Tschingderassabumm

Zugegeben, wir waren anfangs skeptisch angesichts einer Drumsample-Library mit Marschmusik-Instrumenten. Viel zu exotisch und speziell erschien uns das Repertoire. Doch die B.O.M.B.-Library könnte ein Geheimtipp für Rock- und Pop-Produktionen werden. 

Von Georg Berger

Wenn es um das Thema Marschmusik geht, verdrehen die meisten Musikschaffenden und Musik-Konsumenten hierzulande unter verächtlichem Stöhnen die Augen. Zwar eröffnet die örtliche Blasmusik-Kapelle von Wacken alljährlich das gleichnamige berühmt-berüchtigte Heavy-Metal-Festival. Zehntausende beinharter Fans feuern dann gröhlend die Kapelle an, um sich danach in einer riesigen Schlammschlacht ihrer Lieblings-Musik hinzugeben. Doch in Sachen Toleranz und Akzeptanz dürfte das wohl die Ausnahme sein. Marschmusik gilt Vielen als verpönt, angestaubt, spießig und mitunter auch zu martialisch. Die Produktion einer Sample-Library mit einem konzeptionellen Schwerpunkt auf Marschmusik-Percussion erscheint deshalb nur allzu leicht wie ein betriebswirtschaftliches Himmelfahrts-Kommando, denn die Käuferschicht dürfte verschwindend klein sein. Das britische Software-Unternehmen Fxpansion hat es trotzdem gewagt und präsentiert mit Big Orchestral Marching Band, kurz B.O.M.B., eine Drumsample-Library für ihr virtuelles BFD-Instrument, die ebenjene Sounds zum Inhalt hat.

Wer mit Scheuklappen an die Library herangeht, wird in ihr nur wenig Potenzial entdecken und immer wieder nur Marschmusik im Hinterkopf haben. Doch Berührungsängste sind hier Fehl am Platze. Denn die knapp 180 Euro teure B.O.M.B.-Library tritt nicht an, um als in sich geschlossener Klangkörper herkömmliche Drumsets ersetzen zu wollen. Vielmehr will sie das existierende Instrumentarium um charaktervolle Sounds bereichern. Dies schafft sie mit Bravour und setzt charakteristische klangliche Akzente mit Durchsetzungskraft.

B.O.M.B. wurde in den amerikanischen Omega-Studios von John Emrich produziert, der bereits für die Fxpansion-Libraries BFD Percussion und das Jazz & Funk Expansion Kit (Test in Heft 8/2006) hinter den Reglern saß. Mit ihm hätten die Briten keine bessere Wahl treffen können. Denn John Emrich war bis 2006 als Schlagzeuger beim Militär-Parade-Korps US Navy Band beschäftigt und kann dort eine zwanzigjährige Spielpraxis vorweisen. Seine Klasse als Marschmusik-Schlagzeuger bewies er in der Vergangenheit, indem er mit der US Navy Band vor amerikanischen Staatsoberhäuptern wie Ronald Reagan, Bill Clinton, George Bush junior und senior oder auch vor Papst Johannes Paul II. erfolgreich konzertierte. Daneben schuf er sich auch einen Namen als Drummer und Toningenieur für Interpreten und Bands wie Tony Bennett, The Smithereens, Bob Hope, Chicago und The Moody Blues. Es wundert also nicht, dass B.O.M.B. auf sein Betreiben hin entstanden ist. So zeichnet er nicht nur für das Recording und die Nachbearbeitung verantwortlich, Emrich legte sein ganzes Herzblut in die Library und übernahm auch das Spielen der eigens ausgewählten Instrumente und die Programmierung der im Lieferumfang enthaltenen knapp 120 MIDI-Grooves.

Das Instrumenten-Repertoire von B.O.M.B. stellt sich für eine spezielle Sample-Library folglich recht unkonventionell dar. So findet sich oberflächlich betrachtet zunächst ein herkömmliches Repertoire aus sechs Bass-, sieben Snaredrums und sieben Becken, das angereichert wird mit speziellen Instrumenten wie Quad Toms (vier Stück), den erwähnten Pauken (drei Stück) und Röhrenglocken, die in einem Umfang von jeweils 1,5 Oktaven chromatisch spielbar sind. Daneben finden sich noch ein Trillerpfeifen-Sound und mit der Roaring-Drum ein Effekt-Instrument, das einen Klang zwischen Löwen-Brüllen und einem Motorgeräusch erzeugt sowie ein zweckentfremdeter Bremszylinder eines Cadillacs. Bei näherer Betrachtung des vermeintlichen Standard-Repertoires zeigen sich jedoch recht schnell deutliche Unterschiede, verglichen mit dem üblichen Rock-Instrumentarium. So enthält B.O.M.B. eine Reihe von Yamaha-Bassdrums mit tonaler Definition, ähnlich der von Pauken. Überdies kommen sie mit einer sehr deutlichen Betonung des Bassfrequenzanteils daher. Die berühmte TR808-Humming-Drum lässt grüßen. Nicht unerwähnt bleiben darf auch die 40-zöllige Ludwig Orchester-Bassdrum. Die Snaredrums setzen sich aus einer Sammlung spezieller Rühr- und Militärtrommeln zusammen, die, typisch für diese Musik, sehr kurz, knapp und impulsiv klingen sollen. Die Becken-Abteilung empfiehlt sich mit aneinander geschlagenen Hand-Becken sowie Becken, die frei schwebend ohne Ständerbefestigung angespielt wurden und im Vergleich zur Ständer-Variante bedeutend länger ausklingen.

Es wundert nicht, dass mit Ausnahme der Snares für dieses Instrumentarium zumeist ein Filzschlegel beim Spielen zum Einsatz kam. Bei den Bassdrums finden sich Varianten, die mit hartem, mittelhartem und weichem Filz gespielt wurden. Die Pauken bieten Versionen mit Filz- und Holzschlegel. Am mannigfaltigsten präsentiert sich das Drumstick-Arsenal bei den Snaredrums. Zur Auswahl stehen Samples, die mit normalem Drumstick, Hotrods oder Besen gespielt wurden und die meisten Instrumente liegen noch einmal in Varianten mit und ohne Snareteppich vor. Bei den Spieltechniken verhält es sich ähnlich. Die Snaredrums warten mit dem reichhaltigsten Repertoire an Techniken auf, die außer dem normalen Schlag auch noch Rimshots und -clicks, Cross-/Sidestick, Drag (nachfedernder Doppelschlag) und teils auch noch Stick Clicks (Aneinanderschlagen der Drumsticks) enthalten. Die Hand-Becken stellen Alternativen mit langen und abgestoppten Ausklingphasen bereit, ähnlich dem herkömmlichen Becken-Choke und die tonalen Bassdrums sowie die Quad Toms bieten mit einem zusätzlichen Rimclick eine eher selten zu hörenden Spiel-Option. Wichtig zu wissen: Da sich das Repertoire an Artikulationen nicht immer eindeutig denen des Standard-Rocks zuordnen lässt, ist die eine oder andere Spieltechnik auf MIDI-Noten geroutet worden, die dort eigentlich nichts verloren hat, was beim Einsatz ein nachträgliches Anpassen der MIDI-Noten erfordert.
 
Für die Produktion setzte John Emrich zumeist Mikrofone der Unternehmen Shure (Beta 52), Royer (122) und Neumann (KM 184 B, FET 47, U89, KM83i) ein, die bis auf wenige Ausnahmen ihre Signale in die Highend-Vorverstärker der Focusrite Red-Serie speisten. Besonderheit: Die Overhead-Signale wurden mit den Royers unter Nutzung der sogenannten  Blumlein-Stereofonie aufgenommen (siehe Glossar auf www.professional-audio.de). Die Signale des zweiten Raumkanals nahm Emrich mit dem Verfahren der Trennkörper-Stereofonie auf. Dazu nutzte er zwei Neumann K83i, die an einer Jecklin-Scheibe befestigt sind. Wie üblich lassen sich die Sounds in drei unterschiedlichen Detailstufen und auch selektiert auf der Festplatte installieren. In der höchsten Stufe benötigt die Library bei Installation aller Sounds 38 Gigabyte an Festplattenspeicher.
B.O.M.B. kann mit BFD 1.5.48 und natürlich auch mit BFD 2 (Test in Heft 3/2008) genutzt werden. Wichtig: Die B.O.M.B.-Sounds werden von BFD 1.5 als Percussion klassifiziert. Sie lassen sich lediglich in die Slots des Extra-Kits laden. In der neuen Version gibt es keine Beschränkungen. Um den vollen Funktionsumfang der Library auch in BFD 2 nutzen zu können, muss man nach dem Transfer der Daten einen zusätzlichen BFD2-Installer ausführen, der die Preset- und Groove-Daten für die neue Version konvertiert. Mac-User sollten sich überdies auf der Homepage von Fxpansion die neue Installer-Applikation downloaden, denn das auf der DVD befindliche Programm stürzt bei versehentlicher Falscheingabe der Seriennummer ab und man darf den gesamten Prozess noch einmal durchführen.  

Im Lieferumfang finden sich auch noch sechs Drumkits, die zu den eigens programmierten MIDI-Grooves korrespondieren. Allerdings bieten sie Zusammenstellungen, die eher zu Demonstrationszwecken dienen, beziehungsweise die als Zusatz zu bereits existierenden Arrangements eigene Akzente setzen. Im Hörtest konzentrieren wir uns zunächst auf das von John Emrich vorproduzierte Material. Beim Hören der B.O.M.B.-Grooves mit dem Drumcorps-Cadence-Kit werden wir förmlich vom Studiosessel geblasen. Eine geballte Wucht an Bassfrequenzen strömt aus den Monitoren, die in erster Linie von den mehreren im Kit geladenen tonalen Yamaha-Bassdrums stammen. Überdies warten sie mit einer sehr langen Ausklingphase auf, bei der die Bassanteile noch lange zu hören sind. Sie wissen mit ihrer Wuchtigkeit auf Anhieb zu beeindrucken. Wer bewusste tieffrequente Akzente setzen möchte, erhält mit einer Auswahl von vier dieser Trommeln ausreichend Gelegenheit dazu. Beim Hören des Hip Hop Street Beat Drumkits hören wir charakteristische Sounds, die vornehmlich im Drum and Bass zu Hause sind. Dazu zählt wiederum eine tonale Bassdrum, dazu eine ganz kurze und hoch klingende Snare sowie die ebenfalls sehr hochgestimmten Quad Toms. Assoziationen mit Marschmusik entstehen spätestens an dieser Stelle überhaupt nicht mehr. Die dazu passenden MIDI-Grooves, wie auch alle anderen im Lieferumfang, können überzeugen und steuern kunstvoll das Instrumentarium an. Wer es etwas konservativer haben möchte, ruft das Marching Beats Set auf und spielt eine geschmackvolle Auswahl klassischer Blas- und Marschmusik-Grooves ab. Insgesamt können die Sounds durch die Bank weg beeindrucken und überzeugen. Aber wir wollen es noch genauer wissen und hören genau auf die Einzelsounds. Die erwähnten tonalen Bassdrums empfehlen sich als analoge Variante der klassischen TR808-Äquivalents. Mehr noch, kann der altbekannte Trick, schlapp klingenden Bassdrums durch Unterlegen eines Sinustons auf die Sprünge zu helfen, mit ihnen ab sofort ad acta gelegt werden. Die 40-Zoll Orchester-Trommel klingt hingegen kürzer. Ihr Bassfrequenz-Anteil ist nicht überdeutlich in den Vordergrund modelliert, aber dennoch voluminös, wuchtig und plastisch. Standard-Bassdrums können einpacken. Besonders gut gefallen die Varianten mit unterschiedlich hart gespielten Filzschlegeln, die Einfluss auf die Attackphase nehmen und von eher subtil und weich bis impulsiv und direkt klingen. Um der doch sehr langen Ausklingphase der tonalen Trommeln Herr zu werden, nutzen wir im Kit-Piece-Inspector von BFD die beiden Damping-Regler, die wie ein frequenzgesteuertes Noise Gate die Ausklingphase verkürzen. Gleiches stellen wir auch mit den Röhrenglocken an, die ebenfalls recht lange ausklingen. Sehr schön bei den Glocken: Der Klang ist präzise aufgelöst und wir meinen sogar die ersten Obertöne sehr deutlich heraushören zu können.

Weniger schön: Es gibt kein vorgefertigtes Drumkit, das die Röhrenglocken-Samples chromatisch der Reihe nach auf die Slots und MIDI-Noten verteilt. Gleiches gilt auch für die Pauken. Überdies ist in BFD 1.5 der Vorrat an verfügbaren Slots begrenzt, so dass es unter Umständen nötig ist eine zweite Plug-in-Instanz aufzurufen. Das Erstellen des gewünschten Sets ist zwar verhältnismäßig flott realisiert, aber dennoch lästig. Die Quad Toms klingen durch die Bank wie sehr hochgestimmte normale Toms. Wie erwähnt, sorgen sie bei Drum and Bass- und Breakbeat-Musik für einen authentischen Klang. In einem Standard-Rockset wissen sie als Rototom-Ersatz ebenfalls zu glänzen. Mitunter entsteht sogar der Eindruck, Bongos zu hören. Die Auswahl an Snaredrums besticht insgesamt durch den erwähnten tighten Klang, der sich durch ein eher leises Schnarren des Snareteppichs bemerkbar macht und der dazu noch rascher verklingt als gewohnt. Im Angebot stehen unterschiedlich hoch gestimmte Instrumente von denen die Premier Pipe Drum und die Yamaha Marching Drum am höchsten klingen und sich ebenfalls für wieselflinke Drum-Rhythmen des Breakbeat empfehlen. Erwähnenswert: Die Premier-Snare eignet sich bestens für schottische Dudelsack-Corps bei denen Snare-Wirbel fast schon wie ein Maschinengewehr oder eine Ratsche klingt. Die Florence Rope Drum bildet das tiefe Ende der Snare-Auswahl. Sie klingt erdig, bietet den voluminösesten Klang mit ebenfalls wenig Teppich. Beim Hören fühlen wir uns an so manche Filmszene aus historischen Kostümfilmen erinnert, etwa bei einer Guillotinierung, wenn kurz vor dem Fallen des Beils zur dramaturgischen Untermalung ein Trommelwirbel erklingt. Eine bekannte Klangfarbe, die aber dennoch selten in Libraries anzutreffen ist, liefern die Hand-Becken mit ihrem charakteristischen Nachklingen beider Becken, nachdem sie aufeinander geschlagen wurden. Die Varianten mit verkürztem Ausklang bieten eine kräftige Alternative zum üblichen Pedal-Sound einer Hihat. Insgesamt trumpft B.O.M.B. mit einer hervorragenden Auswahl an Instrumenten auf, die mit Charakter und einem ganz eigenen Klang-Profil bestechen. Im weiteren Testverlauf müssen sie noch ihre musikalische Eignung als Ersatz für Standard-Rock-Drums unter Beweis stellen. Das Ergebnis begeistert ebenfalls. Wir laden uns das vierte Drumkit aus der Joe Barresi Evil Drums-Library (Test in Heft 2/2008) in BFD 2 und tauschen der Reihe nach die Bass- und  Snaredrums gegen verschiedene B.O.M.B.-Äquivalente aus. Bei Einsatz der Ludwig-40-Zoll-Trommel mit weichem Filzschlegel klingt das Drumset  nicht mehr ganz so druckvoll. Der Austausch der Barresi-Snare mit einer Slingerland-Snaredrum, verschlankt den Gesamtsound noch einmal. Am Ende erhalten wir einen völlig anderen, jetzt zarten Klangcharakter, der sich wunderbar für Pop-Balladen eignet und das, obwohl nur zwei Instrumente getauscht wurden. Allerdings zeigt der gleiche Test beim zweiten Barresi-Drumset klangliche Brüche. Es wirkt gerade durch seine mitgesampleten Raumanteile, die in den B.O.M.B.-Samples nicht vorhanden sind. Das räumliche Ungleichgewicht verschwindet erst, als wir die Raumkanäle entsprechend runterziehen. Danach fügt sich die tonale 28-Zoll-Bassdrum sowie die Florence Rope-Snare organisch ins Instrumentarium ein. Schließlich erstellen wir uns ein eigenes Drumset aus drei tonalen Bassdrums, zusammen mit den vier Quad-Toms und der sehr hoch klingenden Yamaha Marching-Snare und kombinieren dieses Set mit dem siebten Drumkit der Andy Johns Library, das ebenfalls sehr hoch und kurz klingt. Dadurch erhalten wir ein opulentes Drum and Bass Instrumentarium, das sich spielend leicht noch bei Grooves oberhalb von 180 BPM durchzusetzen weiß. Zusätzlich setzen wir mit den Yamaha-Bassdrums harmonisch-dramaturgische Akzente. Ganz gleich, welche Drumsets wir mit den Sounds aus B.O.M.B. anreichern, es kommt immer etwas musikalisch Verwertbares dabei heraus. Von Marschmusik ist überhaupt nichts mehr zu hören. Doch auch jenseits von Rock, Pop und Dancefloor dorfte sich der Klangcharakter der B.O.M.B.-Sounds bestens behaupten. Zu denken ist an Filmmusik, Hörspiele und diverse Spielarten des Folk. Für Einsätze im sogenannten Mittelalter-Rock dürfte die Library sogar demnächst zu einem Geheimtipp avancieren.

Fazit

Fxpansion leistet mit der Big Orchestral Marching Band Library Pionierarbeit und offeriert Musikschaffenden aller Spielarten von Rock, Pop und Dancefloor ein nicht alltägliches Instrumentarium, mit dem sich klanglich so manche Produktion charakteristisch aufpeppen lässt. Für Filmmusik, Hörspiel und alle Arten von Folk und Klassik stellt sie in jedem Fall eine sinnvolle Bereicherung des Instrumentariums dar.

Erschienen in Ausgabe 08/2008

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 175 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut