Doppelter Seidensprung
Der amerikanische Hersteller mit dem viel versprechenden Namen Rupert Neve Designs (RND) legt all seine Expertise in die Waagschale und präsentiert mit dem Portico II einen wuchtigen Channel-Amplifier, der mit seinen üppigen Zusatzfunktionen weit mehr zu bieten hat, als manch anderem Channelstrip lieb ist.
Von Michael Nötges
„Wen interessiert schon die Effizienz, wenn wir über Musik reden“, wischt Star-Entwickler und Firmengründer Rupert Neve während seiner Produktpräsentation auf der AES in New York 2009 die zuvor aufgezeigten technischen Vorzüge des neuen Portico II vom Tisch. Damit möchte er den Anwesenden klarmachen, der Channel-Amplifier – der Begriff Channelstrip degradiere, laut Neve, die ausgefuchste Entwicklung – klingt zum einen ausgezeichnet und ist ganz nebenbei auch noch ein technisches Meisterwerk. Dazu ergänzt die Pro-Audio-Legende lachend: „Wenn man den Portico II einmal gehört hat, kommt nichts anderes mehr in Frage.“ Bei vielen Stammlesern von Professional audio und Freunden des legendären Sounds analoger Konsolen, ist der Name Rupert Neve ein Begriff, steht er doch für bahnbrechende Entwicklungen in der Studiotechnik. Dieses Image konnten immer wieder auch die Produkte aus der Portico-Serie wie die Vorverstärker-Module 5012 (Test, Ausgabe 11/2006) und 5016 (Test, Ausgabe 5016) sowie der Bandsättigungs-Simulator 5042 (Test, Ausgabe 9/2007) und der Stereo Field Editor 5014 (Test, Ausgabe 5/2007) mit Bestnoten und klanglichen Höchstleistungen untermauern. Umso gespannter sind wir auf die Testresultate des Portico II, der zurzeit das Flaggschiff von RNDs Outboard markiert, für rund 3.400 Euro gehandelt wird und als Preamp mit Equalizer, Kompressor und einer seidenen Wunderwaffe bestückt, einiges zu bieten hat. Anders als die bislang vorgestellten Module schlägt der Portico II zunächst völlig aus der Art.
Der mächtige 19-Zoll-Bolide ist mit zwei Höheneinheiten und rund neun Kilogramm Kampfgewicht ein echter Brocken – kein Vergleich also zu den eher zierlichen Modul-Geschwistern. Das wundert allerdings in Anbetracht der Ausstattung des Portico II nicht, denn der Hersteller hat das große Besteck aufgefahren und gibt sich mit Kompromissen in puncto Ausstattung und Verarbeitung scheinbar nicht zufrieden. Optisch kann der Portico II aber seine Familienzugehörigkeit nicht verleugnen: Die fünf Millimeter dicke Aluminium-Frontplatte im edlen, hellgrauen Look folgt mit ihren hinterleuchteten Plexiglas-Buttons und hochwertigen Alu-Drehreglern klar dem Design der Portico-Serie. Die Bedienelemente fühlen sich durch die Bank sehr gut an und sind angenehm und präzise in der Handhabung: Griffige Drehknöpfe, sämig laufende Potiwellen, exakt einrastende Wahlschalter sowie Buttons mit präzisem Druckpunkt, was will man mehr. Ähnlich wie bei den Bauteilen aus der 5088-Konsole setzt RND beim Portico II auf diskrete OPs, einseitige Leiterplatten, selektierte Halbleiter sowie eigens gefertigte Ein- und Ausgangsübertrager. Diese gewährleisten nicht nur die galvanische Entkopplung sondern sind auch maßgeblich für den Sound verantwortlich. Bei der Stromversorgung setzt RND auf eine erhöhte Spannungsversorgung von +/-36 Volt, die zu einem verbesserten Headroom und besserem Impulsverhalten führen soll. In diesem Zusammenhang klotzt der Hersteller mit einem Ringkerntrafo der besonderen Art: Es sei der größte den Rupert Neve je eingesetzt habe. Auch wenn das Schaltungsdesign des Portico den namenhaften Neve-Modulen aus den 1960er Jahren ähnelt, hat sich Meister Neve natürlich nicht auf seinem Lorbeer vergangener Zeiten ausgeruht, sondern an klanglichen Feinheiten geschraubt. Nach eigener Aussage seien vor allem Grundrauschen, Einschwingverhalten, Dynamikbereich und das Vermeiden hochfrequenter Artefakte verbessert worden.
Der Portico II verfügt neben Line-Ausgang (XLR-Buchse), Sidechain-Inserts (Send/Return) und den beiden Link-Buchsen (je 6,35-mm-Klinke) über zwei trafosymmetrierte Eingänge (Mikrofon und Line) im XLR-Format. Da am Mikrofoneingang bei zugedrehtem Gain-Regler bis zu 20 dBu anliegen können, lassen sich dort problemlos auch Line-Signale anschließen. Der Verstärkungsbereich liegt zwischen Null und +66 Dezibel und ist per Gain-Regler in Sechs-Dezibel-Schritten einstellbar, wobei der Trimpot-Regler (+/- 6 dB) das stufenlose Einpegeln gewährleistet. Der Line-Eingang muss allerdings vor Gebrauch per Taster aktiviert werden, ansonsten bleibt der Kanal stumm. Zusätzlich bietet der Portico II einen hochohmigen DI/Instrumenten-Eingang sowie eine passive Thru-Schaltung, um ein E-Gitarrensignal parallel beispielsweise an einen Amp zu schicken. Wie es sich für Vollprofis gehört, gibt es natürlich einen hinterleuchteten Phasenumkehr- und Phantomspannungs-Button. Außerdem – darauf verzichten heute viele Hersteller – legt RND noch einen Mute-Taster oben drauf, um in Arbeitspausen oder beim Abhören aufgenommener Takes, die Aufnahmekette lahmzulegen. Im Innern des Portico II werkeln übrigens sanft klickende Relais, um alle Funktionen sauber aus dem Schaltkreis zu verbannen. Die Überwachung des Eingangspegels ist lediglich mit der zweifarbigen Signal Presence (SP) LED möglich. Ab +22 dBu wechselt die ansonsten freundlich grün glimmende Anzeige zu rot und signalisiert: Achtung Übersteuerungsgefahr. Bei +25 dBu ist dann tatsächlich Schluss mit lustig, so dass drei Dezibel Headroom bleiben. Wesentlich genauer ist glücklicherweise die dreifarbige 16-Segment-LED-Anzeige, die den Ausgangspegel überwacht und präzise hilft, nachfolgende Geräte wie A/D-Wandler optimal anzusteuern. Durch unterschiedliche Helligkeitsniveaus werden die Pegeländerungen in Ein-Dezibel-Schritten angezeigt. Die unterste rote LED entspricht +18 Dezibel oberhalb 0 VU, was dem Full-Scale-Level vieler professioneller A/D-Wandler entspricht. Rot leuchtende LEDs bedeuten beim Portico II also tatsächlich immer Gefahr und sollten bei der Aussteuerung definitiv vermieden werden.
Der Portico II ist mit einer umfangreichen Equalizer-Sektion ausgestattet. Zunächst bietet er einen Hochpassfilter mit kontinuierlich einstellbarer Eckfrequenz zwischen 20 und 250 Hertz und einer Flankensteilheit von 12 Dezibel pro Oktave. Das Filter kann – wie im Übrigen auch die Bänder des Haupt-Equalizers – einzeln stummgeschaltet werden. Zusätzlich lässt sich das Passfilter in den Sidechain-Signalweg schleusen. Ist der S/C-HPF-Button aktiviert, werden die herausgefilterten Bassfrequenzen vom Kompressor nicht berücksichtigt. Damit kann der Verdichter gezielt nur auf die Mitten und Höhen angesetzt werden, wobei die Bässe unkomprimiert bleiben. Das Hochpassfilter beeinflusst in diesem Fall das eigentliche Signal nicht. Der Haupt-Equalizer stellt vier weitere Bänder zur Verfügung, bei denen die Amplitude jeweils um +/-15 Dezibel veränderbar ist: Die Eck-Bänder (LF und HF) bieten jeweils zwei Charakteristika (Shelving und Peak) sowie je vier wählbare Frequenzbereiche (siehe Tabelle). Die beiden voll-parametrischen Mittenbänder (LMF und HMF) sind nur zusammen ein- oder auszuschalten, verfügen aber beide über einen stufenlos einstellbaren Güteregler (Q: 0,7 bis 5). Dadurch können störende Resonanzen präzise eliminiert, aber genauso weiche Betonungen oder Abschwächungen erzeugt werden. Ein nützliches Spezialfeature ist der integrierte De-Esser, wobei die Bezeichnung nicht ganz treffend ist, denn mit der frequenzabhängigen Kompression ist weit mehr möglich als die Sibilanten-Jagd. Steht der De-Ess-Regler auf Linksanschlag ist das Modul ausgeschaltet. Auf Rechtsanschlag wirkt der Zischlaut-Killer zu 100 Prozent. Unabhängig vom Kompressor-Modul sind auf diesem Weg Entschärfungen bestimmter Frequenzbereiche zwischen 0,7 und 14 Kilohertz (Güte: 0,7 bis 5) möglich. In der Kompressor-Sektion findet man zunächst mit Threshold- (-30 bis +20 Dezibel), Ratio- (1,1:1 bis ∞:1), Attack- (20 bis 75 Millisekunden), Release- (100 Millisekunden bis 2,5 Sekunden) und dem Aufholverstärkungs-Regler (-6 bis 20 Dezibel) die üblichen Verdächtigen. Ein Blitzmerker wie beispielsweise das Kompressor-Modul (minimal zwei Millisekunden) des Avalon VT-737 SP (Test, Ausgabe 8/2007) ist der Portico II-Kompressor mit einer minimalen Einschwing-Zeit von 20 Millisekunden nicht. Er ist im Vergleich dazu ein eher bedächtiger Signalverdichter. Erst recht, wenn im RMS-Mode operiert wird. Das Umschalten in den Peak-Modus, in dem der Kompressor nicht mehr nur auf Durchschnittswerte sondern zusätzlich auf tatsächliche Peaks reagiert, bringt mehr Sicherheit vor unvorhersehbaren Übersteuerungen und macht den Verdichter sozusagen ‚wachsamer‘. Das ist aber bei Weitem noch nicht alles, was das Kompressor-Modul zu bieten hat. Es gibt zwei weitere Modi: Im sogenannten Feed Back-Modus (FB) reagiert das Kompressor-Modul auf den Output hinter dem VCA, wie es bei vielen Vintage-Geräten üblich ist. Das Regelverhalten gilt als weicher und natürlicher. Im moderneren Feed Forward-Modus (FF) bezieht sich das Regelverhalten dagegen auf das Signal vor dem VCA. Dieser aus den 1980er-Jahren stammenden Methode wird eine bessere Hüllkurven-Optimierung, mehr Druck und bei Bedarf heftigeres, rhythmisches Pumpen nachgesagt. Der Blend-Regler ist ein weiteres Highlight, der Parallelkompression ermöglicht. Will heißen, das Verhältnis von unbearbeitetem und komprimiertem Signal lässt sich stufenlos einstellen. Das hilft die Dynamik zu erhalten (originaler Anteil) und trotzdem das Signal geschmackvoll und elegant zu verdichten (komprimierter Anteil). Übrigens: Ist der Link-Button gedrückt und zwei Portico II via Klinkenbuchsen und -kabel zu einem Stereo-Line-Up kaskadiert, laufen die Kompressor-Module synchron. Der erste steuert den zweiten. Außerdem lässt sich die Reihenfolge von Equalizer- und Kompressor-Modul per Post-Comp-Button vertauschen und die Mute-Funktion des Kompressor-Moduls ermöglicht zu guter letzt komfortable A/B-Vergleiche.
Last but not least hält der Portico II noch eine Wunderwaffe parat: Das Texture-Modul – Einigen noch vom Silk-Modus des Portico Vorverstärkers 5012 bekannt – hat RND mit einem weiteren Modus (silk+) und dem Texture-Regler erweitert. Leuchtet die Texture-LED rot, befindet man sich im Silk-Modus, der dem Klang einen seidenen Schimmer und mehr Griffigkeit verleihen soll – harmonische und unharmonische Obertöne lassen grüßen. Mit dem Silk+-Modus bieten die Entwickler des Portico II jetzt noch eine weiter Soundvariante. Diesmal mit dem Ziel, den Klang von Schaltkreisen aus Vintage Class-A-Konsolen zu imitieren. Der Texture-Regler bestimmt schlussendlich die Stärke der hinzugefügten Einfärbung. Von kaum merkbar bis deutlich hörbar ist alles drin. Messtechnisch kann sich der Portico II mehr als sehen lassen. Die Eingangsempfindlichkeit von -69,9 Dezibel bietet auch Bändchenmikrofonen und dynamischen Schallwandlern genügend Verstärkungsreserven, um optimale Aufnahmepegel zu fahren. Dabei sorgen die sehr guten Werte des Fremd- und Geräuschspannungsabstands mit 79,9 und 85,0 Dezibel für rauschfreie Ergebnisse. Damit liegt der Portico II auf Augenhöhe mit dem Avalon VT-737 SP (76,8 und 84, Dezibel) erreicht aber nicht ganz die Traumwerte (90,6 und 92,9 Dezibel) des SSL XLogic E Signature Channel (Test, Ausgabe 1/2007). Die Gleichtaktunterdrückung bleibt über den gesamten Frequenzbereich unterhalb -75 Dezibel, was auch bei langen Kabelstrecken störfreie Aufnahmen ermöglicht. Die THD+N-Werte liegen im neutralen Zustand (alle Module auf Bypass) bei ausgezeichneten 0,003 Prozent, der Noisefloor liegt unterhalb
-80 Dezibel. Der Klirrfaktor kann sich je nach Einstellung und bevorzugtem Sound aber schnell ändern. Im Hör- und Praxistest von Professional audio kann der Portico II auf ganzer Linie glänzen. Zunächst fertigen wir Gesangs- und Gitarren-Aufnahmen an und legen unseren Fokus auf die drei Grundsounds (clean, silk und silk+).
Ohne Texture-Bonus klingt der Portico II sehr druckvoll mir kräftigen unteren Mitten und einem angenehm offenen High-End. Puristisch nüchtern ist er mit Sicherheit nicht, vielmehr sorgen schimmernde Transparenz und ein Schuss erdige Mittenenergie für einen satten aber dennoch edlen Grundsound. Besonders gut kommt dieser Grundcharakter bei unseren Gesangsaufnahmen. Die Stimme bekommt eine herrliche Griffigkeit sowie eine gute Portion Durchsetzungskraft und Präsenz. Aber auch die E-Gitarren-Tracks können sich mehr als hören lassen. Sehr schön perlend und knackig kommt die Custom-Shop-Telecaster, wobei ein kräftiges, sehr detailreiches und natürliches Abbild des Instruments auf die Festplatte gebannt wird. Im Vergleich mit Aufnahmen des Focusrite ISA One Digital (Test, Ausgabe 6/2010) fällt durchaus eine Ähnlichkeit im griffigen Grundsound auf, wobei uns der cleane Portico II im direkten Vergleich ein Quäntchen kerniger und kraftvoller erscheint. Die Sonne geht aber erst richtig auf, als wir den Silk-Modus aktivieren. Die Gesangsaufnahmen beginnen zu strahlen und bekommen einen fast mystischen und sehr edlen Schein, der sofort süchtig macht. Die cleanen Aufnahmen wirken nach dieser Erfahrung, als hätte man ihnen das entscheidende Sahnehäubchen geklaut. Wir stellen fest: Selbst bei voll aufgerissenem Texture-Regler klingen die Aufnahmen nicht nervig affektiert sondern beginnen lediglich heftiger zu leuchten, als würde man mit einem Dimmer das Licht hochfahren. Der Silk+-Modus bringt dann zusätzlich noch ein wenig mehr Druck und eine gehörige Portion Vintage-Charme mit sich. Die unteren Mitten kommen satter und Gesangsaufnahmen aber auch Akustikgitarren erhalten einen üppig angenehmen Bauch. Mit Hilfe des Texture-Reglers lässt sich jeder Zeit das optimale Maß finden, um Gesang, Akustik- oder E-Gitarre gekonnt in Szene zu setzen. Etwas Vorsicht ist allerdings – wie bei allem, was süchtig macht – geboten, da man allzu schnell den Effektbogen überspannt. Weniger ist auch hier meistens mehr und anfetten kann man die Aufnahmen später immer noch. Das Entfetten ist da deutlich schwieriger. Gleiches gilt für Equalizer- und Kompressor-Modul, die aufgrund ihrer vielfachen Bearbeitungsmöglichkeiten zu heftigen Sound-Experimenten einladen, klanglich dabei aber immer eine sehr gute Figur machen. Dezent eingesetzt, lassen sich aber auch alle unsere Aufnahmen optimal mit dem Equalizer profilieren und durch den Kompressor elegant auf den Punkt bringen. Besonders erwähnenswert sind der geschmackvolle und sehr musikalische De-Esser, der unseren Gesangsaufnahmen den letzten Schliff verleiht und die weit reichenden klanglichen Möglichkeiten der unterschiedlichen Kompressions-Modi sowie der Parallelkompression. Beispielsweise mischen wir dem originalen Akustikgitarrensignal lediglich ein bischen des relativ stark komprimierten Signals bei. Im Zusammenklang mit einer Prise „silk“ führt diese Einstellung zu einem audiophilen Leckerbissen.
Fazit
Was soll man da noch groß sagen: Der Portico II von RND ist ein exzellenter Channel-Amplifier, der ausgezeichnet klingt, bestens verarbeitet ist und auch messtechnisch ohne Zweifel zu den Spitzenklasse-Geräten gehört. Durch seine klangliche Vielseitigkeit und die ausgeklügelten Klangbearbeitungs-Optionen ist der Tausendsassa weit mehr als ein herkömmlicher Channelstrip.
Erschienen in Ausgabe 08/2010
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 3436 €
Bewertung: sehr gut – überragend
Preis/Leistung: sehr gut
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