Dynamite Deluxe
Seit uns Slate Digital mit ihrem Virtual Mix Rack verzückt haben, ist aus der kalifornischen Software-Schmiede so manches Zusatzmodul für das virtuelle 500er-Kistchen hervorgegangen. Ganz vorne sind in Sachen Klangfärbung die brandneue Virtual Preamp Collection und der kürzlich erschienene Spezial-Enhancer FG Bomber mit dabei, welche alleine sowie im Team jede Menge Vintage-Potential verheißen.
Von Johannes Dicke
Obertöne, Verzerrungen, Bandsättigungseffekte, Kompression oder schlichtweg „Mojo“ – das sind die Stoffe, aus denen Producer-Träume gemacht sind. Modellbezeichnungen, wie 1176, LA-2A, U47 oder C12 lassen die Herzen von Studio-Enthusiasten höher schlagen und bürgen dafür, dass durchlaufende Signale nach mehr klingen und just mit der richtigen Dosis gewissen Etwas versehen werden. Doch in der Regel ist bei derart begehrten Antikschätzchen zuallererst der Preis mitunter außerordentlich heiß. Wie gut, dass an dieser Stelle Software-Entwickler wie Slate Digital ins Spiel kommen, die sich unter anderem der Emulation oben genannter Vintage-Hardware verschrieben haben. Mit ihren jüngsten Sprößlingen für das Virtual Mix Rack (siehe Test in Heft 3/2015) wollen die Kalifornier abermals Obertonjünger und Fatness-Anhänger beglücken. Die Virtual Preamp Collection soll nun die Farbqualitäten der klassischen Vorverstärkerkassetten Neve 1073 und TAB V76 in die heimische DAW bringen, dicht gefolgt vom bereits zuvor veröffentlichten Dynamic Impact Enhancer FG Bomber, der – soviel sei bereits an dieser Stelle verraten – eine Kombination ist aus Transienten Shaping und dynamischer Klangfärbung. Zu haben sind die beiden Klangformer-Tools im Falle der Virtual Preamp Collection für rund 140 Euro, beim FG Bomber beträgt der Kaufpreis knapp 90 Euro. Alternativ dazu kann auf der Herstellerseite auch gleich in ein komplettes Rundum-Sorglos-Paket investiert werden, welches unter dem Schlagwort „Annual Everything Bundle“ das gesamte Plug-In-Programm zum jährlichen Abopreis von 300 Dollar beinhaltet.
Drei Module für ein Halleluja
Wie in einer Aufnahmekette spielen auch bei uns die beiden virtuellen Preamps und ihre berühmten Vorbilder ganz vorne mit. Der erste im Bunde, der Neve 1073 dürfte den allermeisten Lesern hinlänglich bekannt sein. 1970 wurde der transistorisierte Universal-Vorverstärker in Großbritannien von Ingenieurslegende Rupert Neve entwickelt. Ob seines vollen Sounds wurde er in der Folge zu einem der beliebtesten Mikrofon-Vorverstärker und ist es bis heute. Unser zweiter Kandidat TAB V76 ist ebenfalls ein Klassiker, allerdings mit spezieller Historie. Installationstechnisch ist die V76 zunächst ebenso wie der 1073 eine Kassettenbaustelle, diesmal allerdings in Röhrenbauweise und noch einmal knapp zehn Jahre älter. Anfang der 1950er Jahre war vom Institut für Rundfunktechnik (IRT) in Kooperation mit dem damaligen NWDR zunächst der V72 entwickelt worden. Als neuer Aufholverstärker war er in seinerzeit standardmäßigen Danner-Kassettengehäusen zur Nutzung in den damals im Funk verwendeten Modular-Rack-Systemen verbaut. Da sich seine fest eingestellte Verstärkung von +34 Dezibeln speziell für die Nutzung als Mikrofon-Vorverstärker jedoch auf Dauer als unpraktisch erwies, wurde ein paar Jahre später in Gestalt des V76 nachgelegt. Unter anderem von Tonographie Apparatebau (TAB) in Wuppertal gebaut, besaß dieses Modell nun eine in Drei-Dezibelschritten gerastete Verstärkungsregelung sowie ein mehrgliedriges Input-Filter. Ob des erweiterten Funktionsumfangs fiel die 1958 eingeführte V76-Kassette im Gegensatz zu ihrer Vorreiterin allerdings doppelt so breit aus. Beliebt ist sie wie die V72 bis heute, jedoch nur zu mitunter horrenden Gebrauchtmarktpreisen zu erstehen. Grund genug also sich seitens Slate Digital der V76 anzunehmen, deren Plug-In-Nachbildung übrigens eine kleine Sensation darstellt. Wurden der Neve-Preamp nebst dazugehöriger EQ-Abteilung bereits vielfach in Soft- und Hardware-Form nachgebaut, ist unserem Wissen nach die Slate´sche Emulation des TAB-Vorverstärkers die bislang einzige auf dem Markt. Bedientechnisch gestalten sich beide Module im weitesten Sinne originalgetreu und simpel. Jeweils ein Drive-Poti zur Befeuerung der virtuellen Verstärkerschaltung ist an Bord, nebst Ausgangspegeltrimmung, Phasenumkehrfunktion und einer Clipping-Diode. Lediglich am FG-76 ist der Drive-Regler nicht wie beim FG-73 stufenlos, sondern je nach Gain-Wert in unterschiedlich großen Schritten gerastet – das war´s dann auch schon. Unser dritter Test-Kandidat FG Bomber hat im Gegensatz zu seinen beiden Vorreitern kein explizites Einzelgerät zum Vorbild, sondern vielmehr eine ganze Reihe positiver Eigenschaften unter anderem von klassisch-analogen Signalprozessoren. Hinter dem offiziell betitelten Dynamic Impact Enhancer, werkelt laut Slate Digital eine Mischung aus Transienten-Expander, Kompressor, EQ und Obertonprozessor. Was sich allerdings genau in Sachen Processing-Algorithmen hinter dem schicken GUI und seinen Einstellmöglichkeiten verbirgt, ist wie schon beim Vintage-Prozessor Revival streng geheim. Auch der Bomber wartet mit einem Drive-Poti zwecks Algorithmusbefeuerung sowie einer unter „Intensity“ laufenden Dry/Wet-Funktion und einem Output-Regler für finales Pegelfeintuning auf. Anschließend bestimmt ein dreistufiger Tone-Wahlschalter mit den Auswahloptionen Present, Fat oder Tight welches interne Programm seine Arbeit aufnehmen soll. Last but not least informiert ein spezielles VU-Meter mit höchsteigenen Ablesemodalitäten über die eingestellte Processing-Ladung. Mehr dazu gleich noch.
Virtual Preamp Collection: Dezentes Vintage-Flair
In der Mixpraxis nehmen wir zunächst die Virtual Preamp Collection auf Vocals in Ohrenschein, genau wie auch die beiden Originale allzuoft für derartige Zwecke bevorzugt werden. Beim Einpegeln stellen wir bald fest, dass an beiden Modellen ganz bewusst mit der Übersteuerungsgrenze gearbeitet werden muss, um wirklich hörbare Effekte zu erzielen. Mitunter entscheidend ist es dabei, genau den richtigen Aussteuerungspunkt zu treffen, wobei die Clipping-Leuchte wertvolle Dienste leistet und durchaus auch mal hell aufleuchten darf. Ist einmal der passende Punkt genau unterhalb zu unangenehmer Verzerrungen gefunden, klingt die Stimme unserer Sängerin mit dem FG-73 ein gutes Stück obertöniger und voller, vor allem in den Mitten leicht gefärbt und schlichtweg besser. Um im Anschluß beim FG-76 zur gewünscht exakten Einstellung zu gelangen, müssen wir erst einmal ein zusätzliches Werkzeug bemühen. Ob der unterschiedlich groben Rastung des Drive-Potis lässt sich die perfekte Pegel-Justage am besten mithilfe des kostenlosen Zusatzmoduls Trimmer erreichen, welches wir vor dem V76-Nachbau zusätzlich ins Mix Rack laden. Der Grund: Unsere Aufnahmen liefern bei +34 Dezibeln Verstärkung noch nicht ganz den benötigten Schub, um in die gewünschte Aussteuerungszone zu gelangen. Drehen wir jedoch einen Schritt weiter bis auf +40 Dezibel wird die emulierte Röhrenschaltung bereits wieder ein Stück weit zu stark angefahren. Um genau am ersehnten Sweet Spot zu landen hilft uns nun der Trimmer mit nur drei anstatt den FG-76-internen sechs Dezibeln in diesem Rastungsabschnitt. Sogleich beschert der V76-Nachbau ein in puncto Obertönen ganz ähnliches Bild wie sein Vorreiter. Will heißen, dass es auch damit einfach besser klingt, jedoch nicht ganz so ausgeprägt und diesmal mit leichter Frische oben herum. Ein weiterer Unterschied zum Neve ist auch ein drastischeres Verzerrungsverhalten, denn wo der FG-73 noch vergleichsweise cremig agiert, klingt es beim FG-76 bereits ein wenig schrill und zualledem auch ein wenig rascher. Apropos Verzerrung: Selbstverständlich lassen sich beide Preamps auch als Gitarrenverstärker missbrauchen und beweisen eindrucksvoll, dass das durchaus eine fette Alternative zu den üblichen Verdächtigen auf diesem Sektor sein kann. Das passende Signal entlocken wir der Real LPC von MusicLabs, einer klasse abgesampleten Les Paul Custom, die wir zuerst mit einem Trimmer auf den notwendigen, heißen Arbeitspegel von +12 Dezibel bringen. Anschließend geht´s dann ab durch eine FG-73-Instanz und gleich dahinter nochmal durch einen FG-76. Den 1073 drehen wir an beiden Reglern voll auf, belassen jedoch am nachfolgenden V76 den Output-Trim in Neutralstellung. Das Drive-Poti können wir allerdings lediglich bis auf +64 Dezibel aufreißen – mehr geht nicht, da sonst die virtuellen Röhren kurzzeitig ihre Dienste quittieren. Als Ergebnis erhalten wir einen schön fetten, cremig-breiten E-Gitarren-Sound, den Jimi Hendrix, Black Sabbath & Co sicherlich nicht verschmäht hätten.
FG Bomber: Geballte Ladung Mojo
Nachdem FG-73 und -76 unsere Signale mit Obertönen verschönert haben, kommt nun der FG Bomber ins Spiel. Diesen laden wir zum ersten Kennenlernen zunächst alleine auf ein Drum Kit aus Native Instruments Studio Drummer und hören, was er damit anzustellen vermag. Zur ersten Einstellung verhilft wie bereits eingangs angedeutet die ganz eigene Funktionsweise des Spezial-VU-Meters, welches dazu dient, parallel zum Höreindruck auch visuelle Informationen darüber zu erhalten, was der Bomber gerade mit dem durchlaufenden Material anstellt. Dabei dient das kleine Bombensymbol in der Anzeigenmitte als Richtmarke. Sie markiert den Punkt, an dem das Eingangssignal genau den richtigen Wumms von der virtuellen Schaltung mit auf den Weg bekommt. Genauer gesagt ist bei geschlossenem Drive-Poti nur eine – wie wir vermuten – fest eingestellte EQ-Aufhübschung des angewählten Tone-Modus hörbar. Je weiter dann via Drive aufgedreht wird, desto mehr greift zusätzlich das jeweilige Dynamikprogramm und verstärkt auf unterschiedliche Art und Weise den Transienten-Punch – wie, werden wir gleich sehen. Nachdem wir in die Funktionalität des Bombers eingestiegen sind, öffnen wir den Intensity-Regler zwecks maximalem Effekt vollständig, drücken auf Play und justieren im Present-Modus den Drive-Regler, bis die Nadel im Bereich der Bombenmitte tanzt. Im Ergebnis werden alle Bassdrum- und Snare-Schläge unseres Backbeats stark angehoben und haben auf einmal einen Wahnsinns Punch. Die Umschaltung von Present auf Fat ergibt hingegen eine dumpfere Kickdrum und die Becken kommen weniger stark durch, die Snare ebenfalls, jedoch nicht so auffällig, wie im Falle der Overheads. Zudem wirkt es so, als ob in diesem Modus der Dynamik-Algorithmus das Signal am längsten unten hält und so ganz eigen atmen kann. Ein weiterer Dreh auf Tight reduziert abermals die durchgelassene Beckenlänge, rückt jedoch die Kick weiter in den Vordergrund und gestaltet den kompletten Dynamikverlauf insgesamt knackiger. Generell fällt dabei auf, dass, ganz gleich in welchem Modus der Bomber gerade arbeitet, das durchlaufende Signal stets einfach besser, größer und aufregender klingt. Entscheidend ist nun der Intensity-Wert. Wenn er im jeweiligen Modus wieder zurückgenommen wird, bietet sich ein ähnlicher Effekt, wie bei einer Parallelkompression, gepaart mit dem gerade genannten Larger-Than-Life-Effekt in entsprechender Dosierung. Anders ausgedrückt: Das mit dem Bomber bearbeitete Material klingt so, als ob es eine komplette analoge Signalkette aus 1176, Pultec und Konsorten durchlaufen hätte – Chapeau. Last but not least probieren wir den Bomber auch noch bei der Summenbearbeitung aus, für die er sich ob seines Processing-Mehrwerts ebenfalls hervorragend anbietet. Ein grooviger Vierviertel-Dance-Track dient uns dazu als Testmaterial. Damit wir den passendsten der drei Processing-Modi bestmöglich identifizieren können, wird das Drive-Poti wie gehabt auf die VU-Anschlagmitte eingepegelt und der Intensity-Regler abermals voll aufgedreht. Wir entscheiden uns schließlich für den Fat-Modus, der die Bassdrum größtenteils durchlässt und sozusagen „drumherum“ arbeitet. Der gesamte Rest gewinnt sogleich stark an Lautheit, Durchsetzungsvermögen und Präsenz, einige Obertöne inklusive. Selbstverständlich ist das jedoch in dieser Extremeinstellung noch einige Etagen zuviel des Guten und wirkt insgesamt doch allzu matschig, weswegen wir den Intensity-Wert letztlich bis auf etwa 30 Prozent zurückfahren. Nun wirkt alles viel mehr wie aus einem Guss und wie mit dem berühmten „Glue“-Effekt von Bus-Kompressoren versehen. Kleine Details sind dezent in den Vordergrund gerückt und alles klingt ein Stück weit dreidimensionaler, kurzum dezent besser.
Perfekte Kombination
Nachdem uns auch der FG Bomber mit seinem praktischen, mutmaßlichen mehrfach-Processing überzeugt hat, geht´s zu guter Letzt im Teamwork mit den Virtual Preamps in obertönige Gefilde. Zu diesem Zweck bemühen wir abermals unsere Backbeat-Drums, die uns bereits im ersten Durchlauf so gut gefallen haben. Zusätzlich probieren wir nun die beiden Vorverstärkermodule davor und dahinter aus. Dabei bieten sich diverse Kombinationsmöglichkeiten an, von denen es uns zwei besonders angetan haben. Zuallererst belassen wir den Bomber in bereits ermittelter Einstellung und fügen davor zunächst den 1073-Preamp, gefolgt vom V76 ein. Beide werden wie bereits bei der Vocal-Justage so eingestellt, dass es nicht unangenehm zerrt. Dadurch wird dem Schlagzeug seitens des FG-73 mehr vintage-artiger Punch beigebracht und anschließend vom FG-76 mit etwas leichter Frische zusätzlich aufgepeppt. Das so präparierte Signal bietet dann unserem Dynamik-Enhancer ein nochmals fetteres Ausgangsmaterial. Kurzum: Alles klingt nochmals spürbarer nach Vintage-Processing und gerade so, als ob der Drummer in den 1960er oder 70er Jahren aufgenommen worden wäre. Wer indes noch mehr oldschooligen Verstärker-Punch insbesondere auf der Bassdrum haben möchte, dem empfiehlt sich Variante Nummer zwei. Darin insertieren wir einen FG-73 hinter anstatt vor dem FG Bomber und drehen den Intensity-Knopf noch ein Stück weiter bis auf Dreiviertel auf, so dass insbesondere mehr Kickdrum-Transienten an die Neve-Emulation weitergegeben werden. Diesem geben wir anschließend noch eine Prise mehr Drive als noch in der Position vor dem Bomber für nochmals mehr Kick. Wer zudem noch eine kleine Portion Raum auf Becken und Konsorten haben möchte, der füge zum Schluß noch einen FG-76 mit +56 Dezibel Drive hinzu, fertig ist der Larger-Than-Life-Sound mit Vintage-Anstrich.
Fazit
Die neuen Preamp-Emulationen FG-73 und FG-76 ergeben zusammen mit dem Dynamik-Enhancer FG Bomber ein überaus charakterstarkes Team zur Klangformung mit Vintage-Touch. Mit den beiden Vorverstärker-Klassikern klingt das bearbeitete Signal bei geschlossenen Augen stets aufregender, vergleichbar mit Vocal-Aufnahmen, die durch einen Röhren-Preamp etwa von Tube-Tech, anstatt mit einem neutralen IC-Vorverstärker aufbereitet wurden. Der FG Bomber setzt dann dem Ganzen die Krone auf. Er fasst sozusagen mehrere Processing-Schritte in einen zusammen und bietet fix und fertiges Enhancement-Mojo für verschiedenste Einsatzzwecke. Summa summarum haben Slate Digital erneut erstklassige Plug-ins vorgelegt, die mitunter Einzigartiges leisten können und beileibe nicht die Welt kosten.
Erschienen in Ausgabe 03/2016
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 95
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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