Vollversammlung – Elf Kandidaten
Von Hans-Günther Beer
Großmembran-Kondensator-Mikrofone gehören unter den Recording-Spezialisten zur Grundausstattung für ihre Arbeit. Jeder, der ernsthaft Recording betreibt, ob Homerecorder oder hochdekorierter Toningenieur braucht mindest eines davon in seiner Sammlung. Im Gegensatz zu ihren Kleinmembran-Brüdern stehen die Gattung der Großmembran-Mikrofone dabei nicht im Rufe besonders klangneutral zu sein. Ganz im Gegenteil, viele Hersteller legen sogar besonders großen Wert darauf, Ihren Großmembranern einen eigenen, charakteristischen Sound angedeihen zu lassen und treiben dafür einen erheblichen technischen Aufwand. Dies erklärt vielleicht auch, warum es so viele Vertreter dieser Gattung gibt und warum viele Tonstudios gleich eine ganze Sammlung der wertvollen Schätzchen besitzen. Nach dem Motto, für jede Stimme und für jedes Instrument das passende Mikrofon.
Professional audio Magazin suchte für seinen ersten großen Test von Großmembran-Kondensator-Mikrofonen aus dem übergroßen Angebot insgesamt elf Vertreter aus, darunter viele Neuentwicklungen und auch einige Klassiker. Die Preisspanne reicht von 290 bis 4400 Euro. Der grundsätzliche Aufbau ist bei allen Testteilnehmern identisch und leitet sich aus dem Urvater aller Kondesator-Mikrofone ab, den Georg Neumann 20er Jahre im vorigen Jahrhundert erfunden hat. Am oberen Ende eines Metzallrohres sitzen aufrecht auf einem meist vibrationsdämpfenden Steg eine oder zwei Goldbedampfte Kondensator-Membranen, geschützt von einem mehr oder weniger feinmaschigen Drahtgitter. Die Verstärkerelektronik in Transistor- oder Röhrentechnik ist im unteren Teil des Tubus untergebracht. Zwei hintereinander sitzende Membranen, also eine Doppelmembran[[G]] besitzen nur die Mikrofone, die über umschaltbare Richtcharakteristiken verfügen, Details dazu siehe Glossar Seite 112. Umschaltbare sind die Richtcharakteristiken, die von Kugel über breite Niere, Niere oder Hyperniere bis hin zur Achter-Charakteristik reichen können bei sechs der elf Testkandidaten nämlich AKG C 4000B, Audio-Technica AT 4050/CM5, Beyerdynamic MC 840, die beiden Brauner-Modelle VM1 und VMX sowie das in England entwickelte und in Asien gefertigte Orpheus von Sonotronics. (siehe auch Steckbrief Seite 32). Eine Besonderheit stellt das Studio Projects/United Minorities B1 dar. Dieses im Original 99 Euro teure Mikrofon aus Chinesischer Fertigung tunt Atila Czirja´k in erheblichem Umfang. Bis auf den Gehäusekörper und die Membran bleibt vom Original nichts erhalten. Die komplette Elektronik hat der aus Ungarn stammende und in der Nähe von Freiburg lebende Entwickler völlig neu konstruiert. Der Preis steigt von 99 auf 500 Euro pro Stück. Auf Wunsch sind auch zwei aufeinander abgestimmte B1 als so genanntes machted pair lieferbar. Ein direkter Vergleich Original gegen gepimpte Version des Studio Projects B1 ist für eine der nächsten Ausgaben geplant. Eine Fehlkonstruktion stellt allerdings die zum B1 mitgelieferte Spinne dar, die das Mikrofon vor tieffrequenten Erschütterungen und Vibrationen entkoppeln soll. Zwar wirkt sie haptisch recht hochwertig, hält aber nach einer umständlichen Einfädelprozedur das Mikrofon nicht wirklich fest, sondern lässt es in seiner Halterung rotieren. Ein eindeutiges Ausrichten auf den Künstler oder das Instrument ist so fast unmöglich. Weniger gut gelungen sind auch die Spinnen des Audio-Technica AT 4050/CM5 und des Beyerdynamic MC 840. Hier müssen die unteren Mikrofonhälse zwischen entsprechen verspannten Gummiriemen in der Spinnen eingefädelt werden. Nicht nur, dass damit ein sicherer Überkopfbetrieb unmöglich wird, die Mikrofone würden herausfallen, sondern auch in Normalposition wirkt das Arrangement sehr wackelig und wird der ansonsten vorbildlichen Verarbeitung der beiden schwarzen Schönheiten nicht gerecht. Die Umschalter für Richtcharakteristik, Hochpassfilter und Dämpfung des brandneuen MC 840 legten die Entwickler bei Beyerdynamik als sehr präzise rastende Drehschalter aus. Es ist ein Genuss, sie zu bedienen und sie unterstützen den Gesamteindruck eines exzellent verarbeiteten Kleinods.
Nahezu vorbildlich hat dagegen AKG die Spinne für das sehr üppig ausgestatteten und ebenfalls sehr gut verarbeiteten C 4000 B konstruiert. Ein simpler aber sehr funktionellen Drehverschluss, ähnlich einem Bajonett-Verschluss, umschließt den unteren Mikrofonhals und hält ihn sicher fest. Perfekt meisterten haben auch Neumann und SE electronic diese Aufgabe. Die aus Metall gefertigten Spinnen der Modelle TLM 49 und Gemini werden mittels Überwurfrändelschrauben am unteren Ende des Mikrofonkörpers am Anschluss für den XLR-Stecker fest verschraubt. Diese Konstruktion hält selbst das enorme Gewicht des imposanten mit einer Röhrenstufe bestückten Gemini von SE electronic aus. Die Justageschraube im Gelenk, das am Mikrofonstativ befestigt wird, hat jedoch mit dem stattlichen Zweieinhalbpfünder ihre liebe Mühe. Man muss sie regelrecht anknallen, damit sich der Koloss nicht langsam aber stetig vor dem Künstler verbeugt. Im weiträumigen Innern des Gemini arbeiten gleich zwei Röhren, eine 12AX7 als Eingasstufe und eine 12AU7 als Ausgangsstufe. Auf den sonst üblichen Übertrager verzichteten die chinesischen Entwickler völlig. Die wie üblich goldbedampfte Membran sitzt relativ weit oben hinter dem Schutzkäfig und wird durch dessen oberen Rand des Käfigs leicht abgeschattet. Die konstruktive Idee dahinter bleibt unklar, zumal alle anderen Testteilnehmer freien Blick auf die Großmembran gewähren und damit auch dem auftreffenden Schall freie Bahn. Dies trifft insbesondere auch auf das brandneue Neumann TLM 49 zu. Seine breite und gleichzeitig gedrungene Form erinnert an die legendären Modelle M 49 und M 50, lässt der Membran hinter den typischen abgeschrägten Schutzgittern viel Raum und kennzeichnet es gleichzeitig als typisches Neumann-Mikrofon. Speziell für Vocalaufnahmen konzipiert soll es sich auch klanglich an die Urväter M 49 und U 47 orientieren. Auf umschaltbare Richtcharakteristiken oder Dämpfungsschalter verzichtet der schwergewichtige und ungemein solide wirkende Newcomer völlig.
Optisch völlig aus dem Rahmen fällt das Modell Orpheus der britischen Mikrofonmarke Sontronics, die sich mit einer Palette von Retro Look-Mikrofonen made in China im gehobenen Preissegment positioniert. Von billiger Chinaware kann beim Orpheus tatsächlich nicht die Rede sein. Verarbeitung und Materialwahl des in einer schicken Holzkiste gelieferten Mikrofons wirken hochwertig. In seinem soliden, rechteckigen Mikrofonkörper aus Zinkdruckguss steckt, wie sich im Test zeigt, eine hochwertige FET-Elektronik Die Richtcharakteristik lässt sich zwischen Kugel, Niere und Acht umschalten.. Über einen massiven U-förmiger Bügel wird das mit seinen knapp 900 Gramm zweit schwerste Mikrofon des Tests am Mikrofonstativ befestigt. Eine absorbierende Spinne ist nicht lieferbar. Stattdessen hängten die Entwickler die Doppelmembran-Mikrofonkapsel in einen Miniatur-Schockabsorber innerhalb des weiträumigen, kugelförmigen Schutzkäfigs und versprechen sich davon den gleichen Effekt. Im Test stellt sich heraus, das Orpheus reagiert tatsächlich weit weniger auf störende, durch das Mikrofonstativ auf den Mikrofonkörper übertragen Vibrationen als andere ohne Spinne befestigte Mikrofone. Allerdings erreichte das Orpheus hierbei nicht die unerschütterlich Souveränität beispielsweise eines Neumann TLM 49.
Das mit Abstand schönste Mikrofon dieses Tests, zumindest nach Meinung der Sängerin Natali Malladi-Rao, die während der umfangreichen Aufnahmetests alle weiblichen Gesangparts übernimmt, ist das MXL V6. Der schlanke und elegante Mikrofonkörper mit seinem vergoldeten Schutzgitter macht in der Tat optisch eine Menge daher. Das mit 290 Euro billigste Mikrofon des Tests stammt vom Kalifornischen Studio-Broadcast-Ausrüster Marshall Electronics. Geliefert wird es ohne Spinne mit einem verschraubbaren Fuß in einer edlen Holzkiste. Die Bezeichnung Silicon Valve hinter der Typenbezeichnung V6 weist auf ein besonderes Schaltungsdetail hin: Die Entwickler wollen mit einer Schaltung aus Feld-Effekt-Transistoren den typischen, gerne als warm bezeichneten Röhrensound simuliere, insbesondere die unharmonischen Verzerrzungen (K3 und k5) reduzieren.
In einem sehr edlen Alukoffer, der auch ein hochwertiges Mikrofonkabel des Schweizer Spezialisten Vovox beinhaltet, wird das Brauner Phantom AE geliefert, eine auf 1000 Stück begrenzte Anniversary Edition. Das im typischen schlanken Brauner Design gefertigte, silberfarbige Gehäuse wird von einer raffiniert konstruierten Spinne gehalten, die nur die hintere Hälfte den Mikrofonkörper umschließt und den vorderen Teil nicht bedeckt. Das exzellent verarbeitete, puristisch ausgestattete Mikrofon, kommt ohne umschaltbare Richtcharakteristik oder Dämpfungsschalter aus, kostet etwa 1000 Euro und darf für das sonst übliche Preisniveau des deutschen Herstellers schon fast als Schnäppchen bezeichnet werden.
Diese Bezeichnung trifft auf das legendäre Modell VM1 aus dem Hause Brauner und das zur Musikmesse 2006 vorgestellte VMX mit Sicherheit nicht zu. Beide Modelle rangieren in der 4000 Euro-Klasse. Insbesondere das VM1 genießt als moderner Klassiker weltweit ein hohes Ansehen und hat den exzellenten Ruf der Röhrengerätemanufaktur Brauner begründet. Beide Mikrofone arbeiten und ganz klassisch mit Röhren – EF 806S aus ehemaligen Telefunken-Beständen – und Ausgangsübertragern höchster Qualität. Doppelmembran-Kapseln ermöglichen es, die Richtcharakteristik über die mitgelieferten Netzteile stufenlos von Kugel bis Achter einzustellen. Die Verbindung zwischen dem schlanken, sehr hoch bauenden Mikrofonkörper und den Netzteilen übernehmen auch hier Vovox-Spezialkabel. Sehr komplett gerät die Ausstattung der beiden Brauners. Im geräumigen Alukoffer finden sich neben Mikrofon, Kabel und Netzteil jeweils eine raffiniert konstruierte Spinne und ein Pop- beziehungsweise Windschutz in Form eines mit Gazestoff bespannten Zylinders der zwar umständlich aber sehr sicher mit der Halterung verschraubt werden kann. Beide Mikrofone sind völlig gleich ausgestattet und sehen sich auch optisch, abgesehen von der Maschenweite des Schutzgitters zum Verwechseln ähnlich. Worin unterscheiden sich die beiden Modelle nun? Während Firmenchef Dirk Brauner das VM1 seiner eigenen Maxime folgend als „das perfekt klingende Röhrenmikrofon“ konstruieren hat, legte er beim VMX ganz bewusst den Schwerpunkt auf Vintage-Sound. Soweit die Theorie, der Recording- und Hörtest von Professional audio Magazin muss die wahren Klang-Unterschiede letztendlich aufzeigen.
Wie schon beim Test der Kleinmembran-Mikrofone in der Ausgabe 5/2006 teilt sich auch dieser Test in zwei große Teile: den Labor- und Messtest und den nicht minder umfangreichen Hör- und Klangtest. Für die Messungen von Frequenzgängen, Empfindlichkeit und Geräuschpegelabstand entwickelte die Redaktion in langwierigen Versuchen eigene, mittlerweile perfekt arbeitende Messroutinen für den Messcomputer SYS-2722 von Audio Precision (siehe detaillierte Beschreibung auf Seite 30). Die Testcrew achtet selbstverständlich sehr pingelig darauf, dass alle Testkandidaten unter exakt gleichen Bedingungen vermessen werden, denn schon geringste Abweichungen in der Positionierung, so die leidvolle Erfahrung, erzeugen mitunter erhebliche Abweichungen. Die Darstellungen der gemessenen Frequenzgänge zeigen eine relativ feine Skalierung der vertikalen Amplituden-Achse. Folge: Die ermittelten Frequenzgang-Kurven wirken dadurch weitaus gebirgiger als die meist sehr beschönigend skalierten und komprimierten Frequenzschriebe der Hersteller.
Selbstverständlich werden alle Mikrofone mit allen verfügbaren Richtcharakteristiken gemessen. Deren Darstellung hätte aber den Rahmen dieses Tests gesprengt. So finden Sie ab Seite 26 lediglich die Kurven für die Nierencharakteristik der Testkandidaten, alle anderen Kurven sind unter www.professional-audio.de downloadbar.
Erfreulich gut schneiden alle Testteilnehmer bei der Messung des Geräuschpegelabstands ab. Werte über 75 Dezibel sind die Regel, einige Mikrofone wie etwa das AKG C 4000 B oder das getunte Studio Projects B1 kommen sogar auf Werte um die 85 Dezibel. In hohem Maße erstaunlich ist hier das Abschneiden des Brauner VM1 mit Werten von 83 Dezibel – für ein Röhrenmikrofon sensationell. Bei solchen Werten wird störendes Rauschen bei der Aufnahme mit Sicherheit nicht hörbar sein – zumindest kommt es dann nicht vom Mikrofon. Die Messwerte für die Empfindlichkeit, also die Ausgangsspannung in Millivolt gemessen, die ein Mikrofon abgibt, wenn es mit einem Schalldruck von einem Pascal (94 Phon) aus einem Meter Entfernung beschallt wird, differieren innerhalb des Testfeldes sehr stark. Sehr laute Mikrofone wie etwa das Studio Projects B1 (40 mV) oder das Brauner Phantom (37 mV) stehen sehr leisen Kandidaten wie etwa dem Neumann TLM 49 (11 mV) oder Beyerdynamic MC 840 (14 mV) gegenüber. Bei den beiden letzteren Modellen muss der Gainregler des Mikrofonverstärkers also deutlich mehr aufgedreht werden.
Die Frequenzgangmessungen offenbaren die typischen Kurvenverläufe für Großmembran-Mikrofone, die ja prinzipbedingt bei hohen Frequenzen eine immer niedrigere Empfindlichkeit besitzen, sobald die Wellenlänge eines Signals die Größenordnung des Membrandurchmessers überschreitet. Bei einem typischen Durchmesser einer Großmembran von einem Zoll (2,5 cm) sinkt diese Empfindlichkeit oberhalb von 14.000 Hertz rapide. Die typische Höhenanhebung im Frequenzgang der Großmembran-Kondensator-Mikrofone rührt vom so genannten Druckstau vor der Membran her, sobald die Wellenlänge in Größenordnung des Membrandurchmessers erreicht. Die Lage des „Berggipfels“ dieser Anhebung lässt also direkt Rückschlüsse auf den Membrandurchmesser zu – je niedriger die Frequenz, bei der der Gipfel sein Maximum hat, um so größer die Membran. Nun verfügen aber gerade die etablierten Hersteller über eine Menge Know-how, wie sie durch gezielte Maßnahmen, beispielsweise das Bohren von Löchern in die Gegenelektroden unter Ausnutzung des Helmholz-Effekts diese Höcker flacher machen können. Dieses Wissen besitzen anscheinend nahezu alle Hersteller der Testkandidaten, wie die gemessenen Kurven belegen. Nahezu alle Frequenzgänge verlaufen unter Berücksichtigung der Skalierung vergleichsweise linear. Kleinere Welligkeiten im Bereich von 400 Hertz rühren ausnahmslos von kaum vermeidbaren, geringen Schall-Reflektionen des Mess-Signals durch das Mikrofonstativs, die Spinne oder die Kabelführung her und haben so gut wie nichts mit den Eigenschaften des jeweiligen Mikrofons zu tun.
Wie üblich bei Professional audio Magazin gerät der wichtige Hörtest der Mikrofone sehr aufwändig. Die Redaktion zeichnet über 50 einzelne Aufnahmen mit Hilfe des Mikrofon-Vorverstärkers Lake People Mic-Amp 355, und dem DA-Wandler Aurora 8 von Lynx Studio Technologie (siehe Test auf Seite 66) auf Cubase SX in 96 kHz Samplingfrequenz auf. Die Soul- und Funk-Sängerin Natali Malladi-Rao besingt jeden Testkandidaten einzeln mit ihrer ungemein dynamischen und facettenreichen Soulstimme, die es den Testern erlaubt, auch geringste Unterschiede im Klangcharakter der Testkandidaten herauszuhören. Die Schwierigkeit für die Sängerin besteht darin, alle Aufnahmen mit möglichst gleicher Lautstärke und gleicher Intonation zu besingen, damit eine Vergleichbarkeit auch wirklich sicher gestellt ist. Neben den Gesangstücken zeichnen die Tester eine Reihe unterschiedlicher Instrumente von diversen Gitarren bis hin zu Querflöte und Perkussion auf, um die Mikrofone auch wirklich zu fordern. Alle Mikrofone werden grundsätzlich, falls wählbar in der Position mit Nierencharakteristik des entsprechenden Wahlschalters getestet, um eine Vergleichbarkeit sicher zu stellen. Abgehört wird über die Geithain MO-2 und die ADAM SA-3 sowie über den elektrostatischen Kopfhörer Stax 4040.
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass alle getesteten Großmembran-Kondensator-Mikrofone auf einem sehr hohen Klangniveau agieren. Doch während des Hörtests kristallisieren sich einige bemerkenswerte Charakter-Unterschiede zwischen den Testkandidaten heraus, die eingehend analysiert werden. Eine Bewertung der Klangeigenschaften verbietet sich bei Mikrofonen und besonders bei Großmembran-Kondensator-Mikrofonen. Allerdings kristallisiert sich im Test heraus, dass bestimmte Modelle sich besonders für spezielle Stimmen oder Instrument eignen. Die entsprechenden Empfehlungen finden Sie im Steckbrief auf Seite 32. Hier nun die Beschreibung der Klangeigenschaften der Testkandidaten in alphabetischer Reihenfolge:
AKG C 4000 B: Insgesamt klingt das aus Österreich stammende Mikrofon warm und vollmundig, gleichzeitig aber auch grisp und hell. Diesen eigentlichen Widerspruch offenbart das AKK insbesondere bei Stimmen. Einerseits verleiht ihnen das Mikrofon Volumen und Substanz, andererseits setzt im Diskant-Bereich eine gewisse Silbrigkeit auf. Das prädestiniert das C 4000 B ganz besonders für alle geschlagenen und gezupften Saiteninstrumente, denen es eine dominante Durchsetzungskraft im Mix verleiht. Das Auflösungsvermögen ist auf hohem Niveau, wird aber von einigen allerdings auch teureren Testteilnehmern übertroffen.
Audio-Technica AT 4050/CM5: Der schlanke Japaner klingt grundsätzlich recht neutral, gleichzeitig aber auch sehr direkt und nah. Will heißen, sowohl Männer- wie Frauen-Stimmen vor allem kommen einerseits sehr ausgewogen und harmonisch, werden auch nicht besonders in ihrem Charakter verändert, andererseits verleiht ihnen das AT 4050 Kraft. Auch wenn Der Sänger etwas weiter vor dem Mikrofon steht, ,lässt er sich sehr gut einfangen. Darüber hinaus bietet das Audio-Technica sehr straffe und substanzreiche Tiefbässe, löst in den Mitten und Höhen gut bis sehr gut auf und glänzt durch ein wirklich hervorragendes Impulsverhalten. Dies macht es grundsätzlich recht universell einsetzbar, seine Stärke liegen aber neben den Stimmen bei Perkussion. Dafür eine klare Empfehlung.
Beyerdynamik MC 840: Vergleichsweise zierlich gibt sich der Newcomer zwar optisch, akustisch gehört er aber zu den Großen und empfiehlt sich als Allrounder. Sein Klangcharakter lässt sich grundsätzlich als eher schlank, gleichzeitig dynamisch und enorm impulstreu beschreiben. Speziell in seiner Impulswiedergabe erinnert es sogar an gute Kleinmembran-Mikrophone. Die Mittenwiedergabe ist enorm offen und luftig, das prädestiniert das schwäbische Mikrofon geradezu für Solostimmen, denen es einen starken Durchsetzungscharakter verleiht. Außerdem eignet es sich vorzüglich für eine Vielzahl von Instrumenten, insbesondere Blasinstrumente (Querflöte) , Schlagzeug oder Gitarre. Allerdings darf man vom MC 840 keine Volumenvergrößerung des Klangkörpers erwarten. Dafür ist es nicht gebaut.
Brauner Phantom AE: Klingt ausgesprochen neutral, ebenso präzise wie das Beyerdynamik und vielleicht in den unteren Mitten ein wenig fülliger als dieses. Das macht auch das kleinste Brauner-Modell sehr universell, besondere Vorlieben sind kaum auszumachen. Stimmen kommen sehr neutral, gleichzeitig aber auch direkt. Ein besonderes Highlight ist die duftige Höhenwiedergabe, die allerdings niemals aufgesetzt auf aufdringlich wirkt. Vielmehr löst das Phantom auch winzige Klangnuancen oben herum sehr fein auf.
Brauner VM1: Schon mit dem ersten Ton verzaubert das VM1 jeden der Tester. Bei jedem Programm-Material versteht es das VM1, daraus etwas Besonderes zu machen, eine Fähigkeit, die sich schwierig in Worte fassen lässt. Versuchen wir es trotzdem. Am besten lässt sich der Klangcharakter des VM1 mit einer speziellen Körperhaftigkeit beschreiben, die es jeder aufgezeichneten Stimme und jedem Instrument verleiht. Es wirkt so, als würde es in ihnen mehr Details entdecken als andere Mikrofone. Stimme und Instrument ob Gitarre Flöte, Perkussion klingen auf eigenartige Weise trotz monophoner Aufzeichnung dreidimensionaler. Auch aus der Raumtiefe holt das VM1 noch Informationen. Dabei klingt es sehr neutral, gleichzeitig verleiht es vor allem Stimmen ein gewisses Volumen, das viele sicher als Wärme bezeichnen würden, was aber den Nagel nicht ganz auf den Kopf trifft. Bemerkenswert ist auch die Fähigkeit des VM1 auch bei komplexesten Signalen die Übersicht zu behalten. Zwar kann das auch Phantom, Beyerdynamik MC 840, Audio-Technica AT 4050/CM5 und ein Neumann TLM 49 ebenfalls sehr gut, doch das VM1 kann es noch ein bisschen besser. Bestechend ist auch das Dynamik-Verhalten sowohl bei grob- wie auch feindynamischen Signalen. Macht man keine groben Grundsatzfehler gelingen Aufnahmen mit dem VM1 nahezu grundsätzlich. Gibt man sich wirklich Mühe mit Positionierung und lernt mit dem Mikrofon souverän umzugehen, werden sie vorzüglich gelingen.
Brauner VMX: Alles, was für das VM1 gilt, gilt auch für den Jüngsten Spross der Brauner-Familie. Dennoch gibt es Unterschiede. Auf den Punkt gebracht klingt das VMX ganz oben noch einmal einen Deut, aber einen hörbaren Deut filigraner und luftiger. Es verleiht Streichinstrumenten einen schwer zu definierenden Schmelz. Dieser Schmelz mag im Original gar nicht vorhanden sein, aber hat man ihn bei bestimmten Instrumenten einmal gehört, möchte man ihn dort nicht mehr missen. Damit ist das VMX keineswegs besser als das VM1, es ist einen winzigen Touch anders. Die Soulstimme von Natali Malladi-Rao profitiert mehr vom Charakter des VM1, eine Querflöte dagegen vom VMX.
MXL-V6: Das Attribut „warme Mitten“ trifft auf den Klangcharakter des V6 ohne Einschränkung zu. Dabei verleiht das optisch schlanke Mikrofon Stimmen keineswegs ein deutlich größeres Stimmvolumen, allenfalls in Ansätzen. Vielmehr produziert es eine gewisse Gefälligkeit, nimmt schneidenden Tönen ein wenig die Schärfe und sorgt so für ein sehr gefälliges Klangbild. Gleichzeitig klingt das MXL aber auch sehr direkt und erinnert dabei ein wenig an das Audio-Technica ohne allerdings dessen Neutralität zu erreichen. Das V6 schmeichelt Stimmen ohne sie zu verfälschen und gibt ihnen eine gehörige Portion Durchsetzungsvermögen. Das Impulsverhalten geht in Ordnung ebenso das Auflösungsvermögen in den Mitten und Höhen.
Neumann TLM 49: Wirkt optisch souverän und gediegen und genau so klingt auch das neuen Neumann. Was immer man die Prospekt-Aussagen über dieses Mikrofon interpretieren möchte, in die wohlige Vintage-Ecke jedenfalls gehört es nicht. Vielmehr kombiniert das TLM 49 ein hohes Maß an Neutralität, ähnlich der des Phantom AE oder Beyerdynamik AC 840 mit einem nicht übertriebenen Wohlwollend gegenüber Stimmen. Hier kann es punkten wie wenige andere Mikrofone in diesem Test. Einerseits bewahrt es ohne Einschränkung den Charakter jeder Stimme – gleichgültig ob weibliche oder männliche – anderseits versieht es sie mit einem bestimmten Zauber, der sie fast immer um Nuancen besser als im Original erscheinen lässt. Was wünscht sich ein Solist mehr. Doch auch Instrumente profitieren von dieser besonderen Eigenschaft des TLM 49. Gitarren beispielsweise verleiht es Farbe und Charakter, insbesondere die Obertöne kommen sehr fein und sauber.
SE electronic Gemini: Das enorm große und schwere Mikrofon klingt so gar nicht wie es aussieht – im positiven Sinne. Zwar ist der Klangcharakter zweifelsohne der eines typischen Röhrenmikrofons, doch besitzt das Gemini auch die Gene eines leichtfüßigen Sprinters. Einerseits also verleiht es Stimmen diese gewisse Sonorität und Glaubwürdigkeit, die so manchen Politiker allzu gerne gewinnbringend für sich würde, andererseits klingt das Gemini auch frisch und luftig und lässt kurze Impulse druckvoll und klar erklingen. Wirklich neutral klingt der Dickmann nicht aber dennoch irgendwie richtig, zumindest ist ihm eine gewisse Großartigkeit nicht abzusprechen. Seine Stärken liegen zweifelsohne bei den Aufnahmen von Stimmen, falls diese Volumen und Kraft erhalten sollen. Eine gute Figur macht das Gemini aber auch Blasinstrumenten, deren rauchigen Charakter es verstärken kann.
Sontronics Orpheus: So skurril das äußere Erscheinungsbild des Retro-Style-Mikrofons erscheinen mag, so bodenständig gibt es sich klanglich. Kurzum, es ist groß und klingt groß. Toningenieure, die Sänger mit schwacher und dünner Stimmen aufnehmen denn auch ohne Compressor oder Equalizer holt das Orpheus eine Menge aus dem Stimm-Material heraus. Dabei klingt es sehr direkt und in den Mitten sehr offen. Popp- und Plopp-Geräusche halten sich sehr in Grenzen – mehr als bei vielen anderen Mikrofonen. Das Impulsverhalten ist gut, wirkliche Tiefbässe sind nicht die Domäne des Orpheus, was aber bei Sprach und Gesangsaufnahmen nicht nur keine Rolle spielt sondern gar als Vorteil gelten kann.
Studio Projects/United Minorities B1: Das getunte B1 fällt dadurch auf, dass es – positiv formuliert – nicht auffällt – zumindest beim ersten Hinhören. Mit der Zeit schälen sich dann aber sehr wohl seine Qualitäten heraus Es klingt weitgehend neutral und lässt Stimmen und Instrumente so erklingen, wie sie sind. Es besitzt ein sehr gutes Auflösungsvermögen in den Mitten und Höhen und empfiehlt sich damit als Allrounder mit besonderem Faible für Stimmen, Gitarren und auch Perkussion. Das Impulsverhalten ist insbesondere in den Höhen sehr gut. Ein Beyerdynamik oder auch ein Audio Technica, denen es klanglich ähnelt, offerieren mehr Offenheit in den Mitten, dafür wirkt das B1 oben herum einen Hauch duftiger.
Fazit
Einen Sieger oder Verlierer gibt es in diesem Test nicht. Vermutlich durch Zufalle hatte die Redaktion wohl ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Testkandidaten. Das MXL V6 mit 290 Euro billigster Testkandidat ist nicht nur jeden Euro wert sondern ein Mikrofon, dass sich insbesondere für Stimmen eignet und auch bei Instrumentalaufnahmen eine gute Figur macht. Fehlkauf ausgeschlossen. Das Studio Projects/United Minorities B1 glänzt durch exzellente Messwerte, kein Mikrofon im Test rauschte weniger und liefert mehr Ausgangsspannung. Dies reduziert den Aufwand beim Mikrofonverstärker und beim Audio-Interface. Damit ist das B1 geradezu prädestiniert für anspruchsvolle Homerecorder, die ein klanglich gutes, neutral klingendes Mikrofon suchen und gerne bei einem Tuner kaufen wollen. Das AKG C 4000 B, obwohl schon einige Jahre auf dem Markt, steht in Sachen Ruhegeräusch kaum hinter dem B1 zurück und überzeugt auch klanglich. Es ist dank seiner umschaltbaren Richtcharakteristik universell einsetzbar, hat Charakter, klingt sehr gut bei Stimmen und Saiteninstrumenten und macht jede Aufnahme im Mix durchsetzungsfähig. Nach wie vor eine Empfehlung. Das Sontronics Orpheus ist im besten Wortsinne ein Mikrofon mit Ecken und Kanten und ist prädestiniert für Vokalaufnahmen jeglicher Art. Die umschaltbare Richtcharakteristik macht es in Sachen Aufnahmestandort universell. Das Audio-Technica AT 4050/CM5 ist ein ausgesprochen universell einsetzbares Mikrofon, es klingt direkt und lebendig sein präsenter Klangcharakter verschafft Stimmen ein gutes Durchsetzungsvermögen im Mix. Es bietet ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Brauner Phantom AE ist nur in limitierter Auflage erhältlich aber jeden Euro wert. Es klingt insgesamt sehr gut und neutral, sehr wertig verarbeitet und empfiehlt sich als Allround-Mikrofon unter den Großmembranen. Wer ein solches Mikrofon sucht, 1100 Euro investieren will sollte schnell zuschlagen. Die Befürchtung, schnell ausverkauft zu sein, besteht bei dem brandneuen MC 840 von Beyerdynamic nicht. Es klingt ebenfalls sehr neutral mit der Tendenz in den Mitten sehr offen und luftig zu agieren. Man kann es sehr universell einsetzen und macht in jedem Aufnahmeset eine sehr gut Figur, vorausgesetzt man liebt das optische Understatement. Das genaue Gegenteil, zumindest optisch trifft auf das SE electronic Gemini zu. Es ist wuchtig, klingt aber sehr differenziert, ist sehr nett zu Stimmen und bietet ein farbreiches eigenständiges Klangbild – eine echte Bereicherung des Marktangebotes. Das Neumann TLM 49 ist ebenfalls ein Mikrofon mit starkem Charakter, das zweifelsohne zahlreiche Liebhaber finden wird, insbesondere wenn es um Vokalaufnahmen geht. Wer mit einem guten Vokal-Mikrofon liebäugelt, muss sich mit diesem Mikrofon beschäftigen. Eine Klasse für sich stellen die beiden Top-Mikrofone von Brauner, das VM1 und das VMX dar. Wir konnten im Test zweifelsfrei nachvollziehen, warum diese Mikrofone, insbesondere das VM1, weltweit als Referenz gilt und zwar jenseits einer Diskussion für oder wider Röhrenmikrofone. Beide Brauner bewiesen, dass es weniger auf das Prinzip, sondern auf das, was man daraus macht, ankommt. Und angesichts solcher Qualitäten erübrigt sich auch eine Preisdiskussion. Für wirklich außergewöhnliche Produkte muss man immer den entsprechenden Preis zahlen. Die Freude darüber ist für den stolzen Besitzer dann gratis und währt meist sehr lange.
Erschienen in Ausgabe 11/2006
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1250 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut
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