Wohlklang aus dem Chaos
„Wenn hier einer Kult macht, dann ist das Bauer Horst mit sein‘ Lanz!“ wurde einst in Brösels „Werner“-Comic propagiert. Doch ab sofort kriegt Bauer Horst mit KULT von Dawesomemusic eine ungleich schöner klingende Konkurrenz an die Seite gestellt. Die erzeugt Klänge mithilfe der Chaostheorie, was zu ohrenfälligen Spektren führen soll. Wie die klingen, steht im Test.
von Georg Berger
Weitere Informationen unter: https://www.tracktion.com/products/kult

KULT heißt die jüngste Schöpfung des deutschen Softwareentwicklers Peter V, der seine Instrumente unter dem Brand „Dawesomemusic“ vermarktet und über den Marketplace der DAW-Schmiede Tracktion anbietet. Seines Zeichens studierter Mathematiker, praktizierender Fagottist und Synthesizer-Nerd versucht Peter V aka Dawesome bei seinen Entwicklungen das Einfache mit dem Komplexen zu verbinden, um etwas Inspirierendes zu schaffen. Im Falle des KULT-Synthesizers hat er sich bei der Klangerzeugung von den mathematischen Modellen der sogenannten „seltsamen Attraktoren“, die aus der Chaos-Forschung stammen, inspirieren lassen. Diese Attraktoren sind nichtlineare dynamische Systeme und verbreiten sich dreidimensional im Raum, etwa ein ausschlagendes (Doppel-)Pendel oder der sogenannte „Lorenz-Attraktor“ bei der Wettermodellierung. Diese Modelle hat Dawesome nun als Grundlage für die Erzeugung von Wellenformen genutzt und sozusagen das dreidimensionale System auf das zeitlich lineare eindimensionale System des Klangs portiert.
Damit sollen nach Aussage seines Schöpfers warm klingende Spektren mit hohem Obertongehalt möglich sein, die bisweilen auch etwas grobkörnig klingen können und eine ganz eigene organische Qualität besitzen sollen. Im Hörtest werden wir dies en detail noch herausfinden. Doch zunächst wollen wir auf die Ausstattung und die komplette Klangerzeugung des rund 130 US-Dollar kostenden Instruments schauen.
Wellenformen aus der Chaosforschung
KULT ist ein Synthesizer der dem klassischen Prinzip der subtraktiven Synthese folgt. Es stehen zwei Oszillatoren zur Verfügung, die anschließend durch eine Filtereinheit und von dort in eine Effektsektion geschickt werden, bevor der Klang am Ausgang ankommt. Die üblichen Modulatoren wie LFO, Hüllkurve, Pitchbend, Modulationsrad, aber auch ein Step-Sequencer-artiger Pattern-Modulator sowie eine MPE-Fähigkeit (MIDI Polyphonic Expression) sorgen für Lebendigkeit in der Klanggestaltung. Einen ersten Überblick liefern die über 300 Presets, die in herkömmliche Kategorien wie Bässe, Flächen, Bläser, aber auch Drones und Effektsounds unterteilt sind.
Das GUI ist nach kurzer Sichtung und nach dem Studium des überschaubaren, aber sehr informativen Handbuchs rasch erfasst. Im Kopf der Bedienoberfläche lädt ein Dialog zum Laden der Presets ein. Die linke Spalte zeigt die eingesetzten Modulatoren des geladenen Presets. Die rechte Spalte listet die Presets auf und erlaubt das Filtern nach den oben erwähnten Kategorien. Ganz unten in dieser Spalte ist die Effektsektion mit seinen zwei Slots verortet. Im Fuß der Bedienoberfläche finden sich globale Parameter wie etwa die Gesamtlautstärke, die Masterstimmung, eine Glissando-, Legato- und Mono-Funktion, Einstellmöglichkeiten fürs Oversampling sowie eine rudimentäre Keyboardanzeige, die eher wie ein Lineal aussieht und Auskunft über gerade gespielte Noten in Form von roten Kreisen gibt.
Die obere Mitte des GUI ist den beiden Oszillatoren vorbehalten, deren Wellenformen in hübsch anzuschauenden farbigen Animationen zu sehen sind. Zudem erlauben einige Parameter direkten Zugriff auf die Wellenformgestaltung. Direkt darunter lassen sich wechselweise sechs Dialoge zwecks detaillierter Editierung aufrufen. Zur Auswahl stehen die Spielhilfen (Arpeggiator, Akkord- und Skalenfunktion), die Oszillatoren, das Filter, die Effekte sowie die Modulatoren.
Pro Oszillator stehen 35 Wellenformen zur Auswahl. Per Fade-Regler lassen sich beide anteilig in der Lautstärke ausbalancieren. Besonderheit: Über den Saw- und SQ-Regler kann das Spektrum in Richtung Sägezahn- und/oder Rechteckwelle getrimmt werden, ohne dabei das Timbre zu verlieren. Für zusätzliche Lebendigkeit sorgen die F- und S-Shift-Paramter, die ein Verschieben der Frequenz realisieren. Nächste Besonderheiten: Da die mathematischen Modelle auf Frequenzmodulation basieren, erlauben drei Parameter dezidierten Zugriff darauf. Daneben ist in den Oszillatoren auch eine Amplitudenmodulation möglich und es lässt sich ein Formantfilter hinzuschalten. Alles in allem sind das nicht alltägliche Ausstattungsmerkmale für eine Oszillator-Sektion.
Eine nicht alltägliche Ausstattung
Die Filtersektion fällt ebenfalls durch eine Reihe von Besonderheiten auf, die so nicht alltäglich in subtraktiven Synthesizern sind. So lässt sich ein zentrales Dualfilter über einen gemeinsamen Cutoff-Regler einstellen, wobei ein Offset-Parameter das proportionale Regulieren des zweiten Filters zum Cutoff realisiert. Dafür ist der Resonanz-Parameter sowie die Filterart in beiden Filtern separat einstellbar. Damit nicht genug ist dieses zentrale Filter eingerahmt von je zwei Verzerrer- und Kammfilter-Sektionen. Erstgenannte sorgen für ein wenig mehr Schärfe, die zweitgenannten erzeugen seltsam hohle, metallisch klingende Sounds. (siehe Abbildung auf Seite xx).
Ein Druck auf den FX-Button gewährt Zugriff auf die Einstellmöglichkeiten der Effekte. Um den gewünschten Effekt auszuwählen, muss auf den entsprechenden Eintrag in den Effekt-Slots der rechten Spalte geklickt werden.
Gleiches gilt auch für das Editieren der Modulatoren. Durch Klick auf den zu editierenden Modulator in der linken Spalte erscheinen die Einstellmöglichkeiten im entsprechenden Dialog. Modulationen und ihre Verknüpfungen sind theoretisch unendlich möglich. Durch Klick auf das Plus-Symbol wird eine neue Modulationsquelle, etwa ein LFO oder eine Hüllkurve ausgewählt. Anschließend reicht ein Klick auf den zu modulierenden Parameter und das anschließende Einstellen der Modulationsstärke über das Kreissymbol neben dem Modulatoreintrag. Wer mag, kann Modulatoren auch mit anderen Modulatoren modulieren. KULT kennt da keine Grenzen.
Last but not Least verfügt KULT über einen Arpeggiator, eine Akkord- und Skalenfunktion, um wieselflink Dreiklangsbrechungen, Akkorde mit einem Finger zu spielen und bei Bedarf dies in bestimmte Skalen zu zwingen. Alles in allem wartet KULT mit einem übersichtlichen Arsenal an Einstellmöglichkeiten auf, die bereits nach kurzer Zeit erfasst sind. Dabei besticht das Instrument durch spezielle Parameter in den Oszillatoren, die nicht alltäglich sind. Rücken wir diesen als nächstes auf den Pelz. Über einen Klick in den Bereich der animierten Wellenformgrafiken erscheint eine Auswahlliste. Die Grafiken und ihre Bezeichnungen, abgesehen von den Allgemeinplätzen Sinus, Dreieck, Sägezahn und Rechteck, sind zumeist nichtssagend und geben keinen Hinweis auf den klanglichen Gehalt. Soweit so gut. Es führt kein Weg am Ausprobieren vorbei, um am Ende seine persönlichen Favoriten zu erkennen.
Filter und Filtertypen en Masse
Was ich höre, sind zumeist eher geräuschhafte Spektren, die tatsächlich sehr grobkörnig klingen, so als ob ein Verzerrer hinzugeschaltet wurde. Mitunter sind auch rhythmische Elemente innerhalb der Timbres hörbar. Diejenigen Wellenformen, die tonal definierbar sind, kommen ebenfalls mit diesen leichten Verzerrungen daher, die eher klingen, als ob eine Sägezahnwelle hinzugemischt wurde und mehr oder weniger stark in den Klang eingreift. Das hört sich mal sehr angenehm an, das andere Mal eher nicht. Andere Wellenformen klingen eher nach einer verzerrten Orgel und teils klingt es so, als ob eine Rechteck-/Dreieckwellenform durch einen Ringmodulator geschickt wurde.
Auffällig: Teils liegen von einem Chaos-Modell gleich mehrere unterschiedlich klingende Varianten vor. So etwa das eingangs erwähnte Lorenz(-Wetter)-Modell. Das erste Modell ist durchweg geräuschhaft und wartet mit einem pulsierenden Binnengeräusch auf, was an den Klang von Pulsar-Sternen erinnert. Das zweite Modell wartet hingegen mit einem cleanen sinusartigen Ton auf. Das dritte Modell ist eine Kombination der ersten beiden Modelle und klingt nach den cheesy 8-Bit-Sounds früher Computerspiele der 80er-Jahre. Das vierte Lorenz-Modell kommt hingegen wieder als reiner tonaler Sinusklang, der jedoch ungleich fetter klingt, als im zweiten Modell und mich ein wenig an den Grundsound des guten alten Yamaha DX7 erinnert.
Mit diesem Basismaterial lässt sich im oberen GUI-Drittel über einen Satz von Parametern in einem ersten Schritt schon einmal einiges anstellen. Wie erwähnt sollen die „Saw“- und „SQ“-Regler die Spektren ein wenig in Richtung Sägezahn und Rechteck trimmen. Im Test ist davon jedoch nicht viel hörbar. Stattdessen wirken beide Parameter eher wie eine Art Filter-Cutoff-Regler. Der Sound klingt höhenreicher – Beim Drehen des SQ-Reglers mehr als beim Drehen des Saw-Reglers – und teils treten die geräuschhaften, körnigen Bestandteile ein wenig in den Hintergrund. Das simultane Drehen an beiden Parametern erzeugt teils eigenartige Schwebungen, teils erinnert es an die Schärfe von Sync-Sounds.
Ungleich kräftiger geht es zur Sache, wenn ich die F- und S-Shift-Regler betätige. Hierbei folge ich der Empfehlung, den Saw-Regler ein wenig reinzudrehen, um kraftvolle Ergebnisse zu erhalten. Beide Regler wirken ähnlich wie ein LFO und sorgen für eine hörbare Modulation von Lautstärke und Klangfarbe. Auch in diesem Fall stellen sich seltsame Schwebungen ein, mitunter klingt es erneut nach Sync-Sounds. In Rechtsstellung beider Regler geht die Modulation bis in den Hörbereich und es sind knurrende, bisweilen angezerrte Sounds hörbar, die wiederum an Frequenzmodulation erinnern. Wer davon noch nicht genug hat, kann die Wellenformen in den Oszillator-Dialogen mithilfe der Frequenz- und Amplitudenmodulationsparameter weiter verbiegen. Wem es also noch nicht metallisch oder kreischend oder verzerrt genug klingt, kann dort noch einmal ordentlich Gas geben. Der Formantfilter prägt das Ergebnis schließlich noch einmal eindeutig in Richtung (Roboter-)Stimme.
Charakterstarke Sounds
Bevor ich nun auf die mitgelieferten Presets eingehe, sei noch ein Wort zur Praxis und Performance von KULT verloren. So finde ich die Schriftgröße der Presets in der Spalte rechts viel zu klein. Zwei bis drei Punkte größer wäre ideal. Sehr schön ist zwar die Möglichkeit, das GUI via Maus dynamisch zu skalieren. Aber auch hier hätte ich mir gewünscht, dass es möglich wäre, das GUI noch größer darzustellen. Zugegeben, das ist Jammern auf hohem Niveau. Doch über ein Update sollte das rasch behoben sein. Ebensowenig kritikwürdig ist auch die Tatsache, dass manches Preset die CPU des Rechners so zum Schwitzen bringt, dass es zu klanglichen Aussetzern kommt. Dawesome hält damit nicht hinterm Berg und gibt im Handbuch dazu Tipps und Tricks, wie dem erfolgreich begegnet werden kann. Schließlich geht es bei den Werkspresets auch darum zu zeigen, was machbar ist. Der einzige wirkliche Kritikpunkt findet sich in den wählbaren Klangkategorien. Auffällig ist, dass viele Presets nicht nur in einer, sondern gleich in mehreren Kategorien existieren, etwa in den Bässen, den Pads und Leadsounds. Das ist an und für sich noch kein Kritikpunkt. Aber wer mit solchen Kategorien Erwartungshaltungen erzeugt, die beim anschließenden Hören nicht erfüllt werden, verdient damit einen entsprechenden Minuspunkt. So sind die Sounds, die ich als Lead-Sounds erachte nicht in der gleichnamigen Kategorie verortet, sondern auffälligerweise in der Keys-Kategorie. Wer in KULT also gezielt nach etwas Passendem sucht, sollte also nicht unbedingt auf die enthaltenen Kategorien vertrauen.
Was sind denn also nun für Presets in KULT enthalten? Ein klassischer Synthie mit den üblichen Brot-und-Butter-Sounds ist KULT eher nicht. Es gibt zwar eine Reihe an Bässen, Streichern, Leads und sogar ein Brass-Sound, die unverkennbar analog und standesgemäß klingen. Sie werden logischerweise mit den Standard-Wellenformen erzeugt. Doch das sind eher Ausnahmen. Denn recht schnell sind diese Sounds durch knurrie, angezerrte und metallisch klingende Bestandteile in unterschiedlichen Gewichtsanteilen durchsetzt. Das macht die Sounds zwar immer noch tonal spielbar, verleiht ihnen aber stets einen gewissen typischen „kultigen“ Klangstempel.
Auffällig: Es findet sich ein riesiges Arsenal an Bass-Sounds, die für Industrial und so manchem Dancefloor, wo es etwas härter zugehen soll, das Passende liefert. Höhenreiche präzise Leadsounds sind auch in überschaubarer Zahl enthalten. Doch die wahre Stärke von KULT liegt im Erzeugen von Flächensounds, die sich in den Kategorien Pads, Drones und FX tummeln. Durch die Klanggestaltungsmöglichkeiten finden sich viele Presets, die mit mal subtilen und zarten, mal dramatisch-expressiven Klangverläufen aufwarten. Auffällig: Gerade die atmosphärischen Drone-Sounds erzählen dabei durchweg melancholische, mystische und bedrohliche Szenarien. Das prädestiniert KULT als Lieferanten effektvoller Sounds für Film und Game. Wer im Dark Wave und Gothic unterwegs ist oder experimentelle und avantgardistische Ambitionen mit seiner Musik verfolgt, wird ebenfalls ein wahres Schlaraffenland an passenden klanglichen Stimmungen finden. Hier zeigt sich das Grobkörnige und teils angezerrt „Sägezahnige“ der Chaos-Wellenformen als charakteristisches Element des Synthesizers. Mal gefällt dies durch angenehme Knurrigkeit, das andere Mal klingt es eindeutig zu viel, verzerrt und mitunter auch nervig, was aber auch seinen Reiz hat. Das sozusagen zweite Standbein im klanglichen Fingerabdruck von KULT bilden die oftmals hörbaren metallisch klingenden (Teil-)Spektren, die das Preset-Repertoire nicht minder stark prägen. Damit ist KULT jedoch kein weiterer FM-Synthesizer, wenngleich er entsprechende überschaubare Einstellmöglichkeiten liefert, die hier aber nur ein weiteres Ingredienz darstellen. Im Test hat das Ausprobieren der vielen Gestaltungsmöglichkeiten einen Riesenspaß gemacht, weil es einmal etwas erfrischend anderes ist, als lediglich das Verstimmen von zwei Oszillatoren oder das Modulieren der Pulsweite. Auch wenn die Presets eher etwas speziell ausfallen, war das Herumspielen mit ihnen ohne Wenn und Aber sehr inspirierend.
Fazit
Der Synthesizer KULT des deutschen Herstellers Dawesomemusic wartet mit einem speziellen, nicht alltäglichen Klanggestaltungskonzept auf. Dieses macht aus KULT einen inspirierenden, kreativ einsetzbaren Spezialisten für ambitionierte Musiker und Produzenten, die es eher brachial, mystisch, bedrohlich, kraftvoll und individuell mögen. KULT ist perfekt für grobkörnige, sägezahnige, bisweilen verzerrte Timbres, die auf metallische Spektren treffen. Brot-und-Butter-Sounds gibt’s woanders.

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