Musikerfreundlich
Wenn sich ein Softwarehersteller auf dem Gebiet der virtuellen Gitarrenverstärker gegen die mächtige Konkurrenz behaupten möchte, muss er schon etwas Besonderes zu bieten haben. Overloud hat den Musiker im Blick, denn die Gitarren-Software TH1 punktet mit Benutzerfreundlichkeit und Echtzeitfähigkeit.
Von Harald Wittig
Overloud ist ein junges italienisches Unternehmen, dass der Software-Entwickler Thomas Serafini im Jahr 2006 gegründet hat. Serafini experimentierte vor der Unternehmensgründung bereits über einen Zeitraum von zehn Jahren mit der Emulation von Audio-Hardware, namentlich Röhren-Geräten, im Wege des sogenannten Analog Modelings. Seine ersten Entwicklungen, durch die Bank Plug-ins, verkaufte er an andere Software-Unternehmen. Mit den Verkaufserlösen finanzierte der umtriebige Tüftler zunächst sein Hochschulstudium, das er Anfang 2000 mit Auszeichnung abschloss. Während seiner Studentenzeit vertiefte er seine Kenntnisse auf den Gebieten des Analog-Modelings und beschäftigte sich insbesondere mit der Emulation von Gitarrenamps mit Röhrenschaltung. Die ersten Früchte veröffentlichte er auf der eigenen Website www.simulanalog.com. Dabei handelte es sich um Gitarrenverstärker-Emulationen, allesamt Plug-ins, die gänzlich ohne Benutzer-Oberfläche auskamen. Dennoch galten diese Gitarrenverstärker-Simulationen, obwohl sie beim Bedienkomfort weit hinter dem heutigen Standards zurückblieben, unter Kennern als Geheimtipp.
Ermutigt von dem Zuspruch der User gründete er mit zwei Partnern die Firma Overloud, um sich künftig mit Leib und Seele der Entwicklung völlig neuer, also konkurrenzloser Amp-Modeling-Software zu widmen. Zwei Jahre später erschien dann die erste Version von TH1. Das „TH“ steht übrigens für „Thomas“ und stellt eine Hommage seiner Kollegen an den Overloud-Chefdenker dar. Bereits die erste Inkarnation von TH1 zeichnete sich gegenüber den zahlreichen Mitbewerbern durch seinen geringen Leistungshunger aus. Das Plug-in verhalf damit auch Gitarristen mit leistungsschwächeren Rechnern zu achtbaren Sounds. Musiker loben noch heute die Echtzeitfähigkeit und zumindest Fans von digital nachgeahmten Röhrenverstärkern halten Serafinis Entwicklungen für die bestklingenden auf dem Markt.
Inzwischen gibt es TH1 in der vierten Auflage, mit noch einmal verbesserter Bedienung und erweiterten Kontrollmöglichkeiten. Selbstverständlich soll auch noch der Klang weiter verbessert worden sein. Außerdem findet sich im neuen TH1 die leicht abgespeckte Version des Breverbs, einem bereits hoch gehandelten Hall-Plug-ins, das sündhaft teure Hardware-Hallprozessoren emuliert. Breverb widmet sich Professional audio Magazin in einer der nächsten Ausgaben, für heute haben wir uns TH1 vorgenommen. Die Gitarrensoftware läuft sowohl stand-alone als auch als Plug-in – unterstützt werden die Schnittstellen VST, AU und RTAS –, ist, wie wir sehen werden, üppig ausgestattet und kostet doch nur 289 Euro. Insofern konkurriert TH1 mit den Platzhirschen Amplitube 2 der Landsleute von IK Multimedia und Guitar Rig 3 von Native Instruments. Letztere Plug-ins gehören, ausweislich unserer Tests in den Ausgaben 10/2008 und 12/2007 – zusammen mit einigen anderen – zum derzeit Besten auf dem Markt und haben die Messlatte für alle Mitbewerber sehr hoch gesetzt. Auch die in puncto klanglicher Authentizität bislang ungeschlagenen Produkte von Softtube (Test in Ausgabe 2/2009) sind zu erwähnen und TH1 wird sich im Rahmen dieses Tests auch dem Vergleich mit der namhaften Konkurrenz stellen müssen.
Am Anfang steht auch bei TH1 die Installation, die Dank der, im Gegensatz zur Bedienungsanleitung, auch in gedruckter Form beiliegenden Installations-Anleitung kein Problem darstellt. Für die uneingeschränkte Benutzung der Software ist eine Autorisierung erforderlich. Overload lässt dem ehrlichen Eigner die Wahl zwischen iLok-Key oder einer Lizensierungsdatei. Der Anwender sollte in jedem Fall die Stand-alone-Version mitinstallieren, auch wenn er TH1 ausschließlich als Plug-in in seiner bevorzugten Hostanwendung einsetzen wird. Sobald die Anwendung erstmals gestartet ist, fragt das Programm nach der erforderlichen Autorisierung für den zeitlich unbeschränkten Gebrauch. Der Benutzer hat 14 Tage Zeit, solange läuft TH1 als uneingeschränkte Demoversion. Die sogenannte ILR (Interlok License Request file) findet sich auf der CD. Damit und der Seriennummer seiner individuellen TH1-Ausgabe erhält der Käufer auf www.overloud.com die eigentliche Interlok License File (ILF) mit der die Anwendung freigeschaltet wird. Es ist ohne Weiteres möglich, TH1 auf insgesamt drei Rechnern zu installieren. Allerdings ist die ILF jedes Mal neu zu beantragen und herunterzuladen. Dies kann wahlweise auch via E-Mail – dauert länger – oder direkt online geschehen. Da Overloud die Rechner-ID nicht verlangt, müssen Sie nicht mit Ihrem Studiorechner online gehen, sondern können auch Ihren Internet-/Bürorechner verwenden.
Gehen wir nun in medias res und sehen uns die Ausstattung der italienischen Gitarristen-Software näher an. Insoweit hat der Hersteller ein pralles Paket geschnürt, das locker mit ebenfalls üppig ausgestatteten Anwendungen wie Waves GTR-3, Peavey Revalver MKIII, NI Guitar Rig 3 oder IK Multimedias Amplitube 2 mithalten kann. Hinzu kommen einige spezielle Schmankerln, die es exklusiv nur in TH1 gibt. Doch der Reihe nach, beginnend bei den virtuellen Verstärkern:
Es gibt insgesamt acht Amp-Modelle, die klanglich und historisch von den 1960er-Jahren bis zur Gegenwart reichen. Für immerhin drei Verstärker standen Marshalls Modell: Es gibt einen alten JTM45 – er nennt sich „Rock 64“, jener Amp mit dem Eric Clapton und andere Protagonisten der britischen Lead-Gitarren-Revolution Klanggeschichte schrieben. Danach folgt der inzwischen wieder sehr populäre JCM 800, bei Overloud „Rock 75“ genannt, gefolgt von Marshalls erstem echten Zwei-Kanaler, dem JCM 900.
Weiter geht es mit dem „Top30“, welcher der Topteil-Version des Brit-Pop/Rock-Klassikers Vox AC30 nachempfunden und in den meisten Amp-Simulationen mit an Bord ist. Der amerikanische Hersteller Fender ist mit nur einem Modell repräsentiert: Bei „Darkface ´65“ handelt es sich um den Klon des Fender Blackface Twin Reverb, lange Zeit in den USA der Standard-Verstärker schlechthin. Overload haben allerdings auf die Emulation des Federhalls verzichtet. Das hat aller Wahrscheinlichkeit nach reine Performance-Gründe. Denn die Nachbildung des guten alten Federhalls ist nach wie vor sehr rechenintensiv und belastet die CPU des Hostrechners nicht unbeträchtlich. Wie bereits einleitend erwähnt, soll TH1 vor allem in Echtzeit verwendbar sein. Da würde ein detailgenau nachempfundener Federhall nur bremsen.
In die 1990er-Jahre bringen uns die beiden Verstärker „HeaHy51“ und SloDrive“. Für letzteren war der sündhaft teure, einstmals sehr populäre Soldano SL100, sogar in der Dual-Lead-Variante, Vorbild. Dieser amerikanische Edel-Amp war mal weltweit schwer angesagt und Gitarrenstars der unterschiedlichsten Stilrichtungen, beispielhaft seien die Herren Gary Moore, Steve Vai und Mark Knopfler genannt, vertrauten auf den auch heute noch, für schlappe 3.800 Euro erhältlichen Verstärkerkopf. Wie das Original auch, ist die TH1-Version drei¬kanalig ausgelegt, womit der „SloDrive“ von vorneherein eine gewisse klangliche Flexibilität bietet, die von klaren Klängen bis zu heftiger Verzerrung reicht. Insoweit ist diese Emulation zumindest in puncto Ausstattung bislang am Nächsten am Original, denn Line6, Digidesign 11 oder Studio-Devil (siehe Tests in Ausgabe 10/2008) haben sich auf den berühmten Soldano-Zerrsound beschränkt.
Der „HeaVy51“ ist die Software-Nachbildung des nach wie vor populären Eddie Van Halen-Amps, den Peavey in den 1990er Jahren unter dem Namen 5150 der hardrockenden Gitarristen-Fraktion präsentierte. Dieser Verstärker steht für einen äußerst fetzigen, recht rauen Sound, der an Marshall erinnert, allerdings erheblich mehr Verzerrungs-/Gain-Reserven bereithält.
Hinter „Modern“ verbirgt sich der zeitgenössische Metal-Verstärker schlechthin, der Mesa Triple-Rectifier. „Modern“ ist selbstverständlich dreikanalig und der richtige Kandidat für alle, die Brachial-Verzerrung mit dem typischen Bass-Schub brauchen.
Mit diesen acht Verstärkern lässt sich bereits ein sehr weites Klangfeld bestellen. Dennoch bleibt TH1 dabei nicht stehen. Denn schon beim Verstärkermodul kommen wir zur ersten Besonderheit, die es in dieser Form nur bei Overloud gibt. Es lassen sich nämlich immer zwei Verstärker-Klone frei kombinieren. Mittels des SLR-Schiebereglers kann der Benutzer stufenlos zwischen den beiden Verstärkern überblenden und damit einen völlig neuen Klang kreieren. Denn diese einzigartige Funktion – sie nennt sich „Seamless Live Remodeling“, was so viel wie „Stufenlose Neumodellierung in Echtzeit“ bedeutet – erlaubt dem Anwender, sich seinen Verstärker aus mehreren Klangcharakteristika maßzuschneidern. Dies kann sogar via MIDI-Controller beim Einspielen oder beim virtuellen Reamping mittels Maus geschehen. Allein auf dieser ersten Ebene bietet TH1 mithin eine enorme Fülle an Klangvarianten. Den Untertitel „Custom Guitar Effects Suite“ trägt diese Software also schon mal zu Recht.
Aber damit ist erst der Anfang gemacht. Die Verstärker finden ihre passgenaue Ergänzung mit 21 Boxen. Dabei ist alles, was Rang und Namen hat: Neben der klassischen Marshall 4x12er-Box mit Celestion Greenbacks gibt es auch die Variante mit Vintage 30-Speakern, die für viele Profis der härteren Gangart nach wie vor Referenz ist. Dass es jeweils passende Boxen zu den Amps gibt, ist schon fast überflüssig zu erwähnen. Interessanterweise gibt es aber noch zusätzliche Cabinets, beispielsweise eine Laney 2x12er oder die 4x10er-Box des Fender Bassman.
Dabei sind die AKG-Klassiker C414 und das sagenhafte, nebenbei erwähnt ausgezeichnet emulierte, C12, Neumanns Röhrenklassiker U47 und das nicht minder legendäre FET-Mikrofon U87, das seltene Bändchen-Mikrofon Coles 4038, das Royer R121 sind zu nennen, Shure ist – wen wundert´s? – mit den Dynamikern SM57 und 58 vertreten und sogar Røde und Audio Technica gehören mit jeweils einem Modell zur Sammlung. Wie bei den Verstärkern kann der Benutzer immer zwei Mikrofone frei kombinieren und beliebig vor den Boxen positionieren. Die Ausrichtung lässt sich sowohl horizontal, als auch vertikal stufenlos variieren, zwei unabhängige Schieberegler dienen der Distanz-Einstellung. Als wäre das noch nicht genug, bietet das Lautsprecher/Mikrofon-Modul noch eine Schaltfläche, die sich „Ambience“ nennt. Hier finden sich Raum-Presets, beispielsweise ein „Live-Room“, der einen realistischen Raumeindruck liefert. Mittels eines Überblend-Schiebereglers ist der Signalanteil der beiden Mikrofone nach Gusto einstellbar, ein Phasenumkehr-Schalter ist für beide Mikrofon-Kanäle vorhanden. All diese erweiterten Einstell-Optionen offenbaren sich erst nach einem Doppel-Klick auf das Boxen-Modul. Jeder TH1-Benutzer sollte unbedingt einige Zeit mit diesem äußerst leistungsfähigen Modul experimentieren, denn hier liegt unserer Meinung nach der Klanghase im Pfeffer. Das Modul ist wirklich große Klasse und nach unseren Erfahrungen mit anderer Gitarristen-Software bisher konkurrenzlos.
Auf die Mikrofone folgt ein kleiner virtueller Mixer: Dieser enthält Gain- und Panoramaregler für beide Mikrofon-Kanäle und einen Summen-Balanceregler. Der Mixer selbst klingt nicht – schließlich kommt bereits genügend Sound von den Amps, Cabinets und Mikrofonen – und beendet gewissermaßen die puristische Signalkette. Einigen wird´ s bereits genügen, andere wünschen sich jetzt Effektgeräte, namentlich die üblichen Verdächtigen der Bodentreter-Fraktion. Davon hat TH1 jede Menge zu bieten, insgesamt sind es 25 „Stompboxes“, die Palette reicht vom Tubescreamer, über den klassischen Roland/Boss-Chorus, bis hin zum Roger Mayer UniVibe und dem Dunlop Cry Baby Wah-Wah-Pedal. Hinzu kommen 21 Rack-Effekte – dabei sind unter anderem ein VCA-Kompressor, ein intelligenter Pitch-Shifter/Harmonizer, ein sehr gut klingender parametrischer Equalizer und ein Studio-Hall-Prozessor, der besondere Erwähnung verdient. Es handelt sich dabei nämlich um die LE-Version des Overloud-Hall-Plug-ins Breverb. Dieser algorithmische Software-Hall stellt eine aufwändige Emulation digitaler Hardware-Hall-Klassiker, namentlich des Systems 6000 von T.C. Electronic, dar. Breverb LE beschränkt sich auf vier Hall-Algo¬rithmen („Hall“, „Room“, „Plate“ und „Inverse“), die für Gitarren-Sounds völlig ausreichen. Dabei klingt dieser Hall so gut – vor allem der angenehm warme „Room“-Algortihmus hat es uns angetan –, dass er durchaus auch alleine, beispielsweise als Send-Hall-Effekt einsetzbar ist. Wir sind der Meinung, dass bisher nur der Faltungshall im Revalver MKIII vergleichbare Alleinstellungs-Qualitäten besitzt. Wir wünschen uns aber noch einen Federhall-Algorithmus, denn dieser archaische Hall-Effekt gehört einfach zur E-Gitarre.
Zum Abschluss dieser Tour d´Horizont sei noch eine kleine Spezialität erwähnt, die sich „AcGtrSimul“ nennt und als virtuelles Effektgerät eine E-Gitarre zur Akustik machen soll. Dass das nicht hinhaut, wissen alle Gitarristen, die entsprechende Hardware-Pedale kennen: Eine Standard-Strat lässt sich damit aber immerhin in Richtung akustische Gitarre mit Piezo-Tonabnehmersystem verbiegen. Eingesetzt als kleiner Farbtupfer ist dieser Effekt aber sicherlich eine willkommene Abwechslung.
Kommen wir zur Praxis: TH1 ist tatsächlich kein Leistungsfresser und läuft auch auf eher schmalbrüstigen Rechnern wie einem Consumer-Notebook mit 1,7 Gigahertz Intel Celeron-Prozessor und 512 Megabyte Arbeitsspeicher völlig problemlos. Zusammen mit der praktisch vollständigen Beherrschbarkeit aller wesentlichen Parameter mit einem Standard MIDI-(Fuß-)Controller, ist TH1 ohne Umschweife live-fähig. Allen Ungläubigen sei empfohlen, eine trockene DI-Spur mit dem Plug-in zu reampen und während des Abspielens oder Abmischens an den virtuellen Regler einfach mit der Maus zu schrauben. Die jeweiligen Klangveränderungen sind direkt und ohne Stottern zu hören. Das schaffen die wenigsten Produkte der Mitbewerber. Dank der geringen Ansprüche an die Rechnerhardware ist auch das Direkt-Einspielen kein Problem. Die Latenzen liegen im gefühlten Null-Bereich und auch Gitarristen, die sehr sensibel auf die unvermeidlichen Verzögerungen reagieren, werden nach einer gewissen Eingewöhnungszeit sehr gut klar kommen.
Ab Werk ist die Vollversion mit einer Fülle von Werkspresets ausgestattet, die teilweise von den Musikern geschrieben wurden, die auch die hörenswerten Klangbeispiele auf der Overloud-Website eingespielt haben. Als erste Annäherung an das Klangpotenzial von TH1 sind diese vorgefertigten Sounds durchaus empfehlenswert, wenngleich – wie üblich – der Effektanteil sehr hoch ist. Zum Ausprobieren und unbefangenen Rumspielen oder Üben machen die Werks-Sounds jedenfalls Spaß, zum Aufnehmen sind sie nur bedingt tauglich. Der erfahrene Studio-Gitarrist wird sich ohnehin seine Sounds selbst zusammenbauen und dabei eher den puristischen Weg gehen und sich auf trockene Amp-Cabinet-Mikrofon-Sounds konzentrieren.
TH1 erlaubt es dem Gitarristen, zwei parallele Rigs mit beliebig vielen Modulen, die ihrerseits seriell verschaltet sind, zu bauen. Da die Boxen immer mit zwei virtuellen Mikrofonen mikrofoniert sind, lässt sich aber auch bei nur einem Rig ein Stereo-Sound erzeugen – schließlich gibt es am Ende jeder Signalkette das zweikanalige Mixer-Modul. Wer möchte, kann also vollkommen abgefahrene Sounds erschaffen, die Variationsmöglichkeiten sind – eingedenk der bereits beschriebenen klanggestalterischen Optionen in TH1 – kaum abzuschätzen.
Wir haben, wie es sich gehört, ein Dutzend Soundfiles erstellt, die einen ersten Eindruck liefern und keineswegs das Ende der klanglichen Fahnenstange repräsentieren sollen. Dabei hören Sie die vom Amp-Simulations-Vergleichstest in Ausgabe 10/2008 und des Softtube-Tests in Ausgabe 2/2009 bekannten Beispiele. Alle Klangbeispiele finden Sie in der Soundbank, den Zugangscode auf Seite 48 der Printausgabe.
Vom Grundklang, also den reinen Amp-Boxen-Sounds her, erscheint TH1 nicht ganz so beeindruckend wie die Softtube-Plug-ins „Vintage Amp Room“ und „Metal Amp Room“, die allerdings in puncto röhriger Authentizität unter den reinen Software-Emulationen die Spitzenposition belegen. Auf Augenhöhe mit Guitar Rig 3 und Amplitube 2 ist die italienische Software aber sicherlich. Vor allem die Vintage-Amps, also „Darkface“, „Top30“ und „Rock64“, liefern sehr lebendige Sounds von Ultra-Clean bis Crunch. Den Soundfiles 1 bis 4 liegt ein mit einer Squier Bullet-Strat eingespieltes Chord-Melody-Stück, sinnigerweise „Clean“ genannt, zugrunde: Soundfile 1 haben wir mit der Kombination „Rock64“ und passender Box, mikrofoniert mit der Nachbildung des Röhren-Mikrofons Neumann U47, erstellt. Das „Ambience“-Preset „Live Room“ – nicht etwa der Breverb – sorgt für eine überzeugende Raumsimulation. Soundfile 2 und 3 widmen sich der britischen und der amerikanischen Variante eines schimmernden Klarklangs: Sie hören sowohl den „Top30“ (Soundfile 2), als auch den „Darkface ´65“ (Soundfile 3), beides mal nah mikrofoniert mit dem U87-Klon. Die Unterschiede zwischen dem Fender- und dem AC30-Clean sind deutlich zu hören: Die Twin-Emulation klingt offen-schimmernd und typisch „twangy“, der AC30 dagegen etwas komprimierter, gleichzeitig sehr einschmeichelnd warm. Bei Soundfile 4 hören Sie die „AcGtrSimul“, zusätzlich aufgepeppt mit einem Chorus-Effekt, der klanglich einem Roland-Chorus zum Verwechseln ähnlich ist.
Für den Track “Bluesy“ haben wir den virtuellen Marshall JTM45 weiter aufgerissen, um einen warmen, bluesigen Zerrton zu erhalten. Damit es noch weicher klingt, darf diesmal das Software-Geschwister eines Royer R121-Bändchenmikrofons den Klang zusätzlich formen. Als Sahnehäubchen liefert der Breverb LE mit dem Algorithmus „Room“ ein wenig Räumlichkeit (Soundfile 5). Bei Soundfile 6 benutzen wir den „TubeNine“-Overdrive, eine überzeugende Nachbildung des ungebrochen populären Tubescreamers von Ibanez, zur Vorverzerrung. Der nachfolgende Verstärker ist der „Top30“, klanglich orientierten wir uns in Richtung Rory Gallagher.
Die Soundfiles 7, 8 und 9 erkunden die High-Gain-Kompetenz der Amps „Heavy51“, „SloDrive“ und „Modern“. Die heftigen Zerrsounds sind tendenziell eher rau, dabei aber zu keiner Zeit unangenehm kratzig oder gar künstlich. Eine gewisse Ausrichtung – jedenfalls beim Peave (Soundfile 7) und Soldano-Klon (Soundfile 8) – gen Marschall ist unverkennbar. Der Amp-Experte sieht das natürlich gelassen, denn sowohl Mike Soldano als auch Peavey dienten die britischen Rock-Boliden als Plattform für ihre eigenen Designs. Wem der Grundklang nicht zusagen sollte, kann mit Hilfe des „Parametric EQ“ einiges zurechtbiegen. Wie es dann klingen könnte, vermittelt die Soundfile 10, wobei wir in diesem einen Fall ein Werks-Preset verwenden. Unterm Strich gefällt uns von den Metal-Amps der „Modern“ subjektiv am Besten, denn Overloud haben es löblicherweise vermieden, den klanggewaltigen Mesa-Nachbau über Gebühr im Bassbereich anzudicken. Der markante Tiefenschub ist dennoch vorhanden und kommt am Besten mit der passenden Box – nachzuhören mit Soundfile 9. Besonders hervorzuheben sind die generell geringen Nebengeräusche der Verstärker, auch die High Gain-Amps verhalten sich insoweit angenehm zurückhaltend. Das sehr effektiv arbeitende Noise Gate, ungelogen eines der besten seiner Art, tut ein Übriges, um unerwünschtes Rauschen vollkommen herauszufiltern.
Zum Schluss schicken wir die Spuren des angejazzte Gitarren-Duos aus dem Softtube-Test durch eigens erstellte Custom-Rigs. Bei Soundfile 11 sorgt für beide Stimmen – Begleitung und Solo – der „Top30“, übrigens einer unserer Lieblings-Verstärker in TH1, für einen eigenwilligen, eher brit-poppigen Klarklang. Bei Soundfile 12 haben wir uns des virtuellen „Multi-Ampings“ bedient und den Klang von „Rock64“ – ebenfalls ein Favorit der Redaktion – und „Darkface ´65“ kombiniert, der Raumklang kommt einmal mehr vom „Live Room“ des Cabinet-Moduls. Wir wollen nicht verschweigen, dass das Abspeichern und vor allem die Benennung unseres eigenen Sounds einige Schwierigkeiten machte: Das Speichern klappte erst nach dem dritten Anlauf, wir können den Namen nicht ins entsprechende Fenster der TH1-GUI hineinschreiben. Stattdessen müssen wir den Text im Windows-Editor schreiben, kopieren und in TH1 einfügen. Das wünschen wir uns – gerade im Hinblick auf die ansonsten sehr hohe Anwenderfreundlichkeit dieser Software – schon komfortabler. Doch auch diese unterm Strich winzige Schiefheit ändert nichts daran, dass TH1 zweifellos zu den Spitzen-Produkten in der Kategorie E-Gitarren-Software gehört.
Fazit
TH1 ist hierzulande noch weitgehend unbekannt, wird aber mit Sicherheit seine Anhänger finden, denn die Software punktet mit absoluter Echtzeit-Tauglichkeit und einem Grundklang, der dem etablierter Gitarren- und Effekt-Geräte-Simulationen nicht nachsteht. Konkurrenzlos ist die Kollektion von Mikrofon-Nachbildungen und die Klangvarianten, die sich alleine mittels virtueller Cabinet-Mikrofonierung ergeben, hinzu kommen sehr gute Effekte, wobei der Breverb-Hall herausragt.
Erschienen in Ausgabe 03/2009
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 289 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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