Detailverliebt
Auch der amerikanische Mikrofonspezialist Josephson Engineering hat das Rad nicht neu erfunden. Aber die Schallwandler der untriebigen Edelschmiede loten immer wieder aufs Neue das technisch und klanglich Machbare aus. Somit verspricht auch das Großmembranmikrofon C716 Know-how, Raffinesse und Ingenieurskunst vom Korb bis zu den Litzen.
Von Michael Nötges
Somit verspricht auch das Großmembranmikrofon C716 Know-how, Raffinesse und Ingenieurskunst vom Korb bis zu den Litzen. Manchmal ist es nicht leicht, an Produktinformationen vom Hersteller zu kommen und logischerweise lässt sich nicht jeder Entwickler gerne in die Karten schauen. Schon gar nicht, wenn er ein exzellentes Blatt auf der Hand hat. Aber zu der Spezies verstockter und zugeknöpfter Sonderlinge und Pokerfaces gehört David Josephson, Chefentwickler von Josephson Engineering, sicher nicht. Auf Anfrage freute sich der im kalifornischen Santa Cruz arbeitende Mikrofonentwickler und AES Fellow sehr über das Interesse am C617. Alles, was das technische Design des Mikrofons angeht, beruhe auf akribischen Überlegungen, genauer Betrachtung und Messung, so der Firmengründer. Er scheint – und das nehme ich ihm vollends ab – sehr viel mehr Wissenschaftler und Ingenieur als Marketingexperte zu sein und stellt keine windigen Alleinstellungsmerkmale heraus, die er nicht bis ins letzte Detail Begründen und erklären kann. Dementsprechend sind seine Antworten auf meine Fragen zum Eingemachten des C716 sehr erschöpfend und überaus aufschlussreich. Aber der Reihe nach: Bereits die Kleinmembranmikrofone C617 und C617SET (Test in Heft 3/2009 und 9/2011) wussten auf breiter Front ob ihrer Ausgewogenheit und hohen Klangqualität zu überzeugen.
Aber auch das einzigartige Twin-Kondensatormikrofon C700A sorgte nicht nur konstruktionsbedingt (Kombination einer Klein- und Großmembrankapsel) sondern auch wegen des offenen, detailreichen und transparenten Klangs für Furore. Wobei während der Tests schnell klar wurde, dass Josephson Engineering nicht umsonst in den USA Kultstatus genießt und weltweit zu den Top-Herstellern hochwertiger Schallwandler gehört. Auch beim C716 hat Josephson Engineering wohl keine Kosten und Mühen gescheut, um am Ende wirklich das in den Augen und Ohren der Entwickler technisch und klanglich Beste zusammenzulöten. Warnung vorab: Das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen und zu einer schnellen Kaufentscheidung verleiten. Die Kosten belaufen sich allerdings auf 3.690 Euro. Beim C716 handelt es sich um ein Großmembran-Kondensatormikrofon mit fixer Nierencharakteristik. Äußerlich fällt der Schallwandler durch den an den Schaft geschweißten Korb aus einer amorphen, schaumartigen Aluminiumlegierung auf. Womit wir bereits beim ersten Alleinstellungsmerkmal wären, dass Josephson natürlich als Patent angemeldet hat. Hinter dem robusten „Schaum-Korb“ steckt eine aufwendige Feinguss-Technik, die einen offenporigen Schaumstoff als Ausgangsmaterial verwendet. Die Zwischenräume, so Josephson, werden dann mit Keramik gefüllt und der Kunststoff anschließend herausgebrannt, damit die geschmolzene Aluminium-Legierung (Al-Mg-Si) seinen Platz einnehmen kann. Nach Auskühlung des Aluminiums wird die Keramik entfernt und zurück bleibt der Korb mit seiner amorphen, sehr robusten Struktur. Dieser wird dann direkt an den Schaft hartgelötet, der seinerseits glasperlengestrahlt und vernickelt ist. Das Finish des Gehäuses besteht dann aus schwarzem Chrom. Der Spezialist geht ins Detail: „Das Schwarz kommt von Karbon-Atomen, die zwischen denen des Chroms stecken.“ Die Erklärung folgt direkt: „So entsteht ein sehr hartes Finish, das auch im rauen Alltag Jahre übersteht. Einige unsere ersten Mikrofone, die wir vor über 20 Jahren gebaut haben“, erzählt Josephson, „sind einmal zum Überprüfen und Kalibrieren eingeschickt worden. Sie sind immer noch in sehr guter Verfassung.“ Was aber soll der eigenwillige „Schaumkorb“ bewirken? Zum einen schützt der äußerst robuste Korb die Kapsel mechanisch. Ohne, dass ich wirklich versuche den Korb einzudrücken, fühlt sich das luftig wirkende Metallgeflecht äußerst steif und widerstandsfähig an. Zum anderen ist die Struktur im Gegensatz zu anderen Korb-Materialien und Konstruktionen sehr reflexionsarm. Es gibt keinen Ring oder andere Streben, die den Korb stützen und die zu internen Reflexionen und damit zu akustischen Resonanzen bei der Mikrofonansprache führen. Letztlich werden dadurch Veränderungen des Frequenzganges sowie Phasenprobleme vermieden. Laut Josephson ist die akustische Transparenz rund um die Kapsel Garant für die klangliche Klarheit des Mikrofons. Bei manchen Großmembranmikrofonen mit herkömmlichen Korbkonstruktionen fällt die Empfindlichkeit je nach Einsprechrichtung um sechs Dezibel bei 90 oder 270 Grad ab. Die Aufnahme beim C716 verspricht über die komplette Vorderseite des Mikrofons eine gleichbleibende Empfindlichkeit. Das kann sehr hilfreich sein, wenn das Mikrofon unerwünschte Schallquellen ausblenden soll – es also mit der Rückseite zum Übeltäter positioniert ist. Eine präzise Ausrichtung auf das Objekt der Begierde ist dann vielleicht nicht möglich aber mit dem C716 eben auch nicht notwendig. Aber das ist immer noch nicht alles, was der Hightech-Korb zu bieten hat, denn er gewährleistet außerdem die elektronische Abschirmung und vermindert Wind- und Pop-Geräusche, sodass zusätzliche Schutzvorrichtungen, glaubt man dem Hersteller, nicht notwendig sind. Ein Blick durch die Schaumporen zeigt übrigens eine feine Gaze, womit der Korb von innen ausgekleidet ist, um Atemfeuchtigkeit bei Stimmaufnahmen zurückzuhalten. Das C716 wird in einem schwarzen Pelican-case ausgeliefert, das nicht unbedingt edel aussieht aber einen unverwüstlichen Eindruck macht.
Außerdem ist der Koffer wasserdicht und verfügt über ein Luftdruckausgleichventil. Glaubt man dem Hersteller, wurden Peli-Cases mit Equipment im Irakkrieg von Hubschraubern abgeworfen, ohne dass sie beschädigt wurden. Eine Spinne sucht man im Koffer allerdings vergeblich. Das Mikrofon mit fest installiertem Mogami-Kabel ist lediglich mit zwei handlichen Schrauben in einer U-Halterung installiert, was ein komfortables Abwinkeln und Fixieren des Mikrofons ermöglicht. Zunächst bin ich etwas verwundert, da der Schutz vor Tritt- und Körperschall nicht gewährleistet zu sein scheint. Dem ist aber nicht so: Die Spinnenphobie liegt ganz einfach darin begründet, dass Josephson die Kapsel intern mit einer speziellen, erschütterungsfreien Aufhängung gelagert hat. Josephson erklärt: „Das Trennelement besteht aus zwei Polyurethan-Halterungen, die mithilfe andere Bauteile inmitten einer schwarzen Kunststoffhaube fixiert sind. Durch diese Vorrichtung verläuft eine Gewindestange bis in den Boden der Kapselaufhängung. Damit erreichen wir eine Entkopplung vom Stativ, wodurch sich grundsätzlich der Einsatz eines externen Schwingungsdämpfers erübrigt.“ Die Doppelmembrankapsel ist übrigens mit goldbeschichteten Folien in einer Stärke von fünf Mikrometern bestückt. Nur die vordere Membran ist elektronisch aktiv, sodass ein Umschalten der Richtcharakteristik nicht möglich ist. Die hintere ist passiv und dient zur Verbesserung der Plosivlaut-Aufnahme und zur Optimierung des Nahbesprechungseffekts. Es wundert keinesfalls, dass auch bei der Schaltung des C716 ein immenser Aufwand betrieben wird. Josephson versichert: „Alle Bauteile sind für die Qualität des Klangs verantwortlich. Wir kaufen die Transistoren direkt bei den Fabriken in Japan und haben uns bei den Eingangs-FETs für die rauschärmsten und linearsten entschieden, die wir finden konnten. Die Spezifikationen der Hersteller sind das eine, aber selbstverständlich messen und testen wir jedes Element hinsichtlich seines Rauschspektrums, bevor es verwendet wird. Sehr wichtig sind auch die Eingangswiderstände, wo wir lediglich je einen Hersteller in Deutschland und Japan gefunden haben, der nach unseren Anforderungen fertigt.“ Beim zweistufigen Design setzt Josephson auf eine Kaskoden-Schaltung für die Eingangsstufe und sogenannte ‚Emitter Followers‘ oder ‚Common-Collector Amplifier‘ für die Ausgangsstufe. Beide Schaltungstopologien en détail zu erklären, würde den Rahmen dieses Tests sprengen. Aber stark vereinfacht gesagt, verringert die Kaskode die Input-Kapazität der Eingangsstufe, was die Kapsel deutlich weniger fordert als herkömmliche FET- oder Röhrenschaltungen. Mit dem Ergebnis, das insgesamt weniger Verzerrungen auftreten. Außerdem lindert die Kaskodenschaltung das übliche Verhalten von FETs, nämlich ihre Eingangsimpedanz abhängig vom Level zu ändern. Stabilität und geringere Verzerrungen sind die Folge. Josephson erklärt die zweite Stufe: „Die Ausgangsstufe besteht aus Common-Collector-Amplifiers, die als Puffer für die beiden Signale der Eingangstufe fungieren. Der Ausgang der ersten Stufe ist an den Emitter des Transistors (zweite Stufe) gekoppelt . Der Abschlusswiderstand der Stufe ist der Phantomspannungswiderstand des angeschlossenen Preamps.“ Dann schließt er: „Emitter Followers haben etwas weniger als Unity Gain. Ihre Funktion ist es lediglich, die Impedanz von Kabel und angeschlossenem Vorverstärker zu puffern, damit der Output ein genaues Abbild der elektrischen Spannung der Kaskodenschaltung führt.“ Ein Indikator für das Qualitätsniveau ist der von Professional audio gemessene Geräuschpegelabstand, der beim C716 sehr gute 79,9 Dezibel beträgt. Damit liegt der Testkandidat auf Ohrenhöhe mit Mikrofonen der Spitzenklasse wie dem Brauner Phantera (Test in Heft 6/2007: 79,4 Dezibel) und ist einem U87 AI von Neumann (Test in Heft 6/2007: 82,8 Dezibel) oder dem exzellenten M1030 von Microtech Gefell (Test in Heft 2/2011: 88,5 Dezibel) auf den Fersen. Die gemessene Empfindlichkeit beträgt 17,6 mV/Pa, was für ein Kondensatormikrofon nicht unbedingt üppig ist. Phantera (26,7 mV/Pa), U87 AI (29,8 mV/Pa) und M1030 (26,7 mV/Pa) warten da mit deutlich höheren Werten auf, was im Falle des C761 durchaus sehr gute Preamps mit genügend Verstärkungsreserven – zumindest bei leisen Schallquellen – fordert. Aber mal Hand aufs Herz: Wer verwendet ein Mikrofon für 3.690 Euro mit billigen Vorverstärkern?
Der Frequenzgang (siehe Seite 58) deutet auf ausgewogene Neutralität mit leichter Betonung der oberen Mitten hin. Alles andere werden die Aufnahmen zeigen. Ehrlich gesagt kann ich es auch nicht mehr erwarten, das vielversprechende Hightech-Mikrofon anzuschließen. Die Installation für die Gesangs-, Sprach- und Gitarren-Aufnahmen gelingt komfortabel. Wobei das C716 sicher nicht zu den unauffälligen Fliegengewichten zählt, die problemlos am Stativgalgen hängen. Auch wenn sich zwei C617 als Overhead-Mikrofone bei Schlagzeugaufnahmen klanglich bestimmt gut machen würden, müssten in solchen Fällen die Flügelschrauben der Stative ordentlich angeknallt werden. Andere Schallwandler wären aufgrund ihrer Statur bestimmt eine bessere Wahl. Über das fest installierte Kabel kann man sich sicher trefflich streiten. Positiv ist, dass immer ein und dasselbe hochwertige Kabel bei den Aufnahmen zum Einsatz kommt. Nuancierte Klangunterschiede durch unterschiedliche Strippen sind also ausgeschlossen. Puristen, die auf den Einsatz ihres eigenen Spezialkabels schwören, müssen sich allerdings mit dem Gegebenen zufriedengeben. Ist das Kabel gebrochen, kann außerdem nicht einfach ein anders verwendet werden. Das C716 steht in Mundhöhe vor mir. Zunächst berühre ich leicht das Stativ, um die interne Schallbedämpfung auszutesten. Natürlich hört man etwas, wenn das Stativ direkt angefasst oder gar versehendlich mit dem Fuß angerempelt wird. Allerdings sind die Auswirkungen bei einem Audio Technica AT4040 mit normaler Spinne genauso vorhanden. Eine Übertragung von Trittschall kann ich auch bei heftigen Stampfen auf den Betonboden nicht ausmachen. Wie das bei einem mitschwingenden Holzboden aussieht, ist schwer zu sagen. Schlechter als mit einer herkömmlichen Spinne wird das Ergebnis aber keinesfalls sein. Beim Besprechen des Mikrofons, die Kapsel ist leicht schräg von oben auf den Mund gerichtet, sind nur bei sehr naher Traktierung Probleme mit Plosivlauten zu hören. Bei einer angemessenen Entfernung von rund 30 Zentimetern leistet das amorphe Korbgeflecht sehr gute Arbeit und führt zu optimalen Ergebnissen. Bei sehr kurzen Abständen zum Mikrofon empfiehlt sich zur Sicherheit ein zusätzlicher Pop-Schutz. Das Mikrofon fängt den Stimmklang exzellent ein. Als Erstes fällt die sagenhafte Transparenz und Offenheit des Klangs auf. Im Vergleich mit einem deutlich günstigeren AT4040 von Audio Technica erscheint das Klangbild so, als stünde man plötzlich unter sternenklarem Himmel. Die Stimme klingt sehr plastisch und vor allem überaus detailliert und grundsätzlich sehr natürlich. Wobei sie eigentlich über sich hinauswächst und angenehm präsent und voluminös klingt, ohne dabei eingefärbt zu erscheinen. Die gleiche Erfahrung mache ich bei den Vocal-Aufnahmen, wobei ich zur Sicherheit einen Popschutz verwende, um auch den Nahbesprechungseffekt ausreizen zu können. Dieser ist nicht sehr stark ausgeprägt, führt aber zu sehr angenehmer Kräftigung des Gesangs, ohne aufdringlich oder verfremdend zu erscheinen. Die Höhen sind sehr offen, das Impulsverhalten und die Auflösung ohne Fehl und Tadel und gerade bei intimen Gesangparts, die von Nahem in die Kapsel gehaucht werden, ist der Gänsehauteffekt schon fast programmiert. Sehr erfreulich ist auch die breite Empfindlichkeitsfront des Schallwandlers, was es ermöglicht, sich voll auf das Singen zu konzentrieren, ohne immer stoisch den Sweetspot anpeilen zu müssen. Auch bei den Gitarrenaufnahmen zeigt sich der offene Klang mit seiner durchsichtigen und plastischen Klarheit von seiner besten Seite. Gerade bei tiefer gestimmten Open-Tunings der Steelstringgitarre beginnt der Klang zu atmen und wirkt überaus lebendig und authentisch. Wobei die Anschlaggeräusche angenehm präsent erscheinen und das gute Impulsverhalten zu einen extrem scharfen klanglichen Abbild führt. Insgesamt klingt das Instrument, wie es klingt, zeigt sich aber durch das C716 definitiv von seiner besten Seite. Das ist auch bei der Konzertgitarre nicht anders, wobei besonders die Aufnahme aus einem Meter Entfernung ein überaus natürliches Ergebnis mit einer exakten und sehr angenehmen Abbildung des Raums liefert. Leider darf ich gerade nicht in einer Kirche oder einem anderen, akustisch keckeren Raum, spielen und aufnehmen, denn mit diesem Mikrofon im Gepäck sind mit Sicherheit Aufnahmen oberster Güte möglich.
Fazit
Was soll man da noch sagen? Das C716 von Josephson lässt als omnipotentes Großmembranmikrofon keine Wünsche offen, wenn es um hochwertige natürliche Aufnahmen geht. Die Materialschlacht und das jahrelange Entwicklungsengagement tragen Früchte: Ein Schallwandler der Spitzenklasse mit exzellenten klanglichen Eigenschaften – entwickelt von Profis für Profis.
Erschienen in Ausgabe 12/2012
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 3690 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut
Hinterlasse einen Kommentar