Neue Falten in der Faltung

Aus Italien kommt mit Nebula 3 ein Faltungs-Plug-in, das mit einem völlig neuartigen und revolutionären Konzept zur Erzeugung von Klang aufwartet und das auch noch zum Schnäppchenpreis. Ob es damit den Etablierten das Fürchten lehrt?    

Von Georg Berger

Der Großteil der Plug-ins, die sich dem mathematischen Verfahren der Faltung bedienen, erzeugen nur einen Effekt: Hall. Zum Einsatz kommt eine einzige Impulsantwort, die dem anliegenden Signal aufgeprägt wird und die für den entsprechend authentischen Raumklang sorgt. Mehr ist auch nicht nötig, da es sich bei Hall um ein lineares Ereignis handelt. Wer die klanglichen Meriten der Faltung auch bei nicht-linearen Effekten wie etwa Equalizer oder Kompressor einsetzen möchte, muss auf Prozessoren zurückgreifen, die die nächst höhere Form der Faltung nutzen: Die dynamische Faltung. Für jede Parameterstellung und für unterschiedlich anliegende Eingangspegel wird eine eigene Impulsantwort erstellt, um den authentischen Klang und das Regelverhalten auch für diese Effekte erzeugen zu können. Plug-ins, die sich dieser Methode bedienen gibt es aber nicht. Der Grund: Das Verfahren der dynamischen Faltung ist patentrechtlich vom portugiesischen Unternehmen Sintefex geschützt. Neben Hardware-Peripherie von Sintefex selbst existiert momentan nur noch einige Hardware von Focusrite, wie etwa der Liquid Mix (Test in Heft 11/2006), die sich dieses Verfahrens in Lizenz bedienen. Soweit, so gut, aber jetzt tritt das im italienischen Massalengo ansässige Unternehmen Acustica Audio mit ihrem Firmengründer und Mastermind Giancarlo del Sordo auf den Plan. Er präsentiert mit Nebula 3 eine Software mit einem unverbindlichen Richtpreis von 95 Euro, die nicht nur eine rein native Lösung der dynamischen Faltung ist, sondern auch einen völlig neuen alternativen Weg durch Einsatz sogenannter Volterra Kernels geht, nicht zuletzt um patentrechtlichen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen…

Durch Einsatz dieser Volterra-Algorithmen werden zusätzlich zur Impulsantwort sogenannte Kernels erzeugt, die den Effektklang in harmonische Teilspektren aufsplitten und einen volleren Klang erzeugen. Vorteil: Die Kernels können manipuliert werden und erlauben eine besondere Art des Sound-Designs. So ist es möglich, zwischen Kernels in Echtzeit zu interpolieren, was zu einem sehr homogenen und dynamisch formbaren Klang führt. Nebula 3 nutzt also das Verfahren der dynamischen Faltung, erweitert und modifiziert es und vermag dadurch nicht nur die üblichen Hallräume, Equalizer und Kompressoren zu erzeugen. Im Lieferumfang der 1.000 Presets finden sich auch Nachbildungen von Mikrofonen, Vorverstärkern, Filtern, Bandmaschinen und erstmals auch von zeitbasierten Effekten wie Chorus, Flanger und Phaser. Möglich ist dies durch simples Loopen der erwähnten Kernels. Letzteres kann die klassische dynamische Faltung nicht bieten. Der Redaktion ist zumindest nichts Gegenteiliges bekannt. Das Repertoire an Impulsantworten speist sich zum Großteil aus einschlägig bekannter und hochkarätiger Hardware. Die findet Niederschlag in Preset-Namen wie „Strudel A81“, „Newman“, „Sure“ oder „State of Logic“, die zumindest Kennern vermitteln, was dort gesamplet wurde. Um Nebula 3 realisieren zu können, mussten laut del Sordo 1,5 Millionen Zeilen Programmcode geschrieben werden. Das hört sich für den Endverbraucher sehr teuer an. Doch das Produkt ist es nicht. Für Nebula 3 werden, wie gesagt, gerade einmal 95 Euro verlangt. Dafür erhält der Käufer eine cirka sechs Gigabyte große Impulsantworten-Library, das Nebula-Plug-in und mit NAT2 eine Stand-alone Software, um eigene Impulsantworten und Presets für Nebula 3 zu erstellen.   Die Geschichte der Entstehung von Nebula 3 folgt da mal wieder dem üblichen Schema: Ein Musiker ist mit dem Angebot an erhältlichen Plug-ins unzufrieden und entwickelt daraufhin sein eigenes Produkt. Aufgrund der patentrechtlichen Schwierigkeiten der dynamischen Faltung hat das eine Menge kreatives Potenzial freigesetzt und führte schließlich zu etwas, was mehr kann, als ursprünglich beabsichtigt war. Acustica Audio ist noch im Stadium eines Start-up Unternehmens, was sich in der Tatsache zeigt, dass Giancarlo del Sordo nach wie vor einen Job als Programmierer bei einer Bank ausübt. Wer Nebula 3 kaufen möchte, kann dies bis dato nur online via Download-Link und Paypal machen. Doch Acustica Audio ist bereits auf der Suche nach einem professionellen deutschen Vertrieb. Eine boxed-Version ist ebenfalls in Vorbereitung, die nach Angaben von del Sordo etwas über 100 Euro kosten soll. Wer die berühmte Katze im Sack nicht kaufen will, erhält noch weitere Optionen: Acustica Audio bietet eine voll funktionsfähige Freeware von Nebula ohne NAT-Software an mit eingeschränktem Library-Content. Mit der cirka 24 Euro teuren Vorversion Nebula 2 steht eine weitere Alternative am Start. Ein Upgrade auf Nebula 3 muss nur noch mit der Differenz zum Kaufpreis der Dreier-Version bezahlt werden. Käufer von Nebula können schließlich über www.nebula-programs.com ihre eigenen Impulsantworten uploaden und weitere kostenfrei downloaden. Kommerzielle Libraries sind ebenfalls erhältlich und halten das Repertoire von Nebula 3 permanent up to date.  

Bei aller Innovation, die Nebula in sich trägt, dürfen die Schattenseiten nicht verheimlicht werden: Nebula gibt es momentan nur in Form eines VST-Plug-ins für die Windows-Plattform. AU- und RTAS-Versionen sind zwar angedacht, allerdings noch nicht in Planung. Wer in die Tiefen der Editierung von Nebula 3 eintauchen will, muss schon ein halber Akustiker beziehungsweise Physiker sein. Denn der Vorrat an einstellbaren Parametern greift in sehr komplexe Prozesse ein, die erst einmal verstanden sein wollen, was sich aber nicht jedem erschließt. Last not least zeigt sich gerade beim Einsatz von Hall-Presets ein im Vergleich zu reinen Faltungshall-Plug-ins deutlich höhere CPU-Last. Gerade bei Raumsimulationen und Modulationseffekten schnellt die CPU-Anzeige rasch auf über 25 Prozent, weshalb sich der Einsatz von Nebula 3 entweder nur fürs Mastering empfiehlt oder Spuren in einem Arrangement direkt mit Nebula-Effekt gebounct werden sollten, um Performance-Einbrüche zu vermeiden. Das ist eben Segen und Fluch einer neuen Technik. Nach der Installation des Plug-ins und der Impulsantworten-Library, die übrigens frei wählbar auch auf eine andere Festplatte als die System-Partition gespeichert werden kann, finden wir im Effekte-Auswahl-Menü von Nuendo 4 zwei Nebula-Versionen. Die schlicht Nebula bezeichnete Version arbeitet mit einer Latenz von 197 Samples. Die Reverb-Variante arbeitet mit einer Latenz von über 16.000 Samples und empfiehlt sich für die Modulationseffekte und den Hall, damit die Hallfahnen nicht abgeschnitten werden. Der Grund: Ebenso wie bei Reflections LE (Test im letzten Heft) müssen aufgrund fehlender Einstellmöglichkeiten im VST-2.4-Standard verschiedene Latenzen durch Aufruf separater Plug-in-Versionen eingestellt werden. Im Test glänzt die kleine Version durch einen kaum merkbaren zeitlichen Versatz. Bei der Reverb-Variante ist dies natürlich schon anders. Die Bedienoberfläche ist binnen weniger Augenblicke erfasst. Zwei Fader für Ein-  und Ausgangslautstärke und weitere acht Macro-Fader, die je nach geladenem Preset mit unterschiedlichen Parametern belegt sind, erlauben Eingriff in die Klanggestaltung. Zentraler Dialog ist das interaktive Display in der Mitte, das mit seiner Gestaltung an LC-Displays von Effektgeräten und Synthesizern der 90er-Jahre erinnert. Über sechs Menü-Buttons darin können unterschiedliche Dialoge aufgerufen werden. Die Fast-Seite dient zum Suchen und Laden von Presets. Die Program-Seite erlaubt über weitere Buttons und Binnendialoge das detaillierte Editieren und anschließende Speichern des Presets. Das Disk-Menü gestattet das Laden weiterer Impulsantworten-Libraries. Die Master-Page bietet Eingriffsmöglichkeiten in das globale Verhalten von Nebula. Hier dürfte man als erstes die Meter-Anzeige von einem der RMS-Modi auf Peak umstellen wollen. Denn zu Anfang nervt das ständige Aufleuchten der Overload-Anzeige doch recht schnell, was durch Umschalten schnell beseitigt ist. Witziges, aber durchaus sinnvolles Feature: Der Colour-Eintrag in der Master-Page erlaubt eine alternative Darstellung des Displays (siehe Abbildungen), was sich zur besseren Unterscheidung dringend für die Normal- und Reverb-Version von Nebula 3 empfiehlt. Wem das noch nicht reicht und die goldene Bedienoberfläche des Plug-ins missfällt, erhält darüber hinaus die Möglichkeit, das gesamte Plug-in – allerdings dann direkt für beide Nebula-Versionen gemeinsam – in seinem Aussehen durch Aufruf sogenannter Skins zu ändern. Dazu reicht es, eine der anderen Skin-Dateien im gleichnamigen Ordner zu kopieren, in „OverwriteMe“ umzubenennen und durch das bisherige Overwrite-File zu ersetzen. Die übrigen Parameter der Master-Page sollten jedoch nach Möglichkeit unangetastet bleiben. Denn da geht es schon ins Eingemachte. Wer dennoch klangliche Einbußen bemerkt oder mit Performance-Problemen zu kämpfen hat, sollte die Werte für Quality, Time und Frequency Domain versuchsweise ändern. Einfacher geschieht da das Handling in der MIDI-Page: Sie erlaubt ein Routing von MIDI-Controller-Nummern auf die acht Macro-Fader.

So richtig in die Vollen geht es auf der Kernel-Page und in den Unter-Menüs der Program-Page nach Druck auf den Edit-Button. Wer sich mit der Technik von Nebula 3 nicht auseinandersetzen will – das Handbuch ist da nicht wirklich eine Hilfe und vermittelt lediglich nur den Hauch einer Vorstellung, was sehr schade ist – sollte diese Seiten in jedem Falle meiden. Zumeist kommt man aber mit der Speicherfunktion der Program-Page, der Fast- und Disk-Menüseiten bestens aus.   Wer sich auf das Abenteuer einlässt und in der Program-Page auf den Edit-Button drückt, erhält eine Reihe weiterer Unter-Dialoge, die Eingriff auf das Verhalten des Presets beziehungsweise ihrer Kernels nehmen. Vertraute Bekannte wie LFOs, Hüllkurven und Envelope Follower, aber auch mathematische Funktionen – FUNS genannt – dienen zur Kontrolle und Steuerung der Kernels. Der Test zeigt: Auf die Schnelle ist ein souveräner Umgang mit diesen Parametern nicht möglich. Nebula 3 ist das bislang komplexeste Plug-in, das von Professional audio Magazin getestet wurde. Klangschrauber mit Hang zur Neugierde werden dort jedenfalls auf ihre Kosten kommen. Sie sollten allerdings eine hohe Frustrationsschwelle besitzen, denn meistens ist am Ende ein eher hässlicher Klang zu hören, als etwas musikalisch Verwertbares. Wer wirklich in die Tiefen von Nebula 3 abtauchen will, braucht eine Menge Zeit, Lerneifer, Sachverstand und Geduld.   Anders verhält es sich, wenn die einzelnen Presets geladen und über die acht Macro-Regler eingestellt werden. Im alltäglichen Einsatz verhält sich Nebula 3 wie jedes andere Effekt-Plug-in und bereitet auch dem blutigsten Laien keine Probleme. Allerdings stellt sich der Vorrat an einstellbaren Parametern auf der obersten Preset-Ebene teilweise etwas spärlich dar. Wer im Umgang mit Faltungshall-Plug-ins an Parameter wie einstellbare Hallzeit und Equalizer gewöhnt ist, wird sich mit zumeist zwei Parametern zur Einstellung von Direkt- und Effektsignal begnügen müssen. Die Equalizer-Presets verfügen zumeist nur über ein Band. So gibt es separate Bass-, Mitten- und Höhen-Frequenzbänder für den erwähnten „State of Logic“-Equalizer, was sowohl gut als auch schlecht ist. Wer das ganze Brett haben will, muss entsprechend mehr Instanzen einsetzen. Im Test zeigt das VST-Meter von Nuendo anschließend einen Wert von etwa 25 Prozent. Unschlagbarer Vorteil: Man kann sich in Frankenstein-Manier aufgrund der flexiblen Kombinierbarkeit der Equalizer-Bänder seinen eigenen Monster-Equalizer zusammenbasteln, vorausgesetzt der Rechner hat genügend Leistung. Der Grund: Wegen der aufwändigen und komplexen Berechnungen in Echtzeit würde ein Zusammenfassen sämtlicher Bänder in ein Preset die Performance von schwächeren Computern allzu leicht in die Knie zwingen. Giancarlo del Sordo berichtet uns von einem Nebula-User, der unter dem Preset-Namen „5042“ ein Hardware-Gerät für Nebula gesamplet hat, das sich um die Erzeugung des Bandsättigungsklangs kümmert und das so detailliert eingefangen wurde, dass am Ende die zum Einsatz kommenden Impulsantworten und Kernels einen Speicherplatz von 1,5 Gigabyte benötigen, was nicht mehr praktikabel ist. Acustica Audio hat bei der Auswahl der Presets also zwischen Performance und Einsatzmöglichkeiten abzuwägen. Del Sordo ist dieser Umstand durchaus bewusst. Hier kann man nur auf kommende Leistungssteigerungen der Computer-Hardware vertrauen, was im Umkehrschluss die zukunftsweisende Technik der Volterra-Kernel-Technik zeigt. 

Im Hörtest zeigt sich Nebula 3 bestens aufgelegt und überzeugt mit einem edlen Grundklang. Ganz gleich, welches Preset wir einsetzen, es entsteht der Eindruck, dass Nebula 3 den Signalen zu etwas mehr Vordergründigkeit und Glanz verhilft und ihnen auch einen Schuss Wärme hinzufügt. Dabei braucht Nebula 3 den Vergleich mit Altiverb 6 nicht zu scheuen. In beide Plug-ins laden wir Impulsantworten einer EMT 140 Hallplatte und ein anderes Mal in Altiverb den Lexicon 480-Hall und in Nebula 3 das 960er Modell desselben Unternehmens. Das Ergebnis: Beide Plug-ins umhüllen anliegende Signale ohne unerwünschte Klangfärbung mit Räumlichkeit. Die Effektsignale sind in beiden Kandidaten gleich gut nach oben hin aufgelöst. Altiverb 6 ist jedoch vordergründiger und plastischer. Auffällig: die Hallfahnen in Nebula 3 verklingen deutlich schneller als in Altiverb 6 und das bei allen Hallräumen. Zwar wird die Hallfahne nicht unnatürlich abgeschnitten, aber je nach Programm-Material hätten wir uns schon einen Regler zur Bearbeitung der Nachhallzeit gewünscht. Zwar können wir mit dem Austarieren zwischen Original- und Effektsignal in Nebula schon einiges anstellen. Doch Altiverb 6 geht als klarer Sieger in Sachen Sound-Design hervor. Doch Raumsimulation ist ja nur eine der Disziplinen, die Nebula 3 beherrscht.   Von besonderem Interesse sind natürlich die Modulations-Effekte. Doch hier zeigt sich in Nebula 3 sowohl Licht als auch Schatten. Die Flanger-Presets zusammen mit den Wah-Wah-Klängen sind durch die Bank erstklassig. Das typische Fauchen des Flanger-Effekts klingt nicht zu bissig, bisweilen schon eher zart, ohne dabei den charakteristischen nasalen Grundklang zu kaschieren. Gleichzeitig erhalten Signale einen gehörigen Schuss mehr Wärme und klingen breiter und voller. Einziger regulierbarer Parameter ist die Schwingungs-Geschwindigkeit, mit der wir dem Effekt zu mehr Lebendigkeit verhelfen. Im Test vermissen wir die üblichen anderen Parameter wie Depth oder Feedback überhaupt nicht. Die Wah-Wah-Presets sind ebenfalls in der Geschwindigkeit regulierbar. Nebula 3 verfügt über eine Palette von eher zart klingenden Filterverläufen bis hin zu den markanten angezerrten Sounds, die sehr authentisch rüberkommen. Die Phaser-Presets wissen ebenfalls zu gefallen. Sie zaubern eine Spur mehr Glanz auf die Höhenanteile und besitzen ebenfalls eine Palette, die von subtil bis wild reicht. Enttäuschend hingegen sind die Chorus-Presets. Sie klingen ohne Ausnahme eher wie ein leichter Flanger und besitzen überhaupt nichts von der so hoch geschätzten Wärme und angenehm weichen Tonmodulation, für die er bekannt ist. Alles in allem ist es beachtlich, Modulationseffekte auf Basis von Faltung zu hören. Nebula 3 nimmt in dieser Disziplin eine Monopol-Einstellung, die überdies auch musikalisch sehr gut einsetzbar ist.  

Aber Nebula 3 kann ja noch mehr. Als nächstes testen wir die Equalizer-, Filter- und Kompressor-Presets. Das Ergebnis: Auch in diesen Disziplinen weiß das Faltungs-Plug-in sich gekonnt in Szene zu setzen. Die Filter-Kategorie enthält eine Reihe von Synthesizer-Filtern mit unterschiedlicher Ausprägung, die von zwei- bis achtpolig gehen und mit Hoch-, Tief- und Bandpass-Varianten aufwarten. Ausgestattet mit Regelmöglichkeiten für Cutoff und Resonanz greifen sie teils sehr drastisch und kraftvoll in den Klang ein. Allerdings ist das typische Resonanzpfeifen bei hoch eingestellten Werten merkbar in den Hintergrund gerückt. Spitz und verzerrt klingende Filter mit einer gehörigen Portion Zwitschern sind also nicht die Domäne von Nebula 3. Auffällig: Bewegungen am Cutoff-Regler führen bei einigen Presets zu stufenartigen Filterverläufen. Mit dem Liquidity-Regler, der übrigens bei fast allen Presets vorhanden ist, können wir dem jedoch erfolgreich begegnen. Er gleicht Unterschiede in der Dynamik und bei Parameteränderungen aus. Ähnlich kraftvoll arbeiten auch die Equalizer. Mit den Gain-, Frequenz- und Güte-Reglern kommen wir schnell zum Ziel. Das bereits erwähnte State of Logic Preset schönt auf behutsame, aber dennoch kraftvolle Art anliegende Signale und zeigt sich als musikalisch einsetzbare Komponente. Mitunter entsteht der Eindruck, als ob hier ein linear-phasiger Equalizer seinen Dienst verrichtet. In die gleiche Kerbe hauen auch die Kompressoren, die mit einer Bandbreite von subtil bis druckvoll aufwarten. Von der eher zarten Seite zeigt sich da das „Boeing 747“-Preset, das ohne unangenehme Klangfärbung in die Dynamik eingreift. Das genaue Gegenteil erklingt bei Einsatz des „Fruityjocomp I“-Preset, das auf druckvolle Art und Weise die Dynamik begrenzt und Aufnahmen recht drastisch in den Vordergrund rückt bei gleichzeitiger Anhebung im Bassbereich. Eher schlapp klingende Bass-Drums dürften damit erfolgreich aufzupeppen sein. Auch die übrigen Kategorien mit Presets von Mikrofonen, Vorverstärkern, Bandmaschinen und Instrumentenverstärkern besitzen ihre Vorzüge. Bemerkenswert: Die beiden „Goldmann TLM“-Mikrofon-Presets verschönern auf charakteristische Weise den Klang. Das erste Preset zieht eine Reduktion des Höhenanteils, bei gleichzeitiger Anhebung des unteren Mittenbereichs nach sich und verleiht Signalen merkbar mehr Wärme und lässt sie etwas in den Hintergrund rücken. Das zweite Preset arbeitet in umgekehrter Weise: Es fügt eine Portion mehr Höhenanteil und Luftigkeit hinzu mit nicht ganz so deutlich hörbarer Wärme. Flach klingende Aufnahmen erhalten mit beiden Presets deutlich mehr Charakter und Volumen. Alles in allem enthält das Gesamt-Repertoire für jeden das richtige parat. Sicherlich stößt man bei Auswahl der Presets rasch in Bereiche vor, die mehr den eigenen persönlichen Geschmack betreffen. Doch an der Klangqualität ist da nicht zu rütteln. Nebula 3 klingt deutlich teurer als es ist.

Wem das Repertoire an Presets nicht gefallen oder ausreichen sollte, kann außer dem Download neuer Impulsantworten mit der NAT2-Anwendung auch selbst Hand anlegen und die heiß geliebten Effekte seiner Lieblings-Hardware auf die virtuelle Ebene hieven. Der Umgang ist nach Studium des knappen, aber informativen Handbuchs im Wesentlichen schnell erfasst. Im Test erstellen wir einen kurzen Hallraum, den wir von einem Boss SE-50 Multi-Effektgerät nehmen. Nach Aufruf der Stand-alone-Software muss als erstes in den Audio-Settings der verwendete Wandler nebst Routing der Ein- und Ausgänge definiert werden. Als nächstes verbinden wir die zu samplende Hardware mit dem Wandler. Nat2 muss dann wissen, für welche Plug-in-Version – normal oder Reverb – das Preset erstellt werden soll. Um Nat2 ans Laufen zu bringen, ist jetzt der Import eines sogenannten Session-Files nötig. Es enthält Vorlagen für bestimmte Effekte und Effekt-Kategorien, etwa für einen Acht-Sekunden-Hall, die am Ende in Nebula 3 dieselben Parameter enthalten wie die Werks-Presets. Per Drag-and-drop aus dem Windows Explorer fügen wir ein Session-File ein, woraufhin ein Dialog erscheint, der zur Vergabe eines Preset-Namens auffordert und über den der eigentlich Sample-Vorgang gestartet wird. Über die In- und Output-Meter stellen wir das Testsignal in der Lautstärke ein und fertigen anschließend eine Reihe von Samples an mit unterschiedlichen Eingangspegeln und Effektanteilen. Zum Schluss speichern wir das Ergebnis und können es anschließend in Nebula 3 aufrufen. Das Ergebnis klingt da schon sehr authentisch. Nat2 bietet noch weitaus mehr Möglichkeiten zur Einstellung. Doch würde das den Rahmen des Artikels sprengen.  

 

Volterra Kernels: Das Geheimnis hinter Nebula 3

Die in Nebula 3 eingesetzte Technik zur Erzeugung von Effekten wird im Wesentlichen von zwei Verfahren beherrscht: Der herkömmlichen Faltung mit der Signalen Impulsantworten aufgeprägt werden und den sogenannten Volterra Kernels. Die Bezeichnung stammt von dem italienischen Mathematiker Vito Volterra, der Ende des 19. Jahrhunderts Gleichungen entwickelte, nach der sich jedes nicht-lineare System mathematisch beschreiben lässt. Diese auch unter dem Namen Volterra-Reihe zusammengefassten mathematischen Gleichungen, die als Bestandteile die erwähnten Kernels enthalten, werden schon lange in der Aeronautik zur Simulation und Analyse von Flug- und Wind-Modellen eingesetzt. Die in Nebula 3 verwendeten Impulsantworten bestehen aus einer herkömmlichen Impulsantwort und aus einer Reihe von Teilimpulsantworten, die das eingefangene Effektsignal in seine spektralen Bestandteile aufteilt und zusätzliche Audio-Informationen enthalten. Pro Gesamtimpulsantwort kommen maximal zehn Kernels zum Einsatz, wobei der erste Kernel die herkömmliche Impulsantwort enthält. Anliegende Signale werden in Nebula 3 jetzt simultan von allen Kerneln verarbeitet, also mit herkömmlicher Faltung und den Volterra-Gleichungen. Vorteil: Die Kernels lassen sich im Zeit- und Frequenz-Bereich beeinflussen und das Effektsignal klingt voller und präziser. Ebenso wie bei der dynamischen Faltung können jetzt mehrere Gesamt-Kernels, also Sets dieser zehn Teil-Impulsantworten, in Echtzeit verarbeitet werden, die etwa Informationen über unterschiedlich hohe Eingangspegel enthalten oder verschiedene Parameterstellungen enthalten. Doch anders als bei der patentierten dynamischen Faltung kann Nebula 3 zwischen den unterschiedlichen Kernels interpolieren, um etwa weiche Parameterwechsel möglich zu machen. Dies wird über Steuermodule wie LFOs oder Hüllkurven erledigt. Diese Möglichkeit wird durch die Bezeichnung „Vectorial Volterra Technology“ Rechnung getragen. Einzigartig ist schließlich die Möglichkeit, eine Reihe von Impulsantworten, ähnlich wie in einem Sampler, zu einem Loop zusammenzufassen und zyklisch abzuspielen, was es erstmals möglich macht, zeitbasierte Effekte mit dem Verfahren der Faltung zu realisieren.

Fazit 

Nebula 3 von Acustica Audio zeigt, wo es in Sachen Effekt-Erzeugung demnächst lang gehen soll. Das erweiterte und eigenständige Verfahren zur Erzeugung von Klang auf Basis von dynamischer Faltung weiß klanglich voll zu überzeugen und weist in die Zukunft von virtuellen Effekten. Das muss jedoch mit hoch komplexen Editiermöglichkeiten teuer erkauft werden, die sich nur den wenigsten erschließen werden. Wer an der Oberfläche bleibt und lediglich die mitunter eingeschränkte Zahl an Effektparametern nutzt, erhält trotzdem ein Produkt das deutlich teurer klingt als es ist.

Erschienen in Ausgabe 04/2008

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 95 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: überragend