Der Feuerengel

Native Instruments präsentiert mit Rammfire das erste Expansion Pack für seine beliebte Gitarren-Amp-Emulation Guitar Rig. Im Zentrum steht der charakteristische Dampfhammer-Sound des Rammstein-Gitarristen Richard Z. Kruspe.  

Von Tom o`Connell 

Es ist schon Tradition, dass die Berliner Software-Schmiede Native Instruments jedes Jahr im Herbst eine neue Version seines mächtigen Software-Bundles Komplete herausbringt. In der nunmehr siebten Komplete-Ausgabe hat der Hersteller fünf neue Produkte beigelegt, die zusammen mit Komplete 7 ihre Markteinführung erfahren haben. Eines dieser neuen Produkte ist dabei das Rammfire Expansion Pack für Guitar Rig. Bemerkenswert: Ähnlich wie die Palette an Sound- und Effektsammlungen für die Kore-Plattform, erweitert Rammfire erstmals das Arsenal emulierter Verstärker, Cabinets und Abnahme-Mikrofone von Guitar Rig um markante Signature-Varianten. Dabei fügen sich die neuen Emulationen nahtlos in die Bedienoberfläche von Guitar Rig 4 Pro ein. Um in den Genuss von Rammfire zu kommen, braucht der Interessent jedoch weder Komplete 7 zu kaufen, noch im Besitz von Guitar Rig 4 Pro zu sein. Rammfire kostet gerade mal äußerst günstige 50 Euro und lässt sich auch im kostenlos erhältlichen Guitar Rig Player ohne Abstriche einsetzen, der zusammen mit Komplete 7 herausgekommen ist. Kenner der Metal-Szene werden angesichts der Produktbezeichnung schon längst erahnt haben, was im Zentrum von Rammfire steht: Die Emulation des Gitarrensounds der Band Rammstein, die wie kaum eine andere Band für ihre unvergleichlich druckvoll und messerscharf klingenden Presslufthammer-Riffs bekannt sind. In enger Zusammenarbeit mit Rammstein-Gitarrist Richard Z. Kruspe haben die Entwickler akribisch das persönliche Recording-Setup Kruspes in Bits und Bytes gegossen. Doch das Ganze ist mehr als bloß ein Zuwachs an Verstärker- und Cabinet-Emulationen.

Der Anwender kauft gleichzeitig das Know-how eines international erfolgreichen Musikers, der einen unnachahmlichen Gitarrensound kreiert hat und der mittlerweile den Rang eines Soundklassikers genießt, was den Mehrwert von Rammfire deutlich erhöht. Denn in den meisten Fällen ist ein gut klingender Gitarrensound das Ergebnis jahrelanger Experimente mit verschiedenen Verstärkern, Lautsprechern und Mikrofonen. Gerade die Positionierung der Mikrofone vor den Lautsprechern ist für einen Sound extrem wichtig. Oft entscheiden wenige Millimeter über die Qualität eines Gitarrensounds, weswegen viele Gitarren-Profis nicht wenig Zeit mit dem sogenannten Phasing (Ausrichtung der Mikrofone vor dem Amp) verbringen. Geniales Detail: Richard Kruspe entwickelte eigens für diesen Zweck einen sogenannten Mikrofon-Roboter, der ihm diese Arbeit abnimmt (siehe Kasten). Somit lässt sich der klassische Rammstein-Sound jederzeit peinlich genau reproduzieren, weshalb dieser Mikrofon-Roboter eine nicht unwesentliche Rolle für das Gelingen dieses individuellen Sounds spielt.   Rammfire basiert im Wesentlichen auf dem Lieblingsverstärker des Rammstein-Gitarristen: Dem schon etwas betagten Mesa-Boogie Dual Rectifier mit 6L6 Röhrenbestückung – für Kenner: Ein Modell aus der sogenannten Pre-500-Serie. Zusätzlich zu den originalen Modern- und Vintage-Kanälen des Dual Rectifiers enthält Rammfire jedoch noch zwei zusätzliche Kanäle. Zum einen den Clean-Kanal des neuen Triple Rectifier Modells als auch einen geheimnisvoll betitelten RZK-Kanal. Hinter diesem Kanal verbirgt sich der Vintage-Kanal des alten Dual Rectifiers, der sich über einen Schalter in Richtung Modern trimmen lässt. Dahinter werkelt ein vorgeschalteter Kondensator, der sich vor allem auf den Höhenbereich des Kanals auswirkt. Ein Verfahren das auch als „Channel-Cloning“ bekannt ist. Außer den üblichen Reglern für Gain und Master findet sich auf der liebevoll gestalteten “on the road“-Oberfläche die übliche Klangregelung für Bass, Middle, Treble und Presence. Bei Bedarf sind die typischen Guitar-Rig Miniaturregler für Bias, Response, Variac und Power Supply zusätzlich aufrufbar mit denen sich die Eigenschaften von Trafo, Netz- und Röhrenspannung des Amps kontrollieren lassen. Im Test entpuppen sich diese Eingriffsmöglichkeiten als willkommene Optionen, um den Sound feinzutunen. Gitarristen, die einen Röhrenverstärker ihr Eigen nennen, wissen, dass gerade die Röhrenspannung sich nicht unwesentlich auf die Höhen- und Mittenwiedergabe ihres Verstärkers auswirkt. Die Wirkungsweise dieser Regler ist allerdings sehr subtil. Es lohnt sich aber durchaus mit diesen Parametern einmal zu experimentieren, denn der typische Rectifier-Sound neigt gerade in den höheren Mitten zu einem leicht pappigen, matten Klangbild. Wem das zuviel ist, kann dies mit Hilfe von Bias und Response ein wenig ausbügeln, was im Test zufriedenstellend über die Bühne geht. Dasselbe an einer Hardware durchführen zu wollen gerät übrigens mitunter leicht zu einem lebensgefährlichen Unterfangen – Immerhin haben Röhren eine Betriebsspannung von bis zu 600 Volt. Allerdings sind diese Regler sehr klein geraten und daher sehr fummelig zu bedienen. In puncto Boxenauswahl gibt es zunächst das  Matched Cabinet, das zwei unterschiedliche  Mesa Boogie 4×12“ Boxen zur Auswahl bereitstellt. Eine davon stammt aus dem Jahr 1991, die zweite ist nicht näher benannten neueren Datums. Beide Boxen sind mit den sehr mittenlastigen Celestion Vintage 30 Speakern ausgestattet und liefern, obwohl nahezu baugleich ein recht unterschiedliches Klangbild, was sich vor allem in der schwächeren Höhenwiedergabe der 1991er-Box äußert. Wie gehabt lässt sich jede Box mit zwei virtuellen Mikrofonen abnehmen, die via Fader überblendet werden können. Zudem findet sich noch ein weiterer Fader, welcher für den Abstand des Mikrofons zum Lautsprecher zuständig ist. Mit Hilfe einer Lern-Funktion können diese beiden Fader auch automatisiert werden. Dem von Richard Z. Kruspe selbst entwickelten Mikrofon-Roboter kommt dieses Feature schon sehr nahe. Weitreichender im Funktionsumfang als das „Matched Cabinet“ ist jedoch die „Contol-Room“ Sektion, in der sich gleich acht unterschiedliche Mikrofonsignale in ein variables Verhältnis bringen lassen. Besonderheit: Native Instruments nutzt in dieser Sektion die Technik der Faltung, wobei die Klangcharakteristika der Mikrofone via Impulsantworten aufs Signal aufgerechnet werden (siehe Test in Heft 2/2010). Im Fall von Rammfire kommen ausschließlich die Röhrenmikrofone Telefunken U47 und Neumann M 149 zum Einsatz, die jeweils vor den beiden unterschiedlichen Boxentypen positioniert sind und über einen Neve 1081 Preamp verstärkt werden. Der Raumklang von Richard Kruspes Studio wurde ebenfalls eingefangen und ist über den Air-Regler dosierbar.

Alles in allem wartet Rammfire also weniger mit einer riesigen Fülle verschiedener Amps auf, sondern setzt gezielt auf ein einziges Verstärkermodell. Ganz anders zeigt sich hingegen die Effektsektion. Sie ist von Guitar Rig 4 übernommen und deckt fast jede herkömmliche Anwendung von Delay, Reverb über Modulationseffekte ab bis hin zu speziellen Tools wie Splitter und Envelope Follower. Die Auswahl ist derart reichhaltig, dass ein Aufzählen sämtlicher Effekte den Rahmen des Artikels sprengen würde. Hervorzuheben ist jedoch das sehr gut zupackende Noise Gate, das sich im Test als praxisnahe Geheimwaffe zeigt. Es sorgt bei voll aufgedrehtem Gain und beim Einsatz brummender Single-Coil Gitarren für Ruhe im Rig ohne dabei das Sustain abzuschneiden. Wie klingt denn nun Rammfire und vor allem: Gibt es einen Unterschied zum Gratifier, der eine Emulation des neueren Mesa-Boogie Triple Rectifiers ist und zum Standard-Repertoire von Guitar Rig gehört? Kurze Antwort: Rammfire klingt fantastisch und ja, der klangliche Unterschied zum Gratifier ist immens. Die neueren Verstärker dieser Baureihe zeichnen sich nicht nur durch den zusätzlichen Kanal, sondern auch durch einen anderen Diodengleichrichter vor den Röhren aus. Dementsprechend klingt der Rammfire in den unteren Mitten um einiges erdiger und druckvoller. Auch die Verzerrung im Modern-Kanal von Rammfire gestaltet sich um einiges harmonischer und lässt den Gratifier soundtechnisch wie ein betagtes Fuzzpedal aussehen. Zwar ist der Rammfire für Hi-Gain Sounds optimiert. Aber es sind auch durchaus zahmere Klänge möglich. Der Clean-Kanal klingt extrem transparent und wartet mit kristallklaren Höhen und wenig Mitten auf. Das ist ein Sound der vielen Anwendern ein wenig zu aufdringlich und knallig sein dürfte und deshalb nicht für jeden Musikstil geeignet ist. Für schimmernde, mit Chorus angereicherte Arpeggien ist dieser Sound aber dennoch mehr als geeignet. Der Anwender sollte sich dabei auch vor Augen halten, dass das Hardware-Original eigentlich überhaupt keinen zufriedenstellenden Clean-Sound bietet. Der Vintage-Kanal klingt bei gemäßigter Zerrintensität fast schon bluesig. Die angeschlagenen Noten bekommen ordentlich Fleisch in den unteren Mitten und komprimieren dezent. Selbst ein schnalzender Hardrock-Sound der Marke AC/DC liegt gar nicht in weiter Ferne, wobei der Vintage-Kanal seinen ureigenen Charme beibehält. Für einen ausgewiesenen Hi-Gain-Amp liefert dieser Kanal jedenfalls erstaunlich überzeugende Ergebnisse. Der Modern- und der RZK-Kanal offerieren schließlich die volle Breitseite an Zerr-Sounds. Der Modern-Kanal liefert genau die typisch-mittenarmen und höhenlastigen Metalsounds, die man von einem Amp dieser Güte erwartet. Im Test dröhnt es kraftvoll, brutal und pfundig aus den Boxen. Dieser Kanal macht keine Gefangenen und gibt als großkalibriges Geschütz in Nu-Metal Arrangements eine vorzügliche Figur ab. Dem Anwender sei jedoch empfohlen, sich mit der Gain-Intensität ein wenig zurückzuhalten, da sonst sämtliche Akkorddefinitionen verlorengehen. Bei solistischen Ausflügen klingt der Modern Kanal allerdings sehr schnell extrem dünn, was sich durch die fehlenden Mitten bemerkbar macht. Im Test dringt bei Solo-Passagen lediglich ein nasaler und schneidender Sound aus den Boxen. Wer mit Rammfire auf den Pfaden von Ritchie Blackmore und Gary Moore wandeln will, sollte von diesem Sound/Kanal daher lieber die Finger lassen. Das eigentliche Highlight dieses Software-Add-ons ist jedoch der RZK-Kanal. Die Native Instruments Entwickler haben hierbei ganze Arbeit geleistet und den individuellen Verstärker-Sound von Richard Z. Kruspe mit sehr viel Liebe zum Detail und mit einem sehr feinen Ohr für druckvolle Gitarrensounds nachgestellt. Gitarrensignale klingen in diesem Kanal merkbar dreidimensionaler und extrem wuchtig. Die Höhen setzen sich extrem gut durch, sägen aber weniger aufdringlich als im Modern-Kanal. Selbst bei höheren Gainstufen zerbröckeln abgestoppte Staccato-Riffs nicht, sondern klingen derart präzise, dass man sich fast fragt, wer denn auf einmal die Röhren in den Rechner eingebaut hat. Zusätzlich zu den satt hörbaren Bässen finden sich im RZK-Kanal auch die im Modern-Kanal vermissten Mitten wieder. Ambitionierte, solistische Ausflüge klingen dadurch voluminös und setzen sich kraftvoll im Mix durch. Auffällig: Stark verzerrte Sounds behalten trotz ihrer Wuchtigkeit immer ihre Musikalität, selbst komplexere Septimenakkorde verwandeln sich nicht wie sonst in einen undefinierbaren Klangbrei.

Hilfe der Klangregelung sehr komfortabel und effizient, denn wer schon einmal über einen originalen Rectifier-Amp gespielt hat, mag sich vielleicht daran erinnern wie schwierig die Klangregelung des Amps zu bedienen ist. Jeder Regler beeinflusst den anderen und so kann die Suche nach dem optimalen Sound schon mal zur kniffligen Angelegenheit werden. Glücklicherweise hat Native Instruments diese Eigenheit des Originals nicht mit übernommen. Jeder Regler arbeitet für sich alleine ohne einen anderen Regelbereich anzutasten. Der Rectifier-Purist mag sich bei diesem Satz mit Schaudern abwenden. Schätzt er doch gerade dieses Regelverhalten an seinem Amp. Für Rectifier-Neulinge ist die Klangreglung in Rammfire jedoch deutlich komfortabler zu bedienen, weshalb diese Entscheidung in Ordnung geht.   Die von Richard Z. Kruspe persönlich programmierten Presets zeugen durchweg von hoher Qualität, sind aber für unseren Geschmack stellenweise mit zu vielen Effekten versehen. In den Rammstein-Songs sind überwiegend trockene, vielfach gedoppelte Gitarren zu hören. Da wirkt ein Preset, das mit extrem viel Chorus oder Phaser versehen ist, für einen Sound der Marke Rammstein irgendwie deplatziert. Liebhaber des originalen Rammstein-Sounds kommen dennoch nicht zu kurz und werden mit den „Pure Rammfire“-Presets A bis G zufriedenstellend und authentisch verwöhnt. Nach Aufruf dieser Presets klingt es, die richtigen Pickups vorausgesetzt, – hier: EMG 81 Modelle – nahezu gespenstisch identisch zum Sound auf den Rammstein-Alben. Ähnlich Vergleichbares leistet lediglich der Metal Amp Room von Softube (Test in Ausgabe 1/2009), der mit ähnlicher Klanggüte für harte Sounds aufwarten kann, aber mit dem Engl Powerball einen völlig anders klingenden Gitarrenverstärker emuliert und auch in der Anschaffung wesentlich kostspieliger ist. Als Nu-Metal Amp und für Liebhaber der Rammstein Gitarrensounds ist der Rammfire, wen wunderts denn auch, die allererste Wahl. 

Fazit

Das Rammfire Expansion Pack von Native Instruments ist weit mehr als nur ein schnödes Promi Add-on mit einer Hand voll Signature-Sounds. Native Instruments und Richard Z. Kruspe haben sich mächtig ins Zeug gelegt und eine wahrhaft überzeugende Amp-Simulation geschaffen, die zu weit mehr taugt als nur die übliche Rammstein-Gitarrenwand. Das klanglich facettenreiche Add-on empfiehlt sich in jedem Falle für alle Liebhaber harten Gitarren-Sounds und liefert für eine enorme Bandbreite von Spielarten und Stilistiken die passende Antwort. Angesichts der klanglichen Vielfalt und der gebotenen Klangqualität mutet der Verkaufspreis von knapp 50 Euro geradezu lächerlich an.

Richard Z. Kruspe und der Mikrofon-Roboter


Der Rammstein-Gitarrist Richard Z. Kruspe setzt im Studio ein älteres Dual-Rectifier Modell ein, um seine wuchtigen Klangwände zu realisieren. Die Signalkette gestaltet sich dabei verhältnismäßig simpel. Von der mit EMG-Pickups bestückten Gitarre geht es direkt in den Dual-Rectifier, der wahlweise mit einer älteren und einer neueren Rectifier-Box betrieben wird. Die Boxen werden sowohl mit einem Neumann  M 149, als auch mit einem Telefunken U47 Röhrenmikrofon abgenommen, welche dann mit ihren Signalen einen Neve 1081 Preamp speisen. Der Clou: Um das lästige und zeitraubende Positionieren der Mikrofone per Hand zu vermeiden, ersann Richard Kruspe mit seinen Technikern eigens für diesen Zweck eine individuelle wie geniale Lösung, den Mikrofon-Roboter. Dieses Gerät, bestehend aus Gestängen, Elektromotoren und einer Steuereinheit, ist in der Lage auf Knopfdruck für jeden Sound millimetergenau die richtige Mikrofonposition vor den Lautsprechern „anzufahren“, bei Bedarf sogar dynamisch während der Aufnahme. Die Mikrofone lassen sich dabei flexibel in alle Richtungen bewegen. Was sich oberflächlich als alberne Spielerei aus dem Fischer-Technik-Baukasten anlässt, ist in der Praxis jedoch von unschätzbarem Wert und trägt wesentlich mit zum unverwechselbaren Rammstein-Sound bei. Denn gerade die richtige Mikrofon-Platzierung ist bei Gitarren-Sounds ein absolut entscheidendes Element.

Erschienen in Ausgabe 01/2011

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 49 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: überragend