Wohlklang – Equalizer

Mit dem VSE-2 stellt die Münchner Edelschmiede Vertigo Sound erstmals einen Equalizer vor. Dabei hat man hat sich für die heutzutage eher unkonventionelle Gyrator-Schaltung entschieden. Durch konsequente Perfektionierung dieser bereits seit 1948 bekannten Schaltungsvariante soll ein ungewöhnlich musikalisch arbeitender Klangformer erreicht werden. Wir haben für Sie genau hingehört.

Von Igl Schönwitz

Andy Eschenwecker, Inhaber und Mastermind von Vertigo Sound, war immer schon fasziniert vom Sound diskreter analoger Schaltungen vergangener Zeiten. Mit der Einführung der integrierten Schaltungen (ICs) wurden die Möglichkeiten für Entwickler flexibler und die Fertigung günstiger, allerdings blieb die Musikalität der Geräte dabei vielfach auf der Strecke.

Hier setzt die Entwicklungsarbeit von Vertigo Sound an. Andy Eschenweckers Ziel ist es dabei allerdings nicht, lediglich alte Designs – womöglich noch unter Verwendung von Uralt-Bauelementen aus der „Elektronik-Wühlkiste“ – zu kopieren. Vielmehr wird akribisch analysiert, welche Eigenschaften der geliebten Vintage-Geräte zu deren sprichwörtlich musikalischem Sound geführt haben. Diese Erkenntnisse fließen dann unter Verwendung moderner Bauteile (die vielfach weit bessere Eigenschaften haben als ihre historischen Pendants) in die eigenen Boutique-Designs ein. Das Ergebnis sind Geräte, die in puncto Nebengeräuschverhalten, Verzerrungsarmut und Übersteuerungsfestigkeit heutige Mastering-Anforderungen mühelos erfüllen, aber dennoch die beliebten Klangcharakteristika historischer Analogtechnik bieten.

Das Produktportfolio umfasst bislang überschaubare drei Geräte, zwei davon – der Mikrofonvorverstärker VSP-2 und der VCA-Kompressor VSC-2 – wurden bereits mit unserem begehrten Editor`s Choice ausgezeichnet. Der VSC-2 ist inzwischen Standard in vielen Masteringstudios und mittlerweile sogar als Plug-in-Simulation verfügbar. Nun gibt es also auch einen Equalizer von Vertigo, und wir sind mehr als gespannt.

Der VSE-2 ist ein zweikanaliger Dreiband-Equalizer, der in konsequentem Dual-Mono-Design ausgeführt ist. Für jeden Kanal steht zusätzlich ein stufenlos regelbares High Pass-Filter zur Verfügung.

Das Gehäuse

Der VSE-2 Discrete Gyrator EQ, so die vollständige Produktbezeichnung, ist Vertigo Sound-typisch geprägt von schlichter Eleganz. Wie alle Vertigo-Produkte kommt auch der VSE-2 in einem zwei Höheneinheiten messenden 19-Zoll-Gehäuse mit einer eloxierten Aluminiumfrontplatte – nach dem goldgelben Mix Satellite, dem blauen VSC-2 Kompressor und dem grünen VSM-2 Micpre nun in klassischem Rot gehalten.

Auf der rechten Seite der Gerätefront findet sich der Netzschalter mit dazugehöriger Betriebs-LED. Die restliche Bedienfront teilen sich – optisch übersichtlich voneinander abgegrenzt – die Bedienelemente der beiden Kanäle. Es gibt je sechs Stufenschalter für die beiden Equalizer sowie ein Poti für das stufenlos von 10 – 400 Hertz durchstimmbare High-Pass-Filter. Vier Kippschalter, mit denen sich die Pass-Filter und EQ-Sektionen der beiden Kanäle deaktivieren lassen, runden die Ausstattung ab.
Alle Dreh- und Kippschalter sind von allerhöchster Qualität, und auch die restliche Verarbeitung des VSE-2 ist äußerlich wie intern vorbildlich, wie es sich für ein High-End Gerät gehört. Hier wird in einer echten Manufaktur noch zeitloser Mehrwert geschaffen.

Auf der Rückseite des vergleichsweise tiefen Gehäuses finden wir wenig überraschend eine Kaltgerätebuchse für das Netzkabel sowie vier XLR-Buchsen für die Audioverkabelung. Bleibt vielleicht zu erwähnen, dass Pin 1 der XLR-Anschlüsse zur Vermeidung von Brummschleifen keine Verbindung mit der Gehäusemasse hat und das Gerät ein- wie ausgangsseitig sowohl symmetrische wie auch unsymmetrische Signale akzeptiert.

Die Technik des VSE-2

Die Eingänge des VSE-2 sind über Jensen-Übertrager symmetriert, die Ausgangssymmetrierung erfolgt elektronisch. Wie bereits erwähnt, ist der VSE-2 auch intern als konsequentes Dual-Mono-Design ausgeführt, beide Kanäle besitzen getrennte Platinen, die Übersprechdämpfung beträgt über 100 Dezibel.

Die Gyrator-Technologie des VSE-2 soll für einen seidigen Sound sorgen, der trotzdem Durchsetzungsfähigkeit und Detailtreue mitbringt. Hintergrundinformationen zu Gyrator-Equalizern finden Sie im Kasten auf Seite 29. Nun gab es in der Vergangenheit bereits einige gyratorbasierte Equalizer. Allerdings wurde dabei in den allermeisten Fällen ein integrierter Schaltkreis (IC) als Gyrator verwendet. Ganz anders im VSE-2:
Vertigo Sound führt seine Gyratoren als diskrete Schaltungen aus. In jedem Gyrator kommen acht gematchte Transistoren zum Einsatz. Dies hat einerseits grundsätzliche klangliche Vorteile, andererseits eröffnet es den Entwicklern die Möglichkeit, die Gyratoren auch hinsichtlich Ihres Klirrverhaltens akribisch abzustimmen. Die Gyratoren des VSE-2 erzeugen hauptsächlich geradzahlige Obertöne und legen damit das Verzerrungsverhalten von Röhren an den Tag. Diese Eigenschaft verleiht dem Audiomaterial auch bei drastischeren Bearbeitungen immer einen subtilen Glanz, der nie aufdringlich oder aggressiv wird. Der Hersteller legt Wert darauf, dass die erwünschten Klirranteile nur frequenzabhängig von den Gyratoren in den Filtern und nicht von den Verstärkerelementen her rühren.

Der VSE-2 besitzt sechs dieser diskret aufgebauten Gyratoren für die Frequenzanwahl der einzelnen Bänder. Die Anhebung und Abschwächung der Bänder wird von Vertigos ebenfalls diskret aufgebauten Operationsverstärkern erledigt, die auch im preisgekrönten VSP-2 Mikrofonvorverstärker ihren Dienst tun.

Der VSE-2 Equalizer

Pro Kanal bietet das Gerät je ein Bass- ein Mitten und ein Höhenband. Die obere Reglerreihe auf der Frontplatte präsentiert sich als Cut-Boost-Switch, die Drehschalter der unteren Reihe sind für die Frequenzanwahl zuständig. Bedingt durch die Gyratortechnologie sind alle Bänder als Glockenfilter mit proportionaler Q-Charakteristik ausgeführt. Dies bedeutet, dass die Flankensteilheit des Filters bei zunehmender Anhebung oder Absenkung immer größer wird. Im Gegensatz dazu nimmt die konstante Q-Charakteristik manch anderer Equalizer bei zunehmender Bearbeitung immer mehr Nachbarfrequenzen mit – die proportionale Güte-Auslegung erlaubt somit eine punktgenauere Arbeitsweise. Die Bandbreite der Filter des VSE-2 wurde so gewählt, dass sich die Filter möglichst wenig gegenseitig beeinflussen. In der Praxis – so viel sei schon verraten – funktioniert die Auslegung hervorragend.
Die Frequenzen der einzelnen Bänder schließen nahtlos an einander an, überlappen sich jedoch nicht. Ohne die Gyratorschaltung noch wesentlich aufwändiger zu gestalten, wäre das wohl nicht anders möglich gewesen, trotzdem bedeutet dies eine leichte Einschränkung in der Praxis.

Die Beschriftung der Frequenzen der Bass- und Höhenbänder befinden sich oberhalb der Drehschalter, die des Mittenbandes unterhalb desselben. So bilden die Frequenzaufdrucke auf der Frontplatte die Form einer Sinuswelle – ein optisch schönes Gimmick, das zudem der Übersichtlichkeit dient. Die A.I.R. (All Impedance Resonance) – Schaltung des Höhenbandes ist wohl angelehnt an entsprechende Schaltungen bekannter Mastering-EQ`s. Allerdings ist sie im Gegensatz zu diesen kein Shelving-EQ, sondern ebenfalls ein Glockenfilter mit einer Einsatzfrequenz von 16 Kilohertz. Die rechte Hälfte der Filterglocke liegt somit zum Teil oberhalb der Hörschwelle, was im Ergebnis einen ähnlichen Effekt bringt wie ein High-Shelf. Allerdings ist die Flankensteilheit höher, so dass nur allerhöchste Signalanteile betont werden, wo viele Instrumente bereits keine nutzbaren Obertöne mehr haben. Häufig bringt die Verwendung des Zehn-Kilohertz-Bandes daher nutzbarere Ergebnisse. Andererseits kann man die in manchen EQs anzutreffende Verwendung von Shelving-EQs mit Einsatzfrequenzen von 40 Kilohertz auch kritisch sehen – schliesslich werden hier unhörbare Signalanteile geboostet, die nachfolgendes Equipment wie Kompressoren unnötig zur Arbeit anregen. Für Vinyl-Pressungen beispielsweise muss so etwas sogar aufwändig gefiltert werden, um eine Überhitzung der Schneidstichel zu vermeiden.

Doch zurück zum Testgerät: Auch die Gain-Regler sind, wie erwähnt, als Schalter ausgeführt. Das hat natürlich den Vorteil, dass die beiden Kanäle leicht identisch eingestellt werden können, zudem sind alle Einstellungen jederzeit exakt reproduzierbar. Im heutigen Mastering-Alltag ein unverzichtbares Feature. Die Beschriftung der Frontplatte gibt jedoch keinen Aufschluss über die Unterteilung der Gain-Schalter – für mich ist das kein Manko, ist es doch ohnehin meist zielführender, mit den Ohren zu arbeiten. Das Datenblatt gibt gleichwohl selbstverständlich Auskunft (siehe Steckbrief). In der Praxis erweisen sich die Unterteilungen als sinnvoll gewählt.

Der VSE-2 im Messlabor

Auf dem Messplatz macht der VSE-2 die erwartete souveräne Figur: Die Gleichtaktunterdrückung ist vorbildlich. Im relevanten Bereich liegt die Kurve unterhalb -65 Dezibel. Das Übersprechen zwischen den Kanälen beträgt nicht nur die angegebenen über 100 Dezibel, sondern gemessen über 110, unterhalb von fünf Kilohertz sogar über 120 Dezibel. Der Frequenzgang verläuft bei Nullstellung der EQ-Bänder (die messtechnisch genau das tun, was im Datenblatt verzeichnet ist) linealglatt von unter 10 Hz bis über 40 kHz. Fremd- und Geräuschspannungen können sich ebenfalls sehen lassen. Im Test ermitteln wir exzellente 99,9 und 102,7 Dezibel.
Interessant ist der Kurvenverlauf des Gesamtklirrfaktors: Während dieser bei IC-basierten Geräten meist schnurgerade verläuft, zeigt sich beim VSE-2 ein sehr welliger Verlauf mit deutlichen Anstiegen zu Bässen und Höhen, die allerdings in Ihrem Maximum immer noch hervorragende 0,05 Prozent ausweisen. Laut Vertigo Sound ist das kein Fehler, sondern gerade der Beweis dafür, wie gut der Gyrator funktioniert, denn dies sei relativ genau der frequenzabhängige Verlauf des Klirrfaktors, den eine Schaltung mit drei Spulen typischerweise mit sich brächte.

Hörtest

Für einen ersten Hörtest habe ich die Pro-Tools Session meines Masters der neuen CD „#Jazz“ des Alexander Paeffgen Trios (Broadview Music) wieder hervorgeholt. Eine sehr schöne Klaviertrio-Produktion, aufgenommen von meinem lieben Kollegen Philippe Stalder in der Fattura Musica in Osnabrück. Das Repertoire umfasst klassisch angehauchte Jazz-Nummern bis hin zu richtig rockigen Titeln, die frequenztechnisch im Lowmid- und Bassbereich kompliziert sind, da die tiefen Lagen des Flügels und der Kontrabass gleichzeitig im Forte spielen.
Schon der erste zaghafte 2 dB-Boost bei 10 kHz zauberte uns ein breites Grinsen ins Gesicht. Das klang so elegant, musikalisch und „teuer“ im Sinne von edel, wie ich es nur wirklich selten von einem Equalizer gehört habe. Auch extremere Einstellungen klingen immer weich und angenehm – man muss an dieser Stelle fast schon vorsichtig sein, nicht zu viel zu bearbeiten, so unauffällig und wenig angestrengt tönt der VSE-2.

Bearbeitungen im Mitten- und Tieftonbereich bieten ein vergleichbares Bild. Gerade bei Arrangements mit kompliziertem Bassbereich vermag der VSE-2 die einzelnen Instrumente so fein aufzulösen und voneinander zu separieren wie kaum ein anderer mir bekannter EQ. Hier ist es ein wenig schade, dass die Bänder nicht überlappen – manchmal kann es wünschenswert sein, den Bereich von 40 oder 60 Hz für mehr Druck anzuheben und gleichzeitig bei 120 Hz etwas Mulm herauszunehmen. Da muss der VSE-2 passen, da das Mittenband erst ab 350 Hz arbeitet.
Schlussendlich ist das aber nicht wirklich schlimm, für chirurgische Korrekturen wie das Ausfiltern von Mulmfrequenzen sind schließlich auch einige vollparametrische Equalizer-Plug-ins gut geeignet. Beim Tracking oder Mixing, wofür sich der VSE-2 selbstverständlich ebenfalls empfiehlt, könnte man auch die beiden Kanäle in Reihe schalten und hätte dann sechs EQ-Bänder für ein Mono-Signal.

Die Tatsache, dass keine Shelving-EQs zur Verfügung stehen, ist anfangs etwas ungewohnt – nach ein wenig Einarbeitung vermisst man sie aber kaum, denn der VSE-2 bringt mit seinen Glockenfiltern häufig akzentuiertere Ergebnisse. Einige Kollegen wird der Gainbereich von „lediglich“ acht Dezibel irritieren. Allerdings greift der VSE-2 so effektiv, dass das in den allermeisten Fällen ausreichen wird. Und fürs ganz Grobe wird man wohl ohnehin eher andere Geräte bemühen. Wer im Bassbereich bewusst „schmutzige“ Vollgasorgien feiern möchte, wird wohl woanders fündig.

FAZIT

Dieser EQ ist klanglich das Beste, was mir seit langem ins Studio gekommen ist. Blitzsauber, analytisch, aber trotzdem niemals steril und mit einer wunderbaren Färbung. Einige Einschränkungen, die die Gyrator-Schaltung in Sachen Flexibilität mit sich bringt, nimmt man dafür gerne in Kauf. Der Vertigo Sound VSE-2 hat mit seinem innovativen Konzept in jedem Fall das Zeug dazu, den Markt für Equalizer der Referenzklasse nachhaltig aufzumischen. Auch wenn das Jahr 2016 noch jung ist, dürfte der VSE-2 ein ganz heißer Anwärter auf einen Editor`s Choice sein.

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Die Gyrator-Technologie des VSE-2

Unter einem Gyrator versteht man eine elektronische Schaltung, die eine Spule emuliert. Dies hat einige Vorteile: Zum einen ist eine Gyrator-Schaltung wesentlich verzerrungsärmer als eine Spule. Zum anderen ist das Klirrspektrum bei einer Gyrator-Schaltung durch das Schaltungsdesign beeinflussbar, während eine Spule besonders im Bassbereich immer ungeradzahlige Verzerrungen erzeugt.

Überdies treten bei einem Gyrator Resonanzen und Überschwinger, die eine Spule mit sich bringt, nicht auf. Abseits dessen: Um sauber klingende tieffrequente Filter zu realisieren, sind bekanntlich sehr große Spulen notwendig, auch das lässt sich mit einem Gyrator eleganter lösen.

Laut Vertigo Sound hat ein Impedanzkonverter wie der Gyrator, der aus passiven Bauteilen und einem Operationsverstärker realisiert wird, im Gegensatz zu einer Spule so gut wie keine Eigenkapazität. Gleichzeitig hat ein Gyrator keinen Wicklungswiderstand wie das Spulen- Pendant. Gleichwohl besitzen Gyratoren die gleiche Energie-Speicherkapazität wie eine Spule. Daher hat ein gutes Gyrator-EQ-Design die gleiche seidige Klangcharakteristik wie klassische spulenbasierte Vertreter, zeichnet sich aber gleichzeitig durch wesentlich mehr „Punch“ und „Grip“ aus.
Dem stehen allerdings auch einige Einschränkungen gegenüber, die das Gyrator-Konzept mit sich bringt: Mit Gyratoren sind nur Bell-EQ`s mit einer Proportional-Q-Charakteristik zu realisieren – Shelving-Filter sind nicht möglich. Regelbare Flankensteilheiten wären nur mit enormem technischen Aufwand zu erreichen. Zudem ist auch eine stufenlos regelbare Centerfrequenz eines Filters mit einem Gyrator nicht realisierbar.
Eine weitere Problematik, die mit der Gyrator-Technologie einhergeht, ist die notwendige Abstimmung des Cut/Boost-Reglers. Während Potentiometer in linearen oder logarithmischen Varianten handelsüblich verfügbar sind, wäre für den Gyrator-EQ ein Exemplar mit S-förmiger Charakteristik notwendig. Derlei Potis wären zwar als Sonderkonfiguration verfügbar, haben aber, wie Andy Eschenwecker erläutert, häufig das Problem, dass sie zu den Enden des Regelweges hin ungenau werden.
Vertigo Sound löst all dies im VSE-2 elegant durch die konsequente Verwendung von Stufenschaltern sowohl für die Frequenzanwahl wie auch die Cut/Boost-Einstellung in der EQ-Sektion.

Erschienen in Ausgabe 03/2016

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 5335
Bewertung: sehr gut – überragend
Preis/Leistung: sehr gut