Süchtigmacher

Mit dem jüngst vorgestellten Aphex Vintage Aural Exciter Plug-in hat die Software-Schmiede Waves einen Meilenstein der Tontechnik-Geschichte virtuell wieder aufleben lassen. Grund genug also, sich das Plug-in einmal näher anzuschauen. Was die Emulation leistet, worin ihr Reiz liegt und ob der Kauf lohnt, erfahren Sie im Test. 

Von Carina Schlage

Exciter gehören mit ihren Klang verbessernden Eigenschaften gewissermaßen zur Kategorie der gefährlichen Effekte. Gefährlich deshalb, weil sie, einmal in den Signalweg eingeschleift, dazu verleiten Schlagzeug, Gitarre und Co. unbemerkt zu viel des Guten angedeihen zu lassen. Denn nicht selten ist das richtige Maß beim Hinzufügen von Brillanz, Präsenz oder Vordergründigkeit rasch überschätzt. Wer schon einmal mit einem Exciter gearbeitet hat, kennt diesen Effekt: Im direkten Hörvergleich mit der unbearbeiteten Version erscheinen selbst die akkuratesten Aufnahmen plötzlich matt und glanzlos. Dies ist vor allem der außerordentlich kurzen Gewöhnungsphase des menschlichen Gehörs an höhere Frequenzen geschuldet. Deshalb ist es mit dem Exciter ähnlich wie mit Schokolade: Er macht schnell süchtig. Bei diesen Eigenschaften und dem mittlerweile großen Hard- und Software-Angebot an Excitern unterschiedlicher Couleur ist es fast ein bischen überraschend, dass eine renommierte Software-Schmiede wie Waves erst seit kurzem auch ein klassisches Exciter-Plug-in anbietet – und damit endlich eine Lücke schließt. Denn nach einem solchen Effekt suchte der Anwender im riesigen Waves Produkt-Katalog bisher vergebens. Dafür hat die israelische Software-Schmiede jetzt mächtig ausgeholt und wahrhaft Nägel mit Köpfen gemacht. Denn der jüngste Zuwachs wandelt auf historischen Pfaden und emuliert die Hardware eines renommierten Unternehmens, das seinerzeit den Exciter-Effekt erstmals weltweit etablierte und bis heute den Industrie-Standard markiert, wobei die Bezeichnung dieser Hardware gleichzeitig ein Synonym für diese Art der Signalbearbeitung ist. Die Rede ist vom Aural Exciter des amerikanischen Herstellers Aphex. Der Clou: Als Vorlage diente Waves nicht das moderne, weit verbreitete Aphex Exciter-Modell Typ III in diskreter Schaltung, sondern eins der frühen, sehr seltenen Geräte, bei denen eine Elektronenröhre in der Verzerrstufe eingesetzt wurde, was es unseres Wissens nach in der Gestalt bislang nicht am Plug-in-Markt gibt.

Wer jetzt denkt, dass der Hersteller dafür Unsummen aufruft, irrt gewaltig. Für die native Version ruft der Hersteller günstige 200 Dollar, etwa 140 Euro auf. Die TDM-Version ist nur unwesentlich teurer. Sie kostet 250 Dollar, rund 175 Euro.   Das technische Verfahren, das hinter dem Aural Exciter steckt, ist dabei gleichwohl simpel wie genial: Dem eingeschleiften Signal werden neu generierte Obertöne hinzugefügt, wodurch es heller und brillanter erklingt. Gleichzeitig gewinnt die Aufnahme an Vordergründigkeit, Präsenz und Lautheit, was bei Sprachsignalen mit einer Verbesserung der Verständlichkeit einher geht. Gewonnen werden diese Obertöne mit Hilfe einer Verzerrerstufe und einem vorgeschalteten Hochpassfilter, der die erzeugten Obertöne auf das Hochmitten- und Höhenband begrenzt. Die Stärke des Effekts kann dabei per Mix-Regler, der Direkt- und Effekt-Signal balanciert, fein dosiert werden. Das Geniale an diesem Verfahren: Im Gegensatz zu Filtern werden keine bereits vorhandenen Frequenzen verstärkt, sondern vollkommen neue, vorher nicht existente erzeugt, die zudem als sehr musikalisch und angenehm wahrgenommen werden. Darüber hinaus genügt bereits ein geringer Pegel der generierten Obertöne, um das Signal mit den beschriebenen Effekten wie größerer Lautheit oder Präsenz auszustatten.  Allerdings weicht der Vintage Aural Exciter hinsichtlich der Bedienung in einigen Punkten vom Original ab, denn die Entwickler haben der virtuellen Reproduktion einige weitere Features verpasst, die dem Anwender zusätzliche Optionen zur Klanggestaltung offerieren. So lässt sich zwischen drei verschiedenen Betriebsmodi wählen, mit der das Vorbild nicht aufwarten kann, die jedoch dazu dienen, dem facettenreichen Klangverhalten der Hardware in einer Software-Lösung gerecht zu werden. Denn der Original Aphex Aural Exciter war bekannt und berühmt dafür, dass sich die Ergebnisse trotz gleicher Parametrisierung beim Einsatz als Insert-Effekt klanglich deutlich von denen unterschieden, bei denen der Prozessor als Send-Effekt im Mischpult zum Einsatz kam. Mit Hilfe der wählbaren Betriebsmodi Mix1 und Mix2 stellt das Waves Plug-in diese Klang-Charakteristika zur Verfügung. Mix1 entspricht dabei dem Sound des Send-/Return-Modus, während Mix2 den Sound des Insert-Betriebs modelliert. Somit lassen sich beide Klang-Varianten rasch, bequem und ohne nachträglichen Routing-Aufwand direkt als Insert-Effekt in einer Sequenzer-Spur einsetzen. Für diese clevere Lösung gebührt den Entwicklern schon einmal Lob.

Dessen ungeachtet ist es selbstverständlich auch möglich, das Plug-in als „echten“ Send-Effekt in einem Aux-Bus oder Effektkanal einzusetzen. Für diesen Zweck haben die Entwickler den dritten Betriebsmodus, AX genannt, ersonnen. Er deaktiviert den zentralen AX Mix-Regler, der im Mix1- und 2-Betrieb das Mischungsverhältnis von Original- und Effektsignal bestimmt. Gleichzeitig wird das Direktsignal stumm geschaltet und am Ausgang des Plug-ins liegt somit ausschließlich das reine Effektsignal an. Der Mischmeister kann anschließend die gewünschte Intensität des Effekts via Send-Fader feinjustieren. Klanglich orientiert sich dieser Modus dabei erwartungsgemäß am Mix1-Modus, also dem Send-/Return-Routing. Zählt man den aktivierbaren Bypass (BP) hinzu, verfügt die Software sogar über einen vierten Betriebsmodus. Denn die BP-Stellung des Mode-Reglers simuliert das Bypass-Verhalten des Original Aural Exciters, was zur Folge hat, dass lediglich die Effektsektion deaktiviert wird, nicht jedoch alle anderen Elemente, wie Ein- und Ausgangsregler, die weiterhin aktiv bleiben. Auffällig: Anliegende Signale erfahren dabei bereits eine beeindruckend angenehme und analog anmutende, subtile Färbung und Andickung. Besonderheit: Die beiden Gain-Regler üben einen wesentlichen Einfluss auf den Effektklang aus, vor allem der Input-Regler. Denn je höher der Pegel ist, mit dem das Signal die Effektsektion aus Hochpass und, in diesem Falle, Röhren-Verzerrer ansteuert, desto mehr Verzerrungen und damit Obertöne werden selbst bei geringer Pegelstellung des AX Mix-Reglers erzeugt. Somit bietet sich dem Anwender eine Menge Spielraum für Klang-Experimente. Darüber hinaus sollte in jedem Fall auch der Noise-Parameter zum Einsatz kommen. Er fügt dem bearbeiteten Signal ein analoges Rauschen in Wunschlautstärke hinzu, was dem Klang einen Schuss mehr Vintage-Authentizität verleiht. Eine weitere Klangkomponente findet sich in der Mains-Sektion, die auf Wunsch den Sound des Plug-ins bei 50 oder 60 Hertz Betriebsspannung simulieren soll. Einen spürbaren klanglichen Unterschied können wir im Test indes beim besten Willen und mit spitzesten Ohren nicht ausmachen.  Doch wie schlägt sich der Waves Aphex Vintage Aural Exciter nun in der Praxis und vor allem wie klingt er? Um dies zu ergründen, müssen wir zunächst eine kleine Hürde nehmen. Ebenso wie beim Test des Waves WNS-Plug-ins (Test Ausgabe 03/2010), ist es nach der Installation des Exciter-Plug-ins nötig die regionalen Spracheinstellungen in Windows umzustellen, sofern das Plug-in unter Pro Tools zum Einsatz kommen soll. Andernfalls gibt die Software nämlich keinen Laut von sich. Ein Umstand, der dem technischen Support bereits bekannt ist und demnächst behoben sein wird, wie uns freundlich versichert wird. Im VST-Betrieb unter Windows läuft übrigens alles bestens. Doch zurück zum Praxistest.

Wir füttern das Plug-in mit verschiedenen Aufnahmen von Schlagzeug, Bass, Akustik- und E-Gitarren sowie verschiedenen Stimmen und Stereosummen ganzer Mischungen. Dabei wird relativ schnell deutlich, wie unterschiedlich die beiden Mix-Modi tatsächlich klingen: In Mix1-Stellung (Simulation Send-/Return) verleiht der Aphex Vintage Aural Exciter unseren Signalen stets einen schwer zu beschreibenden Hauch von glitzerndem Schimmer, der sich im oberen Frequenzbereich bemerkbar macht. Vor allem bei den Akustik-Gitarrenaufnahmen schälen sich vorher kaum wahrnehmbare Details in den Hochmitten heraus, die das Instrument deutlich plastischer erscheinen lassen. Zudem klingen die Aufnahmen auf subtile Art frischer, so als hätte der Exciter einen Grauschleier entfernt von dem wir vorher gar nicht wussten, dass er überhaupt existiert. Ähnliches lässt sich auch bei den Gesangsaufnahmen im Mix1-Modus feststellen: Vor allem tiefen und tendenziell dunkleren Stimmen steht ein Hauch zusätzlicher Obertöne gut. Beim Experimentieren mit Input- und AX Mix-Regler gelingt es uns sogar, dem Sänger eine beinharte Verzerrung ähnlich einem Marshall-Amp zu verpassen. Die Schlagzeug-Stereosumme erscheint durch den Aural Exciter dagegen kräftig angefettet – und das wohlgemerkt bereits in der BP-(Bypass-) Stellung. Aus dem schon druckvollen Sub-Mix kitzeln wir mittels Mix1-Stellung noch mehr Lautheit und Präsenz heraus, was mit Hilfe von Kompressor und/oder Equalizer nur ungleich aufwändiger zu erzielen ist. Mit einem deutlich andersartigen Klang wartet dagegen der Mix2-Modus auf, der den Insert-Effekt-Sound emuliert: Er wirkt etwas weiter unten im Spektrum als der Mix1-Modus und verleiht dem akustischen Material deshalb weniger hochfrequentes Glitzern, als vielmehr Dichte und Kompaktheit in den sensiblen Mitten. Vor allem bei etwas weiter aufgedrehtem AX Mix-Regler erhalten wir einen schönen mittenbetonten 70er Jahre-Vintage-Sound, der besonders den Schlagzeug- und Basssignalen gut zu Gesicht steht. Bei modernen Pop-Gitarren- und Gesangsaufnahmen klingt es für uns allerdings ein wenig gewöhnungsbedürftig. Vollends begeistert sind wir vom Sound der heftig verzerrten E-Gitarren-Powerchords in Verbindung mit dem Mix2-Modus: Der Aural Exciter schält hierbei genau jene Mitten und Hochmitten heraus, welche dem Gitarren-Sound eine enorme Bissigkeit verleihen ohne unangenehm zu tönen – eine Kunst, an der viele Equalizer scheitern. Bemerkenswert: Auch bei kräftigem Effektpegel steigt der absolute Signalpegel kaum an, umso mehr dafür die wahrgenommene Lautheit. Mit dieser Eigenschaft empfiehlt sich der Vintage Aural Exciter daher bestens auch für Mastering-Anwendungen. 

Fazit

Der Waves Aphex Vintage Aural Exciter ist ein Klangveredler der Extraklasse: Vom Hochglanzschimmer einer High End-Pop-Produktion bis hin zu unaufdringlich-entspanntem Vintage-Klang lassen sich verschiedenste Einzelsignale bis hin zu ganzen Mischungen auf beeindruckend einfache Weise nachhaltig aufpolieren oder gar verbiegen. Der Bypass-Schalter sollte jedoch regelmäßig konsultiert werden, denn ein Effekt dieser Art verführt leicht dazu, über das Ziel hinauszuschießen. Exciter machen eben süchtig und der Waves Aphex Vintage Aural Exciter gehört mit seinem markanten Charakter in jedem Fall dazu.

Erschienen in Ausgabe 05/2011

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 200$
Bewertung: sehr gut – überragend
Preis/Leistung: sehr gut