Sättigung hoch vier
Was kommt dabei heraus, wenn Bandsättigung auf M/S-Technik trifft? In diesem Fall der bx_saturator von Brainworx, der analoge Sättigung in neue Dimensionen hievt. Wie das funktionieren soll und wie das klingt, erläutert unser Test.
Von Carina Schlage
Plug-ins, die Sättigungseffekte analoger Magnetbänder simulieren, genießen in der digitalen Audio-Produktion nach wie vor hohe Wertschätzung, reißen aber gleichzeitig kaum einen Produzenten mehr vom Hocker. Kein Wunder, denn die Auswahl an Produkten dieser Art ist deutlich gewachsen und für jeden Geschmack ist etwas dabei. Übrigens gehört die sogenannte Sättigung mittlerweile auch zum guten und kontrollierbaren Ton vieler Equalizer- oder Kompressor-Plug-ins. Wenn jedoch ein solches Plug-in aus dem Hause Brainworx kommt, lässt dies trotzdem aufhorchen, nicht zuletzt oder gerade wegen des Umstands, dass die Implementierung der M/S-Technik quasi zum Betriebskonzept der Produkte des nordrhein-westfälischen Unternehmens gehört. Und so ist auch der nagelneue bx_saturator alles andere als nur ein Magnetbandsimulator. Vielmehr handelt es sich um ein Multiband-Sättigungs- und Verzerrungstool mit gleichsam obligatorischer wie faszinierender M/S-Funktionalität, welches sich gleichermaßen für Mastering, Mischung und Sounddesign eignet. Mit an Bord ist zudem eine neuartig konzipierte „True Split“ Crossover-Technik, die ein gänzlich phasenreines Klangergebnis gewährleisten soll. Das klingt schon fast zu gut, um wahr zu sein und ist daher Grund genug, den bx_saturator einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Oberflächlich betrachtet, ermöglicht der bx_saturator das Hinzufügen von Obertönen, sprich: Verzerrungen, auf Einzel- als auch Summensignale, die dadurch einen analog klingenden Anstrich erhalten. Der Hersteller verspricht dabei eine klangliche Bandbreite, die von subtil warmer Sättigung bis hin zu aggressiv-auffälligen Deformationen reicht. So weit, so bekannt. Bei näherer Betrachtung realisiert das Plug-in diese Verzerrungen in zwei Dimensionen, nämlich auf der spektralen und der stereophonen Ebene. Das heißt im Klartext: Im bx_saturator wird nicht einfach das gesamte Signal mit dem Sättigungspinsel angemalt, sondern es findet eine Aufsplittung des eingespeisten Signals statt, und zwar in ein Mitten- und Seitensignal, wobei der M- und S-Kanal jeweils in zwei separate Frequenzbänder aufgesplittet und einstellbar ist. Somit kann der Anwender die Sättigung gezielt auf zwei Ebenen anwenden. Außer den beiden Master-Effektreglern stehen ihm dazu vier weitere Units zur Verfügung, die das Anfetten und Verzerren von Klängen zu einer ultrapräzisen Angelegenheit werden lässt und zudem ein großes Potenzial für kreatives Sounddesign bietet, wie wir im Folgenden noch sehen werden. Dieses Konzept verleiht dem bx_saturator jedenfalls schon einmal das Prädikat „besonders innovativ“.
In den vier Units Mid Lo, Mid Hi, Side Lo und Side Hi kann die Sättigung respektive Verzerrung mit Hilfe von drei Parametern gesteuert werden: XL steuert den Effektanteil des jeweiligen Bandes, während der Drive-Regler beeinflusst, wie die Verzerrung klingt. Die Bandbreite reicht dabei von subtil (= 1), über cremig-weich (= 3 – 6), bis hin zu starker, hörbarer Verzerrung (= 7 – 16). Über den Gain-Regler beeinflussen wir darüber hinaus den Pegel der einzelnen Units. Der Clou: Über einen zusätzlichen Pre-/Post-Schalter lässt sich dabei entweder der Pegel am Eingang der Verzerrungseinheit regeln (Pre) oder die Gesamtlautstärke des Bandes inklusive Verzerrung (Post) einstellen. Besonders die Pre-Funktion offeriert somit weitere Optionen zur Klangformung, da sie die Verzerrungsstärke noch einmal zusätzlich beeinflusst. Sehr schön: Da ein Hinzufügen von Obertönen mit zum Teil drastischen Pegelanhebungen einhergeht, bietet der bx_saturator zusätzlich eine automatische Kompensation dieser Anhebung. Genau genommen sind es sogar zwei verschiedene Modi, die dem Anwender zur Verfügung stehen. Sie tun zwar das Gleiche, sie klingen jedoch minimal unterschiedlich, was die Gestaltungsmöglichkeiten um eine weitere Option erweitert. Wer mag, kann die Pegelkompensation auch deaktivieren, was ausweislich unserer Test-Erfahrung außer für spezielle auffällige Effekte jedoch weniger ratsam ist.
Im Stereo-Betrieb nimmt der bx_saturator das Aufsplitten des Signals in Mitten- und Seitenanteile automatisch vor. Das Einstellen der Crossover-Frequenz für den Band-Split obliegt jedoch dem Anwender. Im Mono-Betrieb ist logischerweise nur die Multiband-Funktion aktiv. Das Aufspalten in Frequenzbänder führen wir mit den X-Over bezeichneten Fadern aus. Grundsätzlich steht dabei für beide Bänder das volle Spektrum von 20 Hertz bis 20 Kilohertz zur Verfügung. Im M/S-Betrieb werden jedoch im Mittenband eher Bässe und Tiefmitten, im Seitensignal hingegen höhere Frequenzanteile bearbeitet. Eine konventionelle Band-Aufsplittung wäre demnach beispielsweise 200 Hertz im Mittenband und acht bis zehn Kilohertz im Seitenband. Dem Einfallsreichtum setzt der bx_saturator beim Aufteilen der Frequenzbänder jedenfalls keine Grenzen.
Mit an Bord ist auch der so genannte MonoMaker-Regler, der sich auch in einigen weiteren Brainworx-Plug-ins, wie beispielsweise dem bx_hybrid findet. Er bewirkt, dass tiefe Frequenzanteile stereophonen Klangmaterials zu mono gewandelt und damit in die Mitte des Stereo-Bildes gerückt werden. Dies ermöglicht eine wesentlich störungsfreiere Bearbeitung des Seitensignals, vor allem in Bezug auf Phasengenauigkeit und resultiert in einer präziseren Basswiedergabe.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass das Mitten- und Seitensignal in ihrem Gesamtpegel selbstverständlich ebenfalls geregelt werden kann, auf Wunsch sogar unabhängig voneinander. Dies wiederum gestattet es, die Stereobreite des Materials nachhaltig zu beeinflussen, je nach Pegelstellung mit mehr oder weniger stereophonen Anteilen.
Während der Arbeit mit dem Plug-in fällt zuallererst auf, dass man im Hause Brainworx nicht nur zügigen Schrittes mit den Zukunftsformaten geht – der bx_saturator ist sowohl im neuen Avid AAX-Format, als auch im 64 Bit-Modus verfügbar. Gleichwohl demonstriert der bx_saturator einmal mehr, dass die Entwickler ihr hohes Know-how in Sachen Pragmatismus gekonnt einsetzen. Erkennbar ist dies an so unscheinbar wirkenden Kleinigkeiten wie der Solo-Funktion des Plug-ins, die nur den Klang der jeweilig angewählten Unit wiedergibt. Das wird sogar noch getoppt: Ist die Auto Solo Funktion aktiviert, schalten sich die Units automatisch auf solo sobald und solange einer der Regler darin bewegt wird. Das ist nicht nur pfiffig gelöst, sondern auch äußerst hilfreich beim Justieren des Effekts und verdient daher ein weiteres Lob.
Auffällig ist allerdings der Leistungshunger des Plug-ins: Beim Laden einer Instanz steigt die Systemauslastung unseres Intel-Quadcore Test-Rechners unter Windows 7 und Pro Tools 10 um satte zehn Prozent an. Das Laden selbst nimmt ebenfalls ungewöhnlich lange zehn Sekunden Zeit in Anspruch. Nächste Auffälligkeit: Beim Justieren der X-Over-Fader oder des Mono-Reglers während der Wiedergabe des Projekts kommt es immer wieder zu Drop-outs, die zum Teil sogar einen Neustart des Plug-ins erfordern. Ob dies nun dem System des Test-Rechners, Pro Tools oder dem Plug-in selbst geschuldet ist, war bis zum Ende des Tests bedauerlicherweise nicht herauszufinden. Seitens Brainworx ist man sich dieses Problems jedoch bewusst und arbeitet bereits an einer Lösung.
Dessen ungeachtet ist der Klangeindruck des bx_saturator ohne Wenn und Aber phänomenal. Wir sind hellauf begeistert, als wir das Plug-in in den Masterkanal eines bereits gemischten Poprock-Songprojekts laden und eine subtile Sättigung erzeugen. Die Mischung wirkt nun, als sei sie von einem diffusen Grauschleier befreit worden, von dem wir vorher gar nicht wussten, dass er existiert. Wie so oft bei psycho-akustischen Effekten dieser Art, fällt dies erst nach Betätigen des Bypass-Schalters auf. Im Test erlauben die M/S-Units zudem ein außerordentlich präzises und subtiles Andicken des anliegenden Signals. Vor allem im Seitenband erscheint dies besonders angenehm, da ein beherzteres Eingreifen der XL-Funktion zu einer Kompression der Höhen führt, was dem wohlklingenden Verhalten von leicht überfahrendem Magnetband entspricht. Durch behutsames Andicken der oberen Mitten im Mittenkanal gelingt es uns sogar, die Lead-Vocals stärker hervorzuheben.
Wir probieren den bx_saturator auch auf Subgruppen aus und sind abermals vom Ergebnis begeistert. Dass dieser Einsatzzweck durchaus im Sinne der Entwickler ist, zeigt nicht zuletzt die Fülle an Werks-Presets, die im Subgruppen-Einsatz einen sehr guten Eindruck davon geben, was der bx_saturator kann. Auf der Drum-Subgruppe können wir die Snare tiefer und voluminöser ertönen lassen, während die Beckenklänge einen herrlich hochfrequenten Schimmer erhalten. Das Beste dabei: Den Kompressor können wir getrost links liegen lassen, denn das Hinzufügen von Obertönen resultiert in einer deutlich höheren Lautheit. Auch auf Einzelspuren macht der bx_saturator eine überaus gute Figur. Auf eine E-Gitarrenspur angewendet, lassen sich die bereits crunchig angezerrten Gitarren-Sounds noch weiter auf sehr angenehme Art verzerren, in der Side Hi-Unit können wir zusätzlich sogar den Höhenanteil regeln – der Equalizer bleibt also ebenfalls ausgeschaltet.
Das Sättigungsverhalten des bx_saturators entspricht im Übrigen tatsächlich weitestgehend dem des analogen Magnetbands, das beweist nicht zuletzt auch unsere kurze FFT-Analyse mittels 1 Kilohertz-Testton (siehe Abbildungen auf Seite 54): Befindet sich der Drive-Regler beispielsweise auf Position 4, tritt zunächst nur k3 in Erscheinung. Stärkeres Aufdrehen des Drive-Reglers bringt dagegen die weiteren ungeradzahligen Harmonischen k5 und k7 sowie noch höhere Obertöne ins Spiel. Das erklärt auch, warum der bx_saturator in Extremstellung ein vollkommen anderes, nämlich auffälliges, aggressiv vordergründiges Gesicht zeigt und damit wunderbare Sounddesign-Qualitäten beweist. Beispielsweise lässt sich mit voll aufgerissenem XL-Regler der Sustain verlängern oder das Stereo-Bild nachhaltig verschieben. Je weiter wir die XL- und Drive-Regler aufdrehen, desto mehr verwandeln wir eine Staccato-Klavierphrase in einen aggressiven, aber niemals unangenehm tönenden Effektklang, der sich ganz wunderbar in unser Rockarrangement einfügt. Willkommene Nebeneffekte erhalten wir überdies durch stumm schalten verschiedener Units und sogar herrlich klingende Filter-Sweeps beim Betätigen des X-Over-Reglers im laufenden Betrieb.
Fazit
Der bx_saturator von Brainworx birgt ohne Zweifel ein äußerst hohes Suchtpotenzial. Am liebsten würden wir ihn an jeder Stelle unseres eigentlich abgeschlossenen Mixes einsetzen, denn plötzlich klingt das Schlagzeug zu leise, die Gitarren zu matt und das Klavier nicht interessant genug. Aber genau darin lauert die Gefahr eines solchen Sättigungseffekts, weshalb weniger bekanntlich dann doch wieder mehr ist. Auf Summensignale angewendet, lässt der bx_saturator ebenfalls die Sonne aufgehen, und zwar bereits mit sehr subtilen Effektraten. Im Mastering eingesetzt, vermag das Plug-in dank M/S-Technik und Multiband-Funktion sein ganzes Potenzial auszuspielen. Ebenso interessant dürfte es auch für Klangschrauber sein, die auf der Suche nach einem vielfältigen und hervorragend klingenden Verzerrungstool sind. Abseits dessen ist eines aber in jedem Fall sicher: Kalte, leblos-matte Digitalmixe sind dank des bx_saturators spätestens ab heute passé.
Erschienen in Ausgabe 08/2012
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 229$
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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