Das sonische Trio

Die britische Mischpultschmiede SSL steht für hochwertigen Klang und Produkte der Referenzklasse. Die israelische Firma Waves ist jetzt mit dem SSL 4000 Bundle angetreten, um diesen Klang auf digitaler Ebene zu reproduzieren.    

Von Georg Berger

Die Erfolgsgeschichte von SSL (Solid State Logic) beginnt mit dem Mischpult SL 4000B Ende der siebziger Jahre. Es war das erste Mischpult, das sowohl Kompressoren in jedem Kanalzug besaß, als auch schon einen Computer zur Mischpultautomatisierung. Bekannt wurde auch der Summen Kompressor in der Mastersektion, der Endmixen den edlen Feinschliff gab. Im Laufe der Jahre wurde die 4000er Serie, sowie deren Komponenten, stetig weiterentwickelt. Außer der B-Serie gibt es bis heute eine E- und eine G–Serie. Das aktuellste Modell ist das SL 4000G+. Die klanglichen Vorzüge dieser Mischpultserie sprachen sich sehr schnell herum. Über 3000 SSL-Pulte fanden bis heute Platz in professionellen Tonstudios weltweit und der Klang dieser Pulte ist heute noch immer in vielen, weltweiten Nummer eins Hits zu bewundern. Aufnahmen bekommen nach Meinung der Toningenieure durch den rein analogen Aufbau dieser Pulte einen typisch warmen, angenehmen, kompakten, aber gleichzeitig auch brillanten Klang, den sie sich wünschen
 
In einer einjährigen Sysiphusarbeit  hat der israelische Audio-Software-Spezialist Waves in Zusammenarbeit mit SSL den Klang der 400er-Pulte en detail analysiert. Das Ziel war, diesen Klang möglichst naturgetreu in Software-Plug-ins zu simulieren, die dann in jeden Sequenzer eingebunden werden können. Das Resultat sind drei Plug-ins, die jetzt als Bundle für knapp 990 Euro zu kaufen sind (Die TDM-Plug-in Version für das Pro Tools System kostet knapp 1980 Euro).
An die E–Serie angelehnt, enthält das
E-Channel Plug-in den so genannten Black Knob–Equalizer, sowie eine Dynamiksektion, bestehend aus Kompressor und einem Expander beziehungsweise Noise Gate, die sich im Original in den Kanalzügen wieder finden. Primärer Einsatzzweck dieses Plug-ins ist das Bearbeiten von Einzelspuren. Die anderen beiden Plug-ins sind der G-Serie nachempfunden, die den erwähnten Summen Kompressor und den Equalizer EQ 292 nachbilden. Letzterer weist im Vergleich zum Black Knob Equalizer eine unterschiedliche Verstärkung und Auslegung der Filterfrequenzen auf. Der Summenkompressor empfiehlt sich für den Einsatz beim Mastern eines Mixes. Er lässt sich  auch hervorragend zur Bearbeitung von Einzelspuren einsetzen. Der Equalizer hingegen ist für jeden Einsatzzweck im Produktionsprozess einsetzbar.

Alle drei Plug-ins enthalten die sogenannte Waves System Bar am oberen Ende des Plug-in Fensters, die es außer den üblichen Dateifunktionen gestattet, zwei separate Einstellungen des jeweiligen Effektes zu erstellen und per Knopfdruck miteinander zu vergleichen und zu kopieren. Äußerlich mögen diese Plug-ins auf den ersten Blick nicht viel her machen. Doch primär geht es wie immer bei Professional audio Magazin um das, was unter der Oberfläche schlummert.

Bevor wir uns mit den Einstellmöglichkeiten und den damit verbundenen klanglichen Auswirkungen beschäftigen, interessiert uns während des Tests natürlich als erstes, wie sich der digital simulierte analoge Grundklang anhört – ohne zusätzliche Beeinflussungen. Die Plug-ins werden in Cubase SX3 eingebunden und sämtliche Regler und Schalter für Equalizer etc. in neutrale Stellung gebracht, so dass keine weitere Signalbearbeitung stattfinden kann. Durch simples An- und Ausschalten des Plug-ins lässt sich dann sehr einfach vergleichen. Selbstverständlich achten wir dabei pingelig genau auf präzises Angleichen der Lautstärke zwischen Original- und Plug-in-Signal. Schon dieser erste Vergleich lässt aufhorchen: Der als warm beschriebene analoge Klang springt einen sofort an. Dabei gibt es kein Rätselraten. Beispielsweise die Violine in Paganinis Sonaten-Konzert (Burmester Vorführungs CD III), klingt ohne Einfluss der SSL-Plug-ins zwar sauber, transparent und klar. Bei aktivierten Plug-ins im Signalweg erhält diese Violine zusätzlich eine hörbare Wärme und Seidigkeit

 Die Violine hat einfach mehr Körper. Außerdem schiebt sich das Instrument mehr in den Vordergrund. Das selbe Ergebnis auch beim Abhören elektronischer Musikstücke, die eher unterkühlt klingen: Plötzlich kommt die Instrumente voller, voluminöser und auch angenehmer. Der Hörgenuss steigert sich. Alleine schon für diese positiv Klang färbende Eigenschaft der Plug-ins gebührt den Entwicklern von Waves ein hohes Lob.
In diesem Zusammenhang testen wir auch die in jedem Plug-in vorhandene schaltbare Analog-Funktion, deren Sinn und Zweck zumindest den Professional audio Testern nicht ganz klar ist. Trotz vieler Testdurchläufe und mehrfachem Hörvergleich über die Adam S3A Monitore, die Tannoy 8D (siehe Test Seite xx), die das Signal über den SPL MTC 2381 Monitor-Controller und den Apogee Rosetta 200 als Wandler bekommen, ist selbst nach langen internen Diskussionen kein eindeutig reproduzierbarer Unterschied festzustellen. Mitunter haben einige Tester den Eindruck, dass das eiune oder andere Instrument eine Winzigkeit mehr Körper erhält. Unabhängig  davon, die ersten überaus positiven klanglichen Eindrücke machen neugierig auf die Bearbeitungsmöglichkeiten der einzelnen Plug-ins.

Im Gegensatz zum Original sind aus Übersichtlichkeitsgründen in diesem Plug-in der Equalizer und die Dynamiksektion nebeneinander angeordnet worden. Auffällig am Equalizer sind die beiden Hoch- und Tiefpass-Regler, die jeweils eine feste Verstärkung besitzen (Hochpass 12 dB/Oktave, Tiefpass 18 dB/Oktave). Die Regler selbst gestatten die Auswahl der Einsatzfrequenz. Der beigeordnete Split-Taster erlaubt die Verschaltung dieser Filter entweder vor oder nach der Dynamik-Sektion.
Die semi–parametrischen Höhen– und Tiefenbänder lassen sich von Kuhschwanz– auf Glockencharakteristik umschalten. Die beiden Mittenbänder hingegen gestatten, die Filtergüte kontinuierlich zu verändern.
Die Kompressor–  und Expander Sektion – letztere auch als Noise Gate einsetzbar – lässt einen separaten Attack-Regler vermissen. Anstelle dessen findet sich ein Schalter, der eine so genannte Fast Attack Funktion aktiviert und einen festen Wert von einer Millisekunde besitzt. Ist dieser deaktiviert reagiert das Attack abhängig vom eingespeisten Signal.
Im Zentrum dieses Plug-ins steht die Möglichkeit der flexiblen Verschaltung von Equalizer, Filter und Dynamik-Komponenten. Die EQ to-Sektion gestattet sowohl die Aktivierung, als auch die Einspeisung des Equalizers in den Sidechain des Kompressors (siehe Kompressor-Workshop auf Seite auf Seite 102). Die Dyn to-Sektion erlaubt es, das Signal des Kompressors auf pre- oder post- Equalizer zu schalten. In Verbindung mit der Split–Funktion des Filters sind damit unterschiedliche Signalflüsse möglich. So lassen sich Equalizer und Filter unabhängig voneinander entweder vor, hinter oder in den Sidechain des Kompressors schalten.

Im Test wurde das E-Channel Plug-in sowohl als Effekt für eine Einzelspur, als auch zum Mastern eines Gesamtmixes eingesetzt. Der Equalizer arbeitet kraftvoll und vermag aus Aufnahmen, die als ordentlich angesehen werden können, zusätzliches Potenzial herauszuholen. Von samtig-weich bis aggressiv-spitz lassen sich mit den vier Bändern und den beiden Filtern mannigfaltige Charakteristiken herausschälen. Er empfiehlt sich somit als Werkzeug fürs Sound-Design. Ihn lediglich als Werkzeug zur Frequenz-Korrektur einzusetzen, wäre, Perlen vor die Säue zu werfen. Die Einbindung des Equalizers in den Sidechain des Kompressors erweitert die Klangmöglichkeiten zusätzlich. Die Dynamiksektion ist erstaunlich fehlertolerant und fängt erst in Extrempositionen an, negative Wirkung in Form von pumpenden und flatternden Lautstärke- Änderungen zu zeigen.
Ein Drumspur erhält mit entsprechenden Einstellungen von Equalizer und Kompressor deutlich mehr Druck, in Extrempositionen klingt sie mitunter sogar richtig böse und aggressiv bis hin zur starken Verzerrung, ähnlich der eines übersteuerten Gitarrenverstärkers. Eher dämpfende  Einstellungen lässt sie zum anderen zart und zerbrechlich klingen. Solche vielgestaltigen Ergebnisse aus nur einem Plug-in mit überschaubaren Funktionen zu erhalten, ist wirklich erstaunlich. Dem Nutzer wird drastisch vor Augen beziehungsweise Ohren geführt, was sich mit diesen Komponenten alles anstellen lässt. Ähnlich einem Bildhauer, der mit seinem Hammer und unzähligen Meißeln eine Skulptur erstellt, erlaubt dieses Plug-in, detaillierte Nuancen aus Signalen herauszuarbeiten.  

Im Vergleich zum E–Channel zeigt sich der Summen Kompressor nicht ganz so umfangreich ausgestattet. Der erste Blick trifft sofort auf die VU-Meter Anzeige, die den Grad der Kompression anzeigt. Drei Regler – Threshold, Make up, Fade-S – lassen sich kontinuierlich verändern. Die anderen Regler – Attack, Release und Ratio – sind als Dreh-Schalter mit fest vorgegebenen Werten ausgeführt. Mehr braucht es aber auch nicht. Der etwas obskur mit Make up bezeichnete Regler erlaubt die Verstärkung des komprimierten Signals.

Ein besonderes Feature weist dieses Plug-in mit dem Fade-Taster und dazu beigeordnetem Rate-Regler auf. Ein erstmaliger Druck auf diesen Taster startet ein Fade out, dessen Länge mit dem Rate-Regler im Sekundenbereich eingestellt wird. Ein zweiter Druck startet ein Fade in. Ein dritter und letzter Druck auf diesen Taster schaltet die Funktion wieder aus. Es ist ein komfortables Feature, das den Tontechniker von der Last befreit, den Master-Fader bedienen zu müssen.
 
Im Vergleich zum Kompressor des E-Channel arbeitet der Summenkompressor etwas subtiler. Er rundet den Gesamtklang von Endmixen ab und verleiht ihnen zusätzlich Substanz. Raue und kantige Stellen werden abgerundet und Ungleichgewichte im Frequenzspektrum ausgeglichen. Um ein anderes Bild zu bemühen: Der G-Master Bus Compressor ist der glatte Verputz an einer vormals rauen Häuserwand.

Das dritte Plug-in dieses Bundles ist der  vierbandige G-Equalizer. Als Weiterentwicklung des Black Knob-Equalizers, der sich im E-Channel findet, ist er ähnlich ausgestattet. Es existiert nur ein Hochpassfilter, welches per Drucktaster aktivierbar ist. Höhen und Bässe  sind semi-parametrisch, jedoch ohne Wahlmöglichkeit der Kurvencharakteristik, ausgestattet. Haupt-Feature an diesem Equalizer Nachbau der G-Serie sind die Drucktaster der beiden Mittenbänder. Im unteren Mittenbereich wird bei Aktivierung die ausgewählte Einsatzfrequenz durch den Faktor drei geteilt. Bei einer gewählten Frequenz von 300Hz wird die Einsatzfrequenz also auf 100Hz gesenkt. Konträr dazu verhält sich diese Funktion im oberen Mittenband, die die gewählte Einsatzfrequenz mit dem Faktor drei multipliziert. Erwähnenswert ist der kleine Drucktaster über der LED-Kette. Beim Betätigen wird das anliegende Signal automatisch auf einen Ausgangspegel von -0,1 dB angehoben. Eine sinnvolle Funktion, wenn sich der Nutzer allzu sehr in die Tiefen des Sound–Designs begibt und dabei den Gesamtpegel des zu bearbeitenden Signals aus den Augen verliert.

Den Grundklang des G-Equalizers empfinden wir im Vergleich zu dem des E-Channel kraftvoller, direkter und aggressiver. Bei entsprechender Einstellung kann er Signale deutlich in den Vordergrund bringen. Eher schlappe Aufnahmen klingen plötzlich so, als ob sie direkt vor der Nase des Zuhörers stattfinden. Im Gegenzug vermag es dieser Equalizer aber auch ungleich drastischer, Signalen den Druck zu nehmen. Es ist sicherlich Geschmackssache, welcher der beiden Equalizer der besser klingende ist. Beide vermögen es, ungeahnte klangliche Facetten aus Aufnahmen herauszuholen.

Fazit

Die israelische Firma Waves gibt mit  diesen drei Plug-ins dem Nutzer sinnvolle Helfer an die Hand, um Aufnahmen und Mixe erheblich aufzuwerten und zu verändern. Die Entscheidung drei unabhängige Plug-ins zu erstellen, ist nicht nur in Sachen Komfort zu begrüßen, sondern auch hinsichtlich ihrer modularen Einsatzmöglichkeiten innerhalb eines Produktionsprozesses. Alleine schon der Grundklang dieser Plug-ins, der ohne weitere Klangbearbeitung Signale aufwertet, ist schon sein Geld wert.  Sicherlich mögen knapp 1000 Euro für drei Plug-ins auf den ersten Blick teuer erscheinen. Im Vergleich zu einem originalen SSL-Pult ist er jedoch weniger als nichts. Es wäre wünschenswert, wenn die drei Plug-ins, die nur gemeinsam in diesem Bundle erhältlich sind, auch einzeln zu einem etwas günstigeren Preis zu haben wären.

 

Erschienen in Ausgabe 07/2006

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 986 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut