Das blaue Klangwunder

Oberflächlich betrachtet macht die Emulation des Mäag EQ4 Plug-ins nicht viel her. Doch wie so oft trügt der Schein ganz gewaltig, denn die Hardware-Version des Equalizers zählt in Profi-Kreisen zur Kategorie der First-Class-Geheimwaffen. Warum das so ist und ob dies künftig auch für die von Brainworx realisierte und von der Plugin Alliance vertriebene Emulation gilt, klärt der Test.   

Von Georg Berger  

Wer mit dem Namen Mäag und der ebenso bezeichneten Pro-Audio-Schmiede nicht viel anfangen kann, braucht sich nicht zu grämen. Das amerikanische Unternehmen ist tatsächlich noch relativ neu am Markt. Tontechnik-Historiker verfallen jedoch in ein wissendes Nicken, denn Mäag Audio tritt ein großes Erbe an, das primär einem Equalizer zu verdanken ist, dessen Gene bis auf ein paar kleine Änderungen 1:1 in das von Mäag Audio produzierte API 500-Modul EQ4 geflossen sind.

Die Rede ist von den Equalizer-Modellen EQ3 und EQ3-D, die in den 1990er Jahren von den Unternehmen NTI und später Nightpro entwickelt und produziert wurden. Geschäftsführer und Chef der Entwicklungsabteilung in diesen Unternehmen war seinerzeit Cliff Mäag, auf dessen Konto auch das Schaltungs-Design dieser Equalizer geht. Der Umstand, dass dieser Entzerrer in Form des EQ4-Moduls weiter fortlebt ist Cliff Mäag und seinem Sohn zu verdanken, die ihrerseits mit unzähligen Anfragen nach den alten EQ3-Modellen konfrontiert waren, was letztlich zur Gründung von Mäag Audio und der Wiederauferstehung dieses modernen Klassikers führte. Denn die NTI/Nightpro-Entzerrer konnten recht schnell aufgrund ihrer unnachahmlichen klanglichen Qualitäten überzeugen. Sie sind bis heute Stammgast in vielen professionellen Studios und auf dem Gebrauchtmarkt, wen wunderts, heiß begehrt. Profis setzen den Entzerrer primär zum Veredeln von Vokalaufnahmen ein, was nicht zuletzt das Verdienst des sogenannten Air Bands ist, das den Stimmen zu einem wohlig-angenehmen, seidigen Glanz und Schimmer verhilft. Später dazu mehr.   Mit solchen Qualitäten ausgestattet, war es also nur eine Frage der Zeit, wann dieser  Equalizer auch in Form einer Emulation am Markt erscheint. Das Rennen um die Entwicklung hat dabei die Plugin Alliance gemacht unter dessen Dach die Emulation des EQ4 seit kurzem erhältlich ist und unter der Ägide von Brainworx realisiert wurde. Das rund 230 Dollar kostende Plug-in ist in allen üblichen Schnittstellen-Formaten erhältlich inklusive des neuen AAX-Formats von Avid und ist, anders als die Hardware-Vorlage, sowohl mono als auch stereo und sogar je nach DAW bis hinauf 7.1-Surround einsetzbar. Abseits dessen hat Brainworx Chefentwickler Michael Massberg den EQ4 mit ein paar wenigen Variationen detailgetreu in Nullen und Einsen übersetzt. Schauen wir uns das Plug-in einmal näher an.  Das GUI des EQ4 Plug-ins fällt, ebenso wie die Vorlage, recht kompakt aus, wobei sich das Layout der Bedienoberfläche von vertikal nach horizontal gewandelt hat. Sieben Drehgeber erlauben das Einstellen des Gain von sechs Frequenz-Bändern, wobei die Regler – ausgelegt als 21-Positions-Drehschalter – zur besseren Übersicht mit unterschiedlich farbigen Knopfkappen ausgestattet sind. Die Centerfrequenzen und die Filtergüte sind dabei fest eingestellt. Das präzise Ausfiltern von Störfrequenzen ist daher mit dem EQ4 nicht möglich. Insofern sind die Einsatzmöglichkeiten des EQ4 also schon einmal entsprechend eingeschränkt. Doch diesen Job will der EQ4 auch gar nicht übernehmen und überlässt es anderen Equalizern mit chirurgischer Präzision in den Klang einzugreifen. Die Domäne des EQ4 liegt vielmehr im klanglichen Abrunden anliegender Signale. Die vorgegebenen Frequenzen und Charakteristiken sind für diese Aufgabe einmal mehr sehr individuell ausgelegt, was die Ausstattung des EQ4 nachhaltig prägt und quasi die Handschrift von Cliff Mäag trägt. Auffällig: Die Center-Frequenz des Sub-Bands liegt bei zehn Hertz, also außerhalb des Hörbereichs. Dank der überaus breitbandigen Auslegung dieses Glockenfilters reichen die klanglichen Auswirkungen jedoch bis in den Hörbereich. SPLs Passeq (Tests in den Heften 8/2006 und 1/2011) wartet übrigens ebenfalls mit solch einem tiefen Frequenz-Band auf. Die darauffolgenden nächst höheren Filter bei 40, 160 und 650 Hertz sind ebenfalls als Glockenfilter mit niedrigem Güte-Wert ausgelegt, so dass Frequenz-Überlappungen nicht ausbleiben. Das fünfte Band werkelt bei 2,5 Kilohertz und ist als Shelving-Filter ausgelegt. Den Abschluss bildet das bereits erwähnte Air Band, das mit Hilfe von zwei Drehgebern einstellbar ist und sich in mehrfacher Hinsicht von den anderen Bändern unterscheidet. So lassen sich fünf Center-Frequenzen einstellen oder das Band auf Bypass stellen. Erste Besonderheit: In der höchsten Stellung ist eine Center-Frequenz von 40 Kilohertz aufrufbar, was ebenfalls außerhalb des Hörbereichs liegt. Auch in diesem Fall gilt das Gleiche, was bereits zum Sub-Band dazu erwähnt wurde. Nächste Besonderheit: Die Frequenzen des in Shelving-Charakteristik arbeitenden Air Bands lassen sich, anders als in den übrigen Bändern, ausschließlich verstärken. Bemerkenswert: Die Skalierung der Regler entspricht nicht den tatsächlichen Pegeländerungen. Stehen die Regler auf Linksanschlag in Stellung „-5“ erzeugt der EQ4 eine Dämpfung von 4,5 Dezibel. Ganz nach rechts gedreht, also in Stellung „+5“,  herrscht eine Verstärkung von satten 15 Dezibel. Logische Konsequenz: Der EQ4 muss und soll nach Gehör eingestellt werden. Dank der Raststufen ist das Reproduzieren von Einstellungen gottlob ein Kinderspiel, wobei Mäag Audio sich die Kritik an den Vorgänger-Modellen, die mit herkömmlichen Potis ausgestattet sind, offensichtlich zu Herzen genommen hat. Neu und ausschließlich im Plug-in anzutreffen, ist ein Trim-Regler, der unscheinbar in der Nähe der Signal- und Peak-LED integriert ist und bei Bedarf das Dämpfen des Ausgangs-Signals um maximal 24 Dezibel gestattet. Denn anders als gewohnt, führt das Verstärken von Frequenzen gleichzeitig zu einem Anheben der Lautstärke am Ausgang.   Der Grund: Die sechs Bänder sind nicht wie gewohnt seriell, sondern parallel verschaltet. Das eingespeiste Signal wird also intern auf sechs Kanäle verteilt, in denen jeweils ein Filterschaltkreis völlig autark und ohne Beeinflussung durch die benachbarten Bänder das Signal entzerrt. Am Schluss werden die sechs parallel geführten Signalwege schließlich wieder summiert und das Gesamtresultat auf den Ausgang gegeben.

Zugegeben, völlig neu und revolutionär ist dieses Schaltungs-Prinzip wahrlich nicht. Der X-EQ von SSL (Test in Heft 5/2011) oder die PEQ-Equalizer von Algorithmix (Test in Heft 8/2007) erlauben ebenfalls das Umschalten zumindest eines Teils der Bänder von seriell nach parallel. In der Hardware-Welt arbeiten graphische Equalizer übrigens ebenfalls nach diesem Schaltungs-Prinzip. Nicht alltäglich ist diese Art des Signal-Processings dennoch, ganz zu schweigen von den damit verbundenen klanglichen Auswirkungen. Denn das Aufsummieren der parallel geführten Signalzweige führt beim Boosten von Bändern nicht nur zu einem Anstieg der Lautstärke. Überdies finden auch Phasenauslöschungen und -verschiebungen statt, die anders ausfallen und klingen als bei einer seriellen Filter-Verschaltung. Im Fall des EQ4 stimmt die zuletzt gemachte Aussage jedoch nicht ganz. Der Grund: Durch die Breitbandigkeit der Filterkurven sowie durch das Schaltkreis-Design sollen die Filter laut Hersteller minimalphasig ausgelegt sein. Das lässt jedenfalls auf Großes in Sachen Klang schließen.   Im Hörtest setzt sich der virtuelle EQ4 auch sogleich eindrucksvoll in Szene. Tatsächlich überzeugt das Plug-in durch einen höchst transparenten Grundsound. Überdies zeigt sich der virtuelle Mäag-Equalizer im Test als sanft zupackender Zeitgenosse. Um deutliche Änderungen im Klang wahrnehmen zu können, müssen die Regler schon sehr weit aufgerissen werden, wobei es zum Teil schon ein wenig zu viel des Guten ist. Mit diesen Qualitäten kann das Plug-in, nicht zuletzt auch durch die gerasteten Bedienelemente, durchaus auch im Mastering bestehen. Im Test setzen wir den EQ4 sowohl in Einzelspuren, als auch in Mixen ein. Erstes Zwischenfazit: Obwohl lediglich Festfrequenzen zur Auswahl stehen, vermissen wir im Test nichts. Die Resultate wissen ausnahmslos zu gefallen. Dabei geschieht das Entzerren auf eine nachhaltig unterschwellige und unauffällige Art, bei der zwar hörbar ist, dass sich etwas im Klang geändert hat. Dies aber präzise wie bei anderen Equalizern benennen zu können, fällt beim EQ4 doch deutlich schwerer. Auffällig: Trotz der Breitbandigkeit der Bänder hebt oder senkt das Plug-in auf intelligente Weise stets die relevanten Spektralanteile hervor und lässt den Rest des Signals so gut wie unangetastet. Das Beste: Selbst in extremen Gain-Stellungen klingt dabei nichts verzerrt, mulmig, bissig oder spitz, ganz im Gegenteil. Die bearbeiteten Signale klingen wie von Zauberhand deutlich aufgeräumter und schöner. Unbeabsichtigte Klangfärbungen treten, dank der akkurat nachgebildeten minimalphasigen Auslegung der Filter, nicht auf. Einmal mehr erleben wir den Effekt, dass beim Schalten des Plug-ins auf Bypass das anliegende Signal – obwohl mit bestem Equipment aufgenommen – plötzlich irgendwie falsch, matt und leblos klingt. Damit verfügt es über Highend-Qualitäten wie etwa auch die Ranger-Plug-ins oder der Passeq von SPL (Tests in den Heften 11/2008 und 1/2011), wenngleich der EQ4 im direkten Vergleich in Sachen Transparenz und Subtilität die Nase vorn hat. Das unumstrittene Highlight haben wir uns aber für den Schluss aufgehoben: Das Air Band. Im Test braucht es nur wenige Augenblicke, um ermessen zu können, warum dieses Filterband vornehmlich bei Vokalaufnahmen eine Geheimwaffe darstellt. Gerade in 20- und mehr noch 40-Kilohertz-Stellung entsteht der Eindruck, als ob sich der Raum nach oben hin vergrößert. Alles klingt merkbar luftiger und Gesangsstimmen erhalten tatsächlich einen seidigen Schimmer, bei dem man nicht weghören kann. Gleichzeitig erhöht sich die Lautheit der Stimme, die bei gleicher Lautstärke im Mix ein wenig in den Vordergrund rückt. Im Test sorgt das Air Band bei einer spärlich instrumentierten Ballade dafür, dass die Zartheit des vokalen weiblichen Vortrags noch deutlicher hervorgehoben wird und dadurch noch feenhafter klingt. Auch bei anderen Signalen und vor allem bei Mixen wirkt das Air Band wahre Wunder und erhöht den Aufmerksamkeits-Faktor merkbar. 

Fazit

Mit dem EQ4 präsentiert die Plugin Alliance ein Spitzenklasse-Produkt ohne Wenn und Aber. Das Plug-in demonstriert auf anschauliche Weise, warum Profis diesen Equalizer so hoch schätzen. Gleichzeitig  demaskiert sich der EQ4 als Geheimwaffe in Sachen Highend-Sound. Wer immer noch vergeblich versucht mit seinem Arsenal an Equalizern einen Top-10-Sound aus seinen Aufnahmen herauszukitzeln, sollte sich das EQ4-Plug-in in jedem Fall einmal vornehmen. Seien Sie dessen sicher: Anschließend wollen Sie es nie wieder deaktivieren.

 

Erschienen in Ausgabe 05/2012

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 229$
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut