Zurück in die Zukunft
Innovation und Experimentierfreude – so beschreiben wir heute die Arbeit eines Toningenieurs in den 1960er Jahren. Und nicht selten wünschen wir uns die Sahnehäubchen dieser alten Zeiten in das Digitalzeitalter zu übertragen. Ob Waves dies mit der Emulation einer der berühmtesten Mischpultserien aus dem Hause Abbey Road gelungen ist und somit die Zeit zurück drehen kann? Wir sind für Sie auf Zeitreise gegangen.
Von Kay Riedel
Wir schreiben das Jahr 1955. Auch das Londoner Major-Label EMI ist mit der Weiterentwicklung des Stereoformates beschäftigt. Allerdings gibt es noch keine produktionstauglichen Stereo-Mischpultsysteme, die allen Anforderungen des hektischen Kreativbetriebs in den Abbey Road Studios gerecht werden. Ein Mann soll das ändern: Lenn Page. Er stellt ein Entwicklerteam zusammen mit dem Ziel, die Studiotechnik der Zukunft zu entwerfen. Das Record Engineering Development Department (kurz: REDD) beginnt mit der Arbeit. Zwei Jahre später: Wir finden die erste Konsole, welche die wesentlichen Grundelemente eines heutigen Mischpults enthält. Jeder der acht Kanäle des Modells REDD.17 ist mit einem Fader sowie Bass- und Höhenfilter bestückt. Ein Jahr später reagiert das REDD mit der Entwicklung der REDD.37 Konsole auf das sich durchsetzende Vierspurformat. Wir schütteln 1962 den Beatles die Hand – sie sind vom kraftvoll-warmen und doch weichen Klang des 37ers begeistert. In zwei Jahren werden sie die REDD.51 mit ihrem verbesserten Verstärkungs- und Dynamikverhalten kennen und lieben lernen, doch wir müssen weiter: Zurück in die Zukunft.Rund 50 Jahre später präsentiert der israelische Hersteller Waves in Zusammenarbeit mit den Abbey Road Studios für rund 300 Euro erstmals die Emulationen von Channelstrips dieser drei zuvor genannten Konsolen-Klassiker. Zwei Plug-ins, von Waves Komponenten genannt, finden sich im Lieferumfang von REDD, wobei das erste ausschließlich der Emulation der REDD.17-Konsole vorbehalten ist und das zweite ein Umschalten zwischen der 37er- und 51er-Version erlaubt. Um eine Vorstellung von den klanglichen Besonderheiten dieser Pulte zu erhalten, die jetzt auf virtuellem Weg in die heimische DAW Einzug halten sollen, kramen wir zunächst einmal tief in der Plattenkiste. Ob wir ein historisches Monument der Beatles, The Hollies oder von Pink Floyd auflegen ist nur eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Viele dieser Aufnahmen wurden durch die zahllosen Schaltkreise einer der REDD-Konsolen geprägt und zeigen uns heute, dass Transparenz und Wohlfühlen nicht zwangsläufig von Lautstärke und Brillanz abhängig sind. Ist erst einmal der vermeintliche Staub aus den Ohren geblasen, schmiegen sich wärmste harmonische Strukturen an das Trommelfell. Sie hinterlassen dort ein seidig-mattes Gefühl, das nicht mit Taubheit, sondern innerem Gleichgewicht assoziiert wird. Mit aufgefrischter Klangerinnerung stecken wir also die Ziele ab, die ein Channelstrip-Plug-in aus einem so renommierten Haus erreichen sollte: Unaufdringliche Equalizer-Charakteristiken, weiche Dynamikverläufe, authentische Störkomponenten und die Liebe zum Klangdetail. Darüber hinaus erwarten wir eine nahtlose Einbindung in gängige Produktionsumgebungen und ein effektives Bedienkonzept. Doch widmen wir uns zuerst der Ausstattung der Plug-ins.Die Installation läuft für alle VST-, AU- und RTAS-Schnittstellen gewohnt unkompliziert und gut dokumentiert ab. Nach erfolgreichem Einrichten der Softwareschlüssel mit Hilfe des Waves License Center (WLC), entweder lokal oder auf einem USB-Stick, stehen beide Plug-ins in der Kategorie Harmonic als Mono- und Stereo-Variante zur Verfügung. Im Falle der Stereo-Variante freuen wir uns über die Vielfalt der Betriebsmodi. Außer dem Stereo-Modus mit fest verbundenen Kanaleinstellungen darf im Duo-Modus gerade im kombinierten 37/51-Plug-in jeder Kanal ein eigener Charakter aufmodelliert werden. Der MS-Modus teilt das Stereomaterial zu Beginn der Signalkette in Mitten- und Seitensignal und decodiert beide Signalanteile noch vor dem Plug-in-Ausgang wieder in die ursprüngliche Form zurück. Klar strukturiert und gut ablesbar bilden Drehregler und -knöpfe im Retro-Stil die Hauptbedienelemente. Animierte Schatten folgen dabei jeder Reglerbewegung, was sehr edel wirkt. Trotz oder gerade wegen der Liebe zum Detail mangelt es der Oberflächengestaltung nicht an Funktionalität. Parameter können alternativ übrigens auch per Texteingabefeld mit Werten belegt werden. Beiden Plug-ins gemeinsam ist die zentrale Output Meterbridge, die historisch korrekt als VU-Meter ausgelegt ist. Sehr schön: Um zeitgemäßen Anforderungen zu genügen, erlauben zwei unauffällig platzierte Stellschrauben unter den Displays die gemeinsame Kalibrierung des 0VU-Wertes auf einen Wunsch-Bezugspegel im Bereich von -24 bis -8dBFS. Die Kontrollinstrumente werden letztendlich von einem nicht minder historisch anmutenden Peak-Meter und einer Peak-LED komplettiert. Sowohl im REDD.17- als auch im REDD.37/.51-Plug-in bestimmen unter anderem die Input-Gain-Regler über den Arbeitspunkt der emulierten Schaltung. Da die Schaltkreise der Originalkonsole natürlich durch Bauteiltoleranzen und Alterungserscheinungen in keinem Kanal identisch sind, unterscheiden sich naturgemäß alle Mischpultkanäle in subtiler Weise im Übertragungsverhalten, respektive dem Frequenzgang, der Laufzeit und Störgeräusch-Charakteristik. Auch diese Eigenheit bildet die Emulation ab. Zwei der Originalkanäle wurden nachgebildet und werden per Kippschalter dem jeweiligen Plug-in-Kanal zugeordnet. Positiver Nebeneffekt: die Abbildung des Stereobildes gewinnt bei Nutzung beider Kanal-Emulationen spürbar an Breite und Lebendigkeit. Im weiteren Verlauf der Signalkette kann ein 10dB-Pad oder eine Bassanhebung per Low-Shelf um 9dB zugeschaltet werden.
Die beiden sich anschließenden Filterstufen sind einer der Kernunterschiede zwischen den verschiedenen REDD-Versionen und werden im nächsten Abschnitt näher beleuchtet. Weiterhin gehören die Regler der Oberton- (Drive-Regler) und Störgeräuschanteile (Analog-Regler) zur Grundausstattung. Zwei große Kanalfader justieren schließlich die Ausgangspegel beider Plug-ins in einem Bereich von -24 bis +12dB. Welche Signalanteile am Ausgang anliegen, entscheidet die Stellung des Monitor-Reglers. So bleibt der selektive Zugriff auf beide Kanäle, auch im Sinne der MS-Matrix, stets gewahrt. Abgerundet wird die hervorragende Bedienbarkeit durch die im Hause Waves übliche Waves-System-Toolbar, die unter anderem Undo-, Redo- und A/B-Vergleiche erlaubt.Eine solch übersichtliche Zahl an Klangparametern zeigt die Nuancen in Funktionalität und Klang zwischen den REDD-Modellen im Test sehr deutlich. Vor allem die emulierten Verstärkerschaltungen bestimmen maßgeblich den Klangcharakter. Besonders deutlich zeigt sich dies im REDD.37/.51-Plug-in beim Betätigen des Wahlschalters für das jeweilige Verstärkermodell. Kamen in der REDD.17 und REDD.37 noch Siemens V72-Preamps zum Einsatz, sind in der REDD.51 die hauseigenen REDD47 Power Amplifier verbaut. Die Filtercharakteristiken der Equalizer sind unveränderbar (nicht parametrisch) an die jeweiligen Modelle gebunden und zeigen in Verbindung mit den entsprechenden Verstärkern ein sehr unterschiedliches Zeit- und Frequenzverhalten. Das REDD.17-Plug-in wirkt unter den drei Modellen am höhenärmsten und weichsten. Dazu tragen die sehr breitbandigen Low- und High-Shelf-Filter bei. In dieser Signalkette ein Instrument in den Höhen zu übersättigen ist im Test kaum möglich. Transienten verlieren an Kontur und geben dabei den Blick auf den umgebenden Raum frei. Dass die Aufnahme trotz dieses sanften Schleiers nicht in einem matten Brei versinkt, ist in erster Linie den schaltungsspezifischen Obertonstrukturen zu verdanken, die jedem Signal hinzugefügt werden. Auffällig: Anders als bei einigen dezidierten Sättigungs-Plug-ins steuert der Drive-Regler der REDD-Emulationen keine pegelanhängige Addition von Obertönen, sondern verschiebt im Sinne einer Dynamikbearbeitung die Arbeitspunkte innerhalb der Verstärker- und Filterschaltungen. Somit werden auch bei scheinbar deaktiviertem Drive-Regler (-24dB-Stellung) Obertöne hinzugefügt. Der Dynamikumfang am Plug-in-Ausgang wird hingegen mit jeder weiteren Drive-Erhöhung reduziert. Je nach Einsatz der Sättigung sind so facettenreiche und an Tiefe gewinnende Mixe möglich. In Extremeinstellung des Drive-Parameters bleibt allerdings nichts als ein gleichbleibend lauter Verzerrungsklang übrig. Da die MS-Dekodierung übrigens vor dem Drive-Regler statt findet, gibt es keine Möglichkeit, die Mitten- und Seitensignale getrennt mit Obertönen zu versehen. Wer also in die Stereoabbildung eingreifen oder Pegelspitzen besonders kontrolliert um Harmonische bereichern möchte, greift besser zu spezialisierten Sättigungs-Plug-ins oder bearbeitet die Dynamik an einem früheren Punkt der Signalkette. Der Sound des REDD.37/.51-Plug-ins zeigt sich indes unter Auswahl der REDD.37-Verstärkercharakteristik schaltungsbedingt deutlich höhenreicher und brillanter als sein Vorgänger. Diesen Klangeindruck verstärkt die REDD.51-Charakteristik nochmals und ist somit noch näher an einem modernen, in den Höhen klar strukturierten Sound. Besonderheit: Der Höhen-Equalizer des REDD.37/.51-Plug-ins offeriert zwei Modi und erlaubt im Falle der Frequenzanhebung die Wahl zwischen einem High-Shelf ab zehn Kilohertz (Classic) oder einem High-Bell um fünf Kilohertz (Pop). Bei der Höhenabsenkung wird in beiden Modi stets ein High-Shelf ab zehn Kilohertz verwendet. Im tiefen Filterband kommt unter beiden Filter-Modi für Absenkung wie Anhebung ein Low-Shelf ab 100 Hertz zum Einsatz. Ausnahmslos jeder Filter zeichnet sich im Hörtest dabei durch sehr weiche Frequenzverläufe aus und prägt dem Klang unmissverständlich seinen Charakter auf.
Das Resultat im Mix reicht von angenehmer Verbesserung der Durchhörbarkeit bis hin zu warm drückenden Tiefen und bissigen Höhen. Wer die REDD-Serie aus Überzeugung als Vintage-Klang-Maschine einsetzt, wird die funktionalen Einschränkungen der wenigen Regelglieder durchaus zu schätzen wissen. Gerade in Summen- oder Gruppenspuren kann in Verbindung mit der MS-Matrix die Klangfarbe gezielt in Richtung Vintage verbogen werden. Der Einsatz in Einzelspuren ist in vielen Fällen zwar wünschenswerter, er sollte allerdings gut kalkuliert sein. Immerhin benötigt eine Instanz des REDD.37/.51-Plug-ins auf unserem Testsystem (RTAS unter OSX 10.7) doppelt soviel CPU-Leistung wie der Waves Renaissance Reverberator und viermal soviel Power wie der Denoiser Waves X-Noise. Nichtsdestotrotz gewinnt so manche Instrumentalspur durch die REDD-Plug-ins an Charme. Dabei gilt, je obertonärmer das Ausgangsmaterial ist, desto subtiler sind die Sättigungseffekte im Kanalzug nutzbar. Klavierstützen werden farbenfroh um warm-griffige Obertonstrukturen bereichert, die bei Übertreibung zwar scharf, aber nie aggressiv klingen. Auch Klarinettenklänge gewinnen auf diese Weise an Kontur. Wer obertonreiche Instrumente, beispielsweise E-Gitarren derart einfärben möchte, sollte die Dynamik am Channelstrip-Eingang genau im Auge behalten. Die Sättigung schießt in diesem Fall schnell über das Ziel hinaus und mutiert zu einem beißenden Distortion-Effekt. Als Effekt-Plug-in oder chirurgisches Mischungswerkzeug ist Waves REDD jedoch nicht konzipiert. Für diesen Einsatzzweck bedürfte es feinerer Eingriffe in das Verzerrungsverhalten, flexiblere Filterparameter und ausgeprägter Modulationsmöglichkeiten. Schon aus historischer Sicht sind andere Channelstrip-Emulationen, beispielsweise die SSL-Collection aus gleichem Hause als Nachbildung der SSL-4000 Konsole, für Detaileingriffe in Dynamik und Frequenzgang ungleich besser geeignet. Die wahre Stärke des REDD-Kanalzuges liegt vielmehr in seiner bodenständigen Einfachheit. Je nach Produktionsziel muss gut abgewogen werden, welche der drei Grundklangfarben passend ist. Ein saftiger Vintage-Bass kann insbesondere von den sanften Filterkurven des REDD.17-Plug-ins profitieren. Einer poppigen Drum-Subgruppe wird der modernere REDD.51-Sound gut zu Gesicht stehen. In jedem Falle bleiben Klangveränderungen sehr nah am Ursprungscharakter des Instrumentes und wirken zu keiner Zeit künstlich oder profillos. Doch das ist es noch nicht ganz, denn was wäre die Nachbildung einer historischen Verstärkerschaltung ohne das feine Gewürz der Vielzahl an Störgeräuschen? Mit dem Analog-Regler des REDD.37/.51-Plug-ins auf Anschlag (+24dB) und einer weiteren Verstärkung von 24dB hinter dem Plug-in hören wir mit der Lupe in die Noise-Emulation und sind begeistert. Der Anteil des 50 Hertz-Netzbrummens und der Rauschteppich sind bei jedem Modell und Kanal sehr abwechslungsreich und lebendig gestaltet. Wer also glaubt jeweils nur das Beste von Gestern und Heute kombinieren zu können, sollte den Geräuschteppich mit dem Analog-Regler deaktivieren. Die Bedeutung dieses Details für die psychoakustische Wahrnehmung einer gelungenen auditiven Zeitreise darf bei der Klangeinstellung jedoch nicht unterschätzt werden und ist gerade in einer Gruppen- oder Summenspur gut im Mix platzierbar.
Fazit
Bei Waves ist man sich einig: Klotzen, nicht kleckern. So präsentieren die Softwarespezialisten mit den REDD Plug-ins eine detailreiche Kanalzug-Emulation, zwar mit großem Ressourcenhunger, aber exzellentem Klang. Wer vom Charme weltbekannter Beatles- oder Pink Floyd-Produktionen aus dem Hause Abbey Road profitieren möchte, kommt seinen Klangzielen mit Waves REDD ein großes Stück näher. Zwar kann auch dieses Plug-in keine analoge Signalkette ersetzen, doch vermag es jeder Art von Produktion seinen ganz eigenen, historischen Stempel aufzuprägen. Mit Wärme, Zurückhaltung und Ausgewogenheit als oberste Prämisse findet die REDD-Nachbildung mühelos einen eigenen Platz unter den bisherigen Channelstrip-Emulationen. Hinsichtlich des begrenzten Funktionsumfanges würden wir uns seitens des Herstellers jedoch eine angemessenere Preisgestaltung wünschen. Wer auf der Jagd nach dem Sound britischer Musikgeschichte ist und seine Augen offen hält, findet jedoch ein mehr als faires Angebot zeitgemäßer Softwarekunst.
Erschienen in Ausgabe 03/2013
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 320 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut
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