FÜR EIN SOLIDES FUNDAMENT    

Man kann sich Wissen über jede Rebsorte der Welt anlesen, sämtliche Anbaugebiete bereist und weltberühmte Weingüter besucht haben: Wenn man letztlich den Dornfelder nicht rein geschmacklich vom Cabernet Sauvignon zu unterscheiden weiß, dann wird es nichts mit der Karriere als Sommelier. Ähnlich verhält es sich mit der Musikbearbeitung. Es wird niemand ein guter Mixing- oder Mastering-Engineer, der nicht in den Schutz und die Ausbildung seines wichtigsten Werkzeugs investiert und sich die Fähigkeit äußerst differenziert zu hören antrainiert. Die Gehörbildung spielerisch und erfolgreich zu unterstützen verspricht Train Your Ears‘ EQ Edition 2.

VON MALTE SCHMIDT

Train Your Ears ist eine kleine Firma aus Madrid. Die erste Version von EQ Edition wurde bereits 2012 veröffentlicht. Derzeit arbeiten die Entwickler an weiteren Verbesserungen, zum Beispiel das Programm Cloud-fähig zu machen, damit Nutzer ihre selbst erstellten Übungen einander zur Verfügung stellen können. Außerdem hegen sie den Plan einen „Universellen Audio Trainer“ zu programmieren, dieses ambitionierte Ziel wird aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Der Equalizer, dessen Zweck und Arbeitsweise man mithilfe von EQ Edition 2 besser verstehen lernen kann, zählt bei der Musikbearbeitung zur Basisausstattung, wie das Salz in der Küche. Mit beidem kann man viel falsch machen, vor allem, wenn man zu viel Gebrauch davon macht. Wer leidenschaftlich gerne kocht, es mit dem Salz beim Abschmecken aber stets zu gut meint, der käme wohl kaum auf die Idee, dass ein „besserer“ Salzstreuer Abhilfe schaffen könnte. Tonschaffenden scheint eine solche Idee hingegen durchaus vertraut, denn Hand aufs Herz: Wer hatte nicht auch schon den Gedanken „ich brauche nur besseres Equipment, dann werden meine Aufnahmen und Mixe besser sein“? Das ist, im Kontext der Aufnahme, kein grundliegend falscher Ansatz. Die Mikrofone, Vorverstärker und Wandler namhafter Hersteller, die teils über jahrzehntelange Erfahrung in ihrem jeweiligen Metier verfügen und hochwertigste Komponenten verbauen, werden hörbare Unterschiede gegenüber Produkten der günstigsten Kategorie aufweisen. Bessere bedeutet aber nicht selten auch teurere Ausrüstung und spätestens, wenn es an die Bearbeitung der Aufnahmen geht, wird sich zeigen, dass die bloße Qualität der Werkzeuge sich nicht eins zu eins in der Güte des Ergebnisses widerspiegelt.

Ansatz und Ziel von EQ Edition 2
Es ist schon eigenartig, das wichtigste Werkzeug aller Musikschaffenden kostet nichts, ist stets verfügbar und (sofern keine Beeinträchtigung vorliegt) von Geburt an vorhanden: das Gehör.

Aber die Natürlichkeit dieses Sinnes scheint für viele mit einer Unveränderlichkeit desselben einherzugehen. Ganz im Gegenteil lässt er sich jedoch genauso trainieren wie Muskelkraft, Ausdauer und Flexibilität.

Das ist der Ansatzpunkt von Train Your Ears‘ EQ Edition 2: Mittels kontinuierlicher Wiederholung von im Schwierigkeitsgrad variierenden beziehungsweise steigenden Übungen, soll ein „Frequenzgedächtnis“ ausgebildet und letztlich die Fähigkeit des kritischen und differenzierten Hörens verbessert werden. Ein Frequenzgedächtnis haben wir bereits alle, andernfalls könnten wir Stimmen und Geräusche nicht wiedererkennen. Es geht also darum etwas Vorhandenes für die musikalische Nutzung zu spezialisieren.

Funktionsweise, Trainingsmethoden und das Punktesystem
EQ Edition 2 ist im Grunde nichts weiter als ein Zufallsgenerator, der den Frequenzgang eingehender Signale verändert. Um diese Veränderungen zunehmend treffsicher erkennen zu können, werden zwei Trainingsmodi geboten: „Vermuten“ und „Korrigieren“. Im ersten Modus kann beliebig oft zwischen dem unveränderten und dem frequenz-manipulierten Signal gewechselt werden. Dann wählt man aus den vorhandenen Frequenzbändern dasjenige (oder mehrere, abhängig von den gewählten Einstellungen) aus, von dem man vermutet, dass in diesem Bereich die Veränderung stattgefunden hat und schiebt den Regler nach unten oder oben, je nachdem, ob man eine vermutete Anhebung oder Absenkung ausgleichen möchte. Hat man sich entschieden, lässt man sich die Lösung anzeigen.

Im Korrekturmodus (auf Vorschlag von Mastering-Guru Bob Katz entwickelt und implementiert) kann man, sobald das „Quiz“ gestartet ist, nicht mehr in das Originalsignal hineinhören. Dafür hört man den Einfluss der Regler auf die jeweiligen Frequenzbänder, wenn man diese betätigt und es gilt bei dieser Trainingsart den Originalzustand wiederherzustellen. Beide Modi lassen sich mit Musik oder „Noise“ nutzen. Übungen können vorkonfiguriert oder individuell angepasst durchgeführt werden.

(Prozent-)Punkte werden abgestuft vergeben: Für einen „Volltreffer“ gibt es logischerweise 100 Prozentpunkte. Wenn man nicht das richtige, sondern das nächst tiefer- oder höherliegende Frequenzband ausgewählt hat, entspricht das 81 Prozentpunkten. Es werden auch dann noch Punkte er- reicht, wenn man zum Beispiel die Ursache des dumpfer klingenden Signals in einer Anhebung des Bassbereichs vermutet, tatsächlich aber eine Absenkung im Höhenbereich vorgenommen wurde. Es gibt also nicht nur „richtig“ und „falsch“, sondern man bekommt aufgezeigt, „wie“ richtig oder falsch man mit seiner Einschätzung liegt.

EQ Edition 2 konfigurieren
EQ Edition 2 ist sehr einfach und übersichtlich aufgebaut. Am linken Rand des Programmfensters befinden sich die drei Menüpunkte, in welchen man Einstellungen vornehmen kann:
„Player“, „Optionen“ und „Übung“.

Unter Player stehen „Audio Player“, „Rauschen erzeugen“ und „Live Player“ zur Auswahl. Da das Programm mit intern erzeugtem Rauschen genutzt werden kann, ist es möglich sofort nach der Installation mit dem Training zu beginnen, selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass man einen ganz neuen Rechner nutzt, auf welchem sich noch keinerlei Sounddateien befinden. In diesem Modus stehen Weißes und Rosa Rauschen zur Verfügung. „Audio Player“ nutzt für die Übungen auf dem Computer befindliche Musik, man kann einzelne Dateien oder den Inhalt ganzer Ordner laden und abspielen lassen. Der „Live Player“ ermöglicht es Soundquellen wie die eigene DAW, Spotify oder YouTube in das Programm zu routen. Allerdings benötigt man dafür Hilfs-Programme wie „Virtual Audio Cable“ oder „BlackHole“. Diese sind jedoch kostenfrei zu erhalten und recht einfach zu handhaben.

Unter „Optionen“ findet man zunächst „Allgemeine Opt.“. Hier lassen sich die Soundkarten-Einstellungen vornehmen, die Sprache auswählen und die Darstellung der Wellenform-Ansicht an- oder ausstellen. Außerdem können hier vordefinierte Shortcuts verändert werden und man legt fest wie viele der letzten gemachten Tests für die Ermittlung der Gesamtpunktzahl relevant sein sollen. Des Weiteren ist es möglich VST- und AU- Plug-Ins einzubinden. Das ist nützlich, wenn man zum Beispiel Software zur Raumkorrektur verwendet.

Im „Trainings Designer“ finden sich die Basis-Übungen samt Erklärung, wie sie funktionieren beziehungsweise, was sie trainieren sollen. „Übung Editieren“ ermöglicht umfängliche Einstellungen. Man beginnt eigentlich immer in der leichtesten möglichen Konfiguration und jede Veränderung hat so eine Erhöhung des Schwierigkeitsgrades zur Folge. Die Änderungen können sich sowohl auf das Original-Signal, wie auch auf das manipulierte Material beziehungsweise auf den Wechsel zwischen die- sen beiden beziehen. Und natürlich lassen sich die Übungen selbst verändern, indem man zum Beispiel weitere Frequenzbänder hinzufügt, mehrere Q-Faktoren zur Auswahl stellt oder eine geringere Verstärkung wählt. Durch die Möglichkeit des Veränderns der dreizehn Basis-Übungen dürfte EQ Edition 2 auch nach ausgiebigem Training und dementsprechenden Fortschritten nicht langweilig wer- den.

EQ Edition 2 in der Praxis
Die Krux mit dem Lernen ist, dass es ein fortwährender, im Grunde niemals abgeschlossener Prozess ist. Während sich Fortschritte nicht selten erst über längere Zeiträume einstellen und man daher die Disziplin „am Ball zu bleiben“ aufbringen muss, können schon vergleichsweise kurze Perioden, in welchen man die Regelmäßigkeit des Lernens vernachlässigt, recht negativen Einfluss auf das zuvor Erlernte beziehungsweise dessen Anwendung haben. Das kennt man vom Erlernen einer neuen Spra- che, eines Instruments oder auch im Kontext von Kraft- und Ausdauersport. So kann auch EQ Edition 2 keine Wunder vollbringen. Die Disziplin, das Programm regelmäßig zu nutzen, muss man selbst aufbringen.

Ich habe bisher circa einen Monat mit der Software trainiert. Der Start war zunächst etwas frustrierend, denn obwohl ich seit über zwei Jahrzehnten Musik mache und mich nun im elften Jahr mit Musikproduktion auseinandersetze, ist es um mein Gehör, die Fähigkeit fein differenziert zu hören, nicht sonderlich gut bestellt. Wie viel „Luft nach oben“ tatsächlich noch ist, zeigte mir EQ Edition 2 in der ersten Woche des Trainings. Obwohl ich mit der ersten und einer der leichtesten Übungen begann (sieben Frequenzbänder, von denen eins manipuliert wird bei Q-Faktor 3 und ±12dB Verstärkung – also ein recht drastischer Eingriff), erreichte ich nur eine Trefferquote von 50 bis 60 Prozent. Das ist besseres Raten und wäre die Punktvergabe nicht wie zuvor im Text beschrieben, wären wahrscheinlich noch geringere Werte erreicht worden.

Dass sich bereits in der zweiten Trainingswoche eine Verbesserung einstellte, liegt an einem tollen Feature von EQ Edition 2. Nach jeder Antwort besteht die Möglichkeit das originale und das manipulierte Signal, wie auch die eigene Antwort im Wechsel anzuhören. So lernt man recht schnell, dass sich eine Anhebung eben einfach anders anhört als eine Absenkung. Und auch wenn man weiß, dass ein heller klingendes Signal nicht nur durch Anhebung der Höhen, sondern auch durch Absenken der Bässe entstehen kann, wird es einem durch die Übungen bewusst und man verinnerlicht die Klangunterschiede. Eine weitere Besonderheit, die das Vertrauen ins eigene Gehör unterstützt, ist, dass immer wieder mal keine Änderungen in einer Übung vorgenommen werden. Am Ende der zweiten Woche konnte ich die Trefferquote von zuvor bestenfalls 60 schon auf gut 70 Prozent steigern.

Sich Ziele zu setzen unterstützt jeden Lernprozess und für die dritte Woche war somit klar: 80 Prozent gilt es zu erreichen. 15 bis 20 Minuten tägliches Üben haben ihre Wirkung nicht verfehlt, es waren zum Ende sogar mehr gelandete Treffer als vorgenommen. Erst in der vierten Woche traute ich mich dann sukzessive an weitere Übungen, die zum Beispiel das Hören der Flankensteilheit trainieren oder Veränderungen mehrerer Frequenzbereiche kombinieren. Die kontinuierliche Nutzung der Soft- ware, wenn auch zunächst nur in einer recht einfachen Übung, hatte zur Folge, dass ich in allen weiteren Übungen nicht unter 75 Prozent Trefferquote eingestiegen bin. Mein Vorhaben für die nähere Zukunft ist, die deutlich gesteigerte Trefferquote bei nun veränderten Parametern zu halten, denn das Ziel ist klar: Am Ende auch möglichst treffsicher Änderungen zu hören, die nur noch ±3dB Veränderung und deutlich steilere Flanken aufweisen.

Fazit
EQ Edition 2 macht Spaß! Aber was noch viel wichtiger ist: Es funktioniert. Wer kontinuierlich Gehörbildung mit dem Programm betreibt, wird definitiv und in recht kurzer Zeit Fortschritte machen, eine Verbesserung des Änderungshörens feststellen und so ein tiefergehendes Verständnis die Arbeitsweise eines Equalizers betreffend erlangen. Fast nebenbei lernt man, in welchen Frequenzbereichen verschiedene Instrumente besonders gut klingen und dieses Wissen wird zur Folge haben, dass eine viel konkretere Klangvorstellung in Verbindung mit einer effizienteren Arbeitsweise an die Stelle erratischen (und ermüdenden) Ausprobierens beim Bearbeiten des Frequenzgangs tritt. Was letztlich in einem aufgeräumten Frequenzgang und somit besser klingenden Abmischungen resultieren wird.

Train Your Ears – EQ Edition 2