird merken, dass man mit der gewohnten Arbeitsweise nicht immer ans Ziel kommt. Auch der PEX-500 sollte zuerst verstanden werden, um ihn voll auskosten zu können. Der Equalizer besitzt für Höhen und Bässe je einen separaten Attenuation- (Abdämpfung) und einen Boost-Regler, die gleichzeitig einsetzbar sind. Die Frequenz der Höhenanhebung kann mittels KCS-Regler ausgewählt werden und die Dämpfungsfrequenz mittels Kippschalter. Die Bandbreite der Höhenanhebung wird über den BW-Regler angepasst. Ein weiterer Kippschalter entscheidet dann noch über die Bass-Boost-Frequenz. Was passiert aber nun, wenn man beispielsweise in den Höhen bei zehn Kilohertz absenkt? Konstruktionsbedingt wird nicht nur die ausgewählte Frequenz abgesenkt, sondern auch jene am Kurvenbeginn leicht angehoben (bei mittlerer Bandbreite entspricht das circa sieben bis acht Kilohertz). Benutzt man nun zusätzlich den Boost wird die ganze Kurve inklusive der Sieben-Kilohertz-Anhebung wieder angehoben und man hat trotz benutzter Abdämpfung insgesamt eine Höhenanhebung, allerdings eben keine lineare. Ebenso kann man mit gedämpften und gleichzeitig geboosteten Bässen beispielsweise auch die tiefen Mitten beeinflussen. Man erhält also relativ ungewöhnliche Konstellationen und muss sich mehr auf sein Ohr, als auf das Auge verlassen um die gewollten Frequenzen zu bearbeiten. Klanglich überzeugt der PEX-500 in unserem Test auf voller Linie. Elegante, subtile Höhen schmeicheln dem Gehör und auch extreme Werte klingen brauchbar. Die Bässe füllen das Lowend sehr angenehm mit warmem Analog-Charakter ohne dabei über das Ziel hinauszuschießen. Wie schon bei den Höhen führen selbst extreme Einstellungen immer noch zu sehr ansprechenden Klangergebnissen.
Praxistest
Nach der Erkundung der Einzelkomponenten wollen wir jetzt den ChannelX Channelstrip, der alle drei Geräte in einem kombiniert, in der Praxis an Hand einiger Signale genauer beäugen. Für Schlagzeugspuren eignet sich der Charakter des Preamps bestens und kann sogar ein wenig überfahren werden, um aggressivere Sounds zu erzeugen. Bassdrums erhalten einen organischeren Klang und mit dem Anheben der Höhen in der Preamp-Klangregelung kann man schon hier für den gewissen „Klick“ sorgen. Der Kompressor sorgt mit mittlerem Attack und langsameren Release für eine angenehme Kompression, die dank Dry/Wet-Funktion noch ein wenig mit dem trockenen Signal gemischt werden kann. Jetzt noch ein wenig Höhen-Boost bei sechs Kilohertz für den Punch und bei 60 Hertz um jeweils sechs Dezibel plus fast voll aufgerissenem Attenuation-Regler im Bass, um die tiefen Mitten abzusenken.
Für die Snaredrum wählen wir einen hohen Input um die Obertöne zu betonen und die Snare anzufetten. Eine harte Kompression mit 50% Trockenanteil bringen das gewünschte Ergebnis. Zusätzlich noch breitbandig bei vier Kilohertz Höhen hinzugefahren und schon knallt uns die Trommel um die Ohren.
Auch die Overheads vertragen eine harte Kompression mit entsprechend beigemischtem Trockenanteil und mit einer leichten Höhenanhebung. Das Set macht nun einen großen Schritt nach vorne und wirkt insgesamt viel tighter und aufgeräumter.
Auch bei unserer Bass-Spur macht der Preamp eine ausgezeichnete Figur und lässt das Instrument richtig knurren. Eine 12:1 Kompression mit mittlerer Attack- und schneller Release-Zeit und 20% Trockenanteil zügeln die Dynamik ausreichend. Wir heben nun noch die Bässe bei 60 Hertz etwas an und machen uns die Möglichkeit zu eigen die Höhen-Dämpfung und den Boost gleichzeitig zu benutzen. So erhalten wir eine kompaktere Höhenstruktur.
Eine kleine Überraschung erleben wir, als wir unsere Rhodes-Spur durch den Preamp jagen. Da kommt richtiges Amp-Feeling auf. Schön angezerrt schnurren uns die Tasten um die Ohren und müssen nur noch mit einer leichten Kompression und einer kleinen Beigabe bei drei Kilohertz in Form gebracht werden, um in unserem Mix einen Platz zu finden.
Fazit
Der schwedische Pro-Audio-Hersteller Lindell Audio lässt mit seinen vier Plug-ins eine vielseitig einsetzbare Waffe auf den Markt los. Viel Charakter und analoges Feeling machen richtig Laune. Der Preis von rund 100 Dollar für die Einzelkomponenten und knapp 250 Dollar für das komplette Paket inklusive Channel-Strip sind sogar relativ günstig, wie wir finden. Beim Channelstrip würden wir uns allerdings noch wünschen, den Equalizer bei Bedarf vor den Kompressor schalten zu können. Klanglich lässt das Paket hingegen kaum Wünsche offen. Gerade die Preamp-Simulation schlägt sich großartig und kann schon in erster Instanz echte Wunder vollbringen. Vorausgesetzt natürlich man sucht gerade diesen Sound-Charakter und davon ist reichlich vorhanden. Ein klares Statement in Sachen klanglicher Fingerabdruck also.
Erschienen in Ausgabe 01/2015
Preisklasse: Oberklasse
Preis:
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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