Das Hall-Schnäppchen
Mit Reflections LE V1.1 kommt ein in Deutschland entwickeltes Faltungs-hall-Plug-in auf den Markt, das den Platzhirschen ordentlich Paroli bieten will. Ob es das schaffen kann, hat Professional audio Magazin überprüft.
Von Georg Berger
Faltungshall-Plug-ins gelten unter Insidern als klanglich exzellent. In Sachen Authentizität von Raumsimulationen stechen sie den Großteil der algorithmischen Konkurrenz locker aus. Bekannt ist auch, dass diese Produkte teilweise sündhaft teuer sind. Platzhirsche wie Waves IR-1 oder Audio Ease Altiverb 6 rangieren in Preisklassen um 800 Euro. Einzige Ausnahme bildet bis dato der Freeware-Faltungshall SIR von Christian Knufinke, der zwar Faltungstechnik jedermann zugänglich macht, aber auch mit einigen Einschränkungen daherkommt, wie etwa eine fest eingestellte Latenz von inakzeptablen 8960 Samples und einer fehlenden Library an Impulsantworten (Die zweite Version des SIR-Halls besitzt diese Mankos nicht. Dafür ist er jetzt kostenpflichtig für cirka 150 Euro erhältlich.). Neue Maßstäbe als preisgünstiges, aber dennoch in jeder Hinsicht professionelles Plug-in will das im hessischen Weiterstadt beheimatete Unternehmen Studio Devices mit seinem Erstlingswerk Reflections LE setzen, das wir in der Version 1.1 zum Test erhielten. Der ausschließlich über VST lauffähige Stereo-Faltungshall – AU- und RTAS-Versionen sind zurzeit nicht geplant – kommt mit einem Kampfpreis von 80 Euro daher und will damit den Etablierten gehörig ans Bein pinkeln…
Für diesen Preis erhält man neben einem latenzfrei arbeitenden Plug-in, das in der Bedienung bewusst einfach gehalten ist, eine cirka 450 Megabyte große Library mit über 670 Impulsantworten. Mit im Test ist auch das jüngste Produkt von Studio Devices, die Bree Casedy Library, die mit einem Arsenal von knapp 300 Impulsantworten im Wav-Format aufwartet und nicht nur in Reflections LE, sondern auch in jeden anderen Faltungshall importierbar ist, der dieses Datenformat lesen kann. Für die Library muss man noch einmal 700 Megabyte Speicherplatz auf der Festplatte reservieren. Kostenpunkt: Cirka 60 Euro. Weitere Impulsantworten-Libraries sollen demnächst folgen. Das nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitende Unternehmen hat sich sein Know-how für die Entwicklung von Reflections LE durch langjährige Tätigkeiten für andere Unternehmen der Musikbranche erarbeitet. Studio Devices hat schon für Hersteller wie Terratec, Mindprint oder Behringer im Bereich Entwicklung, Beratung und Projektmanagement gearbeitet. Hinter Studio Devices steht außerdem ein Tonstudio, das sich auf die Produktion von Jingles spezialisiert hat. So ist die Erfahrung und das Know-how sowohl von Theoretikern, als auch gestandenen Praktikern in die Entwicklung eingeflossen. Den Großteil der insgesamt zehnwöchigen Entwicklungsdauer dürfte die Produktion der notwendigen Impulsantworten in Anspruch genommen haben. Im Gegensatz zu den etablierten Faltungshall-Produzenten übt sich Studio Devices in dieser Disziplin geradezu in Bescheidenheit. Impulsantworten von berühmten Must-Have-Räumlichkeiten, wie beispielsweise die Oper von Sydney, oder das Wiener Konzerthaus, die dann entsprechend großartig klingende Namen erhalten und so dem Produkt zu mehr Exklusivität verhelfen sollen, finden sich nicht im Repertoire von Reflections LE. Aus Kostengründen beschränkten sich die Entwickler bei einem Großteil der Werks-Library auf Impulsantworten von Hallgeräten. Das Studio Devices-Team hat dafür eine Reihe von Musikproduzenten im Frankfurter Raum aufgesucht, die ihnen nicht nur Zugang zu ihren bevorzugten Edel-Hallgeräten gewährten, sondern auch zu den jeweiligen Presets, mit denen sie täglich arbeiten. Der Anwender erhält somit ein Repertoire an bereits praktisch erprobten und bewährten Hallsimulationen. Dennoch kommt Reflections LE nicht ganz ohne die Impulsantworten realer Räume aus. Wiederum getreu nach dem Motto „Warum in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah“, wurden akustisch interessante Örtlichkeiten im Darmstädter Raum gesamplet. Auf konkrete Nachfrage nach den Räumen und Geräten hüllt sich das Weiterstädter Unternehmen in Schweigen – einzige konkrete Angabe: Die Frankfurter Oper. Studio Devices verzichtet nach eigenem Bekunden bewusst auf die Nennung von Ross und Reiter, um den Anwender nicht vorzuprägen und falsche Erwartungshaltungen zu erzeugen. Der soll vielmehr völlig unbelastet und musikalisch-kreativ vorgehen und die verschiedenen Impulsantworten sozusagen nur mit den Ohren auswählen. Konsequenz für die Redaktion: Im Hörtest kommt es zu einem mitunter kontrovers diskutierten und munteren Hallgeräteraten – was aber Spaß macht. Nach der blitzschnellen Installation läuft das Plug-in mit einer fest eingestellten und unhörbaren Latenz von 64 Samples. Besonderheit: Im Plug-in-Ordner von Reflections LE findet sich noch eine Reihe von Zip-Dateien, die die gleiche dll-Datei enthalten, mit allerdings unterschiedlichen, wiederum fest eingestellten Latenzen von 0 Samples bis auf 512 Samples. Vorteil: Wer beim Einsatz der 64-Samples-Variante Einbrüche in der Performance seines Computers bemerken sollte, kann auf die nächst höhere Variante ausweichen – solange, bis er das Optimum gefunden hat. Es reicht, die gewünschte Zip-Datei zu entpacken und die bisherige dll-Datei zu ersetzen. Das erscheint zwar auf den ersten Blick lästig und wirkt eher unelegant. Doch wer seinen Computer kennt, braucht dieses Prozedere nur ein einziges Mal auszuführen und hat danach seine Ruhe. Im Test kommen wir mit der 64-Samples-Version bestens zurecht. Reflections LE arbeitet auf Anhieb genauso flott wie Altiverb 6. Mit diesem Angebot an Latenz-Alternativen steht Studio Devices unseres Wissens nach momentan alleine da. Ähnliches bietet Altiverb 6 mit seinem aktivierbaren Hi-Latency-Modus, aber Reflections LE ist hierbei sogar umfangreicher ausgestattet.
Die eher bescheiden dimensionierte Bedienoberfläche des Plug-ins stellt sich übersichtlich und aufgeräumt dar und ist ohne Studium des Handbuchs im Wesentlichen direkt erfasst. Die Bedienung geschieht intuitiv. Den Großteil der Fläche nehmen die 20 Schaltflächen ein, die nach Kategorien sortiert, Ausklapp-Menüs zur Auswahl der Impulsantworten offerieren. Hinter den Texteinträgen auf der rechten Seite verbergen sich weitere Schaltflächen, über die sich Impulsantworten importieren lassen, die an unterschiedlichen Orten auf der Festplatte liegen können. Dazu muss man lediglich von intern auf extern umschalten, um sie hörbar zu machen. Der Dry-Eintrag schaltet schließlich den trockenen Signalanteil im Plug-in stumm, was sich beim Einsatz als Send-Effekt anbietet. Die neun Drehregler zum Editieren der Impulsantworten sind selbsterklärend. Lediglich der Mod-Regler und die beiden Stereo-Regler bedürfen einer genaueren Hinwendung, bieten aber auch pfiffige Eingriffsmöglichkeiten. Ähnlich wie bei Lexicon-Hallgeräten versetzt der Mod-Regler die Hallfahne in Modulation, was zu einem lebendigeren Klangbild führen soll. Im Test ist davon allerdings nicht viel zu hören. Erst bei Vollausschlag des Reglers ist eine subtile Änderung im Nachhall hörbar. Da darf also noch ein gehöriges Schippchen mehr an Kraft hinein gepackt werden. Der, von links gesehen, erste Stereo-Regler gestattet den Eingriff in die Stereobreite des Hallsignals. Er erlaubt eine dynamische Änderung von Mono – das Hallsignal liegt in der Mitte – über Stereo hinaus bis zu Widest. Bei Vollausschlag des Reglers – Stellung Difference – werden die Mono-Anteile des Nutzsignals aus der Verarbeitung herausgenommen und nur die StereoAnteile verhallt, was nicht alltäglich ist. Es entsteht der Eindruck, als ob das Nutzsignal räumlich wieder nach vorne gezogen wird. Dadurch vergrößert sich aber der Raum hinter dem Direktsignal deutlich und führt zu einem plastischeren Raumeindruck als bei herkömmlichem Stereo. Der zweite Stereo-Regler nimmt, ähnlich wie ein Panpot, Einfluss auf die Positionierung des Hallsignals im Panorama. Der Regelbereich erstreckt sich von Mono – das Hallsignal kommt aus der Mitte – über Stereo bis hin zu Reverse, was zu einem weiteren nicht alltäglichen Effekt führt. Im Test verhallen wir eine halbrechts positionierte Gitarre und stellen den Regler auf Reverse. Das Ergebnis: Das Direktsignal ist immer noch halbrechts hörbar, der Hallanteil quasi gespiegelt halblinks. Damit offeriert Reflections LE eine zusätzliche Option zur Modellierung von Räumen jenseits des Natürlichen. Der Effekt wirkt so, als ob eine Gitarre über zwei Verstärker zu hören ist, wobei der erste halbrechts in einem schalltoten Raum und der zweite in einer halligen Garage halblinks erklingt. Konsequenz: Trotz eindeutig identifizierbarer räumlicher Positionierung eines Instruments im Panorama, nimmt das Gesamtsignal stärker als bei herkömmlicher Stereo-Verarbeitung plötzlich deutlich mehr Raum im Stereofeld ein. Es macht sich dick und breit. Dieser besondere Effekt dürfte vor allem Klangbastler interessieren. Zu häufig sollte man ihn allerdings nicht einsetzen, denn es besteht die Gefahr, dass er sich schnell abnutzt.
Im Hörtest verschaffen wir uns zunächst einen Eindruck über die im Lieferumfang enthaltenen Impulsantworten. Reflections LE wartet mit den üblichen Kategorien wie Hall, Room, Plate oder Chamber auf. Daneben finden sich in Kategorien wie Guitar, Vocal und Drums aber auch Impulsantworten, die für einen gezielten Einsatz bei diesen Instrumenten gedacht sind. Mit Ausnahme von Impulsantworten sehr kleiner Räume mit wenig Nachhall ist beim Rest ein sehr breiter Frequenzbereich zu hören, der allerdings mitunter unangenehm und unnatürlich klingt. Doch das hat seinen Grund. Erst durch gezielten und geschickten Einsatz der Hoch- und Tiefpassfilter werden die Impulsantworten erfolgreich gebändigt und klingen schließlich so, wie wir das erwarten. Darüber hinaus entpuppen sich die beiden Filter-Regler als effektives Sounddesign-Werkzeug. Aufgrund der weiten Frequenzbereiche erhalten sie sozusagen ordentlich Fleisch zum Bearbeiten, was sie auch dankbar annehmen. Wichtiger Nebeneffekt: Durch den Eingriff in den Frequenzbereich ändert sich auch die Halldauer. Im Test ist ein Nachregeln der Hallzeit mit dem Time-Regler so gut wie nie nötig. Ist dies trotzdem erforderlich, gerät das Nachregeln jedoch zu einer fummeligen Angelegenheit. Ein wirklich präzises Einstellen der Nachhallzeit im Millisekundenbereich – in dem Fall wird Einfluss auf die Gesamtdauer der Impulsantwort genommen – ist nicht möglich. Der Regler besitzt dafür eine zu grobe Auflösung, was jedoch mit einem Update leicht zu beseitigen sein dürfte. Jenseits dessen gelingt es uns, mit Hilfe der Filter aus einer einzigen Impulsantwort unterschiedliche Klangfarben des Hallsignals zu generieren, die von dunkel-bassig, bis luftig und seidig reichen. Andere Hall-Plug-ins zeigen sich in dieser Disziplin eher zahnlos. Die Entwickler haben hier fraglos einen sehr guten Job erledigt, für den es ein Sonderlob von Professional audio Magazin gibt. Auffällig ist eine Reihe von Impulsantworten, wie etwa „Laserverb“, „Echo Space of God“ oder „Pink Floyd“, die zusätzlich zur Raumsimulation auch noch mit sehr schön klingenden Delay- und Choruseffekten aufwarten und somit den klanglichen Rahmen eines Faltungshalls erweitern. Reflections LE gewinnt dadurch zusätzlich an Charakter. Insgesamt findet man ein riesiges Repertoire unterschiedlicher Räume, die so gut wie keine Wünsche offen lassen. Enttäuschend fallen jedoch die Hallspiralen-Klänge in der Gitarren-Kategorie aus. Die Kirchenräume im Sacral-Ordner geben ebenfalls Anlass zur Kritik. Sie sind im Vergleich zum Rest viel zu laut und klingen selbst nach Bearbeitung durch die Filter immer noch zu vordergründig und färben deutlich. Sehr gut gefallen haben uns hingegen die ganz kurzen Ambience- und Air-Sounds, die weniger Nachhall, sondern mehr Räumlichkeit produzieren. Ein Nachbearbeiten mit den Filtern ist bei ihnen so gut wie nicht nötig. Alles in allem hinterlässt die Werks-Library von Reflections LE einen sehr guten Eindruck. Sie eignen sich nicht zuletzt durch den Schwerpunkt auf Hallgeräten hervorragend für sämtliche musikalischen Anwendungen und Stile. Ein Einsatz als Raumsimulator, etwa zur Modellierung von O-Tönen bei Hörspielen, ist hingegen problematisch, da der Vorrat an realen Impulsantworten gering ausfällt. Dies fällt gerade bei großen Hallräumen mit langen Hallfahnen auf, die färbend auf die Signale einwirken. In dieser Disziplin zeigen sich Audio Ease Altiverb 6 und Waves IR-1 um Größenordnungen besser aufgestellt. Doch da gibt es ja noch die Bree Casedy Impulsantworten-Library. Das jüngste Produkt von Studio Devices enthält Sounds von algorithmisch produziertem Hall und erweitert nicht nur in Reflections LE den Vorrat an Raumsimulationen um eine weitere charakteristische Facette. Die Library wartet mit den Kategorien Ambient, Chamber, Environment, Hall, Plate und Room auf. Sämtliche Impulsantworten besitzen eine Auflösung von 24 Bit und 96 Kilohertz. Besonderheit: Die Impulsantworten liegen jeweils doppelt vor, als Stereo-Wav-File und als separate Mono-Dateien für den linken und rechten Kanal. Der Grund: Die Mono-Files sind für den True-Stereo-Einsatz gedacht, der auch in einem kommenden Update von Reflections LE realisiert werden soll. Der Grundklang der Bree Casedy-Sounds zeichnet sich im Vergleich zum Werks-Content von Reflections LE durch spürbar mehr Wärme und seidigere Höhen aus. Sie wirken außerdem luftiger und bisweilen auch zarter und vermögen auf subtile Art Signalen zu Räumlichkeit zu verhelfen. Sie schaffen es im Test auf spielerische Art, den Aufnahmen einen edlen Anstrich zu verpassen. Im Gegensatz dazu klingen die Reflections-Räume schon eher spitz und mit fauchenden Hallfahnen. Eine Anschaffung der Bree Casedy Library lohnt also in jedem Fall und erweitert das Repertoire von Faltungshall-Plug-ins um eine edel klingende Facette mit Highend-Charakter. Doch zurück zu Reflections LE. In einem abschließenden Hörvergleich lassen wir den Testkandidaten mit den schon erwähnten Eckpfeilern SIR und Altiverb 6 in Konkurrenz treten. Das Ergebnis: Der Grundklang von SIR und Reflections LE ist im Wesentlichen identisch, was sich bei Einsatz gleicher Impulsantworten in beiden Plug-ins sehr gut vergleichen lässt. Reflections LE klingt allerdings deutlich vordergründiger und hat mit den beiden Filtern in Bezug auf klangliche Vielfalt eindeutig die Nase vorn. In Altiverb 6 findet Reflections LE schließlich seinen Meister. Trotz nachhaltigem Einsatz der Filter besitzen die Sounds im Nachhall immer etwas mehr Höhenanteil, der sich nicht wegfiltern lässt. Beim Vergleich mit ähnlichen Raumsimulationen klingt Reflections LE immer eine Spur schärfer, spitzer und mitunter auch topfiger. Reflections LE kann trotz der klanglichen Auffälligkeiten dennoch gut mithalten, wenn es um Hallgeräte geht. Beim Vergleich von Plattenhall-Impulsantworten, insbesondere mit den Bree Casedy-Vertretern, ist fast kein Unterschied zu Altiverb 6 zu hören. Trotz der überschaubaren Einstellmöglichkeiten ist es binnen weniger Augenblicke möglich, sich dem Grundsound von Altiverb 6 zu nähern. Erst bei nachhaltigem Eingriff in die Parameter des Audio Ease Halls bleibt Reflections LE klanglich auf der Strecke. Doch Studio Devices plant bereits eine Profi-Version mit deutlich mehr Eingriffsmöglichkeiten. Auf den Test kann man schon jetzt gespannt sein.
Fazit
Reflections LE ist kein Allround-Produkt und empfiehlt sich aufgrund des Schwerpunkts bei den Werks-Impulsantworten und seines Grundsounds primär für musikalische Anwendungen in allen Spielarten populärer Unterhaltungsmusik. Dort spielt der Faltungshall dann eindeutig seine Trümpfe aus. Mit seinem überragenden Preis-/Leistungsverhältnis dürfte Reflections LE nicht nur etwas für Einsteiger sein. Es bereichert jedes Studio um weitere eigenständig klingende Hallsimulationen. Überdies erlaubt es trotz oder gerade wegen der überschaubaren Bedienmöglichkeiten das Erstellen mannigfaltiger klanglicher Facetten, die manch einem Profi eine Menge Zeit erspart.
Erschienen in Ausgabe 03/2008
Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 100 € / Download 80 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: überragend
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