Finnische Heinzelmännchen

Mit den Plug-ins von Noveltech soll das Tontechniker-Leben einfacher werden. Basierend auf einem komplexen psychoakustischen Prozess sollen die Plug-ins Character und Vocal Enhancer bei einfachster Bedienung gleich mehrere Signalbearbeitungs-Schritte in Einem erledigen, Aufnahmen nachhaltig veredeln und dem Anwender viel Zeit bei der Arbeit ersparen. 

Von Georg Berger 

Abseits von sattsam bekannten Studio-Geräten wie Equalizern, Kompressoren, Hall- und Echogeräten findet sich immer wieder das eine oder andere Stück Tonstudio-Technik, das einen ganz und gar eigenwilligen Weg in Sachen Signalbearbeitung geht. Mit den beiden Kandidaten dieses Tests, dem Character- und Vocal Enhancer-Plug-in des finnischen Herstellers Noveltech, finden sich zwei Prozessoren, auf die dies zutrifft und die mit einem, unseres Wissens nach, bislang einzigartigen Verfahren Audiomaterial im Klang verbessern. Grund genug also, sich beide Plug-ins einmal näher anzuschauen und auf ihre Brauchbarkeit hin zu untersuchen.  Zugegeben, völlig neu sind die beiden Testkandidaten jetzt nicht. Sie verrichten bereits seit 2005 ihren Dienst in Form von Plug-ins für die Powercore DSP-Plattform des dänischen Herstellers TC Electronic. Bislang waren Character und Vocal Enhancer dabei ausschließlich Powercore vorbehalten. Mit dem von TC Electronic eingeläuteten Ende der DSP-Prozessoren hat sich Noveltech offenbar nach neuen Möglichkeiten umgeschaut, seine Software an den Mann zu bringen und in Zusammenarbeit mit der Plugin Alliance jetzt erstmals native Versionen für sämtliche relevanten Schnittstellen herausgebracht. Den Anfang machte bereits im letzten Jahr das Character-Plug-in. Vor kurzem hat das finnische Unternehmen mit dem Vocal Enhancer nachgelegt. Der Hersteller verspricht bei beiden Plug-ins eine deutliche Verbesserung des Klangs und auch der Dynamik, wobei die Prozessoren, ähnlich einem Exciter, psychoakustische Verfahren anwenden um Signalanteile hervorzuheben, die als angenehm empfunden werden. Im Kern werkelt dabei in beiden Plug-ins eine von Noveltech auf den Namen „Intelligent Adaptive Filtering“ (IAF) getaufte Technik. Das hört sich gleichzeitig nach Raketenwissenschaft und auch teuer an, was es aber nicht ist. Character geht für rund 150 Dollar über die Ladentheke, für den Vocal Enhancer ruft der Hersteller einen Preis von knapp 200 Dollar auf, was im Durchschnitt liegt, verglichen zum Gros der Mitbewerber. Dank häufiger Rabatt-Aktionen auf Vertriebsseite, sind die Effekte mit ein wenig Geduld auch entsprechend günstiger zu haben. Ob beide Plug-ins das Geld wert sind, hat der Hör- und Praxistest erst noch zu zeigen. Doch zuvor beleuchten wir kurz die Ausstattung und die hinter den Plug-ins werkelnde IAF-Technik.

Dass das im finnischen Turku ansässige und im Jahr 2000 gegründete Unternehmen Noveltech im Audio-Bereich tätig ist, hat es eigentlich dem Zufall zu verdanken. Ursprünglich entwickelte der Hersteller ein Verfahren, um die Auflösung von Spektrometern zur Analyse von Gasen zu verbessern. Das Grundprinzip dieses Verfahrens fand jedoch nicht nur im Bereich der Physik und Chemie Anwendung.  Nach entsprechender Weiterentwicklung, diente es als Grundlage, um auf mathematischem Weg fehlende Informationen in Audio-Signalen zu rekonstruieren. Et Voilà: Das erste Audio-Produkt von Noveltech war geboren, das als Teil der Powercore Restoration Suite 2003 erstmals veröffentlicht wurde. Die daraufhin entwickelte IAF-Technik markierte den nächsten Schritt im Audio-Bereich. Vereinfacht zusammengefasst, wird in diesem Verfahren ein Signal zunächst analysiert und auf Basis der Analyse ein mathematisches Modell desselben erstellt. Dies geschieht adaptiv in Echtzeit, Änderungen im Spektrum und der Amplitude werden also fortwährend erfasst, wobei der Fokus der Analyse auf den Transienten liegt, die als besonders charakteristisch für das Signal gelten. Die aufgrund der Analyse ermittelten Parameter des mathematischen Modells werden anschließend zur Steuerung eines ebenfalls adaptiv arbeitenden Filter-Netzwerks verwendet. Durch Rückführung des Filter-Outputs in die Analyse-Sektion kann schließlich der Signalverlauf in Echtzeit verglichen und gleichzeitig das Filter-Netzwerk in seinen Einstellungen angepasst werden. Schlussendlich modelliert das Filter-Signal die spezifischen Klang-Charakteristika des eingespeisten Signals heraus, die sich verstärken und auf das Signal anwenden lassen. Dabei wirkt dieser Prozess gleichzeitig auf den Frequenzgang und die Dynamik des Input-Signals ein. Auf psychoakustischer Ebene werden zudem ausschließlich die als angenehm empfundenen Signalanteile verstärkt. Soweit die Theorie.    In der Praxis geschehen die hochkomplexen Prozesse für den Anwender unmerklich unter der Oberfläche des GUI beider Plug-ins, wobei Noveltech auf eine Ein-Fenster-Bedienung mit überschaubarer Ausstattung setzt. Den Anfang macht das Character-Plug-in: Die Effekt-Stärke wird über den mächtigen, mittig positionierten Character-Regler eingestellt. Mit Hilfe des Target-Reglers wird quasi ein Schwerpunkt im Frequenzspektrum gesetzt, auf den sich das IAF-Verfahren konzentrieren soll. Der Mode-Drehschalter offeriert, ausweislich unseres Tests, drei unterschiedlich stark wirkende Varianten der Klangverbesserung. Noveltech gibt dabei die Empfehlung, den ersten Modus für Schlagzeug und Vokal-Aufnahmen zu nutzen, den zweiten für Gitarre und Synthesizer und den dritten für alle tieffrequenten Klangerzeuger, seien es etwa (E-)Bässe oder Flächensounds. Drehregler zum Angleichen der Ein- und Ausgangslautstärke sowie eine VU-Meter Anzeige, die Auskunft über die Stärke des angewendeten Effekts gibt, beschließen den Ausstattungsreigen des Character-Plug-ins.

Kleine Besonderheit: Durch Rechtsklick auf den In- und Output-Regler öffnet sich ein Drop-down-Menü, das Einstell-Optionen zum Abkling-Verhalten der kreisförmig um die Regler integrierten Peak-Anzeigen enthält.  Opulenter in Sachen Ausstattung geht es im Vocal Enhancer Plug-in zu: Hingucker ist das mittig eingelassene Spektrums-Display, das in Echtzeit Auskunft über die Frequenzverteilung des anliegenden Signals gibt. Allerdings zeigt es lediglich einen Ausschnitt von einem bis hinauf 20 Kilohertz. Besonderheit: Mit Hilfe zweier vertikaler Linien, die sich per Maus verschieben lassen, kann im Display ein Frequenzbereich definiert werden, in dem die Signalbearbeitung stattfinden soll. Der Clou: Kleine Dreiecke an den Linien können vertikal verschoben werden, was die dahinter werkelnden Passfilter – per Button zwischen zwölf und 24 Dezibel Flankensteilheit schaltbar – zur Selbst-Oszillation respektive zum Resonieren veranlasst. Mit diesen Möglichkeiten ist der Vocal Enhancer schon einmal ungleich feiner als das Character Plug-in einstellbar. Gleichzeitig setzt es sich durch seine frequenzselektive Arbeitsweise als Spezialist von seinem älteren Bruder ab. Ähnlich wie der Mode-Schalter, erlaubt der Strong-Button das alternative Aktivieren von zwei unterschiedlich stark wirkenden Effekt-Prozessen. Vergleichbar zum Character-Parameter erlaubt der Enhancement-Regler das Einstellen der Effektstärke. Ähnliches gilt auch für den Focus Frequency getauften Drehregler, der ähnlich dem Target-Parameter innerhalb des gewählten Frequenzausschnitts die Anwahl einer zentralen Frequenz erlaubt, auf die sich das IAF-Verfahren bei der Signalbearbeitung konzentrieren soll. Kleine Dreiecke neben den Pegelanzeigen für den Ein- und Ausgang nehmen Einfluss auf die jeweilige Verstärkung. Zusätzlich dazu zeigen LED-Ketten den Grad der Effekt-Bearbeitung und auch der Lautstärke-Kompensation an. Letztere ist per Button separat aktivierbar und sorgt für ein gleichbleibend lautes Signal am Ausgang.   Im Praxistest sind die Funktionen und der Umgang beider Plug-ins bereits nach kurzer Zeit verinnerlicht. Zufriedenstellende Ergebnisse sind nicht zuletzt durch die überschaubare Ausstattung bereits in wenigen Augenblicken erzielt. Auffällig: Der Ausgangspegel im Character Plug-in muss, ganz gleich wie stark die Bearbeitung erfolgt, stets abgesenkt werden, um in etwa den Pegel des unbearbeiteten Signals einhalten zu können. Darauf weist der Hersteller im Handbuch übrigens explizit hin. Dank der schaltbaren Gain Kompensation ist dies im Vocal Enhancer Plug-in nicht nötig, weshalb wir uns gleiches auch für das Character-Plug-in gewünscht hätten. Meckern müssen wir schließlich beim Vocal Enhancer an anderer Stelle: Beim Verschieben der Resonanz-Frequenz-Dreiecke mit der Maus, verrutscht im Display unweigerlich auch die zuvor gewählte Frequenz, weshalb wir dies anschließend immer wieder nachjustieren müssen. Zwar lässt sich dies in den numerischen Anzeige-Feldern per Doppelklick und Zahleneingabe vermeiden. Eleganter wären dort allerdings Button-Fader gewesen.  Ebenso rasch wie den Umgang haben wir auch die klanglichen Vorzüge beider Plug-ins erfasst. Ganz gleich welche Art von Signal wir durch das Character-Plug-in schicken, die klanglichen Auswirkungen der IAF sind stets die gleichen: Ähnlich wie ein Exciter sorgt der Character-Prozessor dafür, dass Signale deutlich frischer, transparenter, aber auch präziser klingen. Damit einher geht ein klangliches Verschlanken des eingespeisten Signals, will heißen dumpfe Signalanteile verschwinden wie von Zauberhand, so als ob ein schwerer Vorhang vor einem Lautsprecher zur Seite gezogen wird. Gleichzeitig verdichtet sich das Signal, es rückt merkbar in den Vordergrund und strahlt in einem bislang ungekannten Glanz. Insgesamt wirkt die Klangbearbeitung tatsächlich so, als ob gleichzeitig ein Equalizer, ein Kompressor und ein Exciter am Werk ist. Das Schalten des Plug-ins auf Bypass lässt den Schönklang augenblicklich in sich zusammenfallen, wobei das unbearbeitete Original-Signal letztlich als falsch, muffig und unschön empfunden wird. Trotz der erheblichen Verbesserung vornehmlich in den oberen Mitten und in den Höhen klingen die Signale trotzdem nicht scharf, spitz oder bissig. Insofern hat Noveltech nicht zuviel versprochen.

Mit Hilfe des Target-Reglers können wir dabei gezielt Frequenzbereiche innerhalb der Bearbeitung hervorheben und zusätzlich betonen. Das Ganze wirkt so, als ob wir eine Höhenblende betätigen. Allerdings zeigen sich im Hörtest auch rasch Grenzen beim Character-Plug-in. So sind im Test mit Drum-Sounds und -Loops deutlich Verzerrungen und Pump-Effekte hörbar, wenn man die Effekt-Stärke zu hoch einstellt. Doch das ist ursächlich den bereits mit Studio-Effekten prozessierten Schlagzeug-Signalen anzulasten. Bei unbearbeiteten Drumsounds verhält sich das Character Plug-in merkbar toleranter. Auf diesen Umstand weist der Hersteller übrigens im Handbuch hin und auch wir sprechen die Empfehlung aus, das Character Plug-in unbedingt noch vor Equalizer und Kompressor zu insertieren. Nächste Auffälligkeit: Trotz des merkbar aufgeräumten Klangbilds fehlen den Signalen stets hörbare Bassanteile, wenngleich ein Blick auf ein Spektrogramm das Gegenteil zeigt. Das Versetzen des Target-Reglers auf ein Minimum, also in den Bassbereich, führt nicht dazu, dass diese Anteile in die Bearbeitung mit einfließen. Das kann je nach Signalart und Klangvorstellung durchaus unerwünscht sein und macht einen Einsatz des Character Plug-ins somit problematisch. Doch wie so oft und im Speziellen für Psycho-Akustik-Effekte gilt die Devise „Weniger ist Mehr“. Behutsam eingesetzt lässt sich durchaus eine gesunde Balance finden, in der die Drums unten herum noch ordentlich schieben und oben herum an Luftigkeit und Präzision gewinnen. Abgesehen davon schaffen wir es im Test, die Knurranteile in einer E-Bass-Linie deutlicher herauszuschälen, eine Gitarrenspur mit perlenden Dreiklangs-Brechungen klingt deutlich präziser dank Betonung des Anschlags-Attacks und ein streicherartiger Flächen-Synthesizer besitzt plötzlich Signalanteile in Form von Modulationen, die vorher nicht hörbar waren. Letzteres ist jedoch ein eher unbeabsichtigter Nebeneffekt beim Ausprobieren der drei Modi, der ästhetisch aber zu gefallen weiß. Diese Modulationen treten dabei ganz deutlich im dritten Modus auf, im ersten ist nichts zu hören. Doch auch diesen Umstand verhehlt der Hersteller im Handbuch nicht. Ein Ausprobieren der verschiedenen Modi ist daher in jedem Fall angeraten, denn erlaubt ist was gefällt, zumindest bei der Bearbeitung von Einzel-Signalen und Subgruppen. Der Einsatz des Character Plug-ins auf ganze Mixe ist jedoch nicht empfehlenswert, aber auch von Herstellerseite nicht beabsichtigt. Nur allzu leicht sind die aufwändigen Einstellungen in den Einzel-Kanälen durch unachtsamen Umgang mit dem Character zunichte gemacht und einmal mehr sind Verzerrungen und Pump-Effekte hörbar.  In die gleiche Kerbe wie das Character Plug-in schlägt im Hörtest logischerweise auch der Vocal Enhancer, der schon mit seiner Namensgebung auf sein Hauptarbeitsfeld hinweist. Einmal mehr ist zu hören wie die eingespeisten Signale deutlich schlanker und von muffigen Signalanteilen befreit werden. Damit einher geht eine Verdichtung bei der das Signal nach vorne rückt und wiederum im oberen Mitten- und Höhenbereich deutlich präziser, aufgeräumter und luftiger klingt. Noch ohne Zutun von Equalizer und Kompressor sitzt die Vokal-Aufnahme damit deutlich besser im Mix. Mit dem Character Plug-in ist dies zwar auch möglich. Doch wie bereits erwähnt, ist mit der speziellen Ausstattung des Vocal Enhancers ein ungleich präziserer Eingriff in den Klang möglich. Noch besser: Dank der resonanzfähigen Passfilter lassen sich ähnlich einem Peakfilter mit schmaler Bandbreite zusätzlich Frequenzbereiche betonen, was die Klangformungsmöglichkeiten entsprechend erweitert. Zusammen mit den Möglichkeiten des Focus Frequency-Parameters und dem Definieren eines Frequenzbereichs kitzeln wir aus Vokal-Aufnahmen die relevanten Signalanteile deutlich präziser heraus als mit dem Character Plug-in. Der Einsatz des Vocal Enhancers auf andere Signalarten, liefert jedoch nicht in dem Maße die gewünschten Ergebnisse wie mit dem Character, es sei denn man möchte mit den speziellen Eigenschaften gezielt ins Material eingreifen.  

Fazit

Die Plug-ins Character und Vocal Enhancer sind ohne Zweifel Signal-Prozessoren der besonderen Art. Sie liefern getreu der Natur von sychoakustik-Effekten Wohlklang und nehmen dabei gleichzeitig Einfluss ins Spektrum und die Dynamik, was klassische Exciter nicht zu bieten haben. Dabei heben sie, behutsam eingesetzt, eindrucksvoll und auf markante Art die besten Eigenschaften der Signale hervor. Wunderwaffen sind die beiden Plug-ins zwar jetzt nicht, denn schlechtes Audiomaterial verwandeln auch die Noveltechs nicht in gutes. Als rasche Problemlöser und willkommene Alternative zu herkömmlichen Excitern sind sie in jedem Falle empfehlenswert. 

Erschienen in Ausgabe 05/2013

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 149 $
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut