Evolutionswunder

Am Anfang steht oft nur eine gute Idee. Doch wenn diese auf praxisnahes Know-how und fähige Köpfe trifft, steht einer erfolgreichen Firmengründung meist nichts mehr im Weg. Brainworx liefert den Beweis. 

Von Michael Nötges

Seit acht Jahren gibt es die in der Nähe von Leverkusen ansässige Firma schon. Ton- und Mastering- Ingenieur Dirk Ulrich ist von Anfang an dabei. Sein einstiger Kompagnon schied nach einiger Zeit mit der Bemerkung: „Ich habe einfach keine Lust mehr auf das Rock-’n’-Roll-Leben“ aus; doch Ulrich ließ sich nicht von seinem Weg abbringen und fand mit dem Diplom-Ingenieur für Medientechnik, Robin Ochs, einen neuen Mitstreiter. Dann wurde das klassische Tonstudio-Konzept erweitert. „Sicher“, meint Ulrich „könnten wir auch weiterhin Rock- und Punk-Bands produzieren – was wir LIEBEN! – und uns damit über Wasser halten – aber die Idee, nun praxis-nahe Hi-End Plug-Ins und Mastering Tools zu entwickeln ist eine völlig neue Perspektive für Brainworx.“

Die Idee zum ersten Projekt, einem M/S-fähigen EQ mit verschiedenen „Modes“ wurde bei einer Mastering-Session im Kölner 301-Studio geboren. Ulrich erlebte dabei zum ersten Mal, wie mit Hilfe der M/S-Bearbeitung (getrennte Bearbeitung von Stereo-Summe und Differenz) der Klang manipuliert werden kann. Fortan kreisten seine Gedanken um einen Modus-Equalizer, der sowohl als Stereo-EQ einsetzbar ist, aber auch die getrennte Bearbeitung von Summen- und Differenz-Signal zulässt. Weiter fortgesponnen sollte eine Recordingfunktion in das M/S-Verfahren integriert werden. Während der Aufzeichnung sollten natürlich die praktischen Filter zum Sounddesign einsetzbar bleiben. Das Software Development Kit (SDK) 1 von Creamware, das auf Basis der Scope-Plattform arbeitet, schien das optimale Tool zu sein, um die Vorstellungen umzusetzen und zunächst auf virtueller Ebene das Konzept zu erproben.

Das modulare Konzept der Software ermöglicht den Entwurf eines Schaltplans samt der zugehörigen Verkabelung seiner virtuellen Bauteile. „Diese virtuelle Konstruktion″, erklärt Ochs, „ist fast wie der Quellcode bei anderen Programmen, deswegen geben wir die natürlich nicht raus.″  Während sich Ulrich um die Umsetzung seiner klanglichen Vision kümmerte, gestaltete Ochs die graphische Bedienoberfläche des Erstlingswerks namens bx_digital. Außerdem nahm er sich parallel die Gestaltung der Hardware-Version bx1 vor.

Befruchtend auf die gemeinsame Arbeit wirkte sich schließlich die Mitwirkung von Paul Grütter aus, der 2006 gegen Ende seines Medientechniker-Studiums ein Praktikum bei Brainworx absolvierte und dann im Zuge seiner Diplomarbeit die VST- und RTAS-Version in C++ programmierte. Der befreundete Analog-Guru Roger Schult, mit eigener Firma für Audiotechnik (ESC-Erftstadt) versehen, nahm sich schließlich der Hardware an und erledigte sie in feinster Handarbeit. Kurz darauf gingen die Brainworker eine Kooperation mit der schwedischen Firma Softube ein, die seitdem für die Programmierung der TDM-Version zuständig ist. Last not least konnten die zielstrebigen Underdogs den amerikanischen Hersteller Digidesign von ihren Ideen überzeugen und kamen mit einem Enwickler-Deal von der NAMM-Show 2006 zurück.

Das getestete bx_digital-Plug-in in der VST-/RTAS-Version  ist im Online-Shop von Brainworx unter www.brainworx-music.de als Download für 498 Euro und als CD-Rom-Variante für 539 Euro erhältlich. Es besteht aus zwei Modulen, dem Modus-Equalizer bx1 sowie dem Image-Shifter und De-Esser bx2. Zusammen sind sie fürs Mastering oder beim Mischen zur Klanggestaltung von Stereosignalen oder Subgruppen konzipiert. Die Besonderheiten des fünfbandigen Equalizers sind drei unterschiedliche Betriebs-Modi und die implementierte M/S-Technik. Im Dual-Mono-Modus arbeitet das Plug-in wie ein herkömmlicher Stereo-Equalizer, der M/S-Mastering Mode splittet das Stereosignal durch Summen- und Differenzbildung in ein „virtuelles“ Mitten- und Seitensignal auf. Diese Signale lassen sich unabhängig voneinander manipulieren, bevor sie, durch die interne M/S-Matrix gewandelt, wieder als Stereosumme ausgegeben werden. Der M/S-Recording-Modus verarbeitet die durch M/S-Mikrofonierung gelieferten Seiten- und Mittensignale. In dieser Betriebsart wird der Encoderl des M/S Mastering-Modus übersprungen, ansonsten bleibt die Funktionalität gleich.

Der Equalizer stellt für jeden Kanal – links, rechts oder Mitte-Seite – fünf vollparametrische Bänder zur Verfügung. Diese können über einen Lautstärke-, einen Frequenz- und den Güteregler manipuliert werden. Die jeweilige Gain  lässt  sich um zwölf Dezibel anheben oder dämpfen; die Güte von einem sehr schmalen Frequenzbereich (Notchfilter) bis zu einem breiten Glockenflter fließend aufspannen. Damit eignen sich die Filter sowohl zur punktgenauen Eliminierung störender Frequenzen, als auch zur behutsamen Editierung beliebiger Frequenzbereiche. Die Filtercharakteristik der beiden Außenbänder lässt sich zusätzlich auf Low- oder High-Shelf einstellen, die Bänder 2 und 4 können jeweils auch als Lo-Pass und Hi-Pass arbeiten.

Die Frequenzbereiche der  einzelnen Bänder überlappen sich stark, so dass sehr extreme Einstellungen möglich sind, aber vor allem jeder Bereich des Frequenzspektrums optimal bearbeitet werden kann. Band eins und zwei (LF und LMF) reichen jeweils von 20 Hertz bis ein Kilohertz. Band drei (MF) ist für die Mittenfrequenzen gedacht, erstreckt sich aber von 20 Hertz bis 20 Kilohertz. Die Bänder vier und fünf (HMF, HF) agieren von jeweils 400 Hertz bis 20 Kilohertz. Besonders praktische an den beiden Filtersektionen ist das optionale Verlinken der einzelnen Frequenzbänder. Gerade im Stereobetrieb ist damit eine identische Bearbeitung der beiden Kanäle gewährleistet. Für die Bearbeitung im M/S-Mastering- und M/S-Recording-Modus können Mitten- und Seiten-Signal sinnvoller weise separat angepasst werden. Über die Tastatur sind alle Werte auch alphanumerisch einzustellen. Das hat den Vorteil, bei Bedarf schnell und sehr genau Änderungen vornehmen zu können. Komfortabeler wären jedoch zusätzliche Bypass-Knöpfe für die einzelnen Frequenzbänder und die Möglichkeit, Einstellungen durch Veränderungen in den übersichtlichen grafischen Kurvendarstellungen vornehmen zu können.

Inmitten des übersichtlichen GUI2 befindet  sich die I/O-Sektion. Ein- und Ausgangspegelregler für beide Kanäle ermöglichen im Stereomodus das Ausbalancieren von Mixen, deren Stereopanorama unausgewogen ist. In den beiden M/S-Modi kann über das Verhältnis zwischen der Lautstärke des Mitten- und Seitensignals die Stereo-Basisbreite verändert werden. Dreht man den Raumanteil des Seitensignals heraus, bleibt einzig das direkte Monosignal der Mitte übrig. Im umgekehrten Fall verschwindet das Mittensignal und nur die Seiteninformationen sind zu hören.

Unter dem Drehregler für die drei Betriebsmodi befinden sich vier Funktions-Buttons. Mitten- und Seitensignal, respektive rechter und linker Kanal, lassen sich einzeln abhören und nach Belieben verändern. Dabei ist jeweils auf dem rechten und linken Monitor ein in der Phase korrigiertes Monosignal zu hören.  Außerdem ist der ganze Equalizer aus dem Signalweg verbannt, wenn der EQ-On/Off-Button gedrückt ist. Das bedeutet aber nicht, dass sich das ganze Plug-in im Bypass-Modus befindet: der De-Esser, der Mono-Maker und die I/O-Sektion behalten ihre Wirksamkeit. Um das Original mit den veränderten Signalen zu vergleichen, muss das Plug-in im jeweiligen Sequenzer ausgeschaltet werden. In Cubase und Pro Tools ist der Bypass-Button in die Plug-in-Fenster integriert, bei Samplitude bleibt allerdings der Umweg über das Plugin-Menü nicht aus. Das ist etwas unglücklich gelöst, denn gerade beim Mastern sind schnelle A/B-Vergleiche wichtig und nicht jeder benutzt dabei Pro Tools oder Cubase. Ergo wäre eine Implementierung in das Plug-in besser.

as bx2-Modul bietet für beide Kanäle je einen Bass- und Presence-Shift. Es handelt sich dabei um Niveaufilter, die einen bestimmten Frequenzbereich betonen und gleichzeitig einen anderen dämpfen. Beispiel: Die Bässe lassen sich intelligent betonen, indem der Bass-Shiftregler vorsichtig im Uhrzeigersinn bewegt wird. Dabei erscheinen die Bassfreuquenzen unterhalb von zirka 80 Hertz (Centerfrequenz) zunehmend betont, während die tiefen Mitten oberhalb dieser Marke gedämpft werden. Die grafische Darstellung des Frequenzganges sieht im Bassbereich aus, wie ein auf den Rücken gefallenes S. Wird derselbe Regler gegen den Uhrzeigersinn bewegt werden die Bässe gedämpft und die Mitten angehoben. Gleiches gilt für den Presence-Shift, der den Frequenzgang für die Höhen mit einer fixen Centerfrequenz von zirka sechs Kilohertz verbiegt. Es ändert sich also der Wirkungsgrad (± 12 dB), nicht aber der jeweilige Frequenzbereich.

Der integrierte De-Esser dient dazu, Zischlaute einzelner Signale oder aus dem kompletten Mix zu entschärfen. Dieser dynamische EQ wirkt auf einstellbare Frequenzen zwischen 4,5 und 20 Kilohertz, wobei der Threshold-Regler bestimmt, ab welchem Pegel die gewählte Frequenz komprimiert wird. Positiv ist, dass sich die herausgefilterten Signalanteile auch solo abhören lassen. Verfechter von Feinjustierungsmöglichkeiten kommen allerdings etwas zu kurz, da sich weder Güte, noch Attack- oder Release-Zeit sowie die Ratio einstellen lassen.

Ein Bonbon des bx_digital ist der Mono-Maker des bx2-Moduls. Dieser monoisiert Bassfrequenzen von 20 bis 400 Hertz, egal ob im Dualmono- oder M/S-Modus gearbeitet wird. Das Verfahren sieht so aus, dass Bassfrequenzen aus dem Seiten-Signal herausgeschnitten und dem Mitten-Signal unter Einsatz eines speziellen Shelf-Filters zugefügt werden: copy and paste. Dadurch verliert das Signal die tiefen Frequenzen nicht etwa, sondern verlagert sie dahin, wo sie hingehören, in die Mitte. Für das Erstellen von Masterings für Vinyl-Produktionen gerade bei elektronischer Club-Musik, ist dies ein praktisches Feature, da beim Schneiden des Vinylmasters die Nadel ansonsten bei Phasenfehlern im Bassbereich aus der Rille springen kann. Außerdem bietet sich der Mono-Maker an, um Bassdrum und Bass in einem Mix kompakter zu bekommen – und das auf allen Lautsprechern, die je nach Location unter Missachtung jeglicher Anordnungsregeln schon mal willkürlich im Raum verteilt sein können. Vorsicht ist bei zu extremen Einstellungen des Mono-Makers geboten, da sich die Stereo-Basisbreite zunehmend verengt.  

Über einen i-Lok-Key3 ist das Plug-in nach unkompliziertem Download schnell freigeschaltet. Wir binden das bx-digital-Plug-in exemplarisch unter Samplitude 9 und Cubase SX3 ein. Samplitude zeigt sich völlig unproblematisch. In Cubase müssen wir ein wenig mit der Latenzzeit jonglieren, um auch bei offener GUI und laufender Automation knackfreie Stabilität zu erreichen. Bei zehn Millisekunden gibt es keine Probleme mehr, allerdings kann die erhöhte Latenz für Aufnahmen, bei denen das Plug-in in Echtzeit funktionieren sollte, störend sein. Brainworx versichert uns auf Nachfrage, dass dieser Schönheitsfehler mit dem nächsten Update behoben wird und dass die Kompatibilität mit allen Programmen, die VST- oder RTAS-Schnittstellen unterstützen, sichergestellt ist. Für den Test bearbeiten wir einen Track von der MTV-Unplugged-CD und eine mehrspurige Schlagzeug-Aufnahme.

Das bx_digital klingt neutral und fein auflösend. Hörbare klangliche Veränderungen ergeben sich nur durch die zahlreichen Manipulationsmöglichkeiten. Im Stereomodus wirken die Bänder sehr effektiv und ermöglichen dezente Klangverdelungen, aber auch Korrekturen sehr enger Frequenzbereiche. Durch die Link-Funktion werden beide Kanäle identisch behandelt, was die Justage sehr komfortabel macht.  Die scharfe Stimme lässt sich mit Hilfe des De-Essers effektiv glätten, die Einbußen durch geschickte Filtereinstellungen korrigieren. Sehr erfreulich sind  der Bass- und Presence-Shift. Bei vorsichtigem Einsatz wirkt das Signal in den Bässen kompakter und knackig frisch in den Höhen, ohne dabei zu dröhnen oder spitz und kühl zu klingen. Die überlappenden Frequenzbänder sind praktische Helfer fürs kreative Sounddesign.

Für die Bearbeitung der Schlagzeugaufnahme schalten wir in den M/S-Recording Modus. Das tieffrequente Rumpeln im S-Signal verringern wir deutlich, indem wir zunächst das Seitensignal alleine abhören, dann die störende Frequenz ausfindig machen und herausfiltern. Das Klangbild hat sich nur geringfügig geändert als wir uns die Stereosumme wieder anhören, aber das enervierende Geräusch ist verschwunden. Um den schlappen Bassdrum-Sound zu optimieren, drehen wir den Bass-Shiftregler auf zwölf Uhr. Der Klang wird druckvoller und das Anschlagsgeräusch knackiger.

Dann experimentieren wir mit dem Verhältnis der Lautstärke von Seiten- und Mittensignal. Die Stereo-Basisbreite lässt sich deutlich erweitern, indem das Seitensignal angehoben wird. Ein Absenken des Pegels führt zur Verengung. Wir wählen eine breite Einstellung, stellen dabei allerdings den Verlust der Stereomitte fest – Bassdrum und Bass wirken diffus. Der Mono-Maker bekommt das in den Griff. Wir stellen den Regler auf 150 Hertz  und bekommen unsere Mittenorientierung zurück. Zudem klingen die tiefen Frequenzen wesentlich kompakter. Da uns die Zischgeräusche der Overheads stören, setzen wir den De-Esser für das Mittensignal ein. Das Seitensignal frischen wir mit einer Prise Presence-Shift auf und erhalten schließlich ein sehr ausgewogenes Ergebnis. Der Vergleich mit dem Ausgangssignal zeigt die Wirksamkeit des Plug-ins. Das Drumset wirkt wesentlich offener und ausgewogener, in den Bässen kompakt und entspannt in den oberen Mitten und Höhen.

Fazit

Das Plug-in bx_digital von Brainworx ist ein wirksames Mastering-Tool, das sich besonders durch die integrierte M/S-Funktion, die als Niveaufilter konzipierten Bass- und Presence-Shifter und den Mono-Maker auszeichnet. Das bedienerfreundliche GUI bietet in einem Fenster intuitiv verständlich einen fünfbandigen Modus-Equalizer mit Zusatzzahl, der sich hervorragend zum mastern und mischen von Subgruppen eignet. Ein in die Bedienoberfläche integrierter Bypass-Button wäre für die Chancengleichheit aller Sequenzer-Benutzer wünschenswert, aber ansonsten bietet das bx_digital eine innovative Lösung zur vielseitigen Klanggestaltung, womit der Preis von knapp 500 Euro in jedem Fall gerechtfertigt ist.

Erschienen in Ausgabe 06/2007

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 498 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut